Angelina Maccarone: «Warum sollte ich eine Hetero-Welt entwerfen?»

Wir haben die lesbische Regisseurin in ihrer Wahlheimat Berlin getroffen

Angelina Maccarone: «Warum sollte ich eine Hetero-Welt entwerfen?»
Angelina Maccarone: «Ich fürchte, dass der Backlash eintritt» (Bild: Hannah Lenz)

Mit mutigen queeren Geschichten machte sich Angelina Maccarone einen Namen – nun kehrt die preisgekrönte Regisseurin nach über einem Jahrzehnt mit «Klandestin» auf die grosse Leinwand zurück. Ein Interview über das Aneinander-Vorbei-Leben und die Queer-Sättigung der Filmbranche. 

Angelina, du hast schon 2017 den Deutschen Drehbuchpreis für «Klandestin» gewonnen. Warum hat es sieben Jahre gedauert, bis der Film ins Kino kommt? Angelina Maccarone: Das habe ich mich auch oft gefragt – und die Produzentinnen sicher auch. Eine Herausforderung war ähnlich wie vor 20 Jahren bei meinem Film «Fremde Haut».

Da wurde ich oft gefragt: «Eine Geflüchtetengeschichte und queer – muss es beides sein?» Dabei geht es in «Klandestin» um viel mehr. Aber es kommt jemand vor, der seine Heimat Marokko verlässt und illegalisiert nach Europa kommt, und da wird schnell ein Label draufgeklebt. Spätestens seit der grossen Fluchtbewegung 2015 und dem Rechtsruck auf der Welt ist das Thema aufgeladen.

«Es gibt die Tendenz, schnell zu sagen: ‹Das haben wir schon gesehen, damit wollen wir uns nicht auch noch im Kino beschäftigen›».

Angelina Maccarone

Deswegen will kaum jemand Filme darüber finanzieren? Es gibt die Tendenz, schnell zu sagen: «Das haben wir schon gesehen, damit wollen wir uns nicht auch noch im Kino beschäftigen. Was wir brauchen, ist Ablenkung.» Diesen Impuls kann ich nachvollziehen. Trotzdem finde ich es richtig, sich mit den drängenden Themen unserer Zeit abseits der Nachrichten und des Faktuellen zu beschäftigen.

In der Kunst können wir das Menschliche aufzeigen und die Aspekte von Immigration, die jenseits der Problematisierung Positives beinhalten. Es gab ja ein – vermutlich leider nur kurzes – Fenster, in dem People of Color und Queerness gewollt waren. Hinzu kam bei der Finanzierung von «Klandestin» wohl eine Portion Ageism.

Wäre ich als Zwanzigjährige mit so einer Idee um die Ecke gekommen, hätte die Sache vielleicht anders ausgesehen. Aber ich bin glücklich, dass es uns am Ende gelungen ist, den Film umzusetzen. Zweimal waren wir uns sicher, dass es nicht klappen würde.

Szene aus «Klandestin»: Malik (Habib Addazu) träumt von einem Leben in Europa. Sein britischer Freund Richard (Lambert Wilson) will ihm helfen.
Szene aus «Klandestin»: Malik (Habib Addazu) träumt von einem Leben in Europa. Sein britischer Freund Richard (Lambert Wilson) will ihm helfen. (Bild: Klandestin)

Musstest du oft Projekte beerdigen? Zum Glück nicht. Es waren eher Projekte, bei denen ich im Nachhinein sagen würde, dass es keine Herzblutprojekte waren. Sonst hätte ich es irgendwie noch einmal versucht. Aber vielleicht rede ich mir das auch nur schön? So oder so versuche ich, den Blick nach vorne zu richten. 

Mit Blick auf die gesellschaftlich geführten Debatten hat sich in den vergangenen zehn Jahren vieles verändert. Musstest du dein Drehbuch von «Klandestin» anpassen? Die Idee für diese Geschichte hatte ich lange vor der Fluchtbewegung 2015. Eine der vier Hauptfiguren ist eine Politikerin. Seither hat uns die Realität an vielen Stellen eingeholt. Ursprünglich sollte der Film im Europaparlament in Brüssel spielen, mit einer britischen Abgeordneten im Zentrum.

