Mein Leben auf OnlyFans: Zwischen Online-Prostitution und Selbstverwirklichung
Im Lockdown lautet das Motto für viele: Homeoffice. Chris Heart (30) hat einen OnlyFans-Account gestartet, wo Abonnent*innen monatlich bezahlen, ihm beim Masturbieren zuhause zuzuschauen. Für ihn ein Befreiungsschlag!
Jenseits von Silicon Valley und unterm Radar der öffentlichen Wahrnehmung hat sich die Videoplattform OnlyFans zur neuen Interneterfolgsgeschichte entwickelt. Dort zahlen Fans monatlich für ein Abo, das es ihnen erlaubt, Personen ihrer Wahl vorwiegend beim Sex zuzuschauen. Jeder kann mitmachen, jeder kann mitverdienen. Über 700.000 Menschen bieten laut neuesten Medienberichten bereits Filme und Fotos an, mehr als 50 Millionen Nutzer sind registriert. Wir sprachen mit dem Supermarktfilialleiter Christian H. in Berlin, der sich als «Chris Heart» bei OnlyFans auslebt.
Hallo Chris! Ich habe dich neulich im Podcast Niccis Quickie im Gespräch zu OnlyFans gehört und war überrascht, wie offen und humorvoll du mit dem Thema umgehst. Ich sehe mich da ein bisschen als Tabubrecher, um endlich mal locker über das Thema zu sprechen, statt es immer nur abzutun… (lacht) Ich habe mich anfangs ehrlicherweise auch schwer getan, damit offen umzugehen. Aber mein Gott… es gibt schlimmeres im Leben, als einen OnlyFans-Account zu betreiben!
Wie bist du denn zuerst auf OnlyFans als Plattform aufmerksam geworden? Ich habe 2018 via Facebook einen Artikel darüber gelesen, dass Leute aus den USA OnlyFans benutzen. Damals habe ich das in einem Kommentar lächerlich gemacht und geschrieben, es sei «die neue Online-Prostitution, wo wir Schwule uns für Geld im Internet anbieten».
Wieso hast du dich dann selbst entschieden, bei dieser Online-Prostitution mitzumachen? Ich hatte schon immer einen Hang zu provozieren, auf Instagram zu «teasen» und Dinge zu zeigen, die anecken. Dafür bin ich bei Instagram mehrfach gesperrt worden, meine Bilder wurden wiederholt gelöscht. Daraufhin sagte irgendwann jemand zu mir, ich sollte doch einfach mal einen OnlyFans-Account starten. Das habe ich dieses Jahr zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns schliesslich getan.
Als Homeoffice 2.0? (lacht) Ich wollte es einfach mal probieren und habe ein Profil erstellt. Das ging relativ schnell. Dann habe ich es auf Instagram und Twitter promoted. Und habe gesehen, dass Leute sich dafür interessieren. Also habe ich weitergemacht.
Wieso macht es dir solchen Spass anzuecken und zu provozieren? Ich komme aus einer relativ kleinen Stadt, in der Schwulsein verpönt ist und der stereotype Homo Friseur oder Blumenhändler ist, mit kleinem Herrenhandtäschchen und Hund. Deshalb war mein eigenes Outing schwierig, weil das Bild vieler Leute um mich herum eben dieses «Idealbild» eines Schwulen war. Ich habe damals Instagram benutzt, um zu zeigen: Man kann auch anders aussehen und trotzdem schwul sein! Durch das Provozieren mit entsprechenden Bildern gab’s ziemlich viel Feedback, meist positiv. Und so habe ich mich in der Rolle des «provozierenden Schwulen aus der Kleinstadt» manövriert und wohl gefühlt. Ab einem gewissen «Provokationsgrad» wird man auf Instagram wie erwähnt gesperrt, wegen Verletzung der «Community»-Richtlinien. Da war OnlyFans der logische nächste Schritt – ausserdem kann man damit ein bisschen Geld verdienen. (lacht)
Von Klischeebildern gesprochen: Als bärtiger durchtrainierter blauäugiger Holzfällertyp um die 30 bist du ja auch nicht gerade untypisch, oder? Nee, überhaupt nicht. (lacht) Natürlich entspreche ich mit meinem Aussehen einer gewissen Sparte. Aber ich denke nicht wirklich darüber nach, damit in eine bestimmte Szene reinzurutschen. Ich persönlich finde die Tatsache, dass sich die schwule Community gegenseitig kategorisiert, furchtbar, besonders wenn’s darum geht, diejenigen, die nicht in bestimmte Kategorien passen, zu «shamen». Das kommt ja besonders in sozialen Medien immer wieder vor. Für mich ist der schwule Friseur mit Handtäschchen und Hund ein genauso toller Teil der Community wie jeder andere auch. Nur sollte weder das eine noch das andere Klischee zum Massstab für alle erhoben werden.
