«In dieser Serie wird auf niemanden Rücksicht genommen»
«Boom Boom Bruno» will nicht politisch korrekt sein
An diesem Donnerstag startet die Serie «Boom Boom Bruno» auf Warner TV Serie (MANNSCHAFT berichtete). Neben Ben Becker ist darin Pierre Sanoussi Bliss als Dragqueen Lady Lovelyn zu sehen.
Pierre, du hast in der Serie tolle Dragqueen-Kolleginnen wie Jurassica Parka und Jade Pearl Baker. Ja, und ich habe denen gleich bei der Leseprobe gesagt: Sagt mir bitte Bescheid, wenn irgendwas unglaubwürdig ist, wenn ich patze. Ich spiele ja die Königin der Mädels. Da will ich nicht in der Rolle irgendwie Fehler machen, etwas, das eine Dragqueen nie tun würde. Aber ich habe nicht einen Hinweis kriegen müssen. Mit der Parka hatte ich 8 oder 10 Drehtage zusammen. Das das hat wirklich grossen Spass gemacht, und sie haben mich alle akzeptiert. Nach einer Szene kamen sogar ein paar Statisten zu mir und wollten wissen, wo sie meine Show sehen könnten. Das war ein sehr hübsches Kompliment.
Und wer war für dein Make-up zuständig? Als ich die Drehbücher kriegte, habe ich mir das auch überlegt: Mensch, wer schminkt mich denn da? Und dann stellte sich heraus: Das macht Marlene Deluxe aus dem Berliner Tipi. Marlene hatte bei mir acht verschiedene Aufgaben für acht verschiedene Outfits. Sie hat alles an sich selbst ausprobiert, in stundenlanger Arbeit. Und ich konnte dann hemmungslos mit den Wimpern klimpern, weil ich wusste, die sind wirklich bombenfest. Die Perücke auch.
Es gibt ja immer wieder Forderungen, dass etwa schwule Rollen von schwulen Darstellern gespielt werden sollen. Gab es ähnliche Diskussionen auch schon bei deiner Rolle? Ich war ins Jurassicas Show als Gast eingeladen bei «Paillette geht immer» im BKA. Da kamen dann schon Kommentare auf Youtube: Warum nehmen sie nicht eine echte Dragqueen? Das brauche man sich gar nicht erst anzugucken, wenn Schauspieler sowas machen, das sei doch verschenkt … Dass man heute immer auch sein soll, was man darstellt, finde ich ein bisschen kompliziert. Ich glaube auch nicht, dass sich Anthony Hopkins in Vorbereitung auf Hannibal Lector erst mal Menschenhirn hat servieren lassen, um zu wissen, wie es schmeckt oder sich anfühlt.
Von den Dragqueens, die in der Serie meine Angestellten waren und im wirklichen Leben ihre Brötchen damit verdienen, kam nicht eine einzige Kritik.
Das ist völliger Quark, zumal bei dieser Sache: Das ist ja wirklich eine Transformation. Drei Stunden vom ersten Strich im Gesicht, bis ich dann ins Kleid schlüpfe. Du veränderst dich da. Das ist meine Arbeit, das ist mein Job als als Schauspieler: behaupten, jemand anders zu sein. Das mache ich seit 40 Jahren. Und von den Dragqueens, die in der Serie meine Angestellten waren und im wirklichen Leben ihre Brötchen damit verdienen, kam nicht eine einzige Kritik. Und die sollten das ja vielleicht wissen.
Bruno, die Hauptfigur, ist ein ziemlicher Kotzbrocken. Er hat eine lesbische Vorgesetzte und einen schwulen Kollegen, der aber nicht out ist. … und Bruno merkt das auch nicht. Das zeigt seine Blindheit dem Ganzen gegenüber. Er erkennt Schwule nur, wenn sie sich anmalen oder eine Perücke aufsetzen … Ben Becker ist in der Rolle zum Niederknien. Es wirkt, wie ihm auf den Leib geschrieben. Aber der ist als Mensch ja kein Arsch, sondern ein ziemlich feinfühliger Typ, der seine Nerven auch aussen trägt. Grossartige Leistung jedenfalls.
