«Onlyfans und Schlager würden sich nicht gegenseitig befruchten»
Daniel Johnson wurde mit schwulen Liedern wie «Romeo an Julian» in Schlagerkreisen bekannt – und träumt davon, auch mal bei der Schlagernacktparty aufzutreten
Der Sänger wuchs in Paderborn auf, als Sohn eines britischen Soldaten und einer deutschen Mutter. Nach seiner Ausbildung an der Hamburger Stage School startete er auf der Musicalbühne und als Entertainer auf Schiffsreisen. 2024 veröffentlichte er sein erstes Schlageralbum «Besser geht nicht».
Mit den teils explizit queeren Inhalten beschreitet Daniel Johnson in der erzkonservativen (manche würde sagen: reaktionären) deutschen Schlagerbranche gewagtes Neuland. MANNSCHAFT traf den charismatischen 33-Jährigen in Berlin zum Interview.
Hallo Daniel, wie würdest du beschreiben, was Schlager für dich bedeutet und was du daran toll findest? Schlager war ehrlich gesagt lange kein Teil meines Lebens. Mein Vater ist Engländer, deshalb lief bei uns zu Hause fast nur englischsprachige Musik – viel aus den 80ern und 90ern, George Michael, Madonna, solche Sachen (MANNSCHAFT berichtete).
Erst durch den Paartanz kam Schlager in mein Leben. In Paderborn war es ganz normal, dass man mit 14 in die Tanzschule geht und Standardtänze lernt – ich war eh schon früh im Ballett, aber dann kam Discofox dazu. Und da tanzt man eben meistens zu deutschem Schlager. So kam der bei mir das erste Mal so richtig full blast an. Und ich fand’s cool. Die Idee, selbst Schlager zu machen, kam aber erst viel später.
Was fandest du denn am Schlager so cool? Für mich war einfach dieser Pärchentanz toll. Sonst tanzt im Club jeder irgendwie für sich. Aber beim Discofox braucht man ein Gegenüber. Da ist eine Symbiose – jemand führt, und jemand wird geführt. Ich habe immer super gern geführt, und es hat mir einfach unglaublich viel Spass gemacht. Was ich beim Schlager ganz besonders mag, zum Beispiel bei Andrea Berg oder Michelle: das sind Leute, die besingen absolute Herzschmerzsachen, aber dazu wird trotzdem getanzt. Diese Kombination bzw. Diskrepanz fand ich spannend und schön.
War Schlager damals in der Tanzschule etwas, was du mit «schwul» assoziiert hast? Ich habe schon gewusst, dass ich anders bin. Aber dass ich Schlager damit verbunden hätte? Nicht so wirklich. Klar, ich war sehr fixiert auf die weiblichen Schlagersängerinnen, weil ich mich mit ihren Texten am meisten identifizieren konnte. Wenn Marianne Rosenberg «Er gehört zu mir» singt, resonatet das mehr mit meinen Gefühlen, als wenn Roland Kaiser über «Joana» singt. Als ich aufwuchs, gab es nie einen Mann, der ganz direkt über «meine» Gefühle in einem Schlager gesungen hätte. Deswegen habe ich mich eher auf die Girls fokussiert. Heute finde ich es schön, wenn mir Menschen schreiben, dass sie sich in meinen Texten wiederfinden. «Endlich mal ein gay coded Schlager» hat mir mal jemand geschrieben. Das hat sich gut angefühlt.
Wann hast du selbst angefangen, Schlager zu singen? Alles begann auf einem Kreuzfahrtschiff. 2017 war ich dort zum ersten Mal gebucht und sollte auf Discofox-Partys singen. Da musste ich mir ziemlich schnell viele deutsche Schlagersongs aneignen. Anfangs war die Tanzfläche noch leer, dann habe ich mit «Atemlos» angefangen, und plötzlich kamen alle wie die Motten zum Licht. Diese Energie hat mich total mitgerissen. Von da an habe ich für mich entschieden, dass ich auch selbst auf Deutsch schreiben möchte.
