Warum LGB und TIQ unbedingt zusammengehören
Immer mehr Schwule und Lesben haben offenbar ein Problem mit queerer Solidarität. Ein Kommentar*
Immer mehr Menschen, darunter auch viele Queers, sind bereit, sich hinter die Kampagne «Drop the T» zu stellen.
Das heißt: Sie wollen trans Personen aus der Community ausschliessen oder zumindest nicht für ihre Belange und Rechte kämpfen. Das ist nicht zuletzt geschichtsvergessen, kommentiert unser Autor.
Neulich hat ein Freund ein Foto auf Facebook gepostet, auf dem nur zwei Dinge zu sehen waren: Eine Schere und ein kleiner Aufkleber, den er zuvor zerschnitten hatte. Der Aufkleber sollte ursprünglich einmal die Progressive-Pride-Flagge darstellen. Er hatte das Dreieck an der linken Seite abgeschnitten, der Teil, der trans und inter Personen sowie People of Color und HIV-Tote repräsentieren soll. Darunter schrieb er «Souvenir vom Strassenfest in Schöneberg 2025».
Ich beobachte das schon eine Weile und ehrlich gesagt nicht nur bei ihm. Der Kulturkampf hat spätestens seit dem Aufwind der AfD bei der letzten Wahl auch unsere Community erreicht. Da geht es um die lesbische Parteichefin Alice Weidel, um Kindergärten für Regenbogenfamilien, um Friedhöfe für queere Menschen und vor allem: um die Rechte von trans Personen. Auch Menschen, die mir näher stehen als jene lang zurückliegende Grindr-zu-Facebook-Bekanntschaft, sagen inzwischen, dass sie trans Personen «nicht verstehen».
Vor allem schwule Männer sind immer mehr bereit, sich hinter die Kampagne «Drop the T» zu stellen, eine Debatte, die vor allem in amerikanischen und britischen Medien geführt wird und durch J.K. Rowlings Äusserungen Fahrt aufgenommen hat. Die Grundidee ist, dass sexuelle Identität, die durch die Buchstaben L (lesbisch), G (gay/schwul) und B (Bisexualität) repräsentiert wird, nichts mit Identitäten zu tun hat, wie T (trans), I (inter) und Q (queer).
Die Pro-Argumente dieser meist konservativen Befürworter*innen der Spaltung sind, dass Dinge vermischt werden, die nichts miteinander zu tun haben: Die politischen Forderungen gegen Diskriminierung von LGB-Personen seien weitestgehend durchgesetzt. Wenn man sich jetzt noch für trans Personen einsetze, verliere man die bereits gewonnene Akzeptanz des Mainstreams.
Ausserdem, so argumentieren sie, überlagern inzwischen häufig die Debatten um trans Rechte sämtliche anderen Themen. Das Argument hört man immer wieder selbst von Schwulen und Lesben, die abfällig von einem «Buchstabensalat» reden, wenn sie LGBTIQ meinen – manchmal gar mit martialischer und transphober Sprache, wie bei diesem Post auf X.
Richtig, es ist komplizierter geworden, seit im Jahr 1978 die Regenbogenflagge erfunden wurde. Der Begriff «queer» hat sich in diesen bald 50 Jahren auch komplett gewandelt, von einem Schimpfwort zu einem progressiven Regenschirm-Begriff, unter dem sich viele wohlfühlen. Aber TIQ-Menschen waren immer Teil dieser Community, seit sie die ersten Steine bei den Stonewall-Aufständen im Jahr 1969 geworfen haben, Marsha P. Johnson ist da nur ein bekannter Name von vielen. Auch später wurde dieser Zusammenhalt nie wirklich in Frage gestellt, weder in den queeren Bars noch in Debatten im Bundestag.
Queer bezeichnet aber weniger eine klart umrissene Gruppe, als vielmehr ein Spektrum und es sicher auch keine politische Einstellung. Eine Trennung der Community und ein aktives Hinauswerfen von Mitgliedern führt nur zu einer Schwächung der politischen Schlagkraft von allen und gibt Gegner*innen, die gerade spürbar aggressiver und vor allem mehr werden, weitere Munition. Transfeindlichkeit ist zum Glück keine Mehrheitsmeinung im queeren Kontext, aber wo sie auftritt, sollte sie mit Argumenten bekämpft werden, aktuell mehr denn je.
«Was ist, wenn die vermeintlichen trans Kinder eigentlich nur schwul oder lesbisch sind?»
Andrew Sullivan in der New York Times
Letztlich ist auch die Grenze zwischen Identität und Sexualität für die meisten fliessend. Ich zumindest kenne eine inter Person, die lesbisch lebt, oder eine nicht-binäre Person, die bisexuell lebt. Schon deshalb lässt sich LGBTIQ nicht trennen. Und ganz ehrlich, die queerfeindlichen Täter, die Anfang August nachts in Berlin-Friedrichshain Männer beim Cruising zusammenschlugen und ausraubten (MANNSCHAFT berichtete), werden diesen Unterschied sicherlich nicht machen. Sie wollen queeren Menschen Leid zufügen, weil sie diese Art zu leben zerstören wollen.
In der New York Times hat der konservative Kommentator Andrew Sullivan im Juni einen Meinungstext veröffentlicht, der viel Gegenwind bekam. Der ehemalige Chefredakteur der New Republic argumentiert, dass die LGBTIQ-Bewegung, oder wie er sie nennt: «die Gender Revolution», zu weit gegangen sei: «Wir haben immer gesagt, wir lassen die Kinder in Ruhe», heisst es bei ihm, aber durch die neuen Gesetze zur geschlechtsangleichenden Behandlung von Jugendlichen sei diese Regel gebrochen worden. Er fragt: «Was ist, wenn diese Kinder einfach schwul oder lesbisch sind?» Und er prangert die Ausgrenzung von Menschen an, die nicht den Satz «Trans Frauen sind Frauen» sofort unterschreiben wollen. Er hat dafür berechtigt auch kritische Reaktionen bekommen.
Er fügt viel zusammen, was nicht unbedingt zusammen gehört, aber stellt auch wichtige Fragen, mit denen sich die Community auseinandersetzen muss. Insgesamt aber ist entscheidend: Er sieht sich als schwuler Mann klar als Teil der LGBTIQ-Bewegung. An keiner Stelle hinterfragt Sullivan die gemeinsamen Ziele und die gemeinsame Geschichte. Ja, es gibt Themen, über die wir reden müssen, und nein, ich finde nicht, dass wir zu weit gegangen sind oder mit der Ehe für Alle auch alles erreicht sei.
Das merkt man daran, dass gerade viele Errungenschaften wieder in Frage gestellt werden und die Zahl der queerfeindlichen Straftaten auch in Zürich, Wien und Berlin ansteigt. Das heisst nicht, dass wir uns spalten lassen sollten und mit der Schere kleine Aufkleber zerschneiden. Und wer lieber die Regenbogenfahne ohne Dreieck wehen lassen will, soll das tun, aber wer andere Flaggen zerschneidet, schadet letztlich der eigenen Community und damit sich selbst.
Jung, sexy und ein bisschen edgy: Reneé Rapp ist die neue lesbische Pop-Ikone. Warum «Bite Me» das Sommer-Album von 2025 ist. (MANNSCHAFT berichtete).
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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