«Ich hätte nicht mit Jurassica Parka gearbeitet»
Pierre Sanoussi-Bliss geht auf Distanz zu der Dragqueen wegen ihrer Verurteilung im Zusammenhang mit Kinderpornos
Der offen schwule Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss verliess das RTL-Dschungelcamp Anfang des Jahres als Zweitplatzierter. Nun erzählt er in seiner Autobiographie «Den Rest hab ich verdrängt», wie er versucht, sich zwischen Rampenlicht und Rassismus selbst treu zu bleiben. Am Dienstag hat er das Buch in Berlin vorgestellt.
Im Interview mit MANNSCHAFT spricht er über die Causa Jurassica Parka, über die Stadtbild-Debatte und die Stasi, die ihn in der DDR als Spitzel anwerben wollte.
Das Dschungelcamp liegt fast ein Jahr zurück. Wie geht's dir, Pierre? Ach, es geht mir wirklich richtig gut. Ich bin beschäftigt ohne Ende momentan. Ich spiele in den Hamburger Kammerspielen eine der Hauptrollen in «Sie sagt, Er sagt», ein Stück von Ferdinand von Schirach. Dann habe ich einen Vertrag unterschrieben für Braunschweig, obwohl das passt nicht so zu mir, von wegen Braun und schweig. (grinst) Und dann auch noch die Schlossfestspiele in Neersen, da spiele ich «Der eingebildet Kranke».
Am 28. November mache ich eine Weihnachtslesung «Weihnachten kommt!... Eher als du denkst!» in Berlin, die habe ich schon ein paar Jahre im Programm. Die habe ich sogar im Sommer mal auf Hiddensee gemacht und habe die Leute tatsächlich dazu gekriegt, «Stille Nacht, Heilige Nacht» zu singen, schwitzend bei 36 Grad.
Kann man machen. Jurassica Parker hat als DJane im Schwuz auch das ganze Jahr «All I want for Christmas» von Mariah Carey gespielt. Jurassica Who? Tut mir leid, ich hab den Namen vergessen.
Du hast mit ihr gedreht, «Boom Boom Bruno» (MANNSCHAFT berichtete). Jetzt stehen schlimme Vorwürfe im Raum. Ich hab mit ihr gedreht und ich war in ihrer «Paillette»-Show. Um ehrlich zu sein, ich hänge mich in solche privaten Sachen überhaupt nicht rein, aber tatsächlich ist Kinderpornografie etwas, das geht gar nicht (MANNSCHAFT berichtete). Wenn ich gewusst hätte, dass der Mario (der bürgerliche Name von Jurassica Parka, Anm. d Red.) 2023 schon mal rechtskräftig verurteilt worden ist, dann hätte ich tatsächlich nicht mit ihm gearbeitet. Ich wäre auch nicht in seine «Paillette»-Show gegangen ins BKA-Theater. Das geht mit mir nicht. Das ist unvorstellbar. Trotzdem passiert.
Man fragt sich, wie konnte das eigentlich sein, dass niemand von der Verurteilung gewusst hat. Wahrscheinlich gute Arbeit vom Anwalt, der einem Gericht klar machen kann, dass man einem, der so in der Öffentlichkeit steht, sein komplettes Leben zerstören könnte. Und von wegen zweite Chance geben. Nur ist die Frage, wie viele Leben er zerstört hat. Man zerstört ja auch, indem man Konsument solcher Filme ist. Wäre man das nicht, gäbe es diese Filme nicht. Ich finde es sehr schade, ich mochte ihn, aber so manche dunkle Seite kann ich dann nicht akzeptieren.
Zurück zu dir: Würdest du deine Engagements zurückführen auf das Dschungelcamp und eine grössere Bekanntheit dadurch? Also wenn man ganz nüchtern den Dschungel betrachtet: Das haben vier Millionen Menschen gesehen, in der Spitze. Das gilt als Erfolg. Das heisst aber, in diesem Land haben ihn 80 Millionen nicht gesehen. Und bei den vier Millionen Menschen sind bestimmt nicht die dabei, mit denen ich gerne arbeiten würde, also Regisseure oder Theaterintendanten.
Diese Engagements, die ich jetzt mache, hatte ich alle vorher. Das hat gar nichts mit dem Dschungel zu tun. Das war auch nicht meine Erwartung. Ich habe ich das eigentlich nur gemacht, um ein paar Sachen zu sagen, für die ich sonst selten ein Ohr finde.