Was für Reaktionen bekommst du denn auf deine Instagram-Posts? Positive und super viele. Ich bin tatsächlich auch nach der 100. Nachricht immer noch sehr gerührt über die entsprechenden Kommentare und Zuschriften. Und ich freue mich über solches Feedback. Ich weiss aber auch: Das ist «online», das ist nicht die «reale» Welt. Ich verkörpere für viele eine Fantasie, die sie mögen. Klar, da kommen auch verrückte Nachrichten, dass jemand gern Sex mit mir hätte oder sonst irgendwelche Dinge mit mir ausleben will. Das schmeichelt mir. (lacht)
Du siehst so etwas nicht als Form von sexueller Belästigung und fühlst dich nicht objektifiziert? Überhaupt nicht. Ich stelle mich bewusst mit einem geflexten Bizeps vor die Kamera… da kann ich auf der anderen Seite nicht erwarten, dass Leute nicht darauf reagieren bzw. ihnen vorwerfen, sie gingen «nur» auf mein Äusseres ein. Ich mache das bewusst, und ich fühle mich in keinster Weise «reduziert». Bei dem was ich «ausstrahle» muss ich einkalkulieren, was zurückkommt. Die Online-Personality, die wir alle haben, entspricht jedoch nicht dem, wer ich privat bin. Das wissen auch die Menschen, die mich wirklich kennen. Generell bin ich ein sehr emotionaler und warmherziger Mensch, aber in der Ausstrahlung wirke ich – sexuell gesprochen – «rough» und aggressiv. Das ist okay. Aber als Privatperson sieht die Welt anders aus. (lacht)
Ist es typisch für unsere Zeit, dass jeder eine «fiktive» Online Personality kreiert? Ich glaube schon, dass jeder auf Social Media versucht, ein Leben darzustellen, das mit der richtigen Person wenig zu tun hat. Das ist in Ordnung, solange ich selbst weiss, dass ich unterm Strich nicht der bin, als der ich mich auf Instagram präsentiere.
Siehst du dich als Sexarbeiter? Ich sehe mich selber nicht als Sexarbeiter, ich mache OnlyFans eher als eine Art Hobby. Als eine Möglichkeit, meine rebellische Seite auszuleben und damit zusätzlich Geld zu verdienen, neben meinem Hauptjob. Die Frage nach der Prostitution habe ich allerdings schon öfter gestellt bekommen. Mir ist es egal, wie andere das sehen und definieren. Ich selbst fühle mich nicht als Prostituierter.
Die Frage nach der Prostitution habe ich schon öfter gestellt bekommen. Mir ist es egal, wie andere das sehen und definieren
Warum nicht? Weil für mich der Spass, Filme und Fotos hochzuladen, über dem Gedanken steht, damit Geld zu verdienen.
