«Wegen Krankheit»? – Warum der Dyke March abgesagt wurde
Was als Berliner Marsch für lesbische Sichtbarkeit begann, ist heute ein Symbol der Spaltung
Gesundheitliche und organisatorische Gründe – das nennt das Team hinter dem ursprünglichen Dyke March als Begründung für die offizielle Absage in diesem Jahr.
Was immer der Grund ist: Der Marsch, der vor 12 Jahren für mehr lesbische Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit ins Leben gerufen wurde, fällt in diesem Jahr aus. Ein Marsch, offenbar mit anderen Verantwortlichen, soll nun im Juli stattfinden, wie die lesbische Journalistin und Fundraiserin Stephanie Kuhnen bei Facebook mitteilte.
Der eigentliche Grund für die Absage des eigentlichen Dyke March sind jedoch wohl eher die Vorfälle auf dem Dyke March 2024 (und in den Tagen davor) und eine wahrscheinlich fehlende Aufarbeitung derselben. Laut mehreren Berichten kam es unter den 9000 Teilnehmer*innen zu antisemitischen Ausrufen, mehreren Beleidigungen und am Ende des Marsches bildete sich ein transfeindlicher Block. Die Polizei meldete 28 Festnahmen und die Order*innen sprachen wiederum von Polizeigewalt.
Eine wirkliche Aufarbeitung dieser Ereignisse ist bis heute nicht passiert. In zwölf Monaten hat sich weder etwas auf der Webseite von Dyke*March getan, noch auf deren Auftritten bei Social-Media-Webseiten. Auch mehrfache Anfragen von MANNSCHAFT blieben unbeantwortet. Die Organisator*innen geben sich selbst noch einmal zwölf Monate Zeit für die Aufarbeitung und schreiben: «See you next year.» Die Kommentarfunktion zu diesem Beitrag wurde geschlossen.
Wer sich stattdessen geäussert hat, sind die «Lesben gegen Rechts», eine Gruppe, die im Jahr 2024 eine Gegendemonstration in Schöneberg gestartet hatte – und in diesem Juni eine Petition für einen neuen «Dyke*March» gestartet hatte. Die Online-Petition haben aktuell 346 Menschen unterschrieben. Die neue Gruppe will einen Marsch, bei dem «es wieder um Lesben geht» und auf dem «kein Platz für antisemitische, frauenfeindliche, rassistische Propaganda ist».
Ob diese Gruppe auch einen eigenen Marsch stemmen kann, bleibt derzeit offen, eine Anfrage blieb unbeantwortet. Möglicherweise handelt es sich um die von Kuhnen angekündigte Demo.
An diesem Samsag (28. Juni) zieht auf jeden Fall der pro-israelische East Pride von Friedrichshain nach Treptow also nur durch den Osten Berlins. «Homos, Juden und Frauen» sollen sich zusammenschliessen, um «gemeinsam für unser Leben und unsere Freiheit» zu demonstrieren. Der 28. Juni wurde gewählt, weil es der Jahrestag des Stonewall-Aufstands in New York von 1969 ist.
Einer Organisatoren des East Prides sagt gegenüber MANNSCHAFT, dass sie «nicht für die Narrative vermeintlich linker oder queerer Aktivisten einspannen lassen wollen». Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 (MANNSCHAFT berichtete) habe nichts mit Widerstand – gar queerem Widerstand – zu tun. «Unsere Interessen und unsere Freiheit wurden und werden mit dem Hass und den Attacken auf Israel und auf Juden in Berlin ebenso angegriffen.» Der East Pride rufe auf zu Solidarität unter Menschen, die von Homofeindlichkeit, Juden- oder Frauenhass betroffen sind. Es gehe auch darum, die «Überschneidungen stärker wahrzunehmen», auch die «möglicherweise gemeinsamen Ursachen».
Von lesbischer Sichtbarkeit ist in dem Aufruf vom East Pride nichts zu lesen. Er kann also den Dyke March nicht ersetzen und will das auch nicht. Ob es einen weiteren Marsch für lesbische Sichtbarkeit gibt, bleibt weiter offen – gerade in Zeiten, in denen Safe Spaces für queere Menschen immer mehr unter Druck geraten.
Die Aufarbeitung der Ereignisse von 2024 findet dafür unter den Kommentarspalten anderer Medien Stadt. So schreibt unter dem Text von Queerspiegel eine Nutzerin, die letztes Jahr im Block mit dem Regenbogen Davidstern mitgelaufen ist: «So eine aggressive, aufgeheizte Stimmung habe ich bisher auf keiner queeren Demo erlebt. Ich war entsetzt.» Ein anderer Kommentator nennt den Dyke March 2024 rückblickend eine «Flintifada».
Im vergangenen Jahr gab es neben dem Dyke March auch einen pro-palästinensischen Marsch der queeren Community, der durch Kreuzberg verlief. Laut Instagram-Post soll er auch in diesem Jahr ebenfalls stattfinden – am 26. Juli, dem Tag, an dem auch der Christopher Street Day im Rest Berlins gefeiert wird. Die eigene Webseite hat der IPQ-Berlin noch nicht aktualisiert. Während die queere und sicherlich auch die lesbische Szene so offensichtlich gespalten ist, dauert der Krieg in Gaza an.
«Wir sind kein Berghain, das Schwuz ist doch das Wohnzimmer!» Ein Mitarbeiter spricht über die schlechte Stimmung in dem queeren Club (zum MANNSCHAFT-Interview)
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