Das Schwuz ist tot. Es lebe das Schwuz!
Wie geht es weiter in der Regenbogenhauptstadt?
Nun ist es offiziell: Das Schwuz hat geschlossen. Nach einer wechselvollen fast 50-jährigen Geschichte ist es vorbei. Aber nicht für immer, schreibt unser Autor in seinem Kommentar*. Denn ein Ort wie dieser wird gebraucht.
Ende Juli hatte das Schwuz Insolvenz angemeldet. Damals erklärten die Betreiber*innen, man habe die Reissleine ziehen müssen, bevor die Zahlungsunfähigkeit eintrete. Trotz Sparmassnahmen und struktureller Veränderungen sei die wirtschaftliche Lage ernster als erwartet gewesen.
«Wir haben alles versucht, doch am Ende hat es nicht gereicht», teilte der Club vor wenigen Tagen mit. Nach monatelangen Gesprächen mit potenziellen Investoren habe sich keine Partei gefunden, die das Schwuz im jetzigen Zustand habe übernehmen wollen oder die nötigen Mittel habe aufbringen können. Der Ort sei mehr als nur ein Club gewesen, heisst es beim Schwuz. «Es war ein Zuhause, ein Zufluchtsort, ein Symbol queerer Geschichte.»
Das traditionsreiche «Schwulen-Zentrum», einst in Schöneberg gegründet und zuletzt in Neukölln beheimatet (wo es immer wieder zu queerfeindlichen Straftaten kommt – MANNSCHAFT berichtete), war seit 1977 ein zentraler Ort der queeren Szene. Aber warum funktionierte dieser Ort nicht mehr?
«Nach der Pandemie hatte sich das Ausgehverhalten verändert, und wir hatten das Personalkonzept nicht angepasst. Das Musikkonzept auch nicht. Das ist uns jetzt zum Verhängnis geworden», schrieb Schwuz-Ur-Gestein Michael Ostwald vor ein paar Tagen bei Facebook.
Zudem wurde in der Vergangenheit offenbar sehr grosszügig mit Geld umgegangen, eine künstlerische Leitung fristlos gekündigt, eine hohe Abfindung wurde fällig. Das ist nur ein Beispiel, von dem Insider berichten.
Ich selber habe dort als DJ über 20 Jahre aufgelegt, zuletzt nicht mehr so oft – der Schlaf vor Mitternacht soll ja auch besonders gesund sein.
Im Schwuz habe ich einen meiner besten Freunde kennengelernt, ich habe dort geknuscht, hatte Sex auf dem Klo, habe mir das Herz brechen lassen und habe Männer getroffen, die mich im Nachhinein wohl lieber nicht getroffen hätten. Solche und ähnliche Geschichten erzählen dieser Tage viele, die dort gefeiert oder gearbeitet haben oder die im Schwuz aufgetreten sind.
Auch mein Ausgehleben fand dort über lange Zeit statt. Andere Clubs reizten mich nicht. Im Schwuz war es egal, was man gerade anhatte, wie alt man war, ob man cool genug auftrat.
Es könnte mir jetzt egal sein, da mein Ausgehleben so gut wie vorbei ist. Aber natürlich ist es mir nicht egal. Weil das Schwuz nach wie vor eine wundervolle Idee ist. Queers feiern zusammen, treffen sich in einem Safe Space. Auch wenn es in den letzten Jahren immer wieder hiess, Queers und Heteros feiern jetzt schön zusammen, es braucht doch keine dezidiert queeren Räume mehr. Mag sein, dass es für ein paar Jahre so war (ich habe daran nie geglaubt), aber wir wissen nicht, was kommt.
Offiziell stört sich Kanzler Merz momentan an Menschen mit Migrationshintergrund, die sein «Stadtbild» stören. Aber vielleicht sind es als nächstes schwule und lesbische Paare die ihre Zärtlichkeiten gefälligst zu Hause austauschen sollen. Die AfD würde nur allzu gerne dafür sorgen. Eine aktuelle Studie der Robert-Bosch-Stiftung zur Akzeptanz von Vielfalt in Deutschland zeigt: Vielfalt hat in der Gesellschaft an Rückhalt verloren.
Beim Thema sexuelle Orientierung ist die gesellschaftliche Akzeptanz um acht Punkte gesunken, das scheint eher mit mangelndem Verständnis für trans Personen und Geschlechtsanpasungen zusammenhängen als mit der Frage, ob es «ekelhaft ist, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen», dem widersprachen insgesamt immerhin 71 Prozent der Befragten. Aber wie geht es weiter?
Berlin will Regenbogenhauptstadt sein, das betont auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) immer wieder. Dann muss man aber auch etwas dafür tun. Aus der grünen Opposition wurden schon Forderungen nach einer dauerhaften «Strukturförderung für queere Orte und die Clubkultur» laut. Denn auch für den queeren Tourismus ist ein Ort wie das Schwuz von Bedeutung. Allein zur Schlagernacktparty, die am vergangenen Sonntag zum letzten Mal im Schwuz stattfand, kamen zu jeder Ausgabe Menschen aus ganz Deutschland, teils auch aus Österreich und der Schweiz angereist.
Ich glaube jedenfalls, die Idee des Schwuz ist nicht totzukriegen, auch wenn es nun eine Weile keinen Ort dieses Namens geben wird, den man besuchen kann. Aber es wird wieder einen Club geben, daran glaube ich fest, kleiner vielleicht, gemütlicher und persönlicher, so wie früher. Denn was soll das denn bitte für ein Berlin sein – ohne Schwuz?
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Das könnte dich auch interessieren
Deutschland
1 Jahr Selbstbestimmungsgesetz: «Unendliche Erleichterung»
Seit genau zwölf Monaten können Menschen ihren Geschlechtseintrag relativ unkompliziert ändern. Was die Queer-Beauftragte der Bundesregierung zur Resonanz sagt – und zum Fall Liebich.
Von Newsdesk/©DPA
News
TIN
Queer
Russland
Pussy-Riot-Aktivistin erschüttert mit Schilderungen von Straflager
Maria Aljochina Aljochina war 2012 nach einer gegen Putin gerichteten Protestaktion mit Pride-Flaggen in Moskau zu zwei Jahren Haft im Straflager verurteilt worden.
Von Newsdesk/©DPA
Queerfeindlichkeit
News
Aktivismus
Kultur
News
Queerfeindliche Schmierereien in Berlin: Staatsschutz ermittelt
Der Staatsschutz ermittelt wegen antisemitischer und queerfeindlicher Schmierereien in Berlin-Neukölln.
Von Newsdesk/©DPA
Deutschland
Queerfeindlichkeit