«Ich war bereit dafür zu bluten»

Der 35-jährige Künstler Bash musste aus Kurdistan flüchten, weil er als «zu schwul» galt. Er kämpfte sich durch bis nach Berlin

Der Künstler Bash, wie er auf dem Cover des Buchs «In the Shadow, in the Light» von Azhar Al-Rubaie zu sehen ist
Bash, wie er auf dem Cover des Buchs «In the Shadow, in the Light» zu sehen ist (Bild: Sebastian Backhaus/Dracopis Press)

1990 wurde Bash in Bagdad geboren, in eine wohlhabende Familie. Weil er schon in der Schule auffiel als «zu feminin», brachten ihn seine Eltern eines Tages zu Verwandten nach Kurdistan – und meldeten sich nie wieder. Als sein Anderssein dort ebenfalls zum Problem wurde, flüchtete Bash in die Türkei. Und wagte von dort die schwierige Odyssee nach Europa.

Als junger Mann hatte sich Bash – so sein Künstlername, den er aus Sicherheitsgründen heute in der Öffentlichkeit ausschliesslich benutzt – in Kurdistan eine imposante Karriere im Showbusiness aufgebaut. Er arbeitete als Make-up-Artist im lokalen Fernsehen, reiste viel in benachbarte Länder, um dort Schminke und Outfits für Stars zu kaufen. Sogar die BBC engagierte ihn für ihren Lokalkanal. Als Maskenbildner half Bash mit, einen «New Look» zu etablieren – Männer mit langen Haaren, geschminkt, mit Glitzerkostümen.

Das sorgte für Aufmerksamkeit und Diskussionen, besonders in einer vergleichsweise kleinen Community wie der in Kurdistan. Über seine Medienkontakte fing Bash irgendwann selbst an, Musik zu machen und Videos auf seinem Youtube-Kanal zu posten, zwei Lieder machten ihn bekannt, eins über die Rechte von Kurd*innen und eins über Freiheit allgemein. Das brachte ihm schnell eine Million Follower*innen, wie er beim Treffen mit MANNSCHAFT erzählt. Während manche ihm gratulierten, schimpften andere darüber, dass sei alles viel «zu schwul» – ein femininer Mann mit Pailletten war 2014 «too much» für die Gesellschaft vor Ort (MANNSCHAFT berichtete über Queerfeindlichkeit im Irak).

«Das gibt nur Probleme, das brauchen wir nicht» Trotzdem (oder gerade deswegen) gingen sein Videos viral, wie Bash berichtet. Aber die «Power-Leute» in Kurdistan hätten Sorge gehabt, dass da plötzlich alle anfangen könnten von «Gay Rights» und «Human Rights» zu sprechen. «Das gibt nur Probleme», meinten sie, «das brauchen wir nicht».

Sie schickten drei Polizisten in Zivil zu Bashs Wohnung, wo er mit seinem Freund lebte. Es war kein freundlicher Besuch. Bash wurden seine Papiere abgenommen, ihm wurde gedroht, er wurde geschlagen. Auch der anwesende Freund wurde eingeschüchtert. Und Bash war klar, dass er innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen sollte. Er kratze alles zusammen, was er hatte, liess Auto, Wohnung, Boyfriend, Beruf und sein bisheriges Leben zurück – und flog in die Türkei.

Dort ohne Papiere zu leben war schwierig, aber ein Hotel, wo er früher öfters abgestiegen und entsprechend registriert war, nahm man ihn vorübergehend auf, Bekannte in Istanbul halfen finanziell. Doch weil die Lage für schwule Männer wie ihn auch in der Türkei nicht gerade rosig ist (MANNSCHAFT berichtete), fasste Bash den Entschluss, weiterzuziehen in Richtung nach Europa. Wo angesichts der Flüchtlingskrise verschiedene Länder gerade ihre Grenzen geöffnet hatten.

Bash, wie er sich auf dem Cover seiner Single «Survivor» zeigt
Bash, wie er sich auf dem Cover seiner Single «Survivor» zeigt (Bild: Sebastian Backhaus/Instagram: @bashartaha)

Zurückgestossen über den Grenzstreifen Es hat nicht gleich geklappt, über die EU-Grenze zu kommen. Mehrere Anläufe waren nötig. Zuerst griffen ihn griechische Grenzschützer auf, er musste sich komplett nackt ausziehen, mitten im Winter. Wurde schikaniert. Und als er sagte, er wollte nach Europa, weil er schwul sei, schlug man ihn zusammen. Schmiss ihm seine Sachen hinterher. Und stiess ihn zurück über den Grenzstreifen.

Bash hörte sich um und fand schliesslich andere Menschenschmuggler, die viel Geld verlangten, das er nicht hatte, das ihm aber Freunde bereitstellten. So kam er 2014 schliesslich über Bulgarien nach Salzburg. Dieser Fussmarsch durch den «Dschungel» hat zehn Tage gedauert. Bash war mit verschiedenen syrischen Familien unterwegs, die ihn ebenfalls als «zu anders» beäugten und sich von ihm fernhielten. Als es regnete und er kein Essen hatte, nahm ihn niemand ins Zelt auf. Für die kopftuchtragenden syrischen Frauen war ein schwuler Mann «no go».