Ich wollte Aufmerksamkeit dafür kriegen, dass es tatsächlich in diesem Land keine alten schwarzen Schauspieler*innen gibt und dass das schade ist. Wir fehlen in Filmen, im Fernsehen. Aber im Stadtbild gibt es uns, Herr Merz! Es gibt tausende alte schwarze Männer in diesem Land, aber wir kommen nicht vor. Das wolle ich sagen, und das ist gesendet worden. Dafür habe ich mich auch bei RTL bedankt.
Und es geht da nicht nur um mich. Ich bin einer der wenigen Schauspieler, die seit 45 Jahren von diesem Beruf richtig gut leben können. Es geht darum, dass man hier ganze Bevölkerungsgruppen vergisst und dass Diversität schon wieder eine Art Schimpfwort wird.
Solange es hier in Film und Fernsehen keine Regeln oder Quoten gibt wie bei Netflix - wenn du nicht divers besetzt, kannst du den Film gar nicht erst einreichen zu einer Förderung oder für einen Preis –, solange wird sich hier auf absehbare Sicht nichts ändern. Und es liegt nicht am Zuschauer. Die Leute gucken ja Netflix oder Apple TV, die sind gar nichts anderes als Diversität gewöhnt.
«Ich habe mir drei Tage mit Damenbinden den Arsch abgewischt, weil das Klopapier alle war, oder pürierte Vagina getrunken. Das muss alles nicht sein.»
Du predigst das schon seit Jahren. Es tut sich leider nichts. Ja, ich wiederhole mich, das ist meine Martin-Luther-King-Rede. Das Thema bleibt immer das gleiche. Das schreibe ich auch in meiner Biografie «Den Rest habe ich verdrängt», dass ich nicht unbedingt daran glaube, dass ich es nochmal anders erlebe.
Vielleicht wächst irgendwann mal eine neue Generation an Redakteuren heran, vielleicht mit Migrationshintergrund. Ansonsten wird auch in absehbarer Zeit in Serien, die «Dark» heissen, kein Schwarzer mitspielen, denke ich. Das erlebe ich nicht mehr.
Würdest du noch mal ein Reality-Format machen, nach dem Dschungelcamp? Ich muss ja sagen, es ist leicht verdientes Geld. Was macht man da? Man langweilt sich im Dschungel, man sitzt den ganzen Tag im Prinzip rum. Man verkürzt sich wunderbarerweise den Winter hier in Deutschland, weil es im Januar und Februar stattfindet.
Ich muss keinen Text lernen. Und: Ich habe im Dschungel neuneinhalb Kilo abgenommen und das ist mir auch noch bezahlt worden. Andere zahlen eine Menge für eine Detox-Kur oder sowas. Gut, es gab einen Nachteil, was das Hygienische anging. Ich habe mir drei Tage mit Damenbinden den Arsch abgewischt, weil das Klopapier alle war und wir keinen Nachschub kriegten, oder pürierte Vagina getrunken. Das muss halt alles nicht sein.
Die anderen Formate, mit denen ich mich nicht so auskenne, weil ich sie nicht gucke, können alle nur besser sein als das. Und wenn mir irgendwas angeboten wird: Warum nicht?
Was letztens Maren Kroymann gesagt hat, fand ich ganz gut, denn sie hat recht: Es gibt eigentlich nur diese Reality-Formate bei den Privaten, wo wir in der kompletten Bandbreite, was Diversität angeht, sichtbar sind. Vom absoluten Doofi über den Loser, über die Vollschlanke, über den Schwulen, die Lesbe usw. Also es ist alles vertreten. Das gibt es nirgends sonst. Eigentlich sind da die Privaten auf der Höhe der Zeit.
Ich bin aktuell für zwei Reality-Formate angefragt, würde aber ungern darüber reden, bevor nichts in Sack und Tüten ist. Nur soviel: Ein Koch-Format ist dabei.
… Du hast doch mal Koch gelernt! Ja gut, in der DDR. Das war eher aus Scheisse Gold machen als Kochen. «Let's Dance» würde ich auch machen. Da musst du Leistung zeigen, hier im Land wird ja Leistung belohnt.
Und was ist mit dem deutschen Fernsehen? Unsere «Tatort»-Teams werden nach dem Abgang von Florence Kasumba wohl weiss bleiben. Das «Traumschiff» auch, komplett weisser Cast. TV-Regisseur Uwe Janson meinte, wir müssten aufpassen, dass wir in Zukunft nicht nur noch Fernsehen für AfD-Wähler machen. Recht hat er.
Wir Schwarzen spielen ja nicht mal in diesen fürchterlichen Filmen über die DDR mit. Schau dir «NVA» an oder «Weissensee» – Du findest keinen Schwarzen, nirgends.
