Haben es queere Romane aktuell schwerer auf dem Markt?

Eine Berliner Buchhändlerin bemerkt, dass in diesem Herbst deutlich weniger LGBTIQ-Titel herauskommen sind als im Vorjahr. Hat sie Recht?

Bild: Pixabay, Anrita
Immer weniger queere Bücher kommen aktuell heraus – so zumindest sieht das eine Berliner Buchhändlerin

Schwule Romane und queere Literatur haben in den letzten Jahren immer wieder für Furore gesorgt – von Ralf König bis Kim de l’Horizon.

Doch aktuell scheint der Markt enger zu werden: weniger Titel, weniger Sichtbarkeit, mehr Vorsicht bei Verlagen. Ist das nur ein ökonomischer Trend oder schon ein Zeichen für wachsenden Konservatismus?

Ob Douglas Stuarts «Young Mungo» oder Hanya Yanagiharas «Ein wenig Leben» – seit langem gibt es schwule Stoffe in den Buchläden, die ein Massenpublikum erreichen können. Doch aktuell wird der Markt für queere Stoffe immer schwieriger. Ausser internationale Stars wie Ocean Voung schaffen es nach wie vor selten Bücher mit queeren Protagonisten in die Bestsellerlisten.

Nancy Schmolt, Co-Chefin der queeren Berliner Buchhandlung «Eisenherz», hat schon länger das Gefühl, dass es aktuell wegen der politischen Entwicklung weniger LGBTIQ-Stoffe gibt. «Beim Zusammenstellen des Katalogs für das Herbstprogramm fiel mir auf», sagt sie MANNSCHAFT, «dass das Angebot merklich zurückgeht, um ungefähr 100 Bücher.»

Besonders beim Thema Regenbogenfamilien sei das spürbar: Es werden zwar weiterhin Bücher mit verschiedenen Familienmodellen gedruckt, aber weniger, die sich direkt an queere Familien richten. «Während wir vor einem Jahr so viele Bücher von den Verlagen angeboten bekamen, dass sie nicht alle in unserem Katalog Platz fanden, muss man inzwischen fast schon suchen.»

In der Tat ist der Buchhandel eine empfindliche Branche, die auf kleinste Veränderungen in der Gesellschaft reagiert. Der Rechtsruck in verschiedenen Teilen der Welt schlägt sich auch hier nieder. In Deutschland stossen schwule Literatur und queere Stoffe auf ein doppelt konservatives Klima: Einerseits ist der Buchmarkt selbst vorsichtig und setzt auf sichere Bestseller statt auf Experimente. Andererseits beobachten Branchenkenner*innen, dass die Wirtschaft insgesamt vorsichtiger mit queerer Sichtbarkeit umgeht.

Nancy Schmolt erzählt im Gespräch mit MANNSCHAFT von einem extremen Beispiel, das ihr eine befreundete Autor berichtete: «Er sollte das Fantasy-Buch ‹Beneath the Ivy› ins Deutsche übertragen, allerdings sollte ein offensichtlich queerer Charakter im Buch nicht mehr vorkommen.» Für Schmolt ist das ein Zeichen, dass eine gewisse neokonservative Strömung sich auch im Buchmarkt breit macht. «Vor allem trans Identitäten, aber auch andere Teile des LGBTIQ-Spektrums sollen wieder unsichtbarer werden.»

«Wir Schwulen haben uns längst daran gewöhnt, uns beim Lesen in Heteros hineinzuversetzen.»

Jim Baker, Querverlag

Branchenkenner*innen sehen insgesamt eine zunehmende Vorsicht. Regenbogenflaggen im Pride-Monat vor der Konzernzentrale – das lasse sich gut vermarkten. Aber wenn es um konkrete Inhalte geht, um schwule Figuren, um echte Geschichten, dann sind viele Player zurückhaltend.