Was übrigens niemand in der Serie macht, ist, irgendwas ins Lächerliche zu ziehen oder seine Rolle zu verraten, irgendwelche Klischees zu bedienen. Ich musste vielleicht noch am ehesten Klischees bedienen als Lady Lovelyn. Ich musste ja mit diesen 10 Zentimeter hohen Pumps durch die Gegend stöckeln. Das hat super funktioniert. Schwierig war nur: Wenn ich sie ausgezogen haben, suchten meine Füsse dann Raum und ich kam nach der Pause nur schwer wieder rein. Deswegen habe ich die Dinger dann immer angelassen. Wenn die Füsse erst mal abgestorben sind, kann man es gut 10 Stunden durchhalten.
Hatte deine Rolle im Drehbuch eigentlich schon eine Hautfarbe? Ja, das war von vornherein klar. Die Produktionsfirma, die Odeon Fiction, hat wirklich darauf geachtet, das Ganze so selbstverständlich divers wie nur möglich zu besetzen. Die Rollen-Beschreibung war, glaube ich, «eine.schwarze, schöne Dragqueen», Na ja, und da konnte man nur auf mich kommen. (grinst)
Warner TV heisst: internationales Publikum! Auf meiner offiziellen Facebook.Seite ging natürlich schon das Gemecker los: Das muss man ja erst abonnieren! Aber, so ist es: Die Serie ist in Deutschland entstanden und läuft am Ende weltweit. Und in den USA achten die natürlich auf Diversity, dort musste die Besetzung auch abgenickt werden. Wir denken immer, dass hier produzierte Serien eine deutsche Angelegenheit sind, sind sie aber nicht. Man hat ja gesehen, wie »Liebeskind» weltweit explodiert oder vorher »Dark».
Deutsche Produktionen sind sonst nicht sehr divers. Es gibt leider immer noch so viele Entscheider, die uns Schwarze nicht mitdenken. Solange das noch so ist, finde ich es gut, dass es im Buch dabei steht. Der Regisseur hätte es wahrscheinlich auch so gemacht. Maurice Hübner ist ein total cooler Typ und auch schwul.
Wenn du das Buch deutschen TV-Redakteuren in die Hand gegeben hättest, hätten sie das überhaupt gar nicht angerührt. Es ist homophob und rassistisch ohne Ende, auch frauenfeindlich ohne Ende. Es ist überhaupt nicht politisch korrekt, es wird auf niemanden Rücksicht genommen. Und dann wurde es auch noch von einer Frau geschrieben, was dem Ganzen ja ein bisschen Wind aus den Segeln nimmt.
Du predigst ja Diversität schon länger. Durchaus. Ich wurde neulich für eine Doku über Schwulsein in der DDR von einer Journalistin gefragt, ob es mir damals als schwuler Schwarzer nicht fürchterlich schlecht gegangen sein muss. Nein, es war eine super Zeit! Ich habe am Staatsschauspiel in Dresden vom russischen Kolchose-Bauern über den Todesengel bis zum französischen Prinzen alles gespielt. Für die DEFA war ich ein Zauberer, der nicht zaubern konnte. Seit der Wende war es dann so: Da stand in Klammern bei der Rollenbeschreibung: Ein Schwarzer – ich sollte plötzlich gebrochen Deutsch sprechen. Das ist mir alles erst nach 1989 passiert. Mir ist auch letztens mal gesagt worden: «Wir können dich nicht besetzen. Wir haben schon einen.» Das muss man sich reinziehen.
Ich sagte dann zu der Journalistin, die meinte, es hätte sich in diesem Land schon viel verändert: Nenn mir bitte fünf schwarze deutsche Schauspieler, die derzeit irgendwie angesagt oder bekannt sind. Da kam nichts. Genau das ist das Problem.
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