Queer Week im Gorki eröffnet mit «T-Boy on Grindr»
João d’Orey brilliert mit seiner One-Man-Performance als liebeshungriger Teenager, der zur «Schwuchtel»-Community dazugehören will
Das Berliner Maxim Gorki Theater hat am Freitagabend seine Queer Week 2025 mit dem Stück «T-Boy on Grindr» eröffnet – und verspricht eine Woche (die eigentlich nur ein Wochenende ist), in dem queeres Leben mit Stimmen gefeiert wird, «die sich nicht unterkriegen lassen».
Im Zentrum der aktuellen Queer Week – einen Monat vorm CSD in Berlin angesetzt als eine Art Hauptstadt-Pride-Saison-Auftakt – stehen diesmal trans Menschen und ihre Geschichten, gespiegelt in Performances, Konzerten, Filmen und Gesprächen. So kündigt es die Homepage des Theaters an.
Dass zum Auftakt lange Wartelistenschlangen vorm Theater stehen, zeigt, dass diese restlos ausverkaufte Vorstellung von «T-Boy on Grindr» einen Nerv trifft oder zumindest auf starkes Interesse trifft. Bei einer jungen, betont queeren Crowd, die aussieht, als würde sie den Theaterbesuch als Startschuss zu einem coolen Clubabend sehen, den Outfits und der Stimmung nach zu urteilen.
Surreale Traumwelt Es geht um einen namenlosen «T-Boy», der zu Beginn in einen leeren, kahlen, schwarzen Raum mit Neonbeleuchtung kommt und verkündet, er wolle jetzt ein Grindr-Profil erstellen. Seine Eckdaten: 19, Pronomen he/him, Bottom/versatile, Twunk, aus Berlin. Er posed für verschiedene Profilfotos. Und ist dann online. Das Licht wechselt in blau – und «wir» als Zuschauer*innen tauchen ab in eine surreale Traumwelt (MANNSCHAFT berichtete).
Der 90-minütige, englischsprachige Monolog von João d’Orey, der selbst platinblond und mit durchtrainiertem Körper in weissem schweissgetränktem Unterhemd und gutsitzenden Jeans die One-Man-Hauptrolle spielt, ist nicht neu. D’Orey hatte ihn bereits vor ein paar Jahren im Theater unterm Dach in Berlin präsentiert und an verschiedenen Schulen vorgestellt. Nun kehrt er ans grössere, prominentere, mehr im Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit stehende Gorki zurück bzw. an deren Bühne Studio R.
Der T-Boy wird überflutet mit Nachrichten von Usern wie «Cocksucker», mit denen er am liebsten zuerst einen Bubble Tea trinken möchte («a drink with balls»). Oder im Park spazieren gehen will, um sich sei Lieblingstier, die Schwäne, anzuschauen. Denn die verbinden sich mit ihren Partner*innen fürs Leben. Was T-Boy super romantisch findet.
«You have to have a dick to be a fag» Aber – grosse Überraschung – auf Grindr ist niemand an solcher Romantik (oder an Schwänen/Bubble Tea) interessiert. Die Flut der Nachrichten wird so ohrenbetäubend laut, dass T-Boy den Online-Cruising-Lärm nicht mehr aushält. Und einen Schnitt macht. Er erzählt «uns», dass er «just a teenage boy without a dick» sei. Und dass das bei den «fags» (= Schwuchteln) auf Grindr nicht gut ankommt, zu denen er dennoch dazu gehören wolle. («You have to have a dick to be a fag!»)
Gleichzeitig erklärt T-Boy, dass die, die sich mit ihm treffen wollten, Heteromänner seien, die ihn irgendwie als «Frau/Mädchen» sähen und ficken wollen. Doch das will er wiederum nicht – obwohl vermutlich viele «Schwuchteln» genau von solch einem Szenario träumen würden, könnte man anmerken.
