Barrie Kosky nimmt Abschied – mit Tränen und Bundespräsident
Der Intendant der Komischen Oper sagt: «Es ist nicht einfach jüdisch und schwul zu sein»
Der queere Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, wurde nach zehn Jahren als künstlerischer Leiter des Hauses vom Publikum gefeiert – darunter viel Politprominenz, inklusive Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Bevor sich der Vorhang zur letzten Vorstellung von «Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue» an der Komischen Oper Berlin heben konnte, trat der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) vor den Vorhang, um eine Rede zu halten.
Jovial wie immer schilderte Wowereit, wie er um 2008 zusammen mit seinem damaligen Kulturstaatssekretär André Schmitz einen neuen Intendanten für die krisengeschüttelte Komische Oper suchte. Kosky hatte da schon einige Inszenierungen an der Behrenstrasse herausgebracht, darunter das LGBTIQ-Spektakel «Kiss Me, Kate!» mit Dagmar Manzel.
Wowereit und Schmitz überlegten, ob man einem «so exzentrischen» Künstler die Leitung eines Opernhauses zutrauen könne. Es sei ein Risiko gewesen, so Wowereit rückblickend. Aber schliesslich sei alles im Leben und in der Politik Risiko. Und so entschloss man sich, das Wagnis einzugehen. Es sollte eine der grössten Erfolgsgeschichten der Berliner Kulturszene in jüngerer Zeit werden. (MANNSCHAFT berichtete über den ersten schwulen Opernführer der Welt.)
Crossdressing und Genderfuck Denn Kosky stoppte nicht nur den Sinkflug der Zuschauer*innenzahlen, den seine Vorgänger verursacht hatten mit uninspirierter künstlerischer Planung, sondern er setzte ganz neue Akzente, indem er «Unterhaltung» riesengross schrieb. Und zwar: queere Unterhaltung. Er holte Szenestars wie die Geschwister Pfister ans Haus, liess die halbnackten Otto-Pichler-Tänzer*innen auf Berlin los, machte Dagmar Manzel zum Operettensuperstar, zelebrierte Crossdressing und Genderfuck, ging Kooperationen mit queeren Stadtmagazinen ein, um ein neues Publikum ins Haus zu holen, und schämte sich nie, offensiv schwul zu sein in all seinen Auftritten und (fast all) seinen Inszenierungen.
Das irritierte anfangs viele Kritiker*innen, die solch einen ungenierten Umgang mit Homosexualität im Kulturbetrieb nicht gewohnt waren. Und die klagten, man müsse andauernd «Dragshows» an der Komischen Oper sehen. Aber: Der Saal war immer öfter voll, das internationale Renommee stieg und zehn Jahre nach Amtsantritt 2012 steht das kleinste Berliner Opernhaus so glanzvoll und gefeiert da, wie keines der Konkurrenzinstitute.
Nach Wowereits einführenden Worten – und einer Verneigung vor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der mit Gattin zur letzten Vorstellung gekommen war – ging die Show los, die Kosky seinem Publikum zum Abschied geschenkt hat: eine genderverdrehte jiddische Revue mit den atemberaubendsten Kostümen, die sich nur denken lassen, mit allen Stars der letzten zehn Jahre (den Pfisters, Katharine Mehrling, Max Hopp, der grandiose Peniswitze erzählt, mit Helmut Baumann und vielen vielen mehr … auch den Otto-Pichler-Tänzer*innen natürlich.)
Neben Kosky sass André Schmitz. Eine Loge weiter der glücklose Intendant der Deutschen Oper Berlin mit Ehemann. Im Rang darüber Jens Spahn mit Ehemann. Diverse TV-Persönlichkeiten wie RBB-Nachrichtensprecher Dirk Jacobs sassen im 2. Rang auf hinteren Plätzen … Dabei sein war alles!
Champagner und Schokolade Nachdem die Vorstellung grandios zu Ende gegangen war, kam Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) auf die Bühne, um seinerseits Kosky mit Champagner, Schokolade und einem T-Shirt zu danken, für das was er geleistet hat fürs Musiktheater in Berlin.
