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Barrie Kosky bringt «La Cage aux Folles» zurück nach Berlin

Das Jerry-Herman-Musical kommt nächste Spielzeit an die Komische Oper

«La Cage aux Folles»
Darsteller*innen in High Heels auf der Bühne (Symbolfoto: Caitlyn Wilson / Unsplash)

In Kürze geht die zehnjährige Intendanz des Australiers Barrie Kosky an der Komischen Oper zu Ende, der sich selbst einmal in der New York Times als «schwules jüdisches Känguru» bezeichnet hat. In seinen zehn Spielzeiten hat Kosky vor allem die Operetten der Weimarer Republik neu belebt – und Dagmar Manzel zum Operettensuperstar gemacht. Viele fragen sich: Was könnte als nächstes kommen?

Nach dem Ende seiner Intendanz wird Kosky der Komischen Oper als Chefregisseur erhalten bleiben und jede Spielzeit zwei Produktionen übernehmen. Dass er die spektakuläre queere Operettenserie mit Manzel und Dirigent Adam Benzwi nicht fortsetzen wird, hatte er schon mehrmals gesagt. Denn: «Wie soll ich ‹Die Perlen der Cleopatra›-Produktion toppen? Das geht nicht», so Kosky.

Dass aber mit unterhaltendem Musiktheater – und Akzent auf LGBTIQ – nicht Schluss sein wird, ist klar. Und während sich die neuen Intendant*innen um neue queere Regisseur*innen bemühen, die in Zukunft einen anderen Operettenschwerpunkt setzen könnten, wurde jetzt bekannt, dass Kosky selbst in der nächsten Spielzeit zum ganz grossen Splash ausholt.

Barrie Kosky
Regisseur Barrie Kosky mit dem Zuschauerraum der Komischen Oper im Hintergrund (Foto: Jan Windszus Photography)

Denn: Man darf sich auf den Broadway-Klassiker «La Cage aux Folles» freuen, der 1983 erstmals im kommerziellen Mainstream-Musical eine schwule Liebesgeschichte erzählte und «trotzdem» ein Sensationserfolg wurde, obwohl das als absolut undenkbar angesehen wurde. (MANNSCHAFT berichtete über das neue Buch «Musik und Homosexualitäten», in dem es einen Aufsatz zu Musicals als Maske Fans gibt und darüber, die LGBTIQ die heterosexuellen Geschichten am Broadway queer gelesen haben.)


Erste Produktion in West-Berlin
1985 kam das Stück in der Inszenierung von Helmut Baumann auch ans Berliner Theater des Westens und lief dort über Jahre und Jahre und Jahre, parallel zur sich ausbreitenden AIDS-Krise. Beide Seiten schwulen Lebens überlagerten sich hier und kommentierten sich gegenseitig.

«La Cage aux Folles»
Helmut Baumann auf dem Cover der deutschen Aufnahme von «La Cage aux Folles» (Foto: Polydor)

Seit damals gab es in Berlin nur 2015 den Versuch der Bar jeder Vernunft, «La Cage» wieder zurückzuholen in die deutsche Hauptstadt. Doch die Inszenierung von Bernd Mottl floppte spektakulär (wegen der Besetzung) und verschwand recht sang und klanglos.

Nun schlägt die Komische Oper ihrerseits den Bogen in die Vergangenheit: nach einer Rückbesinnung auf die Weimarer Republik und auf die DDR-Vergangenheit (mit «Anatevka», ein Stück das einst Walter Felsenstein an der Komischen Oper inszeniert hatte), wird nun an ein Stück jüngere Berliner Musiktheatergeschichte erinnert, das seinerseits schon wieder «historisch» geworden ist.


Musicaldarsteller*innen mit Stepptanzfähigkeiten gesucht
Zwar wurde die neue Spielzeit mit allen Einzelheiten noch nicht offiziell vorgestellt. Aber die Komische Oper veröffentlichte einen «Audition»-Aufruf, dass Musicaldarsteller*innen mit Stepptanzfähigkeiten für die Neuproduktion von «La Cage aux Folles» gesucht werden. Dem Aufruf kann man entnehmen, dass Koen Schoots die musikalische Leitung übernimmt und Otto Pichler choreografiert. Und dass eben Kosky inszeniert.

La Cage aux Folles
Der Audition-Aufruf der Komischen Oper Berlin (Foto: Komische Oper Berlin)

Premiere ist demnach im Januar 2023, es sind zwölf weitere Aufführung geplant und eine Wiederaufnahme in der folgenden Spielzeit.

