«Queerfeindlichkeit in muslimischen Communities nicht kleinreden!»
Man darf die Betroffenen nicht allein lassen, sagt Tugay Saraç
Queerfeindlichkeit muslimischer Schüler*innen führte in Berlin zum Mobbing eines Lehrers. Was sind die Wurzeln dieser Ablehnung?
Tugay Saraç ist Muslim und schwul. Der Aktivist kritisiert die Stellungnahme vom Queerbeauftragten des Landes Berlin, Alfonso Pantisano, zu dem Fall deutlich.
Der Lehrer Oziel Inácio-Stech hat queerfeindliches Mobbing von muslimischen Schülern erlebt (MANNSCHAFT berichtete) und unterlassene Hilfeleistung von Schulleitung und -aufsicht beklagt. Nun bekräftigt er seine Vorwürfe im Tagesspiegel und erklärt, Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) habe noch immer nicht auf seine Beschwerde geantwortet.
Tugay Saraç ist Muslim und schwul. Der Berliner kämpft seit Jahren für queere Sichtbarkeit von Muslim*innen. Nach seinem Studium der Islamwissenschaften ist der 27-Jährige Projektleiter der Anlaufstelle Islam und Diversity (AID) in der liberalen Ibn Rush Goethe Moschee von Seyran Ates.
Tugay, zu dem Fall des schwulen Lehrers gibt es eine Stellungnahme vom Queerbeauftragten des Landes Berlin. Alfonso Pantisano verwies darauf, dass es Queerfeindlichkeit auch in der katholischen Kirche gebe. Ich bin es leid, immer dieses Gerede von wegen: Bei Katholiken gibt es das auch und bei Jüdinnen und Juden auch. Das kann alles sein, das muss auch angesprochen werden. Aber es ärgert mich sehr, dass das Problem so kleingeredet wird bei Muslimen. Queerfeindlichkeit in muslimischen Communities ist ein riesiges Problem.
Natürlich gibt es Queerfeindlichkeit auch im Katholizismus, aber es stellt sich die Frage: Wie oft passiert es, dass Terroristen aus Italien oder dem Vatikan nach Berlin kommen und einen Anschlag verüben wollen in einer Community, die sich katholisch nennt und queer? Das passiert nicht!
Auf unsere Moschee wollte eine Terroristengruppe aus Tadschikistan einen Anschlag verüben, weil wir eine Regenbogenflagge gehisst haben. In einem Magazin des IS wurden wir als Terrorziel und Ort der Teufelsanbetung genannt (MANNSCHAFT berichtete).
Das ist ein qualitativer, aber auch ein quantitativer Unterschied. Menschen werden bedroht, wenn sie sich über die Religion in Verbindung mit Queerness äussern in Deutschland. Da habe ich eine ganz grosse Meinungsverschiedenheit nicht nur mit unserem Queerbeauftragten, auch mit vielen anderen Politikern.
Wenn wir dieses Problem klein reden, dann lassen wir die Leute alleine. Wir müssen das Thema angehen und Workshops in den Schulen anbieten und islamische Verbände endlich in Verantwortung nehmen, statt sie mit den Problemen der katholischen Kirche zu verteidigen. Was kommt als nächstes? Erinnern wir queere Menschen im katholischen Polen ständig, dass Queers in der Türkei es auch schwer haben?
Warum dringst du nicht durch? Ich war 2023 bei der Deutschen Islamkonferenz und wollte dieses Thema unterbringen. Es gab ein Werkstattgespräch zu innermuslimischer Intoleranz. Als ich das Thema Queerfeindlichkeit angesprochen habe, sind die Gesichter der Verbandsleute rot angelaufen.
Sie meinten, das sei ein Sicherheitsthema oder eine theologische Frage, und beides wolle man nicht diskutieren. Ich wollte über unterdrückte Personen in der queeren Community sprechen, aber das war unmöglich. Die Verbände haben es geschafft, dass das Thema Innermuslimische Intoleranz komplett gestrichen wurde von der Islamkonferenz.
Der einstige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert berichtete, er höre «aus muslimisch gelesenen Männergruppen» häufiger homophobe Spüche, «als man es sonst auf der Strasse erlebt». Das wurde von Teilen seiner Partei als rassistisch kritisiert. Es ist nicht rassistisch zu sagen, dass es dieses Problem von Queerfeindlichkeit in muslimischen Communities gibt. Es kann natürlich rassistisch gemeint sein, je nachdem, wie man es äußert. Da ich Kevins politisches Handeln kenne, würde ich ihm definitive kein Rassismus vorwerfen. Aber grundsätzlich so zu argumentieren, finde ich ganz schlimm.
Wo kommt diese Querfeindlichkeit her, was sind die Wurzeln? Salafisten sind besonders erfolgreich darin, Menschen zu vereinnahmen. Salafistische Moscheen und Gemeinden nennen sich «internationale Moscheen», da können alle kommen: Sie können konvertiert sein, türkisch sein, kurdisch, sie können alles sein. Natürlich nicht queer. Das Problem ist, dass der Islam, den sie dort lehren, queerfeindlich ist und sehr patriarchal. Diesen patriarchalen und queerfeindlichen findet man jedoch nicht nur in salafistischen Gemeinden sondern auch in anderen, wie zum Beispiel in DITIB Moscheen, welche von der türkischen Regierung gesteuert weden. (Ditib ist die grösste sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland, Anm. d. Red.)