Der von seinen Solist*innen und vom Publikum mit Applaus überhäufte Kosky griff dann selbst zum Mikro und gab einen sehr seltenen Einblick in sein Innerstes. Er erzählte, dass für ihn als Kind in Australien die «Muppet Show» so etwas wie ein Erweckungserlebnis gewesen sei. Er habe jeden Freitagabend vorm Fernseher gesessen, um in die Muppetwelt abzutauchen. Diese chaotische Welt rund um Kermit, Miss Piggy und all die anderen sei für ihn das Ideal einer Theateraufführung gewesen. Ein Ideal, dem er nun mit der «Yiddish Revue» – aber auch vielen anderen Produktionen – ein Denkmal setzte.
Kosky gestand, sich vollkommen mit den drei Figuren Kermit, Piggy und Fozzie Bär identifiziert zu haben – zu jeweils gleichen Teilen. In Kermit habe er einen neurotischen jüdischen schwulen Theaterdirektor gesehen, so wie er einer sein wollte. Und genau wie’s in Kermits berühmtem Song «It’s not easy being green» heisst, so sei es auch nicht einfach jüdisch oder schwul zu sein, so Kosky.
Mehrere Facetten Vor der Vorstellung hatte Chefdramaturg Ulrich Lenz in einem Vortrag zu den jüdischen Elementen in Koskys Inszenierungen darauf hingewiesen, dass der Kosmos von Koskys Musiktheater nicht aus einem einzigen Aspekt bestehe, dass das Jüdische bei ihm nur eine Facette von vielen sei. Eine Tradition und Kultur, mit der der Atheist Kosky aufgewachsen sei. Die ihn geprägt habe. Genau wie sein Schwulsein nicht der einzige Aspekt ist, der wichtig fürs Verständnis seiner Arbeit ist. «Auch wenn viele Kritiker*innen das immer wieder behaupten», so Lenz.
Dass bei so vielen schwulen Politikern und Rednern Kosky das Thema Homosexualität schlussendlich selbst ansprechen musste, ist typisch für ihn. Und dass er es über den «Anderssein»-Song von Kermit tat, war tief bewegend.
Noch bewegender war allerdings der Moment, wo Kosky den Bühnenboden der Komischen Oper küsste, um seinen Geist zu hinterlassen an dem Ort, der ihn international berühmt gemacht hat. Und den er nun verlässt. Er hatte von Anfang an gesagt, dass nach zehn Jahren Schluss sein würde.
Als er jetzt allen Leuten hinter sich dankte, kamen ihm Tränen und seine Stimme versagt. Und bevor er weiterreden konnte, wurde Kosky von einer solchen Orkan von Applauses überrollt, dass man schon von einem sehr (sehr!) besonderen Moment reden muss. Es ist fraglich, ob einer der anderen Berliner Intendanten je einen solchen Abschied bekommen wird.
«La Cage aux Folles» In Zukunft bleibt Kosky der Komischen Oper mit zwei neuen Inszenierungen pro Spielzeit erhalten. Im Januar 2023 steht als nächstes «La Cage aux Folles» an (MANNSCHAFT berichtete), das legendäre LGBTIQ-Musical, das Kosky als Teenager in der Originalproduktion mit den Originalstars am Broadway gesehen und das ihn tief beeindruckt hat. Er spricht darüber ausführlich in dem neuen Buch «Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals», für das er das Vorwort verfasst hat.
Mit Blumen und Schokolade unterm Arm ging Kosky schliesslich ab. Das Saallicht ging an. Und eine Ära ging zu Ende, die eine queere Ästhetik ohne wenn und aber zum festen Bestandteil des Berliner Musiktheaters gemacht hat – genauso wie Kosky die Stücke ehemals «entarteter» jüdischer Künstler*innen zurück auf die Bühne brachte und nun sogar eine komplett «Yiddish Revue», mit seinem langjährigen Partner-in-crime Adam Benwzi am Pult.
Das zu toppen wird schwer sein.
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