Auf was für einem Schiff warst du? Damals war ich viel mit der Aida unterwegs, seither habe ich aber auch bei Mein Schiff bei queeren Themenreisen mitgemacht – wo ich wegen meiner schwulen Texte gebucht wurde. Die Idee, dass ich über schwule Liebe singe, kam allerdings gar nicht von mir. Ich persönlich hätte mich das gar nicht so getraut. Ich hätte das immer schon gern gemacht, aber ich hatte Sorge, dass ... ich weiss es nicht.
Gab’s einen Grund für deine Zurückhaltung? Ich wollte, dass die Radioredakteure meine Musik spielen.
Hattest du Angst, dass die das nicht tun im Fall von schwulen Themen? Sie tun es tatsächlich nicht. Mein Lied «Romeo an Julian» zum Beispiel wurde von viel weniger Sendern gespielt als «Besser geht nicht».
Warum ist das so? Während der Promo für mein Album war ich bei verschiedenen Sendern und habe vorm Mikro über meine Lieder gesprochen. Fast immer mit männlichen Redakteuren. Vielleicht gibt’s da einen Zusammenhang, dass es viele heterosexuelle, männliche Redakteure gibt, die mit schwulen Themen nichts anfangen können. Ich finde das schwierig. Meine nächste Single heisst «Dominik und ich». Da ist die Message sehr klar.
Ich finde es wichtig, dass Musik eine Identifikationsfläche bietet, idealerweise für jeden. Nehmen wir mal «Er gehört zu mir» von Marianne Rosenberg. Da singt doch jeder Horst mit, ohne dass gleich gefragt wird: «Oh Gott, ist der jetzt schwul?» Jeder findet darin seine eigene Geschichte. Deswegen finde ich es fast lustig, dass Menschen bei meinen Liedern und Texten eine Angriffsfläche sehen, statt das Allgemeingültige zu erkennen. Aber es ist halt so.
Glaubst du, die Redakteur*innen, die deine Songs nicht spielen, lehnen LGBTIQ-Themen selbst ab – oder haben sie Angst vor den Hörer*innen ihrer Programme? Ich kann mir vorstellen, dass es beides ist. Bevor ich einen Plattenvertrag hatte – also meinen ersten Solo-Vertrag –, hatte ich Gespräche mit ein paar Firmen. Ich hatte ja schon selbst Musik veröffentlicht. Und ich erinnere mich an ein Gespräch, wo jemand sagte: «Ja, aber dieses eine Bild, das du als Cover genutzt hast, das würden wir in Zukunft nicht so machen. Das ist uns zu weiblich. Wir haben das Gefühl, dass wir damit nicht alle erreichen können.»
Sie haben mir auch noch gesagt: «Wenn du Interviews gibst, könntest du das ja vielleicht ein bisschen abstrakter halten und nicht unbedingt über deine Beziehung mit einem Mann sprechen, sondern von einem ‹Menschen› in deinem Leben.»
Ich hätte gedacht, dass wir da heute weiter sind. Das war eine Erfahrung, die ich mit einer Plattenfirma hatte, die aber im Schlagerbusiness unterwegs ist. Steht die für die Schlagerwelt generell? Vermutlich nicht, denn es gibt ja Leute wie Ross Antony und Eloy De Jong, die offen ihre Liebe leben und auch in Interviews kommunizieren. Allerdings waren die beiden natürlich schon vor ihren Coming-outs als Künstler etabliert. Ich bin ein Newcomer. Jedenfalls dachte ich nach dem Gespräch mit der erwähnten Plattenfirma: «Das mache ich auf keinen Fall.» Wenn mich jemand in einem Interview fragt, ob ich vergeben bin, dann möchte ich sagen: «Ja, ich bin jetzt seit acht Jahren mit meinem Mann zusammen.»
