«Unanständige Handlungen»: Türkei erwägt Haftstrafen für LGBTIQ

Türkei
(Bild: Doğan Alpaslan, Unsplash)

Neuer Gesetzesentwurf in Ankara: Während Regierungsstellen von moralischem Schutz sprechen, warnen Organisationen vor einer gezielten Kriminalisierung queerer Identitäten.

Ein neues Gesetzespaket sorgt in der Türkei für Besorgnis: Nach Informationen der türkischen Nachrichtenplattform t24.com enthält der Entwurf für das sogenannte 11. Justizpaket weitreichende Einschränkungen für LGBTIQ-Personen bis hin zu möglichen Gefängnisstrafen. Zudem soll das Mindestalter für eine Geschlechtsangleichung von 18 auf 25 Jahre angehoben werden.

Haft für «abweichendes Verhalten» Der Entwurf sieht Änderungen im Strafgesetzbuch vor. Künftig könnte laut t24.com der Paragraf zu «unanständigen Handlungen» (Art. 225) um eine Formulierung erweitert werden, die LGBTIQ-Personen direkt kriminalisiert: «Wer sich entgegen seinem biologischen Geschlecht und der allgemeinen Moral verhält oder andere dazu öffentlich ermutigt, lobt oder anstiftet, wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis drei Jahren bestraft.»

Das Gesetz würde nicht nur queere Menschen selbst betreffen, sondern auch Medien und Plattformen, die queere Inhalte zeigen, etwa Serien oder Filme mit LGBTIQ-Themen. Darüber hinaus sieht der Entwurf Strafen von bis zu vier Jahren Haft vor, wenn gleichgeschlechtliche Paare eine symbolische Verlobungs- oder Hochzeitszeremonie abhalten.

Regierung beruft sich auf «Schutz der Familie» Als Begründung für die Verschärfungen nennt der Gesetzesentwurf laut t24.com den Schutz der «Familieninstitution» sowie das Ziel, «gesunde Generationen» zu fördern. Ziel sei es, «physisch und psychisch gesunde Individuen und Generationen zu erziehen und die gesellschaftliche Struktur zu bewahren».

Auch die Strafen für sogenannte «öffentliche sexuelle Handlungen» sollen angehoben werden von bisher maximal einem Jahr auf bis zu drei Jahre Haft.

Höhere Hürden bei Geschlechtsangleichung Besonders drastisch sind die geplanten Änderungen beim Thema Geschlechtsangleichung. Das Mindestalter soll von 18 auf 25 Jahre steigen, die Voraussetzungen werden erheblich verschärft. Künftig soll eine trans Person nur dann eine Änderung ihres Geschlechtseintrags beantragen dürfen, wenn:

  • sie mindestens 25 Jahre alt und unverheiratet ist,
  • vier psychologische Begutachtungen im Abstand von je drei Monaten erfolgt sind,
  • und ein ärztliches Gutachten einer vom Gesundheitsministerium bestimmten Universitätsklinik die «medizinische Notwendigkeit» bestätigt.

Auch Mediziner*innen, die «unrechtmässige» geschlechtsangleichende Eingriffe durchführen, sollen künftig mit bis zu sieben Jahren Haft und hohen Geldstrafen rechnen müssen.

In der Begründung des Justizpakets taucht mehrfach die Formulierung auf, man wolle die Gesellschaft vor «Angriffen auf die allgemeinen Werte» schützen und «Bewegungen der Entgeschlechtlichung» (türkisch: cinsiyetsizleştirme akımları) bekämpfen. Der Text spricht von einer «Stärkung der gesellschaftlichen Struktur» und der «Bewahrung der menschlichen Würde».

Regierung relativiert Nach Bekanntwerden des Entwurfs erklärte der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei AKP, Abdullah Güler, gegenüber Journalist*innen im Parlament, dass es sich noch nicht um ein offizielles Gesetz handle: «Uns liegt derzeit kein solcher Entwurf vor. Verschiedene Ministerien arbeiten an Studien und Berichten, aber es gibt noch keine endgültige Fassung.»

Trotz dieser Beschwichtigungen sehen Menschenrechtsgruppen und Aktivist*innen den Entwurf als massiven Rückschritt für LGBTIQ-Rechte in der Türkei – und als möglichen Testballon, um gesellschaftliche Reaktionen auszuloten. Viele Aktivist*innen befürchten eine neue Welle von Repressionen unter dem Deckmantel des «Familienschutzes».

Noch ist unklar, wann oder ob das 11. Justizpaket dem Parlament tatsächlich vorgelegt wird. Doch schon jetzt zeichnet sich ab: Sollte der Entwurf in seiner aktuellen Form Gesetz werden, wäre dies der härteste Eingriff in LGBTIQ-Rechte seit Jahrzehnten in der Türkei.

Im September musste der offen schwule Sänger Mabel Matiz sich für angeblich «obszöne» Songtexte vor Gericht rechtfertigen (MANNSCHAFT berichtete).

Mehr: «Besorgniserregend» – Dreht Vietnam bei LGBTIQ-Rechten die Zeit zurück? (MANNSCHAFT berichtete)

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