«Die Geschichte der Aids-Hilfe Schweiz ist eine der sexuellen Befreiung»
Am 13. Juni feiert die Aids-Hilfe Schweiz ihr 40-jähriges Bestehen mit einer Zeremonie des Gedenkens und einem rauschenden Fest. Der stellvertretende Geschäftsleiter Florian Vock will dabei nicht nur zurück, sondern auch nach vorne blicken.
Im Innenhof des Landesmuseums in Zürich feiert die Aids-Hilfe am 13. Juni ihren 40-Geburtstag mit einem abwechslungsreichen Programm. Nach einer Fachtagung gibt es einen offiziellen Empfang mit Bundesrat Beat Jans und Anne Levy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit BAG.
Ein berührendes Quilt-Ritual, wie es in den Achtziger- und Neunzigerjahren oft zelebriert wurde, schafft Raum für Namen, Erinnerungen und stille Würdigung – ein Moment des Gedenkens an jene, die verloren gingen, und an die Kraft der Community. Ebenfalls auf dem Programm stehen Auftritte von Marie-Therèse Porchet und Catherine d'Oex, gefolgt von DJ-Sets und einer Performance der House of Laveaux. Das Geburtstagsfest der Aids-Hilfe Schweiz steht auch explizit der Community offen: Wenige Tickets gibt es hier. Die Afterparty findet im Provitreff statt. Damit ist aber noch nicht Schluss. Ein Podcast, ein Musical und eine Kampagne zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember zeigen weitere Einblicke in die Geschichte und Zukunft der Organisation. Mehr Geschichten und Porträts rund um das 40-jährige Bestehen gibt es in der aktuellen Ausgabe des Positive Life Magazins.
Die Gründung der Aids-Hilfe als Ausdruck der Solidarität Die Aids-Hilfe Schweiz hat ihre Wurzeln 1985 als Initiative innerhalb der schwulen Community. In einer Zeit, in der die Medien von «Schwulenseuche» berichteten und kaum verlässliche Informationen zu HIV und Aids vorhanden waren, übernahmen Betroffene selbst die Verantwortung. Sie organisierten sich, recherchierten in den USA, sammelten Wissen und begannen, dieses in ihren Communitys zu verbreiten. Die Gründung sei nicht nur ein Akt der Selbsthilfe gewesen, sondern auch Ausdruck von Solidarität – ein Leitmotiv, das die Arbeit der Aids-Hilfe bis heute präge. «Es ist eine besondere Geschichte davon, wie Gemeinschaften gelernt haben, für die eigene Gesundheit einzustehen», sagt Florian Vock von der Aids-Hilfe Schweiz.
Die Geschichte der Aids-Hilfe sei aber nicht nur eine von Krankheit und Tod, sondern auch eine von Hoffnung, Stärke und gesellschaftlichen Lernen. So sei etwa die heutige Palliative Care wesentlich durch die Erfahrungen in der frühen Aids-Krise geprägt worden: «Der Gedanke, dass Menschen ein Anrecht auf Sterben mit Würde haben, war vorher kein grosses Thema», erklärt Vock.
Seit er 2019 zur Aids-Hilfe gestossen ist, habe sich die Organisation stark weiterentwickelt: «Wir sind viel effizienter und professioneller geworden», sagt er. Insbesondere sei der Fokus auf sogenannte «Key Populations» gestärkt worden – Bevölkerungsgruppen, die im regulären Gesundheitssystem häufig keinen adäquaten Zugang finden.
Dabei sieht Vock die zentrale Aufgabe der Aids-Hilfe darin, Bedürfnisse dieser Gruppen mit der öffentlichen Gesundheitspolitik zu verbinden. Ein Beispiel: Männer, die mit Männer Sex haben (MSM), suchen bei Fragen der sexuellen Gesundheit lieber einen mit Fachpersonen aus der Community besetzten Checkpoint als die Hausarztpraxis auf. «Unsere historische Legitimation ist, dass wir bei den Menschen anfangen», so Vock. Das unterscheide die Aids-Hilfe von Behörden oder anderen Akteuren. Die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG), das von Beginn an finanziell und inhaltlich eingebunden war, bezeichnet Vock als «langjährige Beziehung mit Hochs und Tiefs» – eine Nähe, die aber funktioniere: «Weil wir wie das BAG verstehen, dass wir gemeinsame Ziele, aber unterschiedliche Rollen und andere Aufgaben haben.»
Moralische Vorstellungen über Sexualität sitzen tief Trotz medizinischem Fortschritt und besseren Therapien bleibt HIV stigmatisiert. Vock berichtet von weiterhin erschreckend weit verbreiteten Fehlinformationen: «Ein Viertel der Menschen in der Schweiz glaubt, HIV werde über das Küssen übertragen – immer noch.» Das betreffe auch jüngere Generationen. Besonders frustrierend sei, dass selbst Fachpersonen sich mitunter Fakten verweigerten: Fast 70% der Gesundheitsfachpersonen in Europa wissen nicht, dass HIV unter Therapie nicht übertragbar ist. Dahinter vermutet Vock tiefsitzende moralische Vorstellungen über Sexualität, denn diese medizinischen Fakten seien seit Jahrzehnten bekannt.
Die Geschichte der Aids-Hilfe sei deshalb auch eine Geschichte der sexuellen Befreiung – ein Prozess, der weitergeführt werden müsse. «Wir müssen die ganze Sexualität immer wieder neu entstigmatisieren und ein bisschen Druck rausnehmen», sagt er.
Zum Jubiläum wolle man deshalb nicht nur zurückschauen, sondern Kraft für die Zukunft schöpfen. Die Aids-Hilfe Schweiz bleibt eine wichtige Stimme für Betroffene, eine kritische Partnerin im Gesundheitswesen und ein Erinnerungsort kollektiver Solidarität. «Mut und Energie kann man aus einer eigenen Geschichte schöpfen», so Florian Vock – und genau das sei das Ziel dieses Jubiläumsjahres.
Mehr: Null Neuinfektionen bis 2030 in der Schweiz: «Wir müssen gemeinsam handeln» (MANNSCHAFT berichtete)
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