«Ich hatte ganz schön Schiss vor meinem Konzert»
Gerade hat Rainer Bielfeldt sein Album «orongsch» veröffentlicht und es auf einer Gay Cruise präsentiert
Am Donnerstag (17. Februar) ist die MS Vasco da Gama zurück im Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria eingelaufen. Damit endet die erste europäische Gay Cruise seit zwei Jahren.
Veranstaltet hat sie Spartacus Travel als «deutsche» Reise (MANNSCHAFT berichtete), es kamen jedoch Menschen aus der ganzen Welt. Mit dabei war auch der Singer-Songwriter Rainer Bielfeldt mit Ehemann Tiago, um während der Reise sein neuestes Album «orongsch» in einem Konzert vorzustellen.
Bielfeldt schreibt seit den 1980er-Jahren Lieder für und über die LGBTIQ-Community. Seine «Rinnsteinprinzessin» ist so etwas wie ein schwuler Klassiker geworden. Natürlich hat Bielfeldt die Wandlungen der queeren Szene über die Jahrzehnte genau beobachtet – und am eigenen Leib erlebt.
Deshalb verabredete sich MANNNSCHAFT am Morgen nach dem Schiffskonzert mit ihm zum Frühstück auf Deck 11, um über die Veränderungen in der Community zu sprechen. Und natürlich auch über sein neues Album.
Warum ausgerechnet orange – ist das eine besonders schwule Farbe? Für mich ist Orange keine speziell schwule Farbe. Wir sind Regenbogen, decken also alle Farben ab, und in unseren besten Momenten wird genau diese Vielfalt zu unserer Stärke – wenn wir sie zulassen und einander nicht ständig innerhalb der queeren Community bekämpfen.
Meine persönliche Lieblingsfarbe ist Blau, also die Komplementärfarbe von Orange. Vielleicht finde ich sie gerade darum so spannend und entdeckenswert. Je älter ich werde, desto besser kann ich Gegensätze nicht nur zulassen, sondern empfinde sie oft auch als Bereicherung.
Du schreibst seit drei Jahrzehnten Lieder, die auch LGBTIQ-Themen behandeln. Was hat sich da verändert: gesellschaftlich, in der Musikszene, beim Publikum? Die Szene ist unglaublich vielfältiger, als sie es in den 90ern war. Seinerzeit kochten schon die Schwulen und Lesben an vielen Orten ihr eigenes Süppchen, und weitere queere Gruppen waren oft kaum sichtbar. Für mich ist es eine absolut famose Entwicklung, dass aus vielen kleinen Grüppchen mittlerweile eine grosse queere Gemeinschaft entstanden ist, die sich zwar nicht immer leicht mit sich selber tut, aber doch zusammenhält, wenn es drauf ankommt.
Du bist gerade auf der MS Vasco da Gama bei der Spartacus Cruise und hast ein Konzert für die 300 schwulen Gäste gegeben, darunter viele Influencer*innen aus der «Prince Charming»-Welt etc. Wie ist das, auf solch einem Gay Cruise Schiff zu singen? Wie passen deine Lieder hierher? Was für Rückmeldungen hast du nach dem Konzert bekommen? Ich hatte ganz schön Schiss vor meinem Konzert. Irgendwie befürchtete ich, dass vielleicht alle nur Party wollen und keinen Nerv und keine Ohren für eher ruhige Chansons haben. Aber weit gefehlt! Für mich war das Konzert verdammt beglückend, ebenso die Rückmeldungen nach dem Abend. Und das Schönste ist, dass ich auch Menschen erreichen konnte, die sonst mit meinem Stil eher wenig am Hut haben. Nach dieser langen Corona-Durststrecke hat mir dieses Konzert eine Menge positiver Energie beschert.
