Null Neuinfektionen bis 2030: «Wir müssen gemeinsam handeln»
Bis 2030 soll es in der Schweiz keine neuen HIV-Infektionen mehr geben. Florian Vock von der Aids-Hilfe Schweiz über den Zwischenstand und den letzten Ruck, den es jetzt braucht.
Neue Therapiemöglichkeiten, sinkende Neudiagnosen, Prep: In den letzten Jahren hat die Schweiz wichtige Fortschritte in der HIV-Prävention erzielt.
Massgebend für den Erfolg war unter anderem erhöhtes Testen bei schwulen und anderen Männern, die mit Männern Sex haben (MSM), sagt Florian Vock, stellvertretender Geschäftsleiter und Leiter Prävention bei der Aids-Hilfe Schweiz.
«Wir stossen regelmässig auf Menschen, die mit HIV leben und es vorher nicht wussten. Das zeigt, dass unsere Arbeit weiter dringend notwendig ist»
Florian Vock
Kampagnen und niederschwellige Angebote, wie sie etwa von Checkpoints angeboten werden, zeigen Wirkung: «Wir stossen regelmässig auf Menschen, die mit HIV leben und es vorher nicht wussten. Das zeigt, dass unsere Arbeit weiter dringend notwendig ist», so Vock.
Er betont, wie wichtig Vertrauen sei – in Beratungsstellen, in die Angebote und in das Fachpersonal. Gerade in queeren Communitys gelinge es zunehmend, diese Strukturen aufzubauen und zu etablieren.
Die Kosten der Prep als Knackpunkt Auch die HIV-Prep sieht Vock als Teil des Erfolgs, aber nur bedingt. «Das Problem ist, dass wir mit dieser Methode nicht unbedingt Menschen erreichen, die vorher keinen Schutz hatten, sondern diejenigen, die früher schon ein Kondom benutzt haben – sie haben jetzt einfach eine zweite Option», erklärt er.
«Die Menschen, die sich auch vorher schon schwergetan haben, überhaupt eine Schutzmethode zu verwenden, aber auch jene, die sich Prep nicht leisten können, haben es heute sogar schwerer.»
Als Beispiel nennt Vock den Darkroom, wo praktisch keine Kondome mehr verwendet werden: Die meisten sind auf Prep. «Aber eben nicht wirklich alle», sagt er. «Ein 28-Jähriger sagte mir kürzlich, dass er sich die Pille nicht leisten könne und einfach hoffe, dass sich die anderen schützen. Das ist für ein reiches Land wie die Schweiz ein Armutszeugnis: Jemand, der genau weiss, was er tun könnte, es sogar tun will, aber einfach nicht genug verdient, um Selbstbehalt und Franchise der Krankenkasse zu zahlen.»
«Für uns schwule und queere Männer ist dieses Ziel erreichbar, zumindest theoretisch. Wir wissen viel, haben gute Strukturen, und die Zahl der Neuinfektionen sinkt»
Florian Vock
Ziel 2030: Nicht für alle gleich realistisch Die Vision bleibt klar: Bis 2030 soll es keine neuen HIV-Übertragungen mehr geben – ein Ziel von UNAIDS, dem sich die Schweiz verpflichtet hat. «Für uns schwule und queere Männer ist dieses Ziel erreichbar, zumindest theoretisch. Wir wissen viel, haben gute Strukturen, und die Zahl der Neuinfektionen sinkt», erklärt Vock. Doch es gibt Gruppen, für die dieses Ziel deutlich schwieriger zu erreichen sind.
Dazu zählen heterosexuelle Menschen in prekären Lebenssituationen – darunter Migrant*innen, trans Frauen, Menschen mit Drogenkonsum oder solche, die sich im Rahmen von Auslandsreisen infizieren. Oft fehle diesen Menschen das Wissen, der Zugang zur Prävention oder einfach die Aufmerksamkeit für das Thema.
