Das steckt hinter dem Hype um Taylor Swift
Die LGBTIQ-Verbündete gastiert in Gelsenkirchen
Für ihre Fans verkörpert Taylor Swift Nähe und Freundschaft. Hinter ihrer beispiellosen Karriere steckt aber viel mehr. Ein Blick auf Swift und ihre Lieder zum Start der Deutschland-Tour.
US-Superstar Taylor Swift kommt am Mittwoch nach Gelsenkirchen, wenige Tage später nach Hamburg und München. Hunderttausende Fans, meist junge Frauen in paillettenbestickten Outfits, aber auch etliche Queers werden ihr zujubeln. Was steckt hinter dem Hype um Swifts «Eras Tour»? Eine Erklärung – und eine Playlist.
«We Are Never Ever Getting Back Together» – Die Musik Der 34-Jährigen ist gelungen, was in Zeiten von Streaming-Diensten und sozialen Medien immer schwieriger wird: Über einen Zeitraum von bald 20 Jahren musikalisch relevant zu bleiben und dabei ihre Karriere selbst zu steuern. «Qualität gepaart mit Kontinuität» sei der Hauptfaktor für ihren Erfolg, sagt der Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp von der Universität Bamberg. Die Reihe ihrer gut gemachten, eingängigen Hits ist länger als bei anderen Popstars – das zeigt sich auch in der Liste ihrer Charterfolge und Auszeichnungen.
Angefangen hat alles im Country. Wohlhabende Eltern ermöglichen der Teenagerin, von Pennsylvania nach Nashville, Tennessee zu ziehen und dort ihr Glück als Sängerin zu versuchen. Ihr Debütalbum «Taylor Swift» veröffentlicht sie mit 16. Mit dem vierten Studioalbum «Red» (2012) baut sich Swift dann eine Brücke in den Pop – die Single «We Are Never Ever Getting Back Together» wird ihr erster Nummer-Eins-Hit in den US-amerikanischen Billboard-Charts. Die folgenden Platten «1989», «Reputation» und «Lover» zementieren ihren Platz an der Spitze der Popindustrie.
«The Prophecy» – Die Texte Swifts wichtigstes Merkmal als Musikerin bleiben aber ihre Texte. Das Geschichtenerzählen aus dem Country, das Auge für die Alltagsmomente hat sie sich bewahrt. Sie schreibt über sich und ihr Leben, kommuniziert über die Geschichten mit ihren Fans. Ihre Verse werden mittlerweile auch an Hochschulen besprochen – nicht zuletzt an der Harvard-Universität.
In den Zeilen geht es etwa um Freundschaft und das Erwachsenwerden. Die bestimmenden Themen sind oft allerdings Liebe und Liebeskummer. Mit ihrem Ruf als «Heartbreak Writer», also Herzschmerz-Autorin, setzt sich Swift auf ihrem aktuellen Album «The Tortured Poets Department» auseinander: «I’m so afraid I sealed my fate / No sign of soulmates», singt sie in dem Lied «The Prophecy».
«Cardigan» – Die Swifties Swifts Lieder bieten vor allem jungen Frauen Identifikation. Ihre Fans nennen sich Swifties, allein auf Instagram folgen ihr 283 Millionen Menschen. Die Swifties gelten als romantisch – auf Konzerten tauschen sie etwa Freundschaftsbänder miteinander -, aber auch als enthusiastische Kämpfer*innen für ihr Idol.
Durch ihre Alben «Folklore» und «Evermore» (beide 2020), darauf etwa der Song «Cardigan», sei Swift in den Feuilletons angekommen, sagt Glasenapp. Seitdem werde sie erheblich seltener als «Künstlerin für kleine Mädchen» abgetan. «Das war lange der Fall, weil unsere patriarchale Gesellschaft leider gerne das abwertet, wofür sich junge Frauen oder Teenager*innen begeistern.»
«Mastermind» – Die «Eras Tour» Auch wenn Swift spätestens seit «1989» (2014) ein Superstar ist – ihre 2023 gestartete Welttournee hat die Euphorie noch einmal befeuert. Die «Eras Tour» ist ein Ritt durch die gesamte Karriere der Sängerin. Dreieinhalb Stunden dauert jedes Konzert, 45 Songs stehen auf der Setlist. Jedem Album, also jeder Ära ihrer Musik, widmet Swift eigene Bühnenbilder. Die detailverliebte Show wird seit der Premiere fast dauerhaft im Netz diskutiert. Immer wieder loben Swifties die Sängerin als «mastermind» – in Anspielung auf den gleichnamigen Song.