Wie hat denn OnlyFans dein Selbstbild verändert? Eigentlich nicht so viel. (lacht) Der Reiz, das zu machen und mich mit kompletter Nacktheit öffentlich auszuleben, hat mir nicht den grossen Kick gegeben, den ich erwartet hatte. Leider. (lacht) Mein Gedanke war ursprünglich, dass ich das geil finden würde, wenn ich zuhause sitze und mir einen runterhole, das filme und online stelle. Auch wegen der Reaktionen, die ich erwartete. Ich stellte mir vor, damit würde ich noch mehr Grenzen überschreiten. Letztendlich liege ich allerdings nur im Bett mit meiner Kamera und meinem Penis, hole mir einen runter… und das war’s. (lacht) Deswegen ist mein Content auf OnlyFans auch relativ «human», im Vergleich zu anderen Profilen. Und ich werde das auch nicht ausbauen mit mehr Leuten, die ich zu immer aufwändigeren Sexvideos einlade. Trotzdem kann ich OnlyFans für mich als tolle Form von Selbstverwirklichung und Spass verbuchen, aber nicht als etwas, was mir sexuelle Erfüllung bringt.
Hat es deine Partnerschaften beeinflusst? Gar nicht. Vom anfänglichen Motto «Ich lad was hoch und leb mich aus und ecke an» ist es in eine Art Business umgekippt. Bei dem ich jetzt oft denke: «Ich muss was machen und hochladen, damit die Fans gefüttert werden.» Dadurch ist mein Verhältnis zu Sexualität ein bisschen anders geworden. Ich hatte und habe manchmal diesen Druck, sexuellen Content zu liefern für meine Follower. Dadurch gerate ich ab und zu unter Stress. Und das hat definitiv nichts mehr mit Selbstbefriedigung oder sexueller Freiheit zu tun. Mit meinem Freund war von Anfang an alles offen kommuniziert. Es war zwischen uns nie ein grosses Thema. Es war mein «Ding», er hatte free access und konnte alles sehen, was er wollte; aber er machte nicht mit.
Fällt es dir schwer, von performativem Online-Sex zu partnerschaftlicher Intimität zurückzufinden – worüber manche Pornodarsteller klagen, wenn sie ihre Karriere beenden? Ein Pornodarsteller, der mehrere Jahre solchen performativen Sex betreibt und alles nur für die Kamera macht, der fühlt sich sehr unter Druck gesetzt, wenn es plötzlich um leidenschaftlich-liebevollen Sex geht. Den wir alle mögen! (lacht) Da kann man nicht einfach eine Performance abliefern. Das ist bei mir auch so. Meine Fans haben dieses Bild von Chris Heart als harten Kerl im Kopf… aber so bin ich nicht, wenn ich mit meinem Freund im Bett liege. Deshalb habe ich auch meine Inhalte bei OnlyFans zuletzt ein bisschen reduziert, weil das alles nicht in eine Richtung ging, mit der ich mich identifizieren kann.
Hast du dich vorm Anlegen deines Accounts über OnlyFans informiert? Gar nicht. Ich habe keine Marktrecherche betrieben. Ich bin da völlig naiv rangegangen, obwohl ich grundsätzlich schon gern und viel recherchiere. Ich war tatsächlich erschrocken über die Leichtigkeit, mit der ich dieses Profil erstellen konnte. Ich kannte die Seite, nicht wegen der «grossen Namen», die da unterwegs sind, also bekannte Pornodarsteller, vielmehr fand ich den Gedanken interessant, Typen von nebenan beim Sex zu sehen, also diese Amateur- bzw. Reality-Porn-Schiene. Ich war dann innerhalb von zehn Sekunden mit meinem Chris-Heart-Account online und habe fünf bis zehn Videos hochgeladen. So ging das los. Ich habe mich erst später informiert zu Fragen rund um Datenschutz und Steuern.
Wie hat denn dein Steuerberater reagiert auf die Extraeinnahmen? Ich glaube da sind Steuerberater grundsätzlich sehr diskret. (lacht) Das ist das Gute an ihnen, das nichts sie wirklich schocken kann!
Als was wird es deklariert? Ganz normal als «Nebeneinkünfte», ohne genauere Beschreibung.
Gibt’s zu Weihnachten bei dir Special Content? Gute Frage. (lacht) Ich habe ja nebenbei ein kleines T-Shirt-Business, da gab’s kürzlich ein Chris-Heart-Weihnachtsshirt. Für OnlyFans hatte ich mir bislang noch nichts überlegt. Aber vielleicht setze ich mir jetzt doch noch schnell eine Weihnachtsmütze auf und kleb‘ mir einen Schnurrbart an… Ich denke noch mal drüber nach, meinen treuen Followern ein Goodie zu bieten zum Ende des Jahres.