«Heterosexuelle reisen in Länder mit hoher HIV-Prävalenz, wissen aber nichts über das Risiko. Schwule Männer bereiten sich vor – vorher mit Infos, während mit Prep oder Kondomen und anschliessenden Tests. Heteros oft nicht. Das ist ein Problem», sagt Vock. Das wiege umso mehr, weil das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei «Love Life», der nationalen Informationskampagne zu HIV, in den nächsten Jahren massiv sparen müsse.
Es gibt allerdings eine weitere schwer erreichbare Zielgruppe: Männer, die Sex mit Männern haben, aber das nicht als schwul oder bi verstehen, und Sex oft anonym und versteckt haben. «Sie meiden oft aus Scham den Kontakt zu Präventionsangeboten», sagt Vock. Für sie will die Aids-Hilfe Schweiz neue Projekte entwickeln, um sie zum Testen zu animieren. «Erste Rückmeldungen zeigen, dass so erstmals Personen erreicht werden, die noch nie einen Test gemacht haben.»
Wer trägt die politische Verantwortung? Vock kritisiert, dass politische Rahmenbedingungen der HIV-Prävention zunehmend im Weg stehen. Obwohl Fachpersonen sich einig seien, dass es kostenlose Tests für bestimmte Schlüsselgruppen bräuchte, scheitere die Umsetzung häufig an der Zuständigkeitsfrage: Bund, Kantone, Städte und Krankenkassen schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
Dabei wären die Kosten überschaubar. Vock rechnet vor: «Zwei kostenlose Tests pro Jahr für rund 200'000 Menschen würden etwa 10 Millionen Franken jährlich kosten. Zum Vergleich: Die lebenslangen Behandlungskosten einer einzigen HIV-Neuinfektion betragen rund eine Million Franken.»
«Man kann HIV-Prävention jetzt stoppen – aber dann zahlen wir für die nächsten 80 Jahre die Behandlungskosten.»
Florian Vock
Trotzdem sparen Bund und Kantone an der Prävention – etwa mit einem Sparprogramm des Bundesamts für Gesundheit oder gestrichenen Beiträgen an UNAIDS. Für Vock ist das kurzsichtig: «Man kann HIV-Prävention jetzt stoppen – aber dann zahlen wir für die nächsten 80 Jahre die Behandlungskosten.» Im Herbst 2024 startete die Aids-Hilfe Schweiz eine Petition für kostenlose Tests, sie werde gerade in ihrem 40-jährigen Jubiläumsjahr kämpferisch für die Gesundheit kämpfen.
Für die kommenden Jahre wünscht sich Vock mehr als nur technische oder medizinische Lösungen. Es gehe um kollektive Verantwortung, Zugang zu Informationen und den Abbau von Stigmatisierung. Denn: «Wer mit HIV lebt, regelmässig Medikamente einnimmt und gut versorgt ist, trägt massgeblich zur Verhinderung neuer Infektionen bei», sagt Vock.
«Das Ziel ist erreichbar – wenn wir gemeinsam handeln», sagt er. «Wenn Communitys zusammenstehen, Politik Verantwortung übernimmt und Prävention strukturell gesichert wird, dann kann die Schweiz 2030 tatsächlich eine Erfolgsgeschichte schreiben.»
Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung von Gilead Sciences realisiert.
Über Gilead Sciences
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Gilead Sciences, Inc. ist ein biopharmazeutisches Unternehmen, das seit mehr als drei Jahrzehnten medizinische Durchbrüche anstrebt und erreicht, mit dem Ziel, eine gesündere Welt für alle Menschen zu schaffen. Das Unternehmen engagiert sich für die Weiterentwicklung innovativer Medikamente zur Vorbeugung und Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten wie HIV, virale Hepatitis, COVID-19 und Krebs. Gilead hat seinen Hauptsitz in Foster City, Kalifornien, und ist weltweit in mehr als 35 Ländern tätig.
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