Jens Spahn und Matthias Miersch: Zwei schwule Männer werden Fraktionschefs

Der Parteilinke der SPD und der Wertkonservative der CDU sind die neuen mächtigen Männer in Deutschland

Jens Spahn (CDU, l.) und Matthias Miersch (SPD)
Jens Spahn (CDU, l.) und Matthias Miersch (SPD) (Bild: Michael Kappeler/Kay Nietfeld/dpa)

Jens Spahn war als Wirtschaftsminister im Gespräch. Doch das Amt, das er jetzt übernimmt, ist wesentlich mächtiger: Der einstige Konkurrent von Friedrich Merz ist neuer Unions-Fraktionsvorsitzender. Gleichzeitig übernimmt der bisherige SPD-Generalsekretär Matthias Miersch diese Position bei den Sozialdemokrat*innen.

Unter Kanzlerin Angela Merkel war er Gesundheitsminister – nun soll er für Friedrich Merz die Unionsfraktion im Bundestag auf Linie halten: Jens Spahn. Der 44 Jahre alte Westfale sitzt seit mehr als 20 Jahren im Parlament. In der Oppositionszeit der Union nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 war er einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Er engagierte sich vor allem in der Wirtschaftspolitik.

Als Gesundheitsminister in der Corona-Krise und zuvor als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium sammelte Spahn einiges an Regierungserfahrung. Beim Aushandeln des Koalitionsvertrages mit der SPD sass er in der Arbeitsgruppe Wirtschaft. Das löste Spekulationen aus, er könne neuer Bundeswirtschaftsminister werden.

Kandidatur gegen Merz für Amt des Parteichefs

Seinen Wahlkreis «Steinfurt I - Borken I» gewann der CDU-Mann seit 2002 stets direkt, bei der jüngsten Bundestagswahl mit fast 42 Prozent der Erststimmen. Innerparteilich flogen dem gelernten Bankkaufmann und studierten Politikwissenschaftler bisher aber nicht gerade die Herzen zu.

So fuhr er im Dezember 2018 im Dreikampf um die Merkel-Nachfolge an der CDU-Spitze das schlechteste Ergebnis ein – hinter Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer, die am Ende die Stichwahl gegen Merz gewann.

Als die CDU nur gut zwei Jahre später im Januar 2021 eine Nachfolger*in für die glücklose Kramp-Karrenbauer suchte, kandidierte Spahn zwar nicht selbst. Er unterstützte aber NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der dafür sorgte, dass Merz erneut das Nachsehen hatte. Bei der folgenden Wahl der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden erzielte Spahn wiederum das schlechteste Ergebnis.

Bei der Wahl zum Fraktionschef kam Spahn jetzt allerdings auf mehr als 90 Prozent - was Merz von einem «historischen Tag für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion» schwärmen liess.

Können künftige Fraktionschefs von Union und SPD miteinander?

Als Fraktionschef wird Spahn massgeblich mitverantwortlich für das Verhältnis zum Koalitionspartner SPD sein. In der deutschen Parlamentsgeschichte gibt es geradezu legendäre Gespanne wie Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD), die unter Kanzlerin Merkel den Koalitionsladen zusammenhielten und darüber sogar Freunde wurden. Wie eng das Verhältnis von Spahn und dem designierten SPD-Fraktionschef Matthias Miersch wird, wird sich zeigen müssen.

Nach seiner Wahl betonte Spahn jedenfalls mit Blick auf den Koalitionspartner SPD, man wolle nicht auf den «kurzfristigen Geländegewinn» schielen. Es gehe vielmehr darum, gemeinsam gute Lösungen für das Land zu finden und gemeinsam als Koalition erfolgreich zu sein. «Wir wollen eine Koalition der Problemlöser sein.»

Jüngster Vorstoss zur AfD stiess auf Kritik

Zuletzt hatte Spahn eine heftige Kontroverse mit dem Vorstoss ausgelöst, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien.

In der Bild-Zeitung plädierte er dafür, die AfD bei Abläufen im Parlament, Verfahren in der Geschäftsordnung, in den Ausschüssen und der Berücksichtigung von Minderheits- und Mehrheitsrechten zu behandeln wie jede andere Oppositionspartei (MANNSCHAFT berichtete über die Kritik, die darauf folgte). Dies geschah noch vor Bekanntgabe des Verfassungsschutzes, dass die AfD als gesichert rechtsextremistisch einzustufen sei.