In der Situation konnte er es sich nicht leisten, es sich mit den Schleppern zu verscherzen. Fünf von ihnen wollten jeden Tag mit ihm Sex haben. Niemand von den anderen Geflüchteten sagte etwas oder kam ihm zur Hilfe.

«Der Zauberer von Oz» Bei jeder dieser Vergewaltigungen hatte er eine Art Blackout, sagt Bash. Er schloss die Augen und wollte sie erst wieder aufmachen, wenn er in einer besseren und bunten Glitzerwelt aufwachen könnte. Wie Dorothy in «Der Zauberer von Oz», die sich aus dem Grau des Alltags hinwegträumt in ein anderes Land.

Bash wollte irgendwann in einem eigenen Glitzersong seine Geschichte erzählen, sie mit anderen teilen, um ihnen und sich selbst Kraft zu geben. Empowerment. Dafür sei er bereit gewesen zu «bluten», wie er zu MANNSCHAFT. Später wurde daraus der Song «Survivor», den er mit entsprechendem Videoclip u.a. auf Youtube hochgeladen hat. Der Song enthält Textzeilen wie: «I’m on the run, from town to town, looking for love. I want to fuck, don’t let me down. You call it drama, but this is my life.»

Bis jetzt hat das Video auf Youtube über 80‘000 Aufrufe.

Nachdem Bash Salzburg erreicht hatte, reiste er weiter nach Stockholm, wo er Bekannte hatte. Sie nahmen ihn auf, dort fing er auch eine Therapie an, um die Vergewaltigungen und andere Fluchterfahrungen zu verarbeiten. Aber: «Solche Erfahrungen gehen nie weg, sie sind und bleiben Teil deiner Persönlichkeit», so Bash. Jedoch habe er die Kraft, sie beiseitezuschieben und sich davon nicht in den Abgrund ziehen zu lassen. Denn er wollte einen Neuanfang.

«Sehr dumme Vorurteile» Leider konnte er nicht in Schweden bleiben und wurde weitergeschickt nach Deutschland, wo er ursprünglich nicht hinwollte. Weil er in der Schule immer nur schlimme Dinge über das Land und seine Geschichte gehört hatte. Als er 2017 dann tatsächlich in Berlin ankam, stellte er fest, wie «sehr dumm» seine Vorurteile waren.

Er fand in Berlin schnell ein Zuhause und erlebte viel queeren Support, von der Schwulenberatung, aber auch von Freunden. Er hat in Berlin bei null neu angefangen (MANNSCHAFT berichtete über den neuen Dokumentarfilm «Queer Exile Berlin»). Er lernte Deutsch, suchte sich einen Job als Friseur, eine Wohnung, baute sich eine Wahlfamilie auf, arbeitete an seiner Musikkarriere, die in Kurdistan so krass unterbrochen worden war.

«Wer kann bei uns leben kann und wer nicht?» Da er aus einer Gesellschaft komme, die «extrem konservativ und extrem religiös» geprägt sein, wollte er damit hier in Deutschland nichts aufs Neue konfrontiert werden, sagt er. Er hält sich entsprechend fern von vielen arabischen, muslimischen bzw. migrantischen Communitys. Er sagt sogar kritisch (und bewusst provokativ), dass es eine Kontrolle geben sollte, wer bei «uns» leben kann und wer nicht. Denn es seien viele Menschen nach Deutschland gekommen, die das Freiheitskonzept der EU nicht verstünden – nicht mal Sachen wie Arbeiten und Steuern zahlen.

Man sei nicht sofort Rechtsextremist, wenn man sagt, manche Leute, die die Basics des Zusammenlebens hier nicht akzeptieren, gehörten nicht hierher. Aber: Er hat auch keine Patentlösung für das Problem. Findet jedoch, dass man darüber offen diskutieren sollte.

Musik war in all der Zeit und in all diesen Lebensstationen Bashs «Anker». Sie habe ihm geholfen, Traumata zu verarbeiten und neue Lebenslust zu entwickeln. Aber seine drei Boyfriends, mit denen er in Deutschland längere Beziehungen einging, kamen damit teils überhaupt nicht zurecht.

Polizist ertrug das Rumgeknutsche nicht Einer war ein Polizist, der sich daran stiess, dass Bash im Video zu «Survivor» halbnackt mit anderen Männern und Frauen rumknutscht. Ein anderer googelte Bash irgendwann und fand Hinweise auf seine Fluchtgeschichte; das habe ihn überfordert. Und als sein Freund aus Brandenburg ihn seiner Mutter vorstellte, sagte diese ihm ins Gesicht, sie können keinen Ausländer als Partner ihres Sohns akzeptieren. Das sei hart gewesen.