Dann kam der Brexit, deswegen geht es nun um eine Europa-Beauftragte in Frankfurt. Allerdings wollte ich keinen Film über das tagespolitische Geschehen drehen, sondern die emotionale und menschliche Seite beleuchten. Und die ist durchgängig gleichgeblieben. Anpassen musste ich die Welt, in der die Protagonist*innen agieren. 

Besagte Europa-Beauftragte ist, wie alle Figuren in deinem Film, keine reine Sympathieträgerin . . . Stimmt, das war auch eine Schwierigkeit, um «Klandestin» zu finanzieren. Tatsächlich erwarten die Meisten beim Lesen eines Drehbuchs die klassische männliche Heldenreise. Vielleicht hin und wieder eine Heldinnenreise. Dann ist eine Geschichte, in der die Figuren nicht durchgehend sympathisch sind – noch dazu, wenn sie nicht chronologisch und linear erzählt wird – herausfordernd.

Aber mir ist wichtig, Menschen in all ihren Facetten abzubilden. Wahrhaftigkeit ist ein grosses Wort, dennoch versuche ich, ein echtes, dreidimensionales Bild zu zeichnen. Dazu gehört eine konservative Politikerin, die verletzlich ist und mit inneren Widersprüchen kämpft. Diese Frau wollte ich nicht weichgespült, sondern dass sie krasse Positionen in den Raum stellt, die uns leider inzwischen täglich begegnen. 

Mindestens zwei der vier Hauptfiguren in «Klandestin» sind queer, was im deutschsprachigen Kino noch die absolute Ausnahme ist. Queere Figuren stehen sonst nur im Fokus, wenn es genau darum geht. Ausserdem spiegelt das meine Realität wider und ich fühle mich autorisiert, etwas darüber zu erzählen. Warum sollte ich als lesbische Regisseurin eine reine Hetero-Welt entwerfen? Es ist nicht so, dass ich ausschliesslich über queere Figuren erzählen will. Aber sie sollen in meinen Geschichten präsent sein.

Darüber hinaus spiegeln sich in «Klandestin» die Figuren gegenseitig. Wir haben zwei junge Menschen und zwei, die sich stark dem Alter nähern. Zwei von ihnen sind People of Color. Und zwei eben queer. Diese Querachsen zwischen den Figuren zeigen, was sie gemeinsam haben oder hätten, doch gleichzeitig verpassen sie sich eben auch. Letztlich ist das der Kern der Geschichte: wie sie aneinander vorbeileben und sich nur punktuell wahrnehmen, obwohl da die Chance wäre, dass sie ihre Sehnsüchte nach Nähe und Liebe, Begegnung und Austausch teilen. 

Angelina Maccarone
(Bild: Hannah Lenz)

Angelina Maccarone

Die Tochter eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter kam in Pulheim bei Köln zur Welt. Ihre Karriere begann die lesbische Regisseurin in den Neunzigern mit queeren Fernsehfilmen. Viel Aufmerksamkeit bekam sie ein Jahrzehnt später mit Filmen wie «Fremde Haut» mit Jasmin Tabatabai (nominiert unter anderem für den Deutschen Filmpreis) oder «Verfolgt» mit Maren Kroymann (ausgezeichnet beim Filmfestival in Locarno). 2011 feierte ihr Dokumentarfilm «The Look» über Charlotte Rampling in Cannes Premiere. Elf Jahre nach ihrer letzten Regiearbeit, einer Folge der Krimireihe «Polizeiruf 110», kommt nun am 24. April mit «Klandestin» ihr neuer Film in die deutschen Kinos. 

Spannend ist die enge Freundschaft zwischen der Politikerin Mathilda und dem schwulen Künstler Richard, gespielt von Barbara Sukowa und Lambert Wilson. Was machte die beiden zur idealen Besetzung? Für Richard suchte ich einen Schauspieler, der eine Körperlichkeit mitbringt, die nicht dem Klischee des «dirty old man» entspricht. Er musste mehr sein als nur der alte weisse Mann, der in Marokko lebt, weil er es sich leisten kann. Lambert hat etwas Jungenhaftes und eine Offenheit, die dafür sorgen, dass Richard nicht bloss ein Vampir ist, der sein Leben daraus speist, dass er junge Menschen aussaugt.