T-Boy fängt also an davon zu berichten, wie er sich nichtzugehörig fühlt, weder zu dieser, noch zu jener Gruppe. Und wie auf Grindr alle, die er trifft – wenn er sie überhaupt real trifft – sofort weiterziehen, wenn das nächste vielversprechende Online-Date aufploppt.
Liebe als Phantasma Bemerkenswert und durchaus symptomatisch für T-Boys Verständnis von «Liebe» ist eine Szene, in der er einzelne Personen im Publikum immer wieder fragt, ob sie ihn lieben würden. Ihr Ja macht ihn selig. Aber reicht nicht. Denn sofort nach einem solchen Ja wendet sich T-Boy an die nächste Person mit der gleichen Frage. Und an die nächste. Und nächste.
Die Suche nach (vermeintlicher) Liebe wird zur Manie. Denn er erkennt selbstkritisch bzw. in einer Anrufung eines höheren Wesens: «Fuck you for making me love someone that just doesn’t exist!» Sein ideales Objekt der Liebe ist ein Phantasma. Es existiert nicht und kann auch nicht existieren.
T-Boy überlegt in diesem Kontext, dass noch wichtiger als Liebe für ihn sei, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen («All eyes on me!»). Ist «T-Boy on Grindr» also das Tagebuch eines Narzissten, der sich selbst ins Unglück manövriert? Oder eine Empowerment-Performance, die zeigt, wie man mit Abweisung und Ausgrenzung heute umgehen könnte? Ist es eine Satire, wenn etwa T-Boy erklärt, er habe sich schwule Geschichte rund um Magnus Hirschfeld nebenbei mit einem Tiktok-Video angeeignet?
Sehnsucht nach dem «rosarotem Schwanz» Der vielschichtige und von vielen Lachern des Publikums durchzogene Abend steuert auf einen Moment zu, wo T-Boy wegen der Erkenntnis, dass er keinen Penis hat und somit nicht zu den «Fags» gehören kann. Er sagt, er träume davon, den «schönen, fetten, rosaroten Schwanz» eines Partners zu lutschen und sein Gegenüber zum Höhepunkt zu masturbieren – damit er träumen könne, das sei «sein» Schwanz. Woraufhin ein melancholisches französisches Chanson losgeht und das Finale einläutet.
Ist «T-Boy on Grindr» also auch eine Sehnsuchtsballade an das, was man nicht hat, nie haben wird? Und warum sind die Heteromänner, die als Dates willig bereitstünden, nicht gut genug? Wieso kommen keine anderen T-Boys als Dates für T-Boy in Betracht? Ist das eine Form von Diskriminierung unter schwulen T-Boys?
Irrungen und Wirrungen João d’Orey als Autor wirft hier viele Fragen in den Raum. Und er spielt seinen Monolog (in der Regie von Malaya Stern Takeda) mit bravouröser körperlicher Selbstbeherrschung. Sehr sympathisch in der Wirkung, so dass man den Irrungen und Wirrungen im Liebesleben dieses anonymen Helden gern folgt. Durch die verschiedenen Stimmungen, die musikalisch und lichttechnisch perfekt illustriert werden. Durch die permanente, angenehme Interaktion mit dem Publikum. Durch die grossartigen Tanzsequenzen, die eine Art Selbstbehauptung verdeutlichen. Wobei sich die Frage aufdrängt: Selbstbehauptung für was?
Vergleicht man diesen Monolog eines schwulen jungen Mannes mit berühmten Vorbildern wie den Monologen von Arnold in «Torch Song Trilogy» von Harvey Fierstein, wo sehr ähnliche Dating-Erlebnisse und Liebessehnsüchte verhandelt werden, fällt auf, dass d’Orey dort, wo Fierstein gezielt persönlich wird und so etwas wie Wahrhaftigkeit erzeugt, immer hinter der Fassade des T-Boys versteckt bleibt. Seine «wahren» Gefühle nur darstellerisch andeutet, nicht ausspricht.
