Ist die Party vorbei? Rückzug grosser Firmen als Chance für den CSD
Warum der CSD wieder politisch werden muss und wir uns an die eigene Nase fassen müssen. Und Sichtbarkeit auch mal in strukturschwachen Regionen zeigen sollten. Ein Kommentar*
Gefrorene Erdbeeren, Limettensaft, weisser Rum, Zuckersirup und ein paar Eiswürfel – das sind die Zutaten für meinen Erdbeer-Daiquiri und somit auch für ein gelungenes Partywochenende. Der Daiquiri ist bei uns seit Jahren das Getränk, mit dem wir uns für den CSD einheizen und ein paar unbeschwerte Tage einleiten. Zuerst geht es in die Stadt, um die Parade anzuschauen und auch ein Stück mitzulaufen. Später trifft man sich dann mit Freund*innen auf dem Festplatz und schnappt sich die nächsten Daiquiris. Vielleicht endet der Abend hier oder aber auf einer der zahllosen Partys.
Am Sonntagabend geht man schliesslich beseelt nach Hause. Aber ist das angesichts der aktuellen Berichterstattung noch ein zeitgemässes Pride-Erlebnis? Ist Dabeisein und Flagge zeigen wirklich schon alles? Können wir uns das noch leisten oder muss der CSD wieder politisch(er) werden?
Internationale Konzerne und Marken beugen sich dem Druck der Trump-Regierung, verzichten auf Regenbogen-Logos und – viel wichtiger – auch auf finanzielle Unterstützung für die Community (MANNSCHAFT berichtete). In diesem Jahr zeigt sich deutlich wie nie, wer eigentlich nur Kasse mit uns Queers machen wollte und wer es ernst gemeint hat. Überraschung! Es sind nur wenige. Pride-Veranstaltungen werden boykottiert, von Gegendemonstrant*innen torpediert oder aufgrund der Bedrohungslage gar gänzlich abgesagt (so wie in Regensburg oder Gelsenkirchen – MANNSCHAFT berichtete).
Anderen Städten fehlt durch die Abwanderung von Sponsoren schlichtweg das Geld, um überhaupt Veranstaltungen auf die Beine zu stellen (selbst der Berliner CSD hatte zuletzt ein Defizit von rund 200'000 Euro). Institutionen und Firmen legen ihren Mitarbeitenden nahe, nicht zum CSD zu gehen oder zumindest nicht offen zu zeigen, wer ihr Arbeitgeber ist. Zuletzt sorgte etwa die Meldung, das Regenbogen-Netzwerk des Bundestags dürfe nicht am Berliner CSD teilnehmen, für ungläubiges Kopfschütteln (MANNSCHAFT berichtete). Viele Medien sprachen angesichts dessen zurecht von einer aktiven Absage an queere Sichtbarkeit.
Ich hoffe, der CSD wird in diesem Jahr anders. Er muss meiner Meinung nach sogar dringend anders werden und wir alle müssen uns zunächst auch an die eigene Nase fassen. Natürlich sei der CSD eine politische Veranstaltung, haben wir unseren Freund*innen und uns selbst gegenseitig jahrelang versichert. Aber stimmt das eigentlich wirklich? Sichtbarkeit ist ganz sicher ein ungeheuer wichtiges politisches Instrument, doch ich fürchte eines, das für sich allein genommen schlichtweg nicht mehr ausreichend ist. Wenn der politische und gesamtgesellschaftliche Rückhalt fehlt, muss die Community sich wieder stärker vernetzen und auch wieder auf sich selbst verlassen können.
Kann ich spenden, um der Community unmittelbar zu helfen? Könnte auch eine Mitgliedschaft beim CSD Deutschland e.V. lohnenswert sein?
Der hat gut reden, könnt ihr jetzt zurecht denken. Was schlägt er denn vor? Die ehrliche Antwort? Ich weiss es nicht. Ein erster Schritt kann und muss aber wohl sein, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen. Ich sollte mich wohl dringend schlau machen. Welche queeren Organisationen gibt es in meiner Stadt, bei denen ich einen Beitrag leisten kann? Kann ich spenden, konsumieren oder ehrenamtlich tätig werden, um der Community unmittelbar zu helfen? Kann ich Freund*innen animieren es mir gleichzutun? Könnte auch eine Mitgliedschaft beim CSD Deutschland e.V. lohnenswert sein? Jenem 2003 gegründeten Verein, der alle CSDs und Pride-Veranstaltungen bundesweit vernetzt.
Vielleicht kann der Rückzug grosser Firmen als Geldgeber neben unbestreitbar grossen Herausforderungen auch eine Chance sein, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, klare Forderungen der Community zu formulieren und kundzutun. Es scheint so, als waren auf unserer bunten, grossen Party über die Jahre zu viele Gäste, die wir gar nicht wirklich kannten und die nur aus fadenscheinigen Gründen unsere Freund*innen sein wollten.
Vielleicht müssen wir stattdessen zurück zu einer Art Hausparty, an der nur ein Zirkel derer teilnimmt, die wirklich hinter uns stehen und es ernst mit uns meinen. So schaffen es tatsächlich immer mehr Kleinstädte trotz eingangs beschriebener Widrigkeiten und Probleme, kleine CSDs und Pride-Veranstaltungen auf die Beine zu stellen, die zu besuchen sich lohnen würde.
Wenn schon Sichtbarkeit zeigen, dann vielleicht eher in strukturschwachen Regionen, wo die Propaganda unserer politischen Gegner am meisten fruchtet. Das ist sicherlich nicht so unbeschwert, wie ein Pride-Wochenende in Köln oder Hamburg, hat jedoch ungleich mehr Impact. Und wieder der Griff an die eigene Nase. Habe ich selbst das schon gemacht? Bislang noch nicht, aber die Notwendigkeit zum Umdenken wird auch für mich immer deutlicher.
Queere Kultur muss raus aus den Grossstädten, um neue Berührungspunkte zu schaffen. Besonders die kleineren Städte im Osten Deutschlands gehen da mutig voran. Wo starker Gegenwind herrscht, muss die politische Dimension des CSDs besonders in den Vordergrund gerückt werden. Nur, wenn der CSD nicht als reine Party verstanden wird, können wir selbstbewusst auf das Versammlungsrecht verweisen. Ist die Party also vorbei? Das wünsche ich keinem von uns und denke auch, dass wir uns die Feierlaune keinesfalls verderben lassen sollten. Auch ich werde sicherlich wieder den einen oder anderen Daiquiri trinken. Aber vielleicht ja auch mal auf einem CSD abseits von Frankfurt.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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