Eine Verlagsmitarbeiterin, die nicht genannt werden will, spricht gegenüber MANNSCHAFT sogar von einer «Feigenblattpolitik» bei grossen Verlagen. Sie wollen zeigen, dass sie «auch queere Bücher verlegen können», aber das sei selten profitabel. Inzwischen hätten diese Verlage gemerkt, so die Kennerin, dass sie mit LGBTIQ-Büchern eben nicht das grosse Geld verdienen können.

Ein grosser Verlag, der auch queere Stoffe verlegt und dieser These vehement widerspricht, ist Hanser. Pressesprecher Thomas Rohde findet einerseits «klug, umsichtig und notwendig», den Buchmarkt immer auch im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Veränderungen prüfend im Blick zu haben.

«Aber unsere Produktionszyklen sind so lang, dass die konservativ werdende Umwelt noch kaum Konsequenzen haben könnte», sagt Rohde zu MANNSCHAFT, «selbst wenn man denn das Fähnchen nach dem politischen Wind hängen wollte – was wir aber auch nicht vorhaben.» Bei Hanser gehe es laut Rohde um kluge, relevante literarische Bücher und Essays – dass viele davon queere Themen behandeln, sei «selbstverständlich». Die bekanntesten queeren Hanser-Autor*innen sind derzeit Daniel Schreiber («Allein»), Yael Inokai («Ein simpler Eingriff») und Benno Gammerl («Anders lieben»).

Der deutschsprachige Buchmarkt steckt derzeit ohnehin in einer schwierigen Phase: Rückläufige Verkaufszahlen, sinkende Auflagen, ein starker Onlinehandel und die Konzentration auf wenige Bestseller setzen die Branche unter Druck. Kleinere Verlage, die Nischenthemen wie schwule und lesbische Literatur aufnehmen, kämpfen um Aufmerksamkeit und oft ums Überleben. Auch grosse Häuser müssen genau überlegen, welche Themen den Mainstream interessieren. Kein leichtes Umfeld für queere Autor*innen.

«Wir haben auch immer wieder umstrittene Bücher kurzfristig im Sortiment»

Franz Brandmeier, Buchhandlung Eisenherz

Jim Baker vom lesbisch-schwulen Querverlag kennt den Buchmarkt schon lange und sagt: «Die Leute kaufen in der Regel aus zwei Gründen einen Roman: Identifikation oder Sehnsucht.» Wenn keines der beiden zutreffe, habe es ein Buch schon viel schwerer. «Der neue Lissabon-Krimi erfüllt eine Sehnsucht», sagt Baker zu MANNSCHAFT, «und meine Mutter kauft sich mal einen schwulen Roman, weil sie sich in meine Lebenswelt hineinversetzen will.»

Doch der Buchmarkt sei eben ein Massenmarkt – «und wir Schwulen haben uns längst daran gewöhnt, uns beim Lesen in Heteros hineinzuversetzen.» Und ja, ohne es mit Zahlen belegen zu können, befürchtet auch er, dass es in den kommenden Jahren weniger queere Stoffe geben werde.

Selbst Eisenherz in Berlin führt Bücher von Heteros: «Weil man an bestimmten Büchern nicht vorbeikommt», sagt der Geschäftsführer Franz Brandmeier. «Wir haben auch immer wieder umstrittene Bücher kurzfristig im Sortiment, und wenn jemand unbedingt ein Buch von J.K. Rowling bestellen will, kriegt er auch das.» Zensur sei nicht die Aufgabe eines Buchhändlers. «Aber es kann sein, dass man bei problematischen Titeln einen freundlichen Kommentar mit auf den Weg bekommt.»

Der schwule Star-Regisseur François Ozon zeigt in «Wenn der Herbst naht» zwei Frauen, die im Kino meist unsichtbar sind – eine ist 70, die andere 80: Die Freundinnen Michelle (Hélène Vincent) und Marie-Claude (Josiane Balasko) waren einst Sexarbeiterinnen (MANNSCHAFT-Interview).

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