«Sie ist zwar Erzbischöfin, kann aber alleine nichts entscheiden»

Vor welchen Schwierigkeiten steht die queere Geistliche Cherry Vann?

Erzbischöfin von Wales Cherry Vann
Cherry Vann, Erzbischöfin von Wales (Bild: Church in Wales via Facebook)

Die Kirche von Wales hat eine lesbische Frau an der Spitze. Die protestantische Pfarrerin Kerstin Söderblom erklärt, welche Spielräume Bischöfin Vann hat, ihre Kirche queerfreundlicher zu machen.

Frau Söderblom, Sie sind evangelische Pfarrerin in Mainz und arbeiten dort unter anderem mit Studierenden. Wie haben Sie reagiert, als Sie gehört haben, dass Cherry Vann Erzbischöfin von Wales geworden ist? Als ich die Nachricht gehört habe, habe ich mich total gefreut. Ich habe das schon als einen sehr historischen Schritt wahrgenommen. Eine lesbische Frau in der doch recht konservativen anglikanischen Kirche in Grossbritannien, das ist schon sehr beachtlich. Das hat Signalwirkung. Es ist ein Zeichen für Sichtbarkeit, Teilhabe und einer stärkeren, auch an der Person festgemachten Inklusion von LGBTIQ-Themen. Queerness wird in den Kirchen gelebt und es hat sie in der Kirche schon immer gegeben, nur war ihre Sichtbarkeit noch vor 30 Jahren sehr viel geringer als jetzt.

Kerstin Söderblom
Kerstin Söderblom (Bild: Vera Wolber)

Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare sind in der walisischen Kirche zwar möglich, doch die Ehe für Alle innerhalb ihrer Kirche will Frau Vann aber nun auch nicht unmittelbar einführen… … Cherry Vann ist eine Frau, die sich auch vorher noch nicht so gross aus dem Fenster gehängt hat für queere Rechte in der Kirche. Jetzt als höchste Repräsentantin der anglikanischen Kirche in Wales wird sie auch keinen Turbo einlegen. Das wundert mich jetzt erstmal nicht, wenn man so ein bisschen ihre Geschichte und auch ihre persönlichen Entscheidungen kennt. Insofern glaube ich, dürfen wir unsere Erwartungen aus einer queeren Perspektive nicht zu hoch hängen. Es gibt keinen Automatismus, dass, nur weil es eine lesbische Erzbischöfin gibt, es von nun an auch eine super queerfreundliche Kirchenpolitik in Wales oder Grossbritannien gibt.

«Es gibt keinen Automatismus, dass – nur weil es eine lesbische Erzbischöfin gibt – es nun auch super queerfreundliche Kirchenpolitik in Grossbritannien gibt.»

Kerstin Söderblom

Welche Kirchenpolitik wünschen Sie sich von ihr? Ich wünsche mir, dass sie auf leisen diplomatischen Sohlen versucht, Einfluss zu nehmen. Sie setzt auf Versöhnung, so sagt sie das. Und das heisst für mich, dass sie versucht, Aushandlungsprozesse um diese kontroversen Themen in Gang zu bringen. Was ich von ihr erwarte, ist, dass sie das als offen lesbische Erzbischöfin sozusagen moderiert und die Räume offen hält, dass diese Themen nicht weggedrückt werden, gerade weil sie strittig und kontrovers sind. Bei ihrer queeren Lebensweise, auch ihre Verpartnerung mit ihrer Partnerin, hat sie sich bedeckt gehalten. Sie hat es aber, seitdem sie Bischöfin ist, öffentlich gemacht. Und jetzt muss sie berufsbiografisch nachlegen.

Aber für das alles wird sie Zeit brauchen. Denn die queere Community, auch die christlich-queere Community hat nichts davon, wenn sie zu schnelle Schritte geht und sie von Erzkonservativen, die es ja in kirchlichen Kreisen zu genüge gibt, als Fischfutter verspeist wird.

Erzbischöfin Cherry Vann
Cherry Vann, Erzbischöfin von Wales (Bild: Church in Wales)

Vor welchen Schwierigkeiten steht Bischöfin Vann dabei? Sie ist zwar Erzbischöfin, kann aber alleine nichts entscheiden. Sie muss die Leute mitnehmen, weil das immer auch Machtthemen sind. Auch wenn ich sehr gut verstehen kann, dass viele queere Personen, auch jenseits von Kirche, sagen, dass das alles viel zu langsam geht. Dennoch muss Frau Vann die Mitte ausbalancieren, auch wenn sie natürlich rote Linien ziehen muss.

Wichtig ist die Frage: Wer zählt zu den Bündnispartner:innen – und wer nicht. Die anglikanische Kirche ist auch in Afrika stark vertreten, wo Fragen der Gleichstellung kulturell oft ganz anders gesehen werden. Und wenn nun aus Grossbritannien eine Bischöfin kommt, die den afrikanischen Kirchen etwas vorschreiben will, dann kommen dort gleich auch die Themen Kolonialismus und Rassismus auf.

