«Wir sind ein anständiger Club. Sex – nur auf der Tanzfläche!»

Weltpremiere des hauseigenen Musicals «Flush» im Berliner Schwuz

flush schwuz
«Flush» auf der Männertoilette (Bild: Flush/Schwuz)

Schwule sind manchmal ein bisschen konservativ. Deshalb spielt das neue Musical «Flush» auf der Männertoilette eines Nicht-Nur-Schwulen-Clubs, während es im Aufführungsort, dem Schwuz, schon seit einigen Jahren Unisex-Toiletten gibt.

In Robin Kulischs Buch für drei Darsteller in 18 Rollen spratzen und prasseln die auf einen prägnanten Nenner gebrachten Balz-Vokabeln: «Was läuft?» und so weiter in allerschönster Reih' und Glied.

Daniel Unger hat als Ambiente für diese Schreie nach Liebe, welche im besten Fall mit schnellem Sex erstickt und für kurze Zeit zum Schweigen gebracht werden, ein im Detail liebevoll derangiertes Örtchen gebaut. Drei Pissoirs, Plakate für Starlets und einen Safer-Sex-Aufruf, ein Kondom-Automat und Kabinen mit ziemlich plump-drastischen Bemalungen.

Ramona, der Travestie-Star im Stück, bringt es auf den Punkt, wenn ein Grossteil der Party- und Liebeshungrigen zum zweiten Mal kommt: Die Clubszene leidet unter Pleitegeiern. Deshalb wirft sich Ramona mit einem einmaligen exklusiven Auftritt ins Rennen und putzt wegen Personalmangels das stille Örtchen höchstselbst. Dabei wird sie zur Klagemauer so manch frustriert-verzweifelten Clubgastes.

Im Schwuz betrachtet die gemischte Zuschauerschaft aus Zentralperspektive. Das Premierenpublikum sitzt am Mittwoch in ordentlichen Stuhlreihen - es lacht belustigt, wissend und bestätigend. Die Uraufführung von «Flush» wurde in der Regie von Marco Krämer-Eis ein rauschendes Szeneevent für Connaisseure und ihre Freund*innen.

Bereits die Ouvertüre ist ein wilder Techno. Mikael «Leakim» Johanssons laute, stramme, taffe Rhythmen sind oft wichtiger als die drei Darstellerstimmen und deren Texte. Man klagt über den Konsumkult und huldigt diesem zugleich heftigst mit Worten, Gesten und Taten. Auch Liebesgier leuchtet aus den Versen, zudem ein grosses Faible für Mode und die Angst vor dem Alter. Seltsam: Im Foyer wirbt ein Plakat gegen ,Age Bashing' und dabei wird dieses vom Stück in Kostüm und Action betrieben.

«Wir sind ein anständiger Club. Also: Sex nicht in den Toiletten, nur auf der Tanzfläche!»

«Der war ja über 40» grenzt sich ein Schöner der Nacht in «Flush» von einem Kurzzeit-Lover ab. Und Robert, einer der beiden Protagonisten, feiert seinen 30. Geburtstag, als sei dieser die Schwelle zum Grab. Garniert wird das mit Rosamunde-Pilcher-Weisheiten im Dauerfeuer. Das Publikum kommt in beste Stimmung. Unger trifft mit seinen Kostüm-Kreationen den Nerv und die Attitüden der Club-Fans, -Dauergäste und Hipster genau – sei es den Sozialpädagogen mit Latex-Doggie-Montur, den scheuen Clubdebütanten, den Narzissten, den Sexsüchtigen, den Hypermacho und den abgefuckten Schwulenhasser – ja, auch so einer kommt vor. Volles Programm eben.