Die letzte Deutschlandtour der Musikerin ist sogar neun Jahre her. Nun gibt sie sieben Konzerte. Auch die waren jeweils nach wenigen Minuten ausverkauft. Den Anfang macht Gelsenkirchen. Die Ruhrgebietsstadt erwartet an drei Abenden 210’000 Konzertgäste, München rund 140’000 und Hamburg etwa 100’000.
«The Man» – Der Wirtschaftsfaktor Mit ihrer Fangemeinde habe Swift ein Wirtschaftsimperium aufgebaut, sagt der Wiener Musikwirtschaftsforscher Peter Tschmuck. Davon profitieren auch die Regionen: In den USA geben Swifties im Schnitt 1’300 US-Dollar für den Konzertbesuch inklusive Unterkunft, Essen und Merchandise aus, wie eine Umfrage des Common Sense Institute ergab. Auch für die deutschen «Eras»-Städte erwarten die Dehoga-Landesverbände ein Plus im Gastgewerbe und bei den Freizeitausgaben – vor allem bei Aufenthalten über den Konzerttag hinaus.
Der Konzerttourismus boomt. Da Tickets in den USA und Kanada teurer sind als in Europa, fliegen Swifties auch über den Atlantik. «Das Publikum ist bei jedem ihrer Auftritte ganz und gar international», sagt Glasenapp, der mehrere «Eras»-Shows besucht hat. «Für das Klima ist das natürlich eine Katastrophe, das muss man auch sagen.» In Facebook-Gruppen tauschen internationale Fans Tipps zu Übernachtungsmöglichkeiten und zum Nahverkehr in Deutschland aus.
Swift hätte durchaus die Möglichkeit, den Ticketmarkt in den USA etwa durch einen Verzicht auf gigantische Vorschüsse zu beeinflussen, erläutert Tschmuck. Sie entscheide sich aber dagegen. Swift würde auf diese Kritik vermutlich antworten, dass Zurückhaltung selten von männlichen Stars gefordert wird. Mit «The Man» widmet sie den Erwartungen an Frauen in der Musikindustrie auch einen eigenen Song.
«You Need to Calm Down» – Die Politik Zu Beginn ihrer Karriere wird Swift dafür kritisiert, sich als unpolitische Countrysängerin zu geben. Das ändert sich in jüngeren Jahren – sie beginnt, ihre Stimme für Diversität und LGBTIQ-Rechte zu nutzen, etwa im Lied «You Need to Calm Down». Auch für die US-Demokrat*innen spricht sie sich aus. Nach einem Aufruf von Swift auf Instagram werden 2023 in kürzester Zeit 35’000 neue Wahl-Registrierungen gezählt.
«Taylor ist ein Phänomen, das den auf Spaltung setzenden Putins und Trumps, den hypermaskulin auftretenden alten Männern, diametral gegenübersteht», sagt Glasenapp. Ihr Feminismus sei nicht besonders intersektional – berücksichtige also nicht mehrfach diskriminierte Gruppen -, aber erreiche viele. Ob Swift versuchen könnte, eine Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident zu verhindern, wird seit Monaten diskutiert. Glasenapp ist sicher, dass sie sich zu einem Zeitpunkt äussern werde, «wo es Trump am meisten wehtut».
«Miss Americana & The Heartbreak Prince» – Die Mainstream-Königin Die begabte Songwriterin, die clevere Geschäftsfrau, die strahlende Freundin von nebenan, die vielleicht mächtigste Frau der USA – Taylor Swift vereint diese Personen zu einem Gesamtbild, an dem Kritik mittlerweile zerschellt. «Sie ist ein Star, der wahrgenommen wird als divers, bunt, inklusiv, feministisch – und dabei zutiefst amerikanisch», erklärt Glasenapp. Sie sei «Mainstream im allerbesten Sinne».
Swift steht für den jungen, weiblichen, amerikanischen Traum. Einen seltenen Einblick in dieses Leben gewährte sie 2020 mit der Dokumentation «Miss Americana», angelehnt an den Song «Miss Americana & The Heartbreak Prince». Und weil bei ihr nichts Zufall ist, beginnt auch jedes Konzert der «Eras Tour» mit diesem Lied. «It’s been a long time coming», singt sie darin – es hat sich lange angebahnt.
Das lateinische Wort omni bedeutet «ganz», «jeder» oder «alles». So hat der britische Musiker Douglas Dare sein neues Album betitelt. Und tatsächlich hat die Platte etwas Allgegenwärtiges, Weltenumspannendes (MANNSCHAFT+).
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