Queerfeindlichkeit als gemeinsamer Nenner. Wenn Menschen andocken in diesen Gemeinden, hören sie Dinge wie: «Der Westen will den Islam zerstören» oder «Queerness ist westlich».
Damit haben jene Muslime und Musliminnen etwas, womit sie sich abgrenzen können: als moralische Muslime von den «dekadenten Europäern», die ihre Moral verloren haben. Das gibt ihnen eine Gelegenheit klarzustellen: Ich bin mit meiner Identität etwas Besseres als die. Ich bin ein Mensch mit Moral. Ähnliches können wir von russischer und ungarischer Seite beobachten.
Was bedeutet das für queere Muslim*innen? Sie hören von klein auf von ihrer Familie oder vom Imam oder sie lesen es im Internet: «Queere Menschen kommen in die Hölle». Wer beispielsweise sein Schwulsein auslebt, der begeht damit eine der schwersten Sünden gegen Gott, wird vielen vermittelt.
Viele queere Muslime und Mulisminnen glauben, sie seien die einzigen auf dieser Welt. Das Gefühl der Isolation, allein in dieser vermeintlichen schlimmen Sünde zu leben, führt dann dazu, dass Menschen depressiv oder sogar suizidal werden.
«Schüler in Kiel haben durchgesetzt, dass wir nicht mehr eingeladen werden und keine Workshops dort machen können.»
Tugay Saraç
Queere Muslime erfahren auch Gewalt in der eigenen Familie. Zeigen sie das an? Die Frage stellt sich meist gar nicht, weil die Familie einfach nicht angezeigt wird. Wir haben viele derartige Fälle betreut, und ich habe es erst ein Mal mitbekommen, dass die Polizei eingeschaltet wurde. Es war ein Entführungsfall im letzten Jahr, in einem anderen Bundesland. Da wurde eine queere Person von Verwandten angelockt, nachdem sie ihre Familie verlassen hatte. Man sagte dieser Person: Wir geben dir deine Dokumente und dann kannst du wieder gehen. Aber dann wurde diese Person vom eigenen Vater aus der Regionalbahn gezerrt und in die Wohnung der Familie gebracht und dort eingesperrt. Glücklicherweise hatte diese Person noch ihr Telefon und konnte die Polizei rufen, und die hat diese Person dann aus dieser Wohnung befreit.
Das empfehlen wir auch immer in extremen Fällen wie diesem: sich dringend an die Polizei zu wenden, weil wir als Anlaufstelle gar nicht in Notfällen agieren können, wenn so etwas passiert.
Wenn du mit Schulklassen redest, ist vermutlich immer ein gewisser Anteil an muslimischen Schüler*innen dabei. Wie läuft das dann? Meistens kann man ruhig diskutieren. Dann haben die Schüler und Schülerinnen zwar trotzdem ihre Meinung, dass es ja überhaupt nicht passt, queer zu sein im Islam. Aber wenigstens kann man reden. Das ist nicht immer der Fall.
Einmal wurden wir an eine Schule in Kiel gerufen, dort waren einige Schüler bei diesen Kalifatsdemos in Hamburg. Wir wollten an der Schule über das Thema Queerness und Islam sprechen. Aber diejenigen, die bei diesen Demos waren, sind ferngeblieben. Diese Schüler haben dann auch durchgesetzt, dass wir nicht mehr eingeladen werden und keine Workshops dort machen können.
Du kämpfst als queerer Muslim an mehreren Fronten gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Es gibt ja nicht nur von muslimischer Seite queerfeindliche Anfeindungen, sondern auch islamfeindliche von queerer Seite.
Ja, aber in der Intensität ist die queerfeindliche Ausgrenzung immer schlimmer. Ob es jetzt von Muslim*innen kommt oder nicht: Sie ist oft mit Gewalt verbunden.
Beim lesbisch-schwulen Stadtfest, das ich sehr gerne mag, ist mir vor ein paar Jahren etwas passiert: Ich war dort mit Berfin, der trans Muslimin, die auch Teil der Plakatkampagne «Liebe ist halal» war. Sie wurde transfeindlich und rassistisch beleidigt, von sogenannten «LGB» Aktivisten, also den Leuten, die sich für Schwule, Lesben und Bisexuelle einsetzen, aber audrücklich nicht für trans Leute.
Das war hart. Diese Leute sagten Sachen wie: «Was machen denn diese Muslime hier? Die wollen uns vom nächsten Hochhaus stürzen!» Das ist natürlich absurd.
«Die Fetischisierung von muslimischen Menschen beim Dating ist absolut rassistisch.»
Tugay Saraç
Hast du etwas Ähnliches beim Dating erlebt? Es ist tatsächlich länger her, aber ich erinnere mich natürlich daran. Bei Tinder fragte mal jemand: «Was bist du denn für ein Vogel? Das geht doch nicht zusammen, queer und Muslim!» Das sind oft Menschen, die glauben, sie hätten die Welt verstanden. Das habe ich als sehr arrogant wahrgenommen. Dazu kommt auch die Fetischisierung von muslimischen Menschen, von türkeistämmigen oder arabischstämmigen Menschen. Das findet auch statt und wird dann teilweise auch offen angesprochen als wäre es ein Kompliment. Das ist natürlich absolut rassistisch.
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