Von dort aus wird oft mit einer Spaltung der anglikanischen Weltkirche gedroht. Für wie wahrscheinlich halten Sie so etwas? Es gab ja auch Gene Robinson, den Bischof der Episkopalkirche in New Hampshire, den ersten schwulen Bischof in Nordamerika. Da haben die afrikanischen Kirchen auch gesagt, sie würden aus der gemeinsamen Weltkirche austreten, das sei nicht mehr ihre Kirche. Das haben sie aber letztlich nicht gemacht, weil sie natürlich auch von den finanziellen Mitteln der Weltkirche abhängig sind. Also die Machtspielchen sind hier ganz klar zu erkennen.

Gibt es noch andere Vorläufer*innen zu Bischöfin Vann? Ja. Eva Brunne ist 2009 zur ersten lesbischen lutherischen Bischöfin in Stockholm gewählt worden. Die war auch eher moderat und zurückhaltend, was ihr Privatleben anging und sie ist dann kirchenpolitisch ebenfalls so einen diplomatischen Mittelkurs gefahren. Aber auf ihrer Agenda hatte sie das Thema schon.

Woran liegt es denn eigentlich, dass man auch auf der mittleren Ebene von Kirche kaum queere Personen wahrnimmt? Es ist tatsächlich meines Wissens kaum jemand offen queer in kirchlichen Leitungen. Und das ist natürlich auch nicht ganz zufällig, denn man muss sich das persönlich schon sehr genau überlegen. Einerseits ist die Unterstützung in Teilen schon gross, aber man muss sich auch klar machen, dass man eben auch von wertekonservativen, rechtskonservativen und evangelikal-charismatischen und freikirchlichen Gruppen zugespamt wird. Das ist teilweise psychischer Terror. Das kriege ich schon als lesbische Pfarrerin mit. Ich möchte das dann nicht hochrechnen, was das für Personen auf der Leitungsebene bedeutet.

Frau Söderblom, sie selbst arbeiten mit queeren Studierenden in Mainz zusammen. Die Sorgen und Befürchtungen dieser Menschen sind ja wahrscheinlich ähnlich zu den Fragen, denen Frau Vann nun begegnen muss. Was erleben Sie an der Kirchenbasis? Auf der persönlichen Ebene irritiert es mich, dass heute 20-jährige Studierende, die zu mir kommen, beim Thema Coming Out und Transition Sätze sagen, die ich vor 30 Jahren auch hätte sagen können.

Und auf der politischen Ebene: Viele Studierende machen sich grosse Sorgen über den allgemeinen politischen Backlash. Das gilt für die USA, für Ungarn, aber auch Italien. Und auch in Deutschland gibt es ja solche Tendenzen. Dagegen bieten wir hier „safer spaces“ an und politische Aktionen mit unseren Bündnispartner:innen – auch mit nicht-kirchlichen.

Archivbild
(Bild: Oliver Berg/dpa)

Also braucht Bischöfin Vann letztlich doch die Unterstützung von unten in ihrer Arbeit? Es muss unten on the ground passieren und eine Bischöfin muss von oben mit ihren Machtdiskursen unterstützen. Dazu gehören queerfreundliche Gottesdienste – nicht nur zum CSD oder zum „Idahobita“, oder zum „Trans Day of Remembrance“. Das machen wir hier in Mainz auch, und zwar zusammen mit der gesamten Community - auch mit nicht-kirchlichen Gruppen. Bei unseren Gottesdiensten sind mehr als 100 Leute da und die Kirche ist dann bunt, vielfältig und divers.

Das ist der Lackmus-Test, wie Kirchen mit queeren Menschen umgehen. Sind wir offen für Unterschiede? Oder leben wir von Dogmen und Leersätzen, die alle anderen ausschliessen? Das fällt dann schon auch Menschen in den oberen kirchlichen Etagen auf.

Inwieweit kann denn die reine Existenz von Cherry Vann als Erzbischöfin von Wales für queere Gläubige schon einen positiven Effekt haben? Bei diesen Themen ist jedes Signal wichtig, dass es auch queere Personen in Verantwortung gibt, in Politik, Gesellschaft, und Kirche. Personen wie Frau Vann sind da ein wichtiges Zeichen. Ich als lesbische und queere Pfarrerin erlebe das hier auch in meinem Umfeld. Queere Personen kommen zu mir, weil sie mir einen Vertrauensvorschuss geben. Die Studierenden wissen ja, dass ihre Pfarrerin hier lesbisch ist. Und sie sagen mir, wenn sie nicht wüssten, dass ich lesbisch sei, würden sie nicht vorbei kommen.

Und in dieser Weise ist eben Sichtbarkeit und Repräsentanz, die ich mit allen Bündnispartner:innen und Kolleg:innen hier im Kleinen erlebe, auf grosser Bühne genauso wichtig. Es ist wichtig, dass Menschen sich ermutigt sehen und sagen können: In diesem Laden kann ich mich engagieren, weil es hier Spielräume gibt und hier werde ich respektiert, so wie ich bin. Queer und religiös widerspricht sich nicht. Sondern wir sind alle als Gottes Ebenbild geschaffen und die Welt ist vielfältig, so wie Gott vielfältig ist.

Mehr: Hillary Clinton an queere Paare: Heiratet jetzt! (MANNSCHAFT berichtete)

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