Viele männliche Schlagersänger sehen aus wie der perfekte Schwiegermuttertraum: attraktiv, aber nicht zu offensiv sexy, im Vergleich zu Leuten aus der Popbranche wie Lil Nas X oder Benson Boon oder Shawn Mendes (MANNSCHAFT berichtete). Wieso diese Sorge vor zu viel Sexyness? Nehmen wir Helene Fischer als weibliches Beispiel. Egal was sie auf Social Media postet, die Kommentare lauten: «Das ist zu sexy, wie kann man nur so rumrennen, das sieht ja total nuttig aus.» Was soll das? Und solche Kommentare kriegt man (auch ich) schnell zu Liedinhalten. Viele Menschen – besonders heterosexuelle – sexualisieren schwule Liebe total. Es geht sofort darum, was man alles im Schlafzimmer macht. In den Kommentaren heisst es dann: «Macht das doch zu Hause, nicht öffentlich.» Und ich denke dann: Wovon reden wir gerade?
Ich habe zum Beispiel ein Tiktok-Video hochgeladen, wo ich über Händchenhalten in der Öffentlichkeit spreche. Und dann lese ich Sachen wie: «Ja, aber warum müsst ihr das denn machen?» Ich muss gar nichts. Aber ich darf. Ich sass letztens im Bus, da hat ein Junge mit einem Mädchen rumgemacht, als gäbe es kein Morgen. Da hat sich niemand aufgeregt und zu denen gesagt, sie sollten das doch bitte zuhause tun.
Wie gehst du damit um? Ich persönlich achte darauf, mit meiner Musik nicht zu hypersexuell zu wirken, weil ich niemanden vor den Kopf stossen möchte. Wie gesagt: Es gibt viele Menschen, die die Beziehung zwischen zwei Männern sowieso sofort sexualisieren, anstatt zu sehen, worum es wirklich geht: Liebe. Bei meinem Cover von «Er gehört zu mir» habe ich im Video dazu den Alltag eines Gay Couples gezeigt: Spazierengehen, Auf-der-Couch-liegen … sowas halt. Ich kenne einen Schlagersänger, der ein Video in einer Gay-Bar mit ein paar sinnlichen Szenen gedreht hat. Am Ende wurde das Video von keinem Musiksender ausgestrahlt.
Wenn du negative Kommentare beklagst: Reden wird da von Instagram, Facebook, Tiktok, X oder was anderem? Alles bis zu 20‘000 Views ist noch innerhalb «meiner» Bubble und Community. Alles darüber hinaus wird dann in Gruppen gespült, wo Leute sind, die vielleicht (a) nichts mit Schlager zu tun haben oder (b) nichts mit LGBTIQ. Und hier meine ich alle Social-Media-Plattformen. Da ist es heutzutage scheinbar normal, dass Leute, die etwas nicht mögen, sich dazu ungefiltert äussern. Ich persönlich scrolle weiter, wenn mir was nicht gefällt, aber andere tun das nicht. Da fliegen einem dann schon echt homophobe Geschichten um die Ohren.
Ich habe mal ein Video hochgeladen, das hatte auf einmal 600‘000 Views. Ich wusste gar nicht, warum. Es war eine Ankündigung für die Hamburger Gay-Wies’n. Auf einmal kamen Kommentare wie: «Wir kommen mit Schlagstöcken vorbei» oder «Ich bringe Feuerwerk mit», also wirklich gewaltverherrlichende Sachen. Scheinbar hat das jemand geteilt in einem Forum, wo es besser nicht geteilt worden wäre. Da habe ich die Kommentarfunktion ausgestellt, weil das … nicht mehr schön war.
Wer schaut sich deine Musikvideos an? Ich habe ja nicht nur Lieder wie «Romeo an Julian», sondern auch Titel wie «Weekend», wo es nicht explizit um schwule Liebe geht. Ich hab‘ also ein bunt gemischtes Publikum, das mir folgt. Manche werden sagen, das passt doch nicht zusammen, aber für mich passt es total zu dieser Welt, in der wir heutzutage leben. Ich persönlich finde Social Media so 50/50. Als junger, queerer Mensch hätte ich mir solche Plattformen gewünscht, also die Möglichkeiten, sich online zu finden. Denn ich hatte damals das Gefühl, ganz allein zu sein und aus Paderborn wegziehen zu müssen, um andere zu finden, die so sind wie ich. Heutzutage hat man viel mehr Möglichkeiten sich zu vernetzen und zu informieren, ein Gefühl dafür zu bekommen, dass man eben nicht allein ist. Dafür ist Social Media wichtig.
