Sexarbeit in Berlin: «Lieber weniger verdienen als Kunden verlieren»
Trans Mann Casper Tate ist seit 6 Jahren im Geschäft
Rund 1950 Sexarbeiter*innen sind laut Sozialverwaltung in Berlin gemeldet – deutlich mehr als im vergangenen Jahr: Etwa ein Jahr zuvor (Stichtag 31. Mai 2024) waren es noch rund 1270.
Wir haben mit dem trans Sexarbeiter Caspar gesprochen – über Gewalt, Vaginalsex und das deutsche Prostituiertenschutzgesetz.
Als Caspar 1999 geboren wurde, galt Prostitution in Deutschland noch als sittenwidrig. 2002 änderte sich das mit dem Prostitutionsgesetz. 2017 folgte das Prostituiertenschutzgesetz. Ziel: die rechtliche Situation von Sexworker*innen stärken und Zwangsprostitution und Menschenhandel besser bekämpfen.
Erstmals wurden in Deutschland umfassende Regeln für den Betrieb eines Prostitutionsgewerbes geschaffen, so müssen sich Sexarbeitende registrieren und regelmässig gesundheitlich beraten lassen. Auch der trans Mann, der sich Caspar Tate nennt, registrierte sich als Sexarbeiter, wie es das neue Gesetz vorsah, und sagt, er zahle jedes Jahr seine Steuern.
Der heute 26-jährige Berliner hatte kurz zuvor seine Transition begonnen. Seit einem Jahr nahm er Testosteron, als er begann, mit Sexarbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vorher besuchte er den Workshop einer Sexarbeiterin und ging zur Einstiegsberatung bei Hydra, einer Interessenvertretung von Prostituierten. Es gab Informationen über Arbeitsalltag von Sexarbeitern, über Rechte und Pflichten, aber auch über die politischen Rahmenbedingungen. Danach fühlte er sich gut vorbereitet für den Job.
Die gesetzlich vorgeschriebene Gesundheitsberatung dagegen nennt er «komplett absurd». Caspar habe damals schon die PrEP genommen - eine anerkannte und sehr wirksame Safer-Sex-Methode. Doch in der vorgeschriebene Beratung habe man ihm davon abgeraten: Das Medikament sei viel zu stark. Stattdessen sei ihm ausführlich erklärt worden, dass er Handtücher und Bettwäsche regelmässig zu wechseln habe.
«Dir wird gesagt, wie du als Sexarbeiter zu arbeiten hast, aber nicht von jemandem, der sich auskennt, sondern von einer Sozialarbeiterin, die nicht oder schlecht geschult ist», sagt Caspar.
Zwar kann sich jede*r in Berlin niedrigschwellig auf sexuell übertragbare Krankheiten untersuchen lassen, etwa in den Checkpoints der Stadt, ganz ohne Registrierung. Die Gesundheitsämter in der Potsdamer Strasse nimmt er als «sehr spezialisiert auch auf Sexarbeitende» wahr.
Doch ein Problem bleibt: Ganz viele Sexarbeitende seien nicht registriert, weil sie weder Aufenthaltsgenehmigung noch Arbeitserlaubnis haben. Diese Menschen brauchen einen erleichterten Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung, sagt Caspar. Er weiss von sehr vielen Sexarbeitenden, die hohe Arztschulden haben.
Seit mittlerweile 6 Jahren macht Caspar Sexarbeit. Für trans Männer wie ihn gibt es mittlerweile eine grosse Nachfrage, gerade im Bereich MSM – also bei Männern, die Sex mit Männern haben. «Als ich anfing, war ich fast der einzige trans Mann auf den gängigen Plattformen.»
Seine Kunden findet Caspar über Online-Plattformen und fährt zu ihnen nach Hause, trifft sie im Hotel oder im Auto. Die meisten Kunden sind 40 oder älter. Viele von ihnen haben Erektionsprobleme, erzählt Caspar, darum kommen sie gerne zu ihm. «Für sie ist es leichter, Vaginalsex zu haben als Analsex. Ich habe auch sehr, häufig schwule Männer, die mich buchen, um mal Vaginalsex zu haben, aber den wollen sie eben nicht mit einer Frau haben.»