Helmut Baumann erzählte mir bereits letzten Sommer, dass er in einer kleinen Nebenrolle dabei sein werde, als Hommage an die alte TdW-Produktion.

Die Frage, wer Georges und Albin spielen wird, bleibt derweil offen. Das Operetta Research Center fragte in einem Kommentar, ob vielleicht Dagmar Manzel mit doppeltem Cross-dressing in die Rolle der Dragqueen Albin/Zaza schlüpfen könnte – oder ob gezielt jemand aus der trans Community engagiert werde, um dem Stück eine neue queerpolitische Dimension zu geben. Auch der BIPoC-Schauspieler Pierre Bliss sagte zu MANNSCHAFT, dass er gern die Zaza übernehmen würde – was ebenfalls eine spannende Besetzung wäre. (Mehr zu Pierre Bliss und seinen Diskriminierungserfahrungen als Schwarzer finden sich im MANNSCHAFT-Interview.) Bliss war zu DDR-Zeiten Mitglied des Metropoltheater-Ensembles und trat in vielen Musicals auf, auch nach 1989. Eine blonde Perrücke habe er im Notfall auch, sagt er.

Rassismus
Kontert Rassismus mit schwarzem Humor: Pierre Sanoussi-Bliss (Foto: Detlef Eden)

Wer immer die Rolle übernimmt, darf den Mega-Hit «I Am What I Am» singen, den u. a. auch Shirely Bassey 1987 in Berlin gesungen hat. Eine Explosion von Stimme und Selbstbehauptung, die schwer zu toppen ist und viele schwule Fans hat.

Derweil hat Harvey Fierstein als Autor des Musicals soeben seine Memoiren veröffentlicht unter dem Titel «I was better last night». Darin beschreibt er ausführlich, wie es Anfang der 1980er-Jahre zur Zusammenarbeit mit Komponist Jerry Herman und Regisseur Arthur Laurents kam – beide damals nicht offen schwul. So dass Fierstein, direkt nach seinem Erfolg mit dem Theaterstück «Torch Song Trilogy» als eine Art Feigenblatt herhalten musste. (MANNSCHAFT veröffentlichte einen Nachruf auf Jerry Herman, als dieser 2019 starb.)

Cagelles-Reihe mit «echten» Frauen
Die Arbeit an «La Cage» brachte Fierstein den Durchbruch und machte ihn sehr berühmt und sehr, sehr reich. Später kreierte er die Rolle der Mutter im Musical «Hairspray» und schrieb zusammen mit Cyndi Lauper das LGBTIQ-Musical «Kinky Boots». (MANNSCHAFT berichtete über Cyndi Lauper und ihr LGBTIQ-Engagement.)

«I was better last night»
Harvey Fiersteins Buch «I was better last night» (Foto: Knopf Vlg.)

Im Fierstein-Buch erfährt man nebenbei, das ursprünglich Maury Yeston die Musik komponieren sollte. Man erfährt auch, was für ein schrecklicher Kollege Laurents war – auch wenn er sowohl mit «La Cage» als auch mit «West Side Story» Meisterwerke schuf.

Wie meisterhaft die Produktion in Berlin wird, darf man gespannt abwarten. Bei der Broadway-Uraufführung engagierte Laurents übrigens für die beiden schwulen Hauptfiguren bewusst zwei ultraheterosexuelle Darsteller. Und als besonderen Gag fügte er in die Reihe der Cagelles zwei Frauen ein – damit heterosexuelle Männer, die an diesen steppenden Dragqueens sexuelles Gefallen finden sollten, immer behaupten konnten, sie hätten diese für eine der beiden «echten» Frauen gehalten.

Man darf annehmen, dass Pichler und Kosky diesen Trick in Berlin 2023 nicht wiederholen werden. Da die Komische Oper als staatlich subventionierte Bühne auch über ein volles Orchester, Chor und Tanzgruppe (plus Extras) verfügt, kann man auch davon ausgehen, dass in Berlin eine Version von «La Cage» zu sehen sein wird, wie sie in dieser Opulenz am Broadway selbst nicht mehr möglich ist. (MANNSCHAFT berichtete über das neue Musical «Shooting Star» von Florian Klein aka Hans Berlin und Komponist Thomas Zaufke, das in der schwulen Pornoindustrie spielt.)

 


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