Aber dann gibt es die anderen 50 Prozent, wo man sich denkt: «Boah, das ist ein dunkler Ort, wo Leute so schlimme Sachen sagen, dass ich finde, man muss das mit Vorsicht geniessen.» Ich kann damit inzwischen umgehen. Das habe ich durch die Arbeit mit der Boygroup Team5ünf gelernt. Wir haben seit 2022 viel Öffentlichkeit bekommen, und da habe ich von meinen Kollegen Jay Khan und Prince Damien gelernt: Hasskommentare gehen durchs eine Ohr rein und durchs andere wieder raus. Aber ich nehme inzwischen immer wieder Auszeiten, in denen ich nicht online bin.
Wie lange ist eine solche Auszeit … Tage oder Monate? Nein, Stunden. Ich muss ja irgendwie online sein, weil ich als Künstler auf Tiktok und sonst wo präsent sein möchte, um meine Community mitzunehmen. Ich mache auch ein Video über unser Treffen heute, das finden meine Follower*innen spannend. Aber selbst wenn man versucht, online präsent zu sein, kann man nicht den ganzen Tag am Handy sein. Ich stehe ja auch auf der Bühne, gehe ins Tonstudio oder schreibe Lieder. Aber es ist wichtig, viele Follower*innen zu haben. Ich habe mal mit einem Manager gesprochen. Das Erste, was er mich fragte, war: «Wie viele Follower*innen hast du?» Noch bevor wir über meine Musik oder irgendwas anderes gesprochen haben. Das ist leider die Zeit, in der wir leben.
Ist es förderlich zum Generieren von Follower*innen, wenn du nebenbei auch bei Onlyfans wärst? Kommt ganz drauf an, wo man hinmöchte. Bei Florian Silbereisen kommt das sicher nicht so gut – wenn man aber am Ballermann stattfinden möchte, könnte das mit Onlyfans schon gut einhergehen.
Als Frau oder als Schwuler? Als schwuler Schlagersänger würde ich eh nicht zum Ballermann gehen. Das wäre nicht gut. Da hätte ich Sorge, dass irgendwas passiert (MANNSCHAFT berichtete). Wäre ich eine Frau, würde es mir vermutlich mehr bringen, beim «Bachelor» mitzumachen, um Following zu bekommen, statt zu «DSDS» oder zu «The Voice» zu gehen. Und wenn du 100‘000 Follower*innen hast, hast du auf einmal eine richtig grosse Community. Selbst wenn die nicht auf Schlager steht, wird sie deiner Musik ausgesetzt. Onlyfans finde ich schwierig, um Following aufzubauen, denn es wird dir nicht garantiert, dass du da auf einmal eine grosse Plattform hast. Wenn man da 50‘000 Leute hat, die eventuell auch deine Musik hören, ist das natürlich krass. Aber ich glaube nicht, dass das wahrscheinlich ist.
Ich habe eine Freundin, die macht Onlyfans. Die hat versucht, auch mit anderem Content zu reüssieren. Das hat nicht funktioniert. Deswegen glaube ich nicht, dass sich Onlyfans und Schlager gegenseitig befruchten würden. Könnte zwar sein, aber ich mache es auf jeden Fall nicht. Weil ich auch weiterhin im Radio stattfinden möchte. No shaming. Aber ich glaube nicht, dass es in der jetzigen Zeit, wo wir schon darüber diskutieren, ob ein Song gespielt wird, der einfach nur von zwei Männern handelt, dann auch noch die Story wäre: Ach übrigens, der hat seine Community aufgebaut, indem er schöne Sexvideos hochlädt … Ich glaube nicht, dass das klappt.