Dein ganzer Stress mit Instagram – der letztlich zu OnlyFans führte – fing ja auch zu Weihnachten an, oder? Das ist mittlerweile drei Jahre her und war damals kurz nach der Trennung von meinem Ex. Wenn ich aus einer Beziehung gehe, dann ist einer der Wege damit umzugehen, mich für eine Zeit komplett auszukotzen und freizudrehen. Im Dezember 2017 bin ich nach der Trennung auf Instagram entsprechend aktiv geworden. Als ich kurz davor war, über die Feiertage nachhause zu meinen Eltern zu fahren, hatte ich schon den Jockstrap an und einen Cockring im Gepäck. So stand ich also im Flur, hatte meine Hose an, aber kein Oberteil. Und sah mich im Spiegel. Daraus habe ich einen Post gemacht, mit der Hose relativ weit runtergezogen. Man konnte den Penisansatz sehen, über den ich einen Mistelzweig gesetzt habe.
Man konnte den Penisansatz sehen, über den ich einen Mistelzweig gesetzt habe
Was ist dann passiert? Mir haben enge Freunde geschrieben und gesagt, sie freuen sich zwar, dass ich für die Feiertage nachhause komme, aber sie würden so etwas nicht sehen wollen. Also haben sie mich vorübergehend auf stumm geschaltet. Und natürlich hat Instagram das Bild gelöscht.
Vorher haben es doch sicher auch deine Familienmitglieder gesehen. Wie gehen die mit «Chris Heart» und solchen «Provokationen» um? Sie wissen, wer ich bin und dass ich ein sehr emotionaler Menschen bin. Es gab nie gross Diskussionen darüber, was ich da online mache. Alle sind super «supportive» und sagen: «Mach‘ was du willst, und lade es hoch.» Grundsätzlich wissen sie, dass ich mit der Figur «Chris Heart» Geld verdiene, sei es über OnlyFans oder über mein T-Shirt-Label. Mit dieser Marke schaffe ich auch ein Gegengewicht zu meinem Hauptberuf, der sehr strukturiert und organisiert ist, wo ich nicht so durchdrehen und Grenzen überschreiten kann. Als «Chris Heart» kann ich auch mal Fehler machen, zu weit gehen… das ist ein Ausgleich, den ich brauche.
Was ist denn dein Hauptberuf? Ich bin Filialleiter bei einem grossen Supermarkt.
Das klingt wie aus dem neusten Ralf-König-Comic… der hat doch im Corona-Lockdown bei Konrad und Paul genau solch eine Geschichte erzählt. (MANNSCHAFT berichtete.) Echt? Das muss ich sofort recherchieren. (lacht) Natürlich ist das supergegensätzlich, auf der einen Seite 100 Mitarbeiter*innen zu leiten, deren Chef und Vorgesetzter ich bin, für die ich auf jede Frage eine Antwort haben muss… Das mache ich super gern, ich liebe einen strukturieren, hierarchischen Arbeitsalltag, ich liebe es mit Zahlen zu hantieren, Entscheidungen treffen, Dinge zu priorisieren. Deshalb brauche ich eine private Alternative, wo ich nicht von Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen abhängig bin, sondern alles selbst bestimmen kann. Natürlich spielt der Faktor «schwul» dabei eine Rolle, weil ich es liebe schwul zu sein. (lacht) Das ist das grösste Privileg, das ich habe. Mir hat gestern erst ein Mädchen geschrieben, die eines meiner T-Shirts toll findet: «Wenn ich das in meiner Kleinstadt tragen würde, würde ich dafür geshamed werden.» Aus solch einer Situation, die ich selbst nur zu gut kenne, will ich mich befreien, auch mit meinen T-Shirts, die bei manchen Entsetzen auslösen.