Zudem bietet er einen Begleitservice an, darunter die sogenannte «Boyfriend Experience”. Hier gibt er vor, mit dem Kunden eine Beziehung zu führen, sie fahren gemeinsam in den Urlaub, gehen ins Kino. Die Männer wollen natürlich auch Sex haben, sagt Caspar. «Aber es geht auch viel um Einsamkeit, um körperliche Nähe oder einfach eine Unterhaltung.»
Manchmal arbeitet er ausserhalb von Berlin, hat Kundentermine in kleineren Städten, wo er ein paar Tage bleibt. Da ist er dann der einzige trans Mann und hat keine Konkurrenz, so wie in Berlin. In Thüringen zum Beispiel, da trifft er viel mehr ungeoutete Männer als in der Hauptstadt und solche, die zum allerersten Mal in schwulen Sex haben, auch jüngere Männer. Allerdings nie ausserhalb von Deutschland. «Sonst müsste ich mich immer erst mit der Gesetzgebung auseinandersetzen», sagt Caspar.
Bei seiner Arbeit hat er auch schon Gewalt erlebt. Der Frage nach Sicherheitsvorkehrungen begegnet er mit einer berechtigten Gegenfrage: «Welche Vorsichtsnahmen treffen schwule Männer, wenn sie ein schwules Sex Date haben?” Immerhin gibt es genug Übergriffe bei vermeintlichen Dates, die sich als Falle herausstellen.
Caspar findet, seine Termine mit Kunden sind nicht viel anders als ein normales Sexdate. Trotzdem lässt er Freund*innen oft wissen, wo seine Termine stattfinden. Und wenn er die Wohnung eines Kunden betritt oder deren Hotelzimmer, orientiert er sich als erstes: Wo ist die Toilette? Ist der Raum abschliessbar? «Wenn etwas passiert und ich es nicht zur Tür schaffe, um die Wohnung zu verlassen, könnte ich mich wenigstens im Bad einschliessen.»
Noch eine Vorsichtsmassnahme: Er rührt keine Getränke an, die er nicht selber geöffnet hat. Alkohol trinkt er ohnehin nicht, nimmt auch keine Drogen mit seinen Kunden. Was er grundsätzlich auch nicht fragwürdig findet oder bewerten möchte. «Wer mit Kunden Drogen und Alkohol konsumiert, arbeitet nicht automatisch unsicher oder riskant», findet Caspar.
Einmal wurde Caspar von einem Kunden ins Gesicht geschlagen. Angezeigt hat er ihn nicht, obwohl er seinen Namen hatte, die Adresse, sogar ein Foto. Wie viele Sexarbeiter*innen glaubt er nicht, dass die Polizei ihm helfen kann oder will. Das Vertrauen in die Behörden ist nicht sehr ausgeprägt.
Dafür hat sich ein eigenes Warnsystem unter Berliner Sexarbeitenden etabliert. Chatgruppen, in denen Bilder geteilt werden, von Kunden, die gewaltätig geworden sind, dazu Nummern und Kontaktdaten. Oder von Leuten, die mit Red Flags aufgefallen sind: Wenn sie besonders unhöflich kommunizieren, sich rassistisch oder transfeindlich äussern oder den Preis verhandeln wollen.
Acht Jahre gibt es in Deutschland nun das Prostitutionsgesetz. Der Verein Trans*sexworks, in dem sich Caspar engagiert, sprach bei der Verabschiedung des Gesetzes von einem «schlimmen Tag in der Geschichte der Sexarbeiterrechte». Denn statt Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution zu helfen, verschärfe die Zwangsregistrierung und Beurteilung durch eine staatliche Behörde das vorhandene Stigma.
Mittlerweile liegen die Ergebnisse einer Evaluation vor, für die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) rund 2.300 Sexarbeiter*innen befragt hat. Ergebnis: Nur wenige melden sich behördlich an. Zu gross ist offenbar die Angst vor Benachteiligung und um die Sicherheit der Daten. Denn die werden automatisch ans Finanzamt weitergeleitet. Die Sorge: Man wird bei der Wohungssuche diskrimiert oder bei eventuellen Sorgerechtsstreitigkeiten um ein Kind, wenn die Sexarbeit den Behörden bekannt ist. Und tatsächlich seien Namen nicht datenschutzkonform in E-Mails oder in Telefonaten weitergegeben worden, sagt Caspar.