«Als schwuler Schlagersänger würde ich eh nicht zum Ballermann gehen. Da hätte ich Sorge, dass irgendwas passiert»
Daniel Johnson, Sänger
Du hast gesagt, du bist seit acht Jahren mit deinem Partner zusammen. Kommt er auch aus der Schlagerwelt? Nein, aber er liebt Schlager und Musik und ist viel mit mir unterwegs. Er war jetzt im Juli mit mir in Berlin zur Premiere von «Oh What a Night» in der Bar jeder Vernunft. Er schaut sich auch Auftritte mit Team5ünf an. Letztens war er auch mit auf der queeren Schiffsreise. Er hilft mir bei allem, wo er kann. Manchmal dreht er auch meine Videos.
Das heisst, er steht jetzt da hinten in der Ecke und filmt uns? Nein, er ist leider wieder in Freiburg, da hat er einen super Job. Wir sehen uns immer an den Wochenenden. Aber ich komme damit gut klar.
Trittst du in der Öffentlichkeit mit ihm auf? Er ist nicht so der Öffentlichkeitstyp. Er ist immer am Start und supported mich, aber das mit dem Scheinwerferlicht überlässt er mir. Ich weiss gar nicht, ob die Leute um uns herum kapieren, wer er ist. Klar, Leute, die ich richtig gut kenne, wissen von uns. Ich probiere damit offen umzugehen, weil ich das möchte, aber es muss der richtige Kontext sein. Denn ich habe keine Lust auf blöde Blicke oder Anfeindungen. Ich wünschte mir manchmal, ich wäre stärker, was das angeht. Ich bin zu Hause sehr offen und diesbezüglich unkompliziert. Aber nicht in der Öffentlichkeit.
Mir fiel bei deinem Album auf, dass die Arrangements eher schlicht gehalten sind. Ist das Absicht oder Schlagernotwendigkeit? Wenn ich für Varietés oder Dinnershows gebucht werde, interpretiere ich alles, egal ob Jazz, Swing, Top 10, Schlager. Ich liebe Mariah Carey und Whitney Houston, Leute, die stimmlich viel zeigen in ihren Songs. Dieser virtuose Gesang hat in den letzten Jahren total abgenommen, siehe Taylor Swift oder so. Selbst eine Ariana Grande hat super einfache Melodien und zeigt nicht mehr ihren vollen Stimmumfang. Ich habe bewusst mit meinem Produzenten die Entscheidung getroffen, dass wir die Linien der Songs auf meinem Album schlichter halten, damit die Leute mitsingen können.
Wir haben gleichzeitig geguckt, dass wir mit dem Radiosound mitgehen, der eben nicht mehr so virtuos ist wie früher. Heutzutage gibt es kaum noch Lieder wie «Bohemian Rhapsody», die sechs Minuten sind (MANNSCHAFT berichtete). Normalerweise sind Lieder jetzt zwei Minuten 30 Sekunden. Was ich schon sehr kurz finde. Wenn ich Texte schreibe, möchte ich ja eine Geschichte erzählen, die Zuhörer*innen auf eine Reise mitnimmt. Das ist bei zwei Minuten schwer.
Du kannst ja durchaus so virtuos singen wie Mariah oder Whitney, was du mit diversen Musicalrollen bewiesen hast. Wo ist für dich der Unterschied zwischen den Genres? In der Schlagerwelt bin ich «ich» selber – und im Musical bin ich jemand anders. Natürlich fliessen da Teile von mir in die jeweilige Rolle, die ich spiele, aber da stehe ich nicht als Daniel Johnson auf der Bühne, sondern als jemand anderes.
Ist das Musicalgeschäft eine besonders schwule Welt? Ich würde auf jeden Fall sagen, es ist nicht das heteronormativste Entertainmentsegment, das es gibt (MANNSCHAFT berichtete). Ich weiss gar nicht, warum, aber es ist einfach so. Als schwuler Mann fühle ich mich in dieser Welt einfach willkommen und akzeptiert. Wenn man nach draussen geht und irgendeinen Heteromann fragt «Waren Sie schon mal im Musical?», dann wird der vermutlich antworten: «Meine Freundin hat mich mitgenommen.»
