«I Am What I Am» – 50 Jahre «La Cage aux Folles»
Es gibt einiges zu feiern
Schrille Komödie mit Dragqueens, aber auch ernste Liebes- und Familiengeschichte: «La Cage aux Folles» – der Käfig voller Narren – ist legendär. 2023 gibt es einige Jahrestage rund um das Bühnenstück.
Von Gregor Tholl, dpa
In Saint-Tropez an der französischen Riviera hat das Männerpaar George und Albin, das einen Travestie-Club betreibt, einen Sohn aufgezogen, der ausgerechnet die Tochter eines reaktionären Politikers heiraten möchte. Wie soll der Sohn von George aus einer kleinen Hetero-Liaison dem schwulenfeindlichen Schwiegervater, der auch Nachtleben verachtet, verklickern, dass er bei zwei Männern aufwuchs, von denen der eine die Dragqueen Zaza ist, der Star im Club «La Cage aux Folles»? Die Begegnung der künftigen Schwiegerelternpaare kann nur zum Desaster werden. Oder?
Das ist der Stoff, aus dem das Theaterstück «La Cage aux Folles» von Jean Poiret ist, das Anfang der 70er eine Sensation war, weil hier im Mittelpunkt stand, was sonst tabuisiert war: ein schwules Paar. Die Komödie ist dieses Jahr 50 Jahre alt geworden. Vor 40 Jahren hatte ausserdem das gleichnamige Musical von Jerry Herman (Buch: Harvey Fierstein) Premiere, aus dem der Welthit «I Am What I Am» stammt.
Und vor 45 Jahren kam eine Verfilmung mit Michel Serrault und Ugo Tognazzi heraus. Die US-Version «The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel» gab es dann 1996 mit Robin Williams und Nathan Lane.
Der französische Titel «La Cage aux Folles» heisst wörtlich übersetzt so viel wie «Der Käfig der Verrückten»; folle kann aber auch «Tunte» bedeuten, dann hiesse es also wohl «Der Tuntenkäfig».
Gloria Gaynor, Shirley Bassey – viele haben den Ohrwurm «I Am What I Am» (Ich bin, was ich bin) des 2019 gestorbenen Komponisten Herman («Hello, Dolly!») interpretiert. In der LGBTIQ-Community geniesst das Lied Kultstatus.
Dass auch Frauen den Titel singen, ist bemerkenswert, weil der Text eigentlich ein selbstbewusstes Schwulen-Coming-out besingt. Das Lied kann aber eben auch allgemein als eine Art Selbstermächtigungssong für Diskriminierte gelesen werden – für alle, die sich ein Leben jenseits kleinkarierter Konventionen wünschen. Es ist ein Plädoyer dafür, den eigenen Gefühlen zu trauen, sich nicht zu verstellen und so die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen.
«Das ist nicht eine Arie, das ist ein Monolog mit Musik. ‹Ich bin, was ich bin› kommt von einem szenischen Inhalt – und das macht es stark und toll», sagt der Opernregisseur Barrie Kosky im Trailer zu seiner flamboyanten Inszenierung des Musicals an der Komischen Oper Berlin (MANNSCHAFT berichtete). Darin brillieren Peter Renz und Stefan Kurt als Männer-Paar.
«Natürlich man kann sagen: Das ist eine narzisstische Attitüde: „Ich bin, was ich bin – und du musst mich akzeptieren.“», sagt Kosky. «Aber das ist eigentlich nicht das Thema. Das Thema ist: „Ich bin respektvoll zu dir – bitte respektvoll zu mir sein.“ Und ich finde das eine wunderbare Message für ein Musical.»
Auch Helmut Baumann attestiert Poirets Theaterstück im Hintergrund des Musicals eine euphorische Botschaft. Sie sei so simpel wie wahr, sagte der 84-Jährige kürzlich im RBB-Radio. Baumann brachte das Musical 1985 nach Deutschland, ins Berliner Theater des Westens.
Die Deutsche Presse-Agentur lobte damals die deutschsprachige Erstaufführung «in dem hierzulande offenbar schwierigen Fach der amerikanisch-spezifisch leichten Muse»: «Besser kann die Uraufführung in New York auch nicht gewesen sein.» Und: «Es wurde ein triumphaler Erfolg, vor allem für Regisseur Helmut Baumann, der, zugleich künstlerischer Direktor der Musicalbühne am Zoo, die Rolle des Transvestiten Albin-Zaza selbst übernommen hatte.»
Baumann, der jetzt in Koskys Inszenierung mit 84 die kleine aber feine Nebenrolle der Restaurantbesitzerin Jacqueline spielt, nennt Poirets Stück «eine wirklich klassische Komödie im französischen Stil». Das Personal in diesem Stück finde man auch bei Autoren wie Molière oder Georges Feydeau. «Und die Probleme stammen aus der Commedia dell’arte: Ein junges Paar und Schwiegereltern und Eltern, die nicht zusammenpassen. Und auch nicht wollen, dass es irgendwie funktioniert.» Und die beiden jungen Leute müssten deshalb kämpfen.
Es funktioniert und berührt, weil es in jeder Familie auch vorkommen kann.
«Das ist ein uraltes Thema», betont Baumann. «Und auf welche Weise es auch immer präsentiert wird: Es funktioniert und berührt, weil es in jeder Familie auch vorkommen kann.» Und das sei für ihn der eigentliche Grund, warum dieser Stoff stets seine Wirkung entfalte.
Das Theaterstück «La Cage aux Folles» von Jean Poiret (1926-1992) feierte am 1. Februar 1973 Premiere in Paris im Théâtre du Palais-Royal. Die deutsche Erstaufführung fand 1978 im Hamburger Operettenhaus statt – in Anwesenheit des Autors. Anfang der 80er wurde man am Broadway auf die sich bestens eignende Vorlage aufmerksam: Das Musical «La Cage aux Folles» entstand und hatte am 21. August 1983 Premiere im New Yorker Palace Theatre in Manhattan. Die deutschsprachige Erstaufführung war am 27. Oktober 1985 in Berlin im Theater des Westens in der Nähe des Bahnhofs Zoo.
Verfilmungen des Stoffs: Im Oktober 1978 kam Édouard Molinaros Version mit Michel Serrault und Ugo Tognazzi in Frankreich und Italien ins Kino, in Westdeutschland dann im Januar 1979. Eine amerikanische Verfilmung («The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel») gab es fast 20 Jahre später mit Robin Williams, Nathan Lane und Gene Hackman. Deutscher Kinostart war am 16. Mai 1996.
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