Der Sexarbeiter glaubt: «Es geht nur darum, uns zu kontrollieren und zu überwachen». Sicherheit habe das Gesetz jedenfalls nicht gebracht. Im Gegenteil: «Wer ohne Registrierung arbeitet, kann bei Gewaltvorfällen keine Hilfe holen oder Anzeige erstatten.»
Was die Evaluation auch zeigt: Eine Mehrheit von 57 Prozent der Befragten sagen, dass Sexarbeit für sie eine ganz normale Arbeit sei. Nur knapp sieben Prozent gaben an, unter Zwang oder aufgrund von Drohungen in die Prostitution eingestiegen zu sein. Caspar sieht sich bestätigt. «Dabei behaupten Kritiker häufig, es sei fast immer Zwangsprostitution. Das Gegenteil ist der Fall.»
Eine Schwäche der Evaluation vom Kriminologischen Forschungsinstitut: Die Daten zur geschlechtlichen Identität sind unzuverlässlig, bemängelt Caspar. Er und andere Aktivist*innen hatten sich Zahlen über trans Sexarbeiter*innen erhofft.
Beim Geschlecht konnten die Teilnehmenden nur männlich, weiblich oder nicht-binär anklicken. Erst wenn man auf nicht-binär geklickt hat, gab es weitere Auswahlmöglichkeiten, nämlich trans Frau oder trans Mann. «Am Ende haben nur einige wenige trans angeklickt, obwohl vermutet wird, dass mindestens 20% der Sexarbeitenden schwule Männer oder trans Personen sind.»
In den letzten Jahren ist Sexarbeit als Einnahmequelle weniger verlässlich geworden. Die Preise sind gefallen. Gleichzeitig gibt es eine erhöhte Nachfrage nach kondomlosen Sex, auch bei den Heterokolleginnen. «Man muss viel mehr Risiken eingehen und geht irgendwann auch mit dem Preis runter: Lieber verdient man 20 EUR weniger die Stunde, als einen Kunden zu verlieren.»
Caspar hat Glück. Einige Stammkunden buchen ihn schon seit Jahren. Wie es weitergeht, weiss er noch nicht. Er hat mittlerweile einen zweiten Job, als Sachbearbeiter in einem Büro. Und demnächst will er ein Studium beginnen, Sozialarbeit.
Kurz nachdem Caspar mit Sexarbeit begonnen hat, fing er an, sich auch politisch zu engagieren, bei Trans*sexworks und in anderen Gruppen. Auf die Idee, sich für seine Arbeit zu schämen, kam er so gar nicht erst. «Wozu auch? Scham ermöglich erst Stigmatisierung und Diskriminierung und sie führt dazu, dass wir noch mehr Gewalt erleben, noch mehr isoliert werden.»
Auf jeden Fall wird er sich weiter für engagieren, gegen ein Sexkaufverbot kämpfen, wie es etwa in Schweden und Norwegen schon existiert. Und er hilft anderen Sexarbeitenden in Berlin. Mit den Aktivistinnen von Trans*sexworks verteilt er mehrmals die Woche nachts am Trans-Strassenstrich in der Frobenstrasse Hygieneprodukte, Kondome sowie Safer-use-Produkte für Drogenkonsumierende. Dort komme es auch immer wieder zu Gewalt gegen Sexarbeitende, mit Pfefferspray und mit Messern, was die Polizei im Bereich Frobenstrasse nicht bestätigen kann. «Die Fallzahlen hierzu sind rückläufig", heisst es auf MANNSCHAFT-Anfrage.
Sein Verein wollte vor ein paar Jahren ein Nachtcafé beim Strassenstrich eröffnen, damit Sexarbeitende bei Übergriffen auch nachts schnell Hilfe erhalten können. Die Fördermittel waren schon sicher, auch einen Mietvertrag gab es schon. «Leider hat der Vermieter im letzten Moment einen Rückzieher gemacht und lieber an ein Zahnlabor vermietet.”
Queere Personen sind zunehmend von Hasskriminalität betroffen. Im Vorjahr registrierte die Polizei einen Anstieg der Fälle von über 60 Prozent (MANNSCHAFT berichtete).
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