Du hast an der Stage School in Hamburg deine Ausbildung zum Musicaldarsteller absolviert. Wie ging man da mit dem Thema Homosexualität um? Die Ausbildungszeit war für mich eine unglaublich prägende Phase. Denn ich war zum ersten Mal mit Menschen zusammen, die so waren wir ich. Und damit meine ich nicht nur, dass wir alle singen, tanzen und schauspielern wollten, sondern, dass ich mich mit anderen queeren Menschen connecten konnte. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dazuzugehören. Das Thema Homosexualität war im Rahmen der Ausbildung insofern Thema, als dass wir lernen mussten, Privates und Bühne zu trennen. Die Kunst ist es ja, in andere Rollen zu schlüpfen und diese glaubhaft auf die Bühne zu bringen.
Wir hatten sogar einmal einen «How to act straight»-Workshop. In der jetzigen Zeit kaum vorstellbar, aber das war 2011. Heute leben wir glücklicherweise in einer Welt, die sich von solch einem Schubladendenken löst.
Ironischerweise habe ich später fast ausschliesslich Hetero-Männer auf der Bühne gespielt – bis zu meiner aktuellen Rolle in der Bar jeder Vernunft mit «Oh What a Night». Dort spiele ich zum ersten Mal einen schwulen Mann – und das war tatsächlich eine völlig neue, fast ungewohnte Erfahrung für mich.
Wieso? Es war schwer, frühere Erfahrungen hinter mir zu lassen. Früher hiess es oft: «Man merkt gar nicht, dass du schwul bist», als wäre das ein Kompliment. Ich habe heterosexuelle Rollen einfach professionell gespielt, das war mein Job. Als ich dann plötzlich ganz bewusst als der «Gay» sichtbar sein sollte – ohne Klischee, aber authentisch –, war das erstmal ungewohnt. Ich musste innerlich umschalten, weil ich es gewohnt war, meine Sexualität auf der Bühne auszublenden. Aber es war auch unglaublich befreiend. Und ich liebe es, in «Oh What a Night» in der Bar jeder Vernunft genau das zu leben.
Du hast in Hamburg studiert, dein Partner lebt in Freiburg. Wo wohnst du? Ich lebe aktuell in Berlin. Wir haben aber auch eine Wohnung in Freiburg. Wir haben also the best of both worlds. Das eine ist sehr rural und schön mit grossem Garten zum Runterkommen. Das andere ist Big City Life. Ich habe gemerkt, dass es für mich und meine Arbeit besser ist, in Berlin zu sein, weil das Tonstudio von Team5ünf hier ist und hier so viele Events stattfinden, wo ich hingehe, um Präsenz zu zeigen und und und …
Du hast Team5ünf erwähnt, deine Boygroup. Kannst du dazu mehr erzählen? 2022 kam meine erste Schlagersingle raus: «Besser geht nicht». Einen Monat später war ich Teil von Team5ünf, einer Boyband, die deutschen Popschlager macht. Durch die Band habe ich gelernt, vor richtig grossem Publikum aufzutreten – zum Beispiel bei den Schlagernächten, wo plötzlich 20‘000 Menschen im Stadion stehen oder in TV-Shows wie «Immer wieder sonntags» oder bei Florian Silbereisen, mit einem Millionenpublikum. Seitdem habe ich auch bei meinen Soloauftritten keine Angst mehr vor der Bühne. Im Gegenteil, ich kann es richtig geniessen.
Das Konzept von Team5ünf funktioniert so gut, weil wir alle vorher schon eigene Karrieren hatten. Wir mussten uns nicht erst von der Band emanzipieren, um solo was zu machen – wir bringen unsere Erfahrungen mit, jeder auf seine Weise, und das läuft alles wunderbar parallel. Prince steht aktuell als Michael Jackson in Hamburg auf der Bühne, Jay hat gerade sein Soloalbum veröffentlicht – und demnächst stehen wir gemeinsam in Oberhausen bei «Best of Popschlager» auf der Bühne.