Natürlich spielt der Faktor «schwul» dabei eine Rolle, weil ich es liebe schwul zu sein
Was steht denn da drauf? Eins habe ich gemacht, da ist mein nackter Hintern zu sehen. Jetzt gab’s ein «Ho-Ho-Homo»-Shirt. Aber es gibt auch «Masturbation never broke my heart»… Ich finde es toll, so etwas zu tragen. Heteromänner haben seit Jahrzehnten nackte Frauen als Playboy-Poster im Spint hängen oder auf T-Shirts. Das war immer irgendwie in Ordnung und gesellschaftlich akzeptiert. Wenn aber ein nackter Männerarsch auftaucht, der noch dazu behaart und trainiert ist und auf einem T-Shirt landet, dann herrscht Skepsis. Offensichtlich sind wir mit der Akzeptanz von Schwulsein noch lange nicht da, wo wir hin sollten.
Es ist doch toll, dass ein Mädchen solch ein T-Shirt tragen will… Finde ich auch. (lacht) Langsam kommt bei mir eine kleine weibliche Fans-Base hoch; das finde ich niedlich. Denn ich glaube, dass es viele junge Frauen gibt, die auf einmal offen schwule Freunde in ihrem Umfeld haben. Und erst mal nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Wenn ich mit meinen Storys auf Instagram oder mit meinen T-Shirts dazu beitragen kann, dass diese jungen Frauen sich mit dem Thema ein bisschen wohler fühlen und einen Einblick kriegen, wie ein schwules Leben aussehen kann, finde ich das eine schöne Sache.
Vielleicht wollen die Frauen sich ja auch einfach nur an dir aufgeilen… Ich habe kürzlich erst gelesen, dass lesbische Frauen überwiegend Schwulenpornos gucken, weil sie da mit dem problematischen Frauenbild in vielen Heteropornos nicht konfrontiert sind. Weil dieses Frauenbild überhaupt nicht mehr zeitgemäss ist. Dass wir Schwulen etwas Positives zu lesbischem Sex beitragen, finde ich cool.
OnlyFans-Abos gelten jeweils für einen Monat. Wie kriegst du deine Fans dazu, ihr Abo zu verlängern? Sehr gute Frage. (lacht) Auf Instagram weiss ich, wie ein Post angekommen wird. Bei OnlyFans ist das anders. Da fehlt vielleicht ein klareres «Profil». Ich habe kürzlich jemanden gesehen, der reibt sich nackt an aufgeblasenen Plastikkrokodilen für den Swimmingpool. Und die Leute drehen total durch – er hat 20.000 Abonnenten auf Twitter und zu Spitzenzeiten 1.500 Follower auf OnlyFans. Er hat offensichtlich sein «Ding» gefunden. (lacht) Meine Schiene habe ich noch nicht so wirklich entdeckt. Aber um meine Fans beim Ball zu halten, muss ich regelmässig etwas posten. Und immer wieder was Neues und Anderes ausprobieren, statt immer nur Selbstbefriedigungsvideos-im-Bett. Wenn man da grösser und professioneller werden will, sollte man diverser sein.
Wie kommt man als User überhaupt auf einen OnlyFans-Account? Man wird sehr «random» auf Leute aufmerksam. Die OnlyFans-Homepage ist ziemlich simpel gemacht, man muss da bewusst nach Namen suchen. Da stolpert man nicht aus Versehen über einen Account. Ich habe meinen über Instagram beworben, weil ich da bereits eine kleine Reichweite hatte. Aber ich mache den grössten Teil über Twitter. Da habe ich 1.500 Follower, das ist nicht die Welt, aber sie sind super loyal. Das hat gut geklappt. Zu Spitzenzeiten hatte ich 350 Subscriber bei OnlyFans.
Zu Spitzenzeiten hatte ich 350 Subscriber bei OnlyFans
Die zahlen je 12 Dollar, oder? Ja, davon gehen 20 Prozent an die Plattform, der Rest bleibt bei mir.