Diese Cruise hatte ja viele Besonderheiten – die teils recht verrückt waren. Von den teils irritierenden Influencer*innen über den Jungen, der durchdrehte und vom Schiff geschmissen wurde bis hin zu den vielen sehr anrührenden Geschichten, die Menschen an Bord zu erzählen hatten. Nina Queer als Hostess der Reise sagte, hier an Bord wehe ein «Geruch von Sperma und geplatzten Träumen». Würde eine Cruise wie diese nicht ein eigenes Bielfeldt-Album verdienen: LGBTIQ-Abenteuer auf schaukelnder See? Ich werde drüber nachdenken. (lacht) Lustige wie berührende Geschichten gab es in dieser Woche tatsächlich zuhauf. Manchmal auch so skurril, dass, wenn man sie auf die Bühne bringen würden, viele Leute vielleicht sagen: «Nee, also das ist ja wohl nun ein bisschen übertrieben. Das hat der sich doch alles ausgedacht …»
Hat Musik für schwule Männer eine besondere Bedeutung, aus deiner Sicht? Musik kann ein Anker sein, für jeden. Und ich glaube, dass sie vielen schwulen Männern in schwierigen Lebensphasen, z. B. beim Coming-out, ein grosser Halt sein kann. Und wenn man diesen Halt einmal für sich entdeckt hat, dann will man ihn sein Leben lang nicht mehr missen.
Was sind denn deine eigenen musikalischen Vorbilder – in den 1980er Jahren und heute? Wie hat sich dein Musikgeschmack verändert? Ich habe mannigfaltige Vorbilder. Um einmal zwei sehr unterschiedliche zu nennen: der britische Sänger und Songwriter Peter Gabriel und der in Halle geborene Komponist Georg Friedrich Händel gehören zu meinen grossen musikalischen Helden und All-Time-Favorites.
Einige Jahre habe ich ziemlich wenig Musik gehört. Irgendwie brauchten meine Ohren nach einem Tag voller Musik einfach Ruhe. Mittlerweile hat sich das aber geändert, und ich geniesse es wieder sehr, sowohl mir bislang unbekannte Musik zu entdecken, als auch mich von vielen Schätzen immer wieder von Neuem bezaubern und begeistern zu lassen.
Wie findest du eigentlich immer wieder neue Themen, über die du singen und schreiben willst? Augen und Ohren auf – das Leben schreibt die besten Geschichten, und die Themen liegen auf der Strasse.
Viele Popstars haben die Homophobie im internationalen Musikbetrieb beklagt und wehren sich provokativ dagegen (MANNSCHAFT berichtete). Wie erlebst du die Situation in Deutschland, bei dir selbst, aber auch bei Kolleg*innen, die deine Lieder singen? Ich kann es ehrlich gesagt nicht wirklich beurteilen. Nachdem ich in den 80ern ein paar Jahre lang versucht habe, die grossen Plattenfirmen nachhaltig für meine Sache zu begeistern und mir immer wieder eine blutige Nase holte, entschied ich mich, mein eigenes Ding zu machen. Ich begann, meine Musik selbst auf meinem eigenen Label zu veröffentlichen, und so ist es bis heute.
Ich geniesse diese Freiheit, zu singen und aufzunehmen, was und wie ich will, und ich habe nicht vor, das jemals wieder aufzugeben.
Ich weiss nicht genau, wie es heute im internationalen Musikbetrieb läuft, aber 1992, als ich mein erstes Soloalbum veröffentlichte, hätte man mir bei einer grossen Plattenfirma wohl schwerlich erlaubt, von Männern zu singen, wenn ich Männer meine.
Ein lukratives Angebot hatte ich: Ein Verleger wollte mich zu einem deutschen Richard Clayderman aufbauen. Hätte ich dem zugestimmt, wäre ich heute (vielleicht) reich und (sicher) unglücklich.
In den USA gibt es seit Jahrzehnten akademische Untersuchungen zu LGBTIQ und Musik. Im deutschsprachigen Raum kann man die entsprechenden Publikationen an einer Hand abzählen (MANNDCHAFT berichtete). Wieso tun sich Intellektuelle, Akademiker*innen und Forschende hierzulande so schwer damit, unkompliziert sexuelle Orientierung und überhaupt Sexualität in ihre Diskussionen einzubeziehen? Sind wir so prüde – im Jahr 2022? Ich weiss es nicht. Eigentlich ist die Neigung zu Prüderie in den USA ja ebenfalls recht ausgeprägt.
Ich selbst habe dieses Thema bei mir immer recht pragmatisch gesehen. Ich meine «Willi», also singe ich «Willi». Für mich waren immer die (Liebes-)Geschichten hinter den Liedern entscheidend, und gar nicht so sehr die geschlechtliche Konstellation. Ich glaube, dass viele meiner Geschichten universell sind, was das angeht.