Aber Bash machte weiter. Er arbeitet an neuen Songs, einer mit dem Titel «Ghosttown» (dt. Geisterstadt) handelt von Berlin und davon, wie schwierig es sei, dort Liebe zu finden. «Viele in Berlin kommen von Ausserhalb und sind hier, um sich auszutoben – sie suchen keine feste Beziehung oder Monogamie», so Bash. Das könne er zwar akzeptieren, aber offene Beziehungen seien nichts für ihn.

Er tritt bei Charity-Events für queere Geflüchtete auf, etwa im Südblock in Berlin-Kreuzberg. Er schreibt an einem Song mit dem Titel «Ich bin was ich bin». Und er träumt davon, einmal genug Lieder für ein Solo-Konzert zu haben und damit an der griechisch-türkischen Grenze zu spielen, genau dort, wo er einst zusammengeschlagen und zurückgewiesen worden war. Genau dort möchte er sich seine Geschichte öffentlich aus der Seele singen.

Hasskommentare aus der AfD-Ecke Social Media und insbesondere Tiktok sind wichtige Outlets für seine Musik und Kunst. Auch wenn er dort viele Hasskommentare abbekommen, die meisten aus der AfD-Ecke («Ausländer raus»), wenige mit homophoben Inhalten. Damit könne er aber umgehen, denn: «In Kurdistan war es viel schlimmer.»

Manchmal wird er gefragt, ob er Escort sei, weil sich viele nicht vorstellen könnten, dass er auf anderem Weg seine Musikproduktionen finanzieren würde. Bash lässt sich davon seine ansteckende gute Laune nicht verderben, die auch beim Treffen mit MANNSCHAFT in jeder Sekunde spürbar ist.

Allerdings hat er auch gemerkt, dass in Deutschland Leute, die er wegen seiner Musik angeschrieben hat, nicht reagieren, wenn sie seinen arabischen Namen sehen. Als er das «Survivor»-Video drehen wollte, dauerte das ein ganzes Jahr. Auf seine zirka 300 Mails an Kameraleute oder Produzenten bekam er nie eine Antwort. Erst als eine Freundin mit einem nicht-arabischen Namen für ihn eine Mail rausschickte, bekam sie innerhalb von zehn Minuten Rückmeldung. Das sind Realitäten, mit denen sich Bash in seiner Heimat Berlin arrangieren muss.

«Dort herrscht eine andere Mentalität» Zur arabisch-stämmigen Community habe er kaum Kontakt, es habe schon früher «dort» mit ihm und ihnen geklappt, und es klappt auch in Berlin nicht. Seine Musikvideos hat er deshalb auch für bestimmte Regionen gesperrt. Er möchte nicht, dass Menschen im Mittleren Osten seine künstlerische Arbeit sehen: «Dort herrscht eine andere Mentalität», so Bash.

Er glaube nach wie vor an «Love», erzählt er schmunzelnd. So sehr, dass er sich das Wort auch auf den Hals tätowieren liess, damit dieses Basic allen gleich klar ist, die sich mit ihm treffen.

Das Buch «In the Shadow, in the Light» von Azhar Al-Rubaie
Das Buch «In the Shadow, in the Light» von Azhar Al-Rubaie (Bild: Dracopis Press)

Mehr Sichtbarkeit für seine Geschichte verschaffte ihm jüngst das Buch «In the Shadow, in the Light» von Azhar Al-Rubaie, eine englischsprachige Interviewsammlung mit Mitgliedern der irakischen LGBTIQ-Community. Bash legt darin Zeugnis ab und berichtet nüchtern von seiner Familie aus Bagdad, die ihn einfach ausgesetzt und seinem Schicksal überlassen hat und mit denen er bis heute nie wieder Kontakt hatte. Bash ist hier sogar auf dem Cover zu sehen, im mysteriösen Glamour-Look eines Adam Lambert, den Bash besonders verehrt. Als Stilikone und als Musiker (MANNSCHAFT berichtete).

Er hat auch einen Kurzfilm gedreht, der – ganz ohne Musik – die «Dschungel»-Zeit mit Vergewaltigung und Ausgrenzung zeigt. Im Film sieht man auch Männer kommen, um an ihm einen sogenannten «Ehrenmord» zu verüben. Sein Ziel ist es, diesen Film auf LGBTIQ-Filmfestivals oder anderswo zu zeigen. Um die Diskussion um queere Geflüchtete weiter anzustossen. Und darauf hinzuweisen, um was es genau geht und wovon viel zu selten gesprochen wird.

Man darf also gespannt sein auf seine nächsten Songs und darauf, wann daraus ein ganzes «Survivor»-Album wird.

Alberto Lejárraga hat seinen langjährigen Partner Ruben Fernandez geheiratet. Der einzige offen schwule Spieler im spanischen Männerfussball teilt Fotos der Feier (MANNSCHAFT berichtete).

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