Muslimische Dragqueen zwischen Aufklärung und Provokation
Queere Menschen 2023 – unser Jahresrückblick
Als Aktivistin in Drag zeigt sie sich auf der Strasse, ihre Arbeit in der Öffentlichkeit, auf Insta oder Tiktok, bezeichnet Befrin als eine Mischung aus Aufklärung und Provokation. Nun outet sie sich als trans.
Im August war sie bei Stern TV zu sehen. Auf Social Media ist die «kurdischekween» seit fast drei Jahren zu finden. Doch nicht nur da zeigt sie Präsenz: Auch auf den Strassen Berlins ist sie unterwegs. Viele gefährliche Situationen hat sie schon erlebt, erlebt sie immer noch. Sie wird angefeindet, verfolgt, beleidigt, bespuckt, und vor kurzem sogar mit Steinen beworfen.
Befrin, die sich lange als schwul identifizierte, ist muslimisch. Als Aktivistin in Drag zeigt sie sich auf der Strasse, auf Insta oder Tiktok, Befrin bezeichnet sich als eine Mischung aus Aufklärung und Provokation.
Sie erinnert sich, dass sie gut behütet in einer muslimisch-kurdischen Familie in Bochum aufgewachsen sei, und doch begann sie schon in Kindertagen ein Doppelleben. Bereits im Kindergarten spürte sie, dass sie anders ist. Als Junge erzogen, wirkte sie femininer als andere Jungs, und den Nagellack, den sie dort geschenkt bekam, trug sie gerne, sehr zum Missfallen der Familie. Ende November nun outete sich Befrin via Instagram als trans.
Im Grundschulalter hatte sie die Erkenntnis, dass sie sich vom gleichen Geschlecht angezogen fühlte. Ihre Mutter sagte ihr damals, dass das nicht sein dürfe. Sie äusserte die Befürchtung, dass ihr Kind durch sein Schwulsein Gewalt erfahren würde. Also begann Befrin sich zu verstellen. Das zog sich durch ihre gesamte Jugendzeit. Sie versuchte Gestik und Mimik zu ändern, versuchte sich «männlich» zu zeigen, und doch wurde sie immer wieder von Menschen angestarrt, wenn sie unterwegs war. Manchmal fühlte sie sich wie ein Alien, und begann «Mauern aufzubauen» zwischen sich, der Familie und ihrem Umfeld.
Mit der Familie hat sie hin und wieder konservative Moscheen besucht, einmal wurde ihr dort gesagt, dass man sie «heilen» könne. In dieser schweren, Zeit wusste Befrin, dass sie etwas ändern müsse, jedoch keinesfalls das, was sie in sich spürte. Nach und nach lernte sie immer mehr queere Menschen kennen, unter anderem auch ihre «queere Drag-Familie», ihre Seelenfamilie. Dort fand sie grosse Unterstützung. Sie wurde aufgefangen, wenn es ihr schlecht ging und sie traurig darüber war, dass ihr weiteres Umfeld sie nicht akzeptierte. Die Familie distanzierte sich immer mehr, und heute hat Befrin eigentlich vor allem mit ihrer Mutter Kontakt.
Doch Befrin wollte frei sein. Sie wollte das Gefühl des Glücks, das sie in sich trug, wenn sie authentisch war, weiterhin ausleben und nicht aufgeben, und so zog sie zu Hause aus. Zum ersten Mal endlich durchatmen, sich frei fühlen, zeigen und dazu stehen, wie sie ist. Später dann ein weiterer Umzug nach Berlin. Sie begann eine Therapie, die ihr ebenfalls sehr geholfen hat. Sie hat gelernt, dass man sich seinen Traumata stellen müsse.
«Es dauert Jahre, diese Mauern, die ich aufgebaut hatte, wieder einzureissen». Und so liegt es ihr sehr am Herzen, über die Tabuthemen «kurdisch und queer» bzw. «muslimisch und queer» öffentlich zu reden, den Dialog mit Menschen zu suchen. Es ist ihr ein grosses Anliegen, selbstbewusst und offen darüber zu sprechen, über Missinformationen aufzuklären, darüber zu reden, dass es nicht im Widerspruch stehe, muslimisch und queer zu sein.
Im Rahmen ihrer Arbeit als Bildungsreferentin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee erreichte Befrin bisher viele Menschen: Es gab Workshops zum Thema «Islam und Diversity», sie besuchte Schulklassen, führte Gespräche, erzählte aus seinem Leben.
Als es vor ein paar Monaten zu einer Anschlagsdrohung gegen die Moschee kam, war das ein Schock. Auch in anderen islamisch geführten Staaten wird diese Moschee als «Teufelsort» deklariert. Aus diesem Grund wurde beschlossen, dass die Moschee aus Sicherheitsgründen für ein Jahr geschlossen wird (MANNSCHAFT berichtete). Zu gross sei die Gefahr, dass Menschen angegriffen, verletzt oder getötet würden.
«Es fühlte sich surreal an, als uns die Terrordrohung erreicht hatte. Es macht ängstlich und gleichzeitig auch wütend». Workshops und Seelsorge wüden aber weiter angeboen, jedoch ausserhalb der Moschee. «Wir geben nicht auf, machen weiter, und lassen uns nicht zerstören», sagt sie mit fester Stimme.
Die Politik sieht sie in grosser Verantwortung, und sie wünscht sich, dass noch härter gegen queerfeindliche Verbrechen vorgegangen und dass LGBTIQ noch stärker im Bildungssystem verankert werde. Gerade auch Queersein in Verbindung mit dem Islam dürfe kein Tabuthema mehr sein, sagt Befrin. Und darum rüttelt sie weiterhin an so manchem konservativem Weltbild, setzt weiterhin auf Dialog. Geht weiterhin als kurdische Kween mit der Fahne Kurdistans durch die Strassen Berlins. Trotz Anfeindungen, trotz Morddrohungen, wird sie nicht müde, auch in der Zukunft ein Zeichen zu setzen. Ihre Botschaft ist klar: «Du bist genau richtig so, wie du bist. Sei du selbst, steh zu dir. Wenn ich das kann, dann kannst du das ebenfalls».
«Geht woanders haten!» Die Fussballerin Svenja Huth wehrt sich gegen homophoben Hass (MANNSCHAFT berichtete).
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