Rechtsanwalt aus Niedersachsen

Parallel zu Spahns Wechsel an die CDU-Spitze, wechselt auch bei der SPD-Bundestagsfraktion ein schwuler Mann an die Spitze: der bereits erwähnte 56-jährige Miersch übernimmt den Fraktionsvorsitz, während Lars Klingbeil ins Kabinett zieht.

Der bisherige SPD-Generalsekretär Miersch (der den Posten vom gleichfalls homosexuellen Kevin Kühnert übernommen hatte) soll neuer Fraktionschef der Sozialdemokraten im Bundestag werden, teilte Fraktionssprecher Ali von Wangenheim am Montag in Berlin mit.

Über Mierschs Privatleben ist – im Gegensatz zu Spahns – relativ wenig bekannt. Auf seiner Homepage vermeldet der promovierte Niedersachse, er lebe in einer eingetragenen Partnerschaft. Verschiedene Medien haben ihn in der Vergangenheit als «homosexuell» beschrieben.

Miersch ist Rechtsanwalt, hat aber politisch bisher vor allem in den Bereichen Umwelt und Klimaschutz gearbeitet. Unter anderem war er als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion von 2017 bis 2024 für diese Themen verantwortlich. In der Ampel-Regierung verhandelte er das umstrittene Heizungsgesetz mit Grünen und FDP und sammelte Ideen seiner Partei für eine bessere Industriepolitik - zur Rettung von Arbeitsplätzen und für günstigen Industriestrom.

Miersch hat aber bereits in den vergangenen Jahren keinen Hehl daraus gemacht, dass er gerne Fraktionschef wäre, er zog aber mehrmals den Kürzeren. In der Fraktion wird er flügelübergreifend geschätzt. Zugleich gilt Miersch als einer der engsten Vertrauten von Klingbeil und wird sich bemühen, dem Vizekanzler in den nächsten Jahren die Rückendeckung der Fraktion zu sichern.

Amt des Queerbeauftraten soll bleiben

Ob das neue Power-Tandem etwas damit zu tun hat, dass das Amt des Queerbeauftragten der Bundesregierung erhalten bleibt? Wie das Nachrichtenmagazin Focus berichtet, sollen zwar 25 Beauftragte, Sonderbeauftragte und Koordinator*innen in der neuen Regierung wegfallen, allerdings nicht der Posten des*der Queerbeauftragten. Wer das Amt übernehmen wird – nach Sven Lehmann – sei derzeit völlig offen, heisst es in verschiedenen Medienberichten.

Der Posten ist im Bundesfamilienministerium angesiedelt, dass – sollte Merz zum Kanzler gewählt werden – von der schleswig-holsteinischen CDU-Politikerin Karin Prien angeführt werden soll.

Derweil ist Merz im Bundestag beim ersten Wahlgang überraschend durchgefallen. Es ist ein Scheitern, das es so noch nie gegeben hat, schreibt dpa. Wie es mit ihm nun weitergeht, sei demnach unklar. Der 69-Jährige erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit sechs weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.

Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik in der Form ein Novum: Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein*e designierte'r Kanzler*in bei der Wahl im Bundestag gescheitert.

Wie geht es weiter?

Die Anzeichen mehren sich, dass es einen neuen Wahlgang frühestens am Mittwoch geben könnte. Endgültige Klarheit gab es aber zunächst nicht.

Wie es aus Fraktionskreisen hiess, werde geprüft, ob ein Wahlgang am Mittwoch möglich sei, dazu müsste es dem Vernehmen nach Einigkeit mit der Opposition über gewisse Fristverkürzungen geben.

Ein zweiter Wahlgang am heutigen Dienstag gilt aber auch noch nicht als ganz ausgeschlossen.

Sven Lehmann meldet sich zu Wort

Der noch geschäftsführende Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, ist angesichts der überraschenden Entwicklungen rund um die Kanzlerwahl nach eigenen Angaben froh, dass er noch nicht offiziell aus dem Amt entlassen wurde.

«Gut, dass ich meine Entlassungsurkunde noch nicht bekommen habe», sagte er der dpa scherzhaft am Rande der Beratungen der Grünen-Fraktion im Bundestag. «Wer weiss, was noch kommt», schob Lehmann hinterher.

Lehmann erklärte, er sei vom Ergebnis der ersten Abstimmung überrascht gewesen.

Ehre auf dem Walk of Fame: Ein Stern für Green Day und Sänger Billie Joe Armstrong (MANNSCHAFT berichtete).

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