HIV bekämpfen: Warnung vor Rückschritten durch Sparkurs

Ohne ausreichende Finanzierung drohen wieder mehr Infektionen

Bundestagsabgeordneter Hendrik Streeck
Bundestagsabgeordneter Hendrik Streeck (CDU) sitzt im Gesundheitsausschuss (Bild: Federico Gambarini / dpa)

Die globale HIV-Bekämpfung war in den vergangenen Jahren eine Erfolgsgeschichte: weniger Neuinfektionen, weniger Todesfälle. Doch jetzt drohen Rückschritte.

Grosse Geberländer kürzen ihre Mittel drastisch (MANNSCHAFT berichtete), darunter nicht nur die USA, sondern auch Deutschland und Frankreich, warnt der Virologe und CDU-Politiker Hendrik Streeck: Ohne politischen Willen stehen wir an einem gefährlichen Scheideweg.

Bei einer Fachveranstaltung mit dem Titel «Leave No Patient Living with HIV Behind» am Mittwochmorgen (3. September) hat der Bundestagsabgeordnete und Virologe Hendrik Streeck (CDU) vor massiven Rückschritten im globalen Kampf gegen HIV gewarnt. Grund sei vor allem die politische Trendwende in den USA und in Europa, wo Gelder für internationale Hilfsprogramme deutlich gekürzt werden.

«Wir leben in aufgewühlten Zeiten», begann das offen schwule Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags seinen Vortrag. Dann erinnerte er an die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte: Noch einmal habe sich die Zahl der Neuinfektionen weltweit zwischen 2010 und 2020 um ein Drittel reduziert, die Zahl der Todesfälle sogar halbiert.

Doch die UN-Ziele 95-95-95 (95 Prozent Diagnosen, 95 Prozent haben Zugang Therapien, 95 Prozent von denen liegen unter der Nachweisgrenze) seien in Deutschland bislang verfehlt: «Wir liegen derzeit nur bei 86, 77 und 72 Prozent – weit entfernt von dem, was wir erreichen wollen.»

«Nicht nur die USA, auch Länder wie Deutschland und Frankreich kürzen ihre Gelder für die HIV-Forschung.»

Hendrik Streeck (CDU)

Mit Blick auf die aktuelle Haushaltslage zeigte sich Streeck besorgt: Deutschland kürze seinen Beitrag an den Global Fund von 415 Millionen Euro (2023) auf 288 Millionen Euro (2026). Auch die USA zögen sich aus dem erfolgreichen PEPFAR-Programm zurück. «Für Länder mit niedrigem Einkommen hat das dramatische Folgen – Todeszahlen könnten wieder auf drei Millionen jährlich steigen, Resistenzen zunehmen und Forschung zurückfallen», warnte Streeck. Notwendig seien politischer Wille und ein klares Bekenntnis zu internationaler Solidarität. Streeck: «HIV ist noch immer nicht heilbar.»

Als Hoffnungsschimmer nannte Streeck neue Medikamente, darunter lang wirksame Injektionen wie Lenacapavir, die alle sechs Monate verabreicht werden und vollständig schützen könnten. Allerdings seien diese Therapien noch zu teuer und weltweit kaum verfügbar. Auch die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) sei ausserhalb der schwulen Community nach wie vor wenig bekannt.

Hannah Linke vom Universitätsklinikum Münster ergänzte die globale Perspektive mit Blick auf Deutschland: Allein in Deutschland leben rund 8200 Menschen mit HIV, die von ihrer Infektion nichts wissen, das entspricht dem Prozentsatz von 86 Prozent, die von ihrem positiven HIV-Status wissen. Zwar erhalten 99 Prozent der diagnostizierten Patient*innen Medikamente, und 99 von denen seien unterhalb der Nachweisgrenze, doch die erste Marke sei eine sehr wichtige und nicht erreicht. «Besonders Menschen mit Migrationshintergrund, Sexarbeiter*innen und Drogengebrauchende würden oft nicht erreicht von Präventionsprogrammen.»

«Dort, wo Krieg ist, gibt es immer mehr Infektionen, nicht nur mit HIV.»

Hannah Linke, Universitätsklinikum Münster

Hannah Linke warnte vor ausserdem vor steigenden Infektionszahlen in einzelnen Gruppen, etwa bei Migrant*innen aus Osteuropa. Wörtlich sagte sie: «Dort, wo Krieg ist, gibt es immer mehr Infektionen, nicht nur mit HIV, auch mit anderen Krankheiten wie Hepatitis oder Tuberkulose.» Gleichzeitig hob sie die Bedeutung von lang wirksamen Medikamenten und PrEP hervor, die die Versorgung verbessern und Resistenzen vermeiden könnten. «Es ist nicht zeitgemäss», sagte sie, «dass Behandlungsangebote bestimmten Menschen faktisch vorenthalten bleiben.»

Beide Expert*innen machten deutlich: Trotz grosser Fortschritte steht die HIV-Bekämpfung an einem Scheideweg. Streeck weiss, dass alle Ministerien kürzen müssen und er sagte auch, dass manche Hilfsorganisationen ihre Gelder nicht immer gut verteilen und einen zu hohen Anteil in die Verwaltung investieren.

Aber ohne ausreichende Finanzierung drohen Rückschritte in der HIV-Versorgung – eine Entwicklung, die vermeidbar wäre. Streeck erhofft sich von Europäischen Ländern wie Frankreich, Niederlande und Deutschland, dass sie zumindest zum Teil das Loch stopfen können, das die USA gerissen haben. 

Der schwule Star-Regisseur François Ozon zeigt in «Wenn der Herbst naht» zwei Frauen, die im Kino meist unsichtbar sind – eine ist 70, die andere 80: Die Freundinnen Michelle (Hélène Vincent) und Marie-Claude (Josiane Balasko) waren einst Sexarbeiterinnen (MANNSCHAFT-Interview).

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