Und aberwitzig viel zu tun haben die nur drei Spieler! Diese vollziehen fast alle 90 Sekunden einen Kostüm- und Rollenwechsel. Sie sind ständig auf dem Sprung in Robin Rohrmanns herausfordernder Choreografie, rein und aus den Klamotten. Manchmal verschwinden sie zu zweit in einer Kabine und kommen in anderer Gestalt durch die Tür wieder von draussen rein. Dazu Tanzen, Strobo und frenetische Lebensgier mit und ohne Drogen. Einmal heisst es: «Wir sind ein anständiger Club. Also: Sex nicht in den Toiletten, nur auf der Tanzfläche!» Das Auditorium freut sich diabolisch.

Zwei paradigmatische und angemessen durchschnittliche Typen sind die Hauptpersonen. Sie stehen im Mittelpunkt von Feierlaune, Partybefeuerung und Depression. Der etwas kleinere, dunkelhaarige Robin Cadet übernimmt eher die kraftvoll zupackenden und zubeissenden Heisssporne, die nichts anbrennen lassen, deshalb aber durch Grössenphantasien, Priapismus und Katzenjammer gleichermassen anfechtbar sind. Die jedoch auch bereit sind, den Armbizeps und den tieferen zwischen den Beinen spielen zu lassen.

Felix Heller ist grösser, blond und übernimmt eher die nicht ganz so forsche, leicht nachdenkliche und ihre Beute mit etwas strategischem Denken ansteuernde Jagdspezies. Beide zusammen geben eine wilde bis wunderbare Stimmungsmischung, wie man sie in Partynächten von Amsterdam bis Zürich bis vor kurzer Zeit regelmässig vor das Visier bekam. Robin Rohrmann brachte ihnen die essenzielle Bein- und Armarbeit bei – unter anschmiegenden Hosen- und Hemdschnitten. Fast pikant und nobel dagegen: Jurassica Parka als Ramona, deren Lächeln auch vom Plakat über dem Pissoir strahlt: Eine Person mit Erfahrung und Wissen um's männliche Fühlen, das allen in Leib und Sinne fährt.

Autoren und Spieler sparen nicht mit realistischen Details. Die Aktionen hinter den Kabinentüren und alle sexuellen Bedürfnisse, alle Offerten, Wünsche und Biestigkeiten werden heiter bis drastisch beschrieben, ausgeführt und kommentiert. Das englische Wort «Flush» bedeutet sowohl das Rieseln eines Baches wie ein spülendes Rinnsal. Aber es bedeutet auch die rötende Hautreizung infolge von emotionaler Erregung unter Alkoholeinfluss oder aus Scham anlässlich eines Ertapptwerdens. Das Musical bringt «Flush»-Momente mit inflationärer Fülle.

Mindestens zwei Wochen soll das hehre Stück laufen und setzt so nach «Operette für zwei schwule Tenöre» die Berliner Initiativen um ein queeres Musical fort. Hier in Form eines ortslosen und fast zeitlosen Bemühen um regionale Befindlichkeiten für Einheimische und Männer, die einmal so richtig die Sau rauslassen wollen. Man ist unter sich und feiert nach Kräften und exzessiv. Kein Käfig voller Narren, aber der sich in einem Brunftschrei temporäre Erleichterung schaffende Sehnsuchtsruf nach Liebe.

Alle Schablonen der Partnersuche und ihrer narzisstischen Hürden werden thematisiert. 50 Jahren nach Rosa von Praunheims Film lautet der dem schwulen Paradigma der letzten Generation folgende Slogan: «Nicht nur der Homosexuelle ist scharf, sondern auch das Klosett, in dem er lebt». Authentisch sind in dieser bizarren bis galgenhumorigne Show die Lust und der Wille zum Unvollkommenen, Spontanen, Burlesken. Die Stars, das Produktionsteam, die Backstagecrew wurden am Ende herzlich gefeiert. Dabei sollte «Flush» die Gegenwart meinen, nicht ein Nostalgie-Musical aus der Zeit der sexuellen Permissivität, in der Männer sich noch ohne nonbinäres Gewissen unter-, gegen- und übereinander hermachen konnten – mit «Flush» ohne Reue!

Text: Roland Dippel

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