Und wie reagieren deine Supermarktkolleg*innen auf deine T-Shirts, Instagram-Posts und OnlyFans-Inhalte? OnlyFans ist da kein Thema. Ich habe mal mit ein paar Mitarbeiter*innen über die Plattform gesprochen, und die waren völlig verdutzt und meinten, sie kennen es nicht. Mein T-Shirt-Label ist auch relativ unsichtbar auf der Arbeit, weil ich da in einer Position bin, wo das nicht wirklich passt. Klar haben einige Kollegen meinen Instagram-Account gefunden und tuscheln vielleicht auch darüber. Das ist okay für mich. Ich stehe zu 100 Prozent zu den Dingen, die ich tue und mache.
Schwuler «Tatort»-Kommissar beschert Topquote
Es gab mal die berühmte «Tatort»-Szene, wo Kommissar Karow ins Büro kommt, und seine Kollegen stehen vorm Computer und schauen sich ein Überwachungsvideo an, auf dem er fickt. Ist es dein Horror, dass dir das im Supermarkt passiert? Ich bin recht selbstbewusst, was meine Sexualität angeht. Das Thema Schwulsein ist bei mir auf der Arbeit offen kommuniziert. Ich habe acht Auszubildende im Alter von 16 bis 21, wo ich mich manchmal frage, in wieweit die schon mal konfrontiert worden sind mit einem Homosexuellen und welches Bild von einem Homosexuellen sie haben. Die Reaktionen waren bislang absolut positiv.
Wahrscheinlich sehen viel mehr Leute als ich glaube meine Bilder. Deshalb darf ich eine gewisse Grenze nicht überschreiten
Ich fühle mich verpflichtet, mit gutem und selbstbewusstem Beispiel voranzugehen. Wenn da also Bilder von meinem OnlyFans-Account am Schwarzen Brett auftauchen sollten, würde ich versuchen, das mit Humor zu nehmen. Wahrscheinlich sehen viel mehr Leute als ich glaube meine Bilder. Deshalb darf ich auch eine gewisse Grenze nicht überschreiten.
Wie lange denkst du, dass du dich über dein Aussehen bei OnlyFans «verkaufen» kannst? Ich glaube, ich werde mal ein toller schwuler Daddy sein, wenn ich älter bin. (lacht) Ich lebe ansonsten im Hier und Jetzt. Ich geniesse, was ich aktuell tue. Ich spreche auch gern offen darüber. Und ich wurde schon zweimal für «Prince Charming» angefragt. Das habe ich aber abgelehnt, weil das Format nicht wirklich meine Sparte ist. (lacht) OnlyFans wird für mich sicher irgendwann wieder enden. Und wenn in fünf Jahren OnlyFans und mein T-Shirt-Label nicht mehr interessant sein sollten, dann gibt es andere Dinge, bei denen ich mich mit Spass ausleben kann.
Hast du Angst, in eine Depression zu verfallen, wenn keiner mehr dich abonniert oder deine Fotos liked? Das kenne ich tatsächlich aus meinem privaten Umfeld, von einem Freund, der mir immerzu erzählte, in welchen «Kreisen» er sich noch vor zehn oder 20 Jahren bewegt hat. Und dieser Freund musste lernen damit umzugehen, dass er nicht mehr auf dem körperlichen «Höhepunkt» ist. Ich weiss, dass Depression gerade bei Schwulen ein grosses Thema ist. Mir ist klar, dass meine Zeit als junger attraktiver dynamischer Chris Heart irgendwann vorbei sein wird. Wenn’s hart auf hart kommt, habe ich tolle Freunde. Ich messe mich auch nicht an meinem Aussehen. Ich weiss, dass ich nicht unbedingt der schlecht aussehendste Mann bin. Aber ich gehe nicht mit geschwellter Brust durch die Strassen. (lacht) Das ist auch wichtig, um ein gesundes Verhältnis zu sich zu haben, wenn man irgendwann nicht mehr knackige 30 ist, sondern 50, wo man doppelt so oft ins Fitnessstudio gehen muss, um körperlich mithalten zu können. Doch das sind Äusserlichkeiten. Jeder, der ein bisschen was im Kopf hat, weiss, dass Äusserlichkeiten letztlich nicht das sind, was uns zusammenhält oder langfristig glücklich macht.
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