«Ich bin bereit» Vielleicht ist das passend für eine Figur, die sich auf Tiktok über die Geschichte seiner Wunsch-Community von «Schwuchteln» informiert? Vielleicht soll es auch zum Nachdenken anregen, mehr Fragen aufwerfen als beantwortet werden?
Nach dem französischen Balladenmoment geht João d’Orey ab und kehrt mit entblösstem Oberkörper zurück, einen Stuhl auf der Schulter tragend. Er sagt, er sei jetzt «bereit». Für was genau bleibt offen. Aber er stürzt sich in einen krachenden Tanz rund um den Stuhl, der aus einer Magic-Mike-Stripshow stammen könnte. («All eyes on me»?) Und findet schliesslich – ganz bei sich und mit sich – jene Ekstase, die er zuvor 90 Minuten lang nicht erreichen konnte mit Grindr und mit Schwänen, mit Bubble Tea und mit Mr. Cocksucker.
Als d’Orey am Ende verausgabt auf dem Boden zusammensinkt, erhebt sich das Publikum im Studio R zu Standing Ovations. Es gibt Blumen, Bravos und viel spürbare Begeisterung. Es sind bekannte Filmproduzent*innen da, viele Freund*innen, viele aus der Berliner Trans-Community, viele Theatermacher*innen von anderswo, die scheinbar wissen wollen, ob sie das Stück auch zu sich einladen sollten. (Ja, unbedingt.)
Alle, die es in Berlin nochmals sehen wollen, haben dazu am 29. Juni Gelegenheit. In der Queer Week 2025 gibt es ansonsten ein Release-Konzert von Fayim am 28. Juni, die Performance «Fragments» von/mit Mandhla (auch am 28.6.), den Film «Transition» (am 29,6, um 16.30 Uhr) und davor das Panel «Wo es weiter wird» (um 14 Uhr): mit Darren Lein, Newroz Çelik und Peps Gutsche, es moderiert Ivo Oreger.
Warum «T-Boy on Grindr» übrigens auf Englisch gespielt wird, obwohl João d’Orey perfekt Deutsch spricht – wie er in einer besonders witzigen Parodieszene beweist, in der er eine blonde, langhaarige Frau spielt, die sich als toxischer Ally von T-Boys erweist – bleibt das Geheimnis des Gorki. Ebenso, warum keine Übertitel eingeblendet werden, wie das im grossen Haus bei allen Vorstellungen seit langem eine Selbstverständlichkeit ist.
Der Besuch lohnt trotzdem. Schon allein weil João d’Orey eine Strahlkraft hat, die beeindruckend ist und ihn empfehlen, «T-Boy on Grindr» ins Gorki-Repertoire aufzunehmen, jenseits von allen Queer Weeks und Pride-Saisons.
«Wegen Krankheit»? – Warum der Dyke March in Berlin abgesagt wurde, es aber wohl trotzdem eine Demo gibt (MANNSCHAFT berichete).
Das könnte dich auch interessieren
Film
Biopic über die schwule Liebe von James Dean – mit Brandon Flynn
Der Film basiert auf den Memoiren des Ex-Liebhabers der queeren Hollywood-Ikone.
Von Newsdesk Staff
Unterhaltung
Serie
Liebe
People
News
Terrorpläne bei Swift-Konzert: Junger mutmasslicher Helfer angeklagt
Der Jugendliche soll u. a. Bombenbauanleitung aus dem Arabischen übersetzt haben.
Von Newsdesk/©DPA
Österreich
People
Deutschland
Religion
Musik
Schweiz
Fussballerin Aurélie Csillag: «Den Vorkämpferinnen verdanken wir viel»
Mit der Heim-EM geht für Fussballerinnen wie Aurélie Csillag ein grosser Traum in Erfüllung. Ob das junge Talent auch tatsächlich für das Schweizer Nationalteam zum Einsatz kommen wird, zeigt sich erst in den kommenden Wochen.
Von Greg Zwygart
Lesbisch
Leben
Coming-out