Übrigens wurden viele meiner Texte von einer heterosexuellen Frau geschrieben, von meiner langjährigen Freundin und Wegbegleiterin Edith Jeske. Und häufig waren das Texte, bei denen sie gar nicht ursprünglich an mich als Interpreten gedacht hatte. Mich sprangen diese Worte sofort an, und ich dachte: «Cool, ich muss nicht mal die Namen ändern.»
Der Musikmarkt hat sich stark verändert, seit du angefangen hast: Früher gab’s so was nostalgisches wie LPs, dann genauso Retro: CDs, jetzt wird gestreamt und gedownloaded. Wie hast du dich mit den neuen Medienformaten arrangiert und wo findet man derzeit deine Musik? Ich mache aktuell weiterhin CDs, solange es da noch Käufer*innen gibt. (lacht) Mittlerweile hören viele Leute Musik gar nicht mehr von CD, wollen aber dennoch nach Konzerten welche zur Erinnerung kaufen, signiert und gewidmet. Die haben halt immer noch einen haptischen Wert.
Ich verkaufe natürlich auch Downloads; nur auf den Streaming-Portalen findet mal aktuell nur noch ein «Schnupperalbum» von mir mit zehn Liedern. Ansonsten habe ich mich für’s Erste von Spotify und Konsorten wieder zurückgezogen. Verschenken kann ich meine Musik auch alleine.
Ich versuche gerade über ein Angebot meines eigenen Onlineshops eine kleine aber umso feinere Community aufzubauen. Wer sich einen Logenplatz in meinem virtuellen Musikzimmer reserviert, kann alle meine Alben streamen, bekommt regelmässige Video- und Audio-Extras, monatliche musikalische Geschenke, Dauerrabatt im Shop und mehr. Das lässt sich gut an, und ich freue mich, dass viele Menschen absolut bereit sind, für ihre Lieblingsmusik auch angemessen zu bezahlen.
Für viele Künstler*innen waren die Corona-Lockdowns eine finanzielle und karrieretechnische Katastrophe. Wie bist du damit umgegangen? Gab es dabei so etwas wie queere Solidarität von Fans oder Kollegen? Ich persönlich bin bislang ganz glimpflich durch die Krise gekommen. Das lag daran, dass ich in meiner Arbeit ziemlich breit aufgestellt und nur zu einem Teil von Konzerten abhängig bin. (MANNSCHAFT berichtete darüber, wie die Lockdowns Probleme für Queers verstärkten.)
Ich habe während dieser Zeit ein Theaterstück geschrieben, mehrere Hörspiele und Hörbücher für Kinder mit Musik versehen, und ausserdem habe ich mich endlich getraut, neue Dinge anzugehen, wie z. B. Onlinekonzerte, die erstaunlich gut funktionieren und angenommen werden.
Ich war sehr glücklich, dass ich mich zu diesen Themen ausführlich mit Kolleginnen und Kollegen jeder Couleur austauschen konnte und wir uns gegenseitig bei unseren Ideen und Plänen bestärken konnten.
Du singst auf deinem neuen Album von einem «Lieblingslied». Was ist dein eigenes Lieblingslied? Lieblingslieder habe ich viele, das wechselt auch immer mal wieder. Ich müsste also schon meine Top-50-Liste hier unterbringen. Aber es gibt eine Reihe von Liedern, die immer in meiner Schatzkammer bleiben werden. «Solsbury Hill» von Peter Gabriel, oder «Get here» von Brenda Russell, gesungen von Oleta Adams. Oder «Thank you for the music“ von – klar – Abba.
In «Du bist mein Lieblingslied» geht es allerdings nicht in erster Linie um Musik, sondern um einen Lieblingsmenschen. Da ist das «Lieblingslied» eine Metapher.
Um nochmal auf die Cruise hier zurückzukommen: Wie fandest du’s, mit den 300 Männern um die kanarischen Inseln zu schippern? Ich würde das definitiv wieder machen. Ich habe viele spannende Menschen kennengelernt, konnte mich aber auch immer gut zurückziehen, wenn mir danach war. Inspirationen gab es in Hülle und Fülle – aus welchen dann irgendwann wirklich Lieder werden, das kristallisiert sich meistens erst sehr viel später heraus.
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