Bei der Figur der Mathilda bestand die Gefahr, dass sie als Politikerin, die eine bestimmte Fassade vor sich herträgt, flach bleibt. Eine Ausnahmeschauspielerin wie Barbara Sukowa, in der spürbar ein wildes Herz schlägt und die einen besonderen Humor mitbringt, verleiht dieser Frau eine liebenswerte, berührbare Seite.

Vor 30 Jahren war dein erster Film «Kommt Mausi raus?!» im deutschen Fernsehen zu sehen. Hast du es je bereut, so offen mit deiner sexuellen Identität umgegangen zu sein? Alles andere wäre angesichts der Geschichte von «Kommt Maus raus?!» schwierig gewesen. Aber ich hätte auch keine Lust gehabt, diesen Teil von mir zu verleugnen, nur um besser anzukommen. Zumal in einem Beruf, der erfordert, mich mit mir zu beschäftigen und in meine Arbeit einzubringen. Auch in einem Film wie «Verfolgt», in dem die Hauptfiguren weder lesbisch noch schwul sind, stecken ich und meine Queerness drin. 

Es gibt durchaus solche, die aus diesem Grund lieber Auftragsarbeiten annehmen, als persönliche Geschichten zu erzählen… Klar. Oder die zwar eigene Filme entwickeln, ihre Queerness dabei aber nie nur ansatzweise zum Thema machen. Aber die sind eben auch nicht meine engsten Freund*innen.

Ist es für queere Filmemacher*innen und Geschichten leichter geworden als vor 30 Jahren? Oder tritt die hiesige Branche auf der Stelle? Ich bin unsicher, ob ich die Richtige bin, um das umfassend zu beantworten. Als ich anfing, gab es kaum Filme mit lesbischen Figuren. Und die, die es gab, endeten tragisch. Dem wollte ich mit «Kommt Mausi raus?!» etwas entgegensetzen. Genauso wie ich mit «Alles wird gut» zeigen wollte, dass ein Film mit People of Color in den Hauptrollen nicht nur möglich ist, sondern auch vergnüglich.

Nicht weiss und nicht hetero – das gab es so gut wie nicht im deutschen Film. Dass ich diese Filme machen konnte, war Glück, denn ab den späten 90er-Jahren öffnete sich in Sachen Diversität etwas. Später kam der Serienhype und das Streaming hinzu, eine grössere Reichweite und ein leichterer Zugang, das veränderte viel. 

Das klingt erst einmal positiv, oder? Ja, aber ich wünsche mir, dass wir diese Selbstverständlichkeit, die es heute gibt, auch dazu nutzen, dass es im queeren Kino nicht mehr so sehr um Coming-outs und ähnliche Narrative geht. Filme mit queeren Figuren müssen nicht zwangsläufig von Queerness handeln. Schliesslich gibt es keine Filme, in denen jemand entdeckt, heterosexuell zu sein – und dann ist das das einzige Thema. So etwas ist schnarchlangweilig.

«Ich fürchte, dass der Backlash eintritt und es häufiger heisst, man wolle nach all der Queerness und Diversität wieder das ‹Normale›.»

Angelina Maccarone

Wo es früher keinen Platz für queere Figuren und People of Color gab, gilt heute stattdessen: «Haben wir doch schon», nur weil es in jeder Serie eine solche Nebenfigur gibt. Ich fürchte, dass der Backlash eintritt und es häufiger heisst, man wolle nach all der Queerness und Diversität wieder das «Normale». Die Herausforderungen sind nicht verschwunden, sondern verschoben.  

Riccardo Simonetti spricht über die Herausforderungen der Sichtbarkeit, das Ringen um Anerkennung und über fehlende Vor­bilder in der Jugend. Ein Gespräch über Träume, Widerstände und die Kraft, zu sich selbst zu stehen (MANNSCHAFT-Interview & Fotostrecke).

Entdecke weitere Beiträge in unserem Online-Magazin:

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare