Deutscher Musical Theater Preis: «Willkommen Homos!»

In Berlin moderierte erstmals Jannik Schümann die Preisverleihung

Jannik Schümann und Steffi Irmen in einem «Die Amme»-Moment
Jannik Schümann und Steffi Irmen bei der Gala im Theater des Westens (Bild: Morris Mac Matzen)

Zum zehnjährigen Bestehen des Preises, der von der Deutschen Musical Akademie vergeben wird, konnte für die Gala im Berliner Theater des Westens viel LGBTIQ-Prominenz aufgeboten werden.

Das beginnt mit der Moderation des Abends, die erstmals Deutschlands bekanntester Musical-«Superfan» übernommen hat: Jannik Schümann. Nachdem er bereits vielfach über seine Liebe zum Genre gesprochen hatte – zuletzt ausführlich im Buch «Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals» –, hat er bislang selbst nur als Kind und Jugendlicher in entsprechenden Stücken mitgewirkt. Danach hat man ihm scheinbar keine weiteren Rollen angeboten, er machte stattdessen im Bereich Film und Serie gross Karriere (MANNSCHAFT berichtete).

Nun nutzte Schümann den knapp dreistündigen Abend, um seine Moderation als «Audition» zu gestalten (mit Schauspiel, Tanz und Gesang), damit Theatermanager*innen und -produzent*innen ihm in der Pause oder bei der Afterparty entsprechende Jobangebote unterbreiten könnten. Denn er wolle wieder zum Musical, sagte Schümann.

«Ernie und Bert»

Er verteilte zu diesem Zweck Visitenkarten mit den Kontaktdaten seiner Agentin im Publikum – und trat einmal mit einem «Ich war noch niemals in New York»-Minimedley auf, wo er ziemlich coole Tanz-Moves demonstrierte. Später gestand er, dass ihm gleich zwei Herren an der Bar ein unmoralisches Angebote unterbreiten wollten («Gleich zwei….?»); diese stellten sich als Ulf Leo Sommer und Peter Plate heraus, «Ernie und Bert des deutschen Musicals», wie Schümann witzelte.

Für sie wolle er «Die Amme» spielen und trat dann tatsächlich mit der entsprechenden Kostümierung auf. Bis die echte Amme, Steffie Irmen aus «Romeo und Julia» bzw. dem Spin-off «Die Amme», auf die Bühne kam und demonstrierte, was Starquality ist – in Bezug auf Stimme und raumgreifende Bühnenpräsenz.

Jannik Schümann und Steffi Irmen in einem «Die Amme»-Moment
Show-off-Moment zwischen Jannik Schümann und Steffi Irmen (Bild: Tobias Berger)

Schümann war zweifellos auch raumgreifend präsent. Und schaffte es, die sich in der Vergangenheit teils steif dahinschleppende Veranstaltung sehr gewitzt und flott erscheinen zu lassen. Zum einen holte er interessante Preispat*innen auf die Bühne, die in den jeweiligen Rubriken «Best XYZ» die Moderation übernahmen.

So zum Beispiel Andreja Schneider von den Geschwistern Pfister, die mit aufgesetztem Pseudo-Bulgarisch als Fräulein Schneider auftrat und die «Homo, Heteros und alle dazwischen» im Publikum begrüsste. Auch sonst löste sie mit ähnlichen Anspielungen viele Lacher aus bei den anwesenden Vertreter*innen der Branche und Fangemeiden im Zuschauerraum, die schon immer einen starken LGBTIQ-Anteil hatten.

«Mama, ich möchte ein Musical machen!!!»

Zum anderen holte sich Schümann Gäste auf die Bühne, der prominenteste war wohl Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Mit ihm gestaltete Schümann einen Sketch, in dem er das staubtrockene Regelwerk erklären wollte, das gilt, um für einen Preis in Frage zu kommen.

Dafür schlüpfte Wowereit in die Rolle von Schümanns Mutter, die mit Schürze am Küchentisch sitzt – mit einer riesigen Gurke in der Hand. (Über die später mehrere Witze von anderen Redner*innen gemacht wurden.) Schümann spielte dazu den musicalbegeisterten Sohn und gab eine echte Bravourperformance, die laut Hintergrundprojektion den Titel trug «Mama, ich möchte ein Musical machen!!! – ab Sommer 2027 im Theater des Westens». (Das wäre in der Tat eine reizvolle Idee, falls man das Stück in Richtung des britischen Musicalerfolgs «My Son’s a Queer (But What Can You Do About It)» bauen würde, mit den beiden.)

Klaus Wowereit und Jannik Schümann in «Mama, ich möchte ein Musical machen!!!».
Klaus Wowereit und Jannik Schümann in «Mama, ich möchte ein Musical machen!!!» (Bild: Tobias Berger)

«Feministische Stücke»

Überhaupt: Queerness. Vor der Veranstaltung sagte Musicaldarsteller Felix Heller (vom Uraufführungsteam der «Operette für zwei schwule Tenöre») zu MANNSCHAFT, was für ihn an der diesjährigen Preisverleihung toll sei, trotz des schlechten Kartenverkaufs für das Event: nämlich die vielen nominierten «feministischen Stücke».

Gemeint sind damit, laut Heller, «Die Gänsemagd» (Gebrüder Grimm Festspiele Hanau), «Die Königinnen» (Landestheater Linz) und «Kasimir und Karoline» (Staatsoper Hannover). Die dann in der Tat auch gross abräumten, «Die Königinnen» mit Musik von Thomas Zaufke sogar als «Bestes Musical».

Musicaldarsteller Felix Heller bei der Verleihung des Deutschen Musical Theater Preises 2024
Musicaldarsteller Felix Heller bei der Verleihung des Deutschen Musical Theater Preises 2024 (Bild: Privat)

Den Preis entgegen nahm fürs Landestheater Linz der künstlerische Leiter des Hauses, Matthias Davids, der mit seinem Partner (und Dramaturg) auf der Bühne stand und so wie viele andere an den Abend auch ganz selbstverständlich Diversität vorführte bzw. vorlebte. Eine Diversität, die Heller als weiteren wichtigen Punkt bei den diesjährigen Nominierungen lobte, auch die Tatsache, dass so viele Ü40-Frauen nominiert worden seien, was das Spektrum markant erweiterte, weg von der Idee, dass im Musical nur junge, schlanke, normschöne Menschen mitmachen würden. (Da war Jannik Schümann fast die Ausnahme bei der Gala.)

Nicht-binäre Darstellende

Besonders ins Auge fiel der Wandel bei Diversity, als der Preis für «Bester Darsteller in einer Nebenrolle» verliehen wurde. Denn nominiert war der*die nicht-binäre Lucas (Lucii) Sandmann aus dem Thomas-Hermanns-Musical «Berlin Non Stop» (ebenfalls Musik von Zaufke; TH Entertainment GmbH im Pfefferberg Theater, Berlin). Darin spielt Sandmann eine trans Figur – und kam am Montagabend im Abendkleid auf die Bühne, um den Preis entgegenzunehmen und gleichzeitig die Kategorien «Bester Darsteller» vs. «Beste Darstellerin» in Frage zu stellen. (Sandmann ist auch an der Produktion von «Königinnen» in Linz beteiligt und trat entsprechend mit dem Ensemble aus Österreich später nochmals auf.)

Lukas (Lucii) Sandmann nimmt den Preis in der Kategorie «Bester Darsteller in einer Nebenrolle» entgegen
Lukas (Lucii) Sandmann nimmt den Preis in der Kategorie «Bester Darsteller in einer Nebenrolle» entgegen (Bild: Morris Mac Matzen)

Explizit auf LGBTIQ-Aspekte ging Steffi Irmen ein, die den Craig-Simmons-Preis erhielt und wegen dieser Sonderkategorie nicht an die 60-Sekunden-Dankesredezeit gebunden war, an die sich alle anderen halten mussten. (Bevor sie von Anja Backhaus und der Otto-Pichler-Tanztruppe von der Komischen Oper Berlin singend von der Bühne gefegt wurden.) Irmen trug ein süffig-versautes Gedicht vor, in dem es um Sex ging, ihre Frau Chiara und vieles mehr, was an diesem sonst eher familienfreundlich aufgezogenen Abend kaum Beachtung fand. (Von Salatgurkenwitzen abgesehen.)

Steffi Irmen bei ihrer Dankesrede
Steffi Irmen bei ihrer Dankesrede (Bild: Morris Mac Matzen)

«Glitter and be Gay»

Manchen Stücken gelang das Cross-over zwischen Musical und Operette. Nach der «Operette für zwei schwule Tenöre» (die 2022 den Preis für «Beste Liedtexte» gewann; Autor Johannes Kram war mit seinem Komponisten Florian Ludewig unter den Gästen des Abends) schafft diesmal wiederum eine Operette den Sieg in dieser Kategorie: nämlich Thomas Pigor mit «Oh! Oh! Amelio», das am Gärtnerplatztheater München uraufgeführt wurde. Es wird auch im neuen Sachbuch «Glitter and be Gay Reloaded: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer» prominent diskutiert, als Beispiel für queere Post-Kosky-Operette, also eine LGBTIQ-Weiterentwicklung des Genres nach der Ära Barrie Kosky in Berlin (MANNSCHAFT berichtete).

Das Cover des Buchs «Glitter and be Gay Reloaded: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer»
Das Cover des Buchs «Glitter and be Gay Reloaded: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer» (Bild: Männerschwarm Verlag)

Weitere wichtige Preisträger*innen des Abends waren Martin G. Berger für «Beste Regie» mit «Kasimir und Karoline» (nach Ödön von Horváth), Drew Sarich als «Bester Darsteller in einer Hauptrolle» in «Kasimir und Karoline», Alexandra-Yoana Alexandrova als Maria Stuart als «Beste Darstellerin in einer Hauptrolle» mit «Königinnen», «Beste Choreographie» ging an Jonathan Huor mit «Kudamm 59» (BMG Live und pop-out im Theater des westens, Berlin). Und als Ergänzung zu Lukas (Lucii) Sandmann ein*e weitere «Berlin Non Stop»-Darstellerin, Bettina Meske, ebenfalls in der Nebenrollen-Kategorie.

Der Auftritt des «Kudamm 59»-Ensembles
Der Auftritt des «Kudamm 59»-Ensembles (Bild: Tobias Berger)

Den vielleicht eindrucksvollsten Showmoment lieferte das Ensemble von «Kudamm 59» mit einer Tanzperformance vor der Pause. Die weiteren musikalischen Einlagen hatten nur bedingt Überzeugungskraft und hoben kaum die Qualitäten der jeweiligen Werke hervor. Mehrere Besucher*innen, mit denen MANNSCHAFT sprach, betonten, dass sie über die Musikauswahl verwundert gewesen seien, denn in den Stücken hätte es viel wirkungsvollere Songs gegeben.

Sparmassnahmen Ein Ehrenpreis ging an den «Linie 1»-Schöpfer Volker Ludwig, für den Wowereit eine bewegende Laudatio hielt, in der er auch auf die geplanten Sparmassnahmen des Berliner Senats im Kulturbereich einging. Die Sparmassnahmen – die alle Bereiche des Stadtlebens betreffen, nicht nur die Kultur – müsse man besonders bei der Kultur überdenken, meinte Wowereit und bekam dafür vom Publikum viel Applaus. Ebenso wie Katharine Mehrling, die bei der Überreichung des Preises fürs «Beste Musical» ähnliches sagte. Ob eine höchstsubventionierte Kulturszene wichtiger sei als die Förderung von Kitas, Schwimmbädern oder öffentlichen Verkehrsmitteln (wo auch überall gespart werden muss), sei dahingestellt. Es ist auf alle Fälle eine spannende Diskussion zum Thema Solidarität – und Jannik Schümann betonte, dass alle Beteiligten der Gala ehrenamtlich bzw. nur gegen eine Aufwandsentschädigung mitgemacht hätten.

