Kevin Kühnert spricht erstmals über Gründe für seinen Rücktritt

Bis Herbst war er SPD-Generalsekretär

ARCHIV - 10.06.2024, Berlin: Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, gibt nach der Sitzung des SPD-Präsidiums nach der Europawahl eine Pressekonferenz. (zu dpa: «SPD-Generalsekretär Kühnert tritt zurück») Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Kevin Kühnert (Bild: (c) Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten)

Über ein halbes Jahr liegt der Rücktritt von Kevin Kühnert als SPD-Generalsekretär zurück. Nun spricht der schwule Genosse in der Zeit erstmals über seine Beweggründe.

Kevin Kühnert sagt, bei ihm habe es keinen Schlüsselmoment gegeben, auch keine medizinische Diagnose, die ihn zum Aufgeben gezwungen habe. Stattdessen sei da ein diffuses Gefühl gewesen, das er anfangs noch ganz gut habe verdrängen können, schreibt Zeit online.

Dieses Gefühl sei aber irgendwann derart präsent gewesen, dass es von ihm Besitz zu ergreifen drohte: Es war das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein.

Es habe etliche Vorfälle gegeben, die sich offenbar summiert haben. Mal war es ein Fussballfan, gewesen, der sich im Stadion neben ihn stellte und sich als AfD-Wähler zu erkennen gab. Er rief Kühnert ins Gesicht: «Ich hasse dich!»

Dann waren da die Bauern, die vergangenes Jahr vor der SPD-Zentrale in Berlin demonstrierten. Sie kamen mit selbst gebauten Galgen. Und es gab Männer, denen Kühnert vor ein paar Jahren in Halle an der Saale begegnete, auf dem Weg zu einem Termin. Der Genosse sass in der Strassenbahn und bemerkte drei Männer, die ihn anstarrten. Sie hätten über ihn geredet, leise zuerst, dann laut. Sie sprachen darüber, wie sie ihn verprügeln wollten.

In Altenburg, kurz vor der Landtagswahl in Thüringen, ging Kühnert abends durch die leere Stadt. Vor seinem Hotel standen zwei muskulöse, angetrunkene Männer in Neonazikluft, «richtige Brocken», erinnert sich Kühnert. Sie hätten sich laut grölend über Politiker aufgeregt. «In solchen Momenten ging bei mir immer sofort das Kopfkino an: Ist das ein dummer Zufall? Oder haben die genau gewusst, dass ich an dem Abend da schlafe?»

«Meine rote Linie ist da, wo Gewalt in der Luft liegt.»

Kevin Kühnert

Wenn jemand anderer Meinung sei, habe er damit kein Problem, sagt Kühnert. «Meine rote Linie ist da, wo Gewalt in der Luft liegt.» Er sei schliesslich nur 1,70 Meter gross.

Aber ihm bereite auch noch etwas anderes Sorge: die Gleichgültigkeit der Menschen. «Ich bin nicht aus der Politik ausgestiegen, weil ich Angst vor ein paar Neonazis habe.» Doch er habe zunehmend Zweifel, was das Thema Wehrhaftigkeit betreffe.» Als er in der Strassenbahn in Sachsen-Anhalt die drei gewaltbereiten Männer bemerkt habe, sei der Waggon voll besetzt gewesen. Doch kein Mensch habe etwas gesagt oder ihm geholfen.

Wie es mit Kevin Kühnert weitergeht, ist noch völlig offen. Im Frühsommer will er wandern gehen, von Wien bis zum Bodensee. 1.000 Kilometer insgesamt. Danach wolle er entscheiden.

Anfang Oktober war Kevin Kühnert als Generalsekretär der SPD zurückgetreten. Er
begründete den Schritt in einem Brief an Parteimitglieder und Öffentlichkeit mit gesundheitlichen Problemen. Wegbegleiter*innen auch anderer Parteien würdigen ihn als grosses Talent.

«Die Energie, die für mein Amt und einen Wahlkampf nötig ist, brauche ich auf absehbare Zeit, um wieder gesund zu werden. Deshalb ziehe ich die Konsequenzen», schrieb er.

Früher sei er noch als Teil der Mehrheitsgesellschaft in Dresden gegen Rechtsextreme auf die Strasse gegangen, sagte Kühnert. «Heute ist es anders. Heute gibt es einen parlamentarischen Arm für all das, der enorm viel Zuspruch bekommt.»

Die Zeit schreibt auch, dass Kühnert sich vor einigen Jahren in einen «Mann mit FDP-Parteibuch» verliebt habe und durch die Beziehung neu erkannt habe, wie wichtig der respektvolle Umgang mit politisch Andersdenkenden sei. «Es braucht das ständige Bewusstsein, dass der politische Gegner auch recht haben könnte», sagte Kühnert. Diese Fähigkeit habe die Gesellschaft verlernt.

Kühnert war seit 2021 SPD-Generalsekretär und zog im selben Jahr in den Bundestag ein. Zuvor wurde er als Vorsitzender der Jusos bundesweit bekannt - unter anderem, weil er eine Kampagne gegen eine GroKo aus Union und SPD organisierte. 2019 spielte er eine entscheidende Rolle, als die Parteilinken Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in der Stichwahl gegen den Noch-Kanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an die SPD-Spitze kamen.

Kühnert hatte sich im März 2018 offiziell als schwul geoutet (MANNSCHAFT berichtete). Damals erklärte er, dass erfolgreiche schwule Politiker wie der frühere Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ein «ganz wichtigen Fixpunkt» in seinem Leben gewesen seien. (mit dpa)

Die queere Community muss einen weiteren Rückschlag verkraften: Tessa Ganserer will das Parlament verlassen 2025 wird die trans Politikerin nicht mehr kandidieren (MANNSCHAFT berichtete).

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