Singst du bei Team5ünf auch über schwule Themen? Nein, bisher haben wir keinen Song in die Richtung, einfach weil unser Konzept ja darin besteht, bekannte Boyband-Hits – etwa von den Backstreet Boys oder Take That – auf Deutsch neu aufleben zu lassen. Wir haben auch eigene Songs, aber da war bisher kein explizit queerer Titel dabei. Das heisst aber nicht, dass ich nicht über das Thema sprechen darf – ganz im Gegenteil.
Ich erinnere mich noch genau an mein erstes Gespräch mit Jay, unserem Bandleader. Team5ünf ist ja sein Konzept. Er hat von sich aus das Thema Homosexualität angesprochen und gesagt: «Nur damit du’s weisst – das hier ist nicht wie bei früheren Boybands, wo man das lieber totschweigt oder sich eine Fake-Freundin zulegt. Wenn du darüber sprechen willst, dann kannst du das. Und wir stehen da voll hinter dir.»
Das war für mich ein ganz besonderer Moment, weil ich sofort gespürt habe, dass ich mich in dieser Konstellation nicht verstellen muss.
Schmeissen dir weibliche Fans ihre Unterhosen und BHs auf die Bühne? Nein, meistens bringen sie eher kleine Geschenke, Kuscheltiere oder Katjes mit. Die liebe ich. Manchmal kommt auch etwas per Post. Das ist in der Regel ganz liebevoll gemeint, und ich freue mich natürlich über die Wertschätzung.
Und wie ist es mit deinen schwulen Fans? Ich teile relativ wenig über meine Beziehung – einfach, weil ich das nicht brauche und es auch nicht für Klicks oder Reichweite instrumentalisieren möchte. Als ich einmal zu unserem Hochzeitstag ein Bild gepostet habe, ist das komplett durch die Decke gegangen. Natürlich hat mich das gefreut, auch die vielen lieben Nachrichten dazu.
Trotzdem versuche ich grundsätzlich, mein Privatleben privat zu halten. Das ist mir heilig. Deshalb glauben viele, die mich nur über Instagram kennen, ich sei Single. Entsprechend bekomme ich öfter mal Nachrichten wie «Wollen wir mal einen Kaffee trinken gehen?». Das ist allerdings noch die harmlose Variante.
Daneben gibt es auch Menschen, die mir ungefragt intime Inhalte schicken (MANNSCHAFT berichtete über neue Gesetztesvorhaben gegen ungefragte Dick Pics). Das triggert mich ehrlich gesagt nicht besonders. Ich reagiere da einfach nicht drauf. Was allerdings eine Grenze überschritten hat, war ein Vorfall, bei dem mir jemand in der realen Welt gefolgt ist. Das war definitiv nicht okay.
«Daneben gibt es auch Menschen, die mir ungefragt intime Inhalte schicken. Das triggert mich ehrlich gesagt nicht besonders. Ich reagiere da einfach nicht drauf»
Daniel Johnson, Sänger
Was ist passiert? Er hat sich unerlaubt Zutritt zu einem Event verschafft und stand plötzlich an meinem Tisch. Er sagte nur: «Ich habe gesehen, dass du hier bist – also bin ich jetzt auch hier.» Und ich dachte mir: «Wie bist du überhaupt reingekommen? Es gibt Security, Gästelisten … das sollte eigentlich nicht möglich sein.» Das Erlebnis hat für mich vieles verändert. Es hat mir gezeigt, wie schnell eine Situation kippen kann, von harmlos zu beängstigend. Seitdem bin ich viel vorsichtiger damit geworden, in Echtzeit zu posten, wo ich mich gerade aufhalte (MANNSCHAFT berichtete über Stalking und Cybermobbing).
Zum Schluss: In Berlin gibt’s das legendäre Format der Schlagernacktparty im SchwuZ. Würdest du da auftreten? Ich hatte tatsächlich mal beim SchwuZ angefragt, weil ich mir dachte, es wäre eigentlich total lustig und spannend, dort aufzutreten. Bisher hat es noch nicht gepasst, aber ich fände das mega. Es gibt ja nicht gerade viele explizit queere Schlagerpartys, und da fände ich es nur passend, wenn einer der wenigen offen schwulen Schlagersänger auch mal mit auf der Bühne steht. Oder?
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