Klaus Wowereit hält die Laudation auf Volker Ludwig
Klaus Wowereit hält die Laudatio auf Volker Ludwig (Bild: Tillmann Triest)

Im Anschluss an die Preisverleihung fand im Foyer des Theater des Westens eine grosse Party statt. Dort suchte die scheidende Intendantin der Staatsoper Hannover, Laura Berman, vergeblich nach Vertreter*innen der Deutschen Musical Akademie, weil sie sich bedanken wollte. Als Gastgeber*innen der Veranstaltung waren sie jedoch nicht wirklich erkennbar präsent. (Berman äusserte sich entsprechend frustriert gegenüber MANNSCHAFT.)

Vergleich Hollywood

Und obwohl Schümann brillant die Regeln für die Preisvergabe erklärt hatte, blieb unklar, wer in der Akademie bei der Abstimmung eigentlich darüber entscheidet, was/wer nominiert wird und wer stimmberechtigt ist. (Analog zu Academy of Motion Pictures bei der Oscar-Verleihung in Hollywood?)

Abschluss der Gala im Theater des Westens
Abschluss der Gala im Theater des Westens (Bild: Tillmann Triest)

Viele Musicalfans, mit denen MANNSCHAFT bei der After-Party sprach, lobten die diesjährige Gala und Schümanns Moderation, weil der Abend «flüssiger» und vor allem kürzer als sonst war. Musicalfan Tobias Berger meinte gegenüber MANNSCHAFT, dass er es verwunderlich fand, wieso Steffi Irmen nicht in der Kategorie «Beste Nebendarstellerin» für ihren Aufritt als lesbische Filmregisseurin in «Kudamm 59» nominiert war, sondern für den Simmons-Sonderpreis. Der eigentlich für Themen und Personen ausserhalb des regulären Kategoriespektrums gedacht sei.

Dann hätte sie nicht ihr wunderbares Sex-und-Spass-Gedicht vortragen können

MANNSCHAFT-Staff

Aber: Hätte Irmen «nur» einen regulären Preis bekommen, wäre sie an die 60-Sekunden-Regel für ihre Dankesrede gebunden gewesen und hätte nicht ihr wunderbares Sex-und-Spass-Gedicht vortragen können. Weswegen man für die Entscheidung rückblickend doch sehr dankbar sein darf.

Übrigens werde Irmen ab nächsten Jahr mit ihrer Solo-Show «Die Amme» jeweils freitags bei «Ernie und Bert» im Theater des Westens auftreten, hiess es, wenn «Kudamm 59» dort fürs Erste abgespielt ist und «Romeo und Julia» zurückkehrt.

International konkurrenzfähig?

Ob die anderen ausgezeichneten Stücke – von «Berlin Non Stop» bis «Gänsemagd» oder «Sterntaler» (Brüder Grimm Festspiele Hanau) – ein weiteres Bühnenleben anderswo haben werden, bleibt abzuwarten. Matthias Davids warb in seiner Rede bei der Preisentgegennahme für «Die Königinnen» eindringlich dafür, das Stück und alle weiteren des Abend anderswo nachzuspielen und ihnen mit neuen Interpretationen weiteres Leben einzuhauchen, um zu zeigen, was das Deutsche Musical könne.

Jannik Schümann mit den Tänzer*innen der Komischen Oper in seinem grossen Showmoment
Jannik Schümann mit den Tänzer*innen der Komischen Oper in seinem grossen Showmoment (Bild: Tobias Berger)

Ob ein solches Deutsches Musical international konkurrenzfähig ist – auch inhaltlich – mit dem, was auf dem englischsprachigen Markt derzeit im Angebot ist, darf man allerdings bezweifeln. Oder anders formuliert: Da ist fürs familienfreundliche deutschsprachige Musical Luft nach oben in der Entwicklung. Das nächste globale Musicalereignis ist jedenfalls die Kinopremiere von «Wicked» mit u.a. Jonathan Bailey als Fiyero, Ariana Grande als Glinda und Cynthia Erivo als Elphaba. Das ist eine Starpower-Musicaldimension, die man im Theater des Westens nur in einigen besonders intensiven Schümann-Momenten erahnen konnte, als er die Megawattbirnen seines Charmes einschaltete. Und bei der sonst nur Steffi Irmen ernsthaft mithalten konnte. Aber: beiden taten es!

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