Als hätte es uns komplett in diesem Land nicht gegeben. Es gab uns aber, ich bin in der DDR gross geworden. Ich bin sogar, das steht in meiner Stasi-Akte, gefragt worden, ob ich bei der Stasi mitmachen würde. Habe ich verneint. Den entsprechenden Stasi-Aktenvermerk habe ich inmeiner Autobiografie veröffentlicht. Nein zu sagen war möglich.
Deswegen habe ich auch eine spezielle Einstellung Ossis gegenüber, die damals sagten, sie hätten gar nicht Nein sagen können und sie haben bei der Staasi mitgemacht, sonst wären ihnen irgendwelche beruflichen Probleme entstanden. Du hattest keine Nachteile, das stimmt nicht. Du konntest Nein sagen, das ist verbürgt und verbrieft.
Weisst du, was sie konkret von dir wollten? Wen solltest du bespitzeln? Es wäre meine Aufgabe gewesen, im Ensemble rumzuhorchen, am Staatsschauspiel Dresden, wo ich engagiert war. Sonst kann ich zu der halben Stunde, die ich da bearbeitet worden bin bei mir zu Hause, gar nicht viel sagen. Ich habe das irgendwann nur noch verschwommen wahrgenommen.
Ich war froh, dass ich Schauspiel studiert hatte, so konnte ich während des Gesprächs ein interessiertes Gesicht machen und halten. Aber ich merkte, wie mir das Deo links und rechts am Körper versagte und runter rauschte.
Ich bin danach sofort ins Theater gegangen, hab meinem Oberspielleiter und dem Intendanten gesagt, dass die Stasi bei mir war, dass sie mich gefragt haben und dass ich Nein gesagt habe. Ich sagte: «Ich möchte hier weiter spielen, ich möchte hier alles so weitermachen wie bis vorher. Ich will nur nicht für die Stasi arbeiten.»
Daraufhin zeigte mein Oberspielleiter in die Ecken seines Büros, legte den Finger auf den Mund, drehte ihn um wie einen Schlüssel, warf ihn weg und nickte mir zu, dass ich alles richtig gemacht hätte. Da wusste ich, sein Büro ist verwanzt.
Die Stasi kam noch ein zweites Mal da, genau eine Woche später, zu zweit. Da war ich entspannter, habe wieder Nein gesagt. Mir ist nichts passiert.
Du hast die aktuelle Debatte um das «Stadtbild» erwähnt … Das Schwierige daran ist für mich, dass Merz das Ganze nur aus seiner Blase raus kennt. Was weiss er vom Stadtbild, wenn er mit seinen gepanzerten Wagen durch irgendeine Grossstadt fährt? Das ist eine selektive Wahrnehmung. Es stehen auch weisse deutsche Jugendliche in Gruppen rum. Es gibt auch deutsche Mädchengruppen, die Raubzüge starten. Deutsche Jugendliche, die das türkische Mädchen auf dem Schulweg drangsalieren.
Ich fand es ganz toll, dass nach seiner zweiten Äusserung «Fragen Sie mal Ihre Töchter!» Tausende auf die Strasse gingen und sagten: «Wir sind die Töchter und Merz, du hast einen Knall.» Das fand ich grossartig, dass das Land so reagiert.
Er sollte ein Kanzler für alle sein, nicht nur für eine Bevölkerungsschicht. All die anderen sind nicht mit gemeint? Das geht gar nicht. Den habe ich nicht gewählt.
Warst du bei der Töchterdemo bzw. bist du überhaupt jemand, der auf Demos geht, gegen Rechts z.B.? Ich bin niemand, der auf Demos geht, aber ich gehe auch nicht zum CSD. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich den CSD unwichtig finde. Ich krieg irgendwie immer eine Anwandlung, wenn mehr als 50 Schwule auf dem Haufen sind. Ich war auch fast nie im Schwuz zum Beispiel. Ausser zur Show der Parka: «Flush, das Musical.» (MANNSCHAFT berichtete). Ich war eingeladen als prominenter Gast, der am Schluss aus diesem Klo rauskommen sollte und irgendeinen QR-Code für eine Spendenaktion in die Luft hält.
Das Problem war nur, dass ich der Einzige war, der an dem Abend ins Schwuz kam, weil man mir nicht gesagt hat, dass die Vorstellung wegen Krankheit ausfällt. Jemand vom Einlass sagte: «Oh, die sind alle von einer Dreiviertelstunde weg.» Ja, man hatte vergessen mich anzurufen und daraufhin habe ich verfügt, dass das Schwuz zu machen muss (grinst).
Verlobung unter Pferdefreunden: Dressur-Olympiasieger Frederic Wandres liebt seinen Lars (MANNSCHAFT berichtete).
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!