Russisches Ehedrama und weitere LGBTIQ-Highlights bei der 60. Viennale
Am 20. Oktober startet die Jubiläumsausgabe
Die Viennale ist das grösste internationale Filmfestival Österreichs. Die 60. Ausgabe vom 20. Oktober bis 1. November hat viele LGBTIQ-Filme im Angebot. MANNSCHAFT stellt die Highlights vor.
Natürlich ist der neue österreichische Film «Eismayer» dabei, über Vizeleutnant Charles Eismayer und seine Beziehung zum jungen Rekruten Mario Falak, für den Eismayer seine Frau und Familie verlässt (MANNSCHAFT berichtete).
Diesen Film vom Regisseur David Wagner sehen manche als Oscar-Anwärter 2023, nachdem bereits das Gefängnis- und Paragraf-175-Drama «Grosse Freiheit» zuletzt ein queerer Oscar-Kandidat aus Österreich war.
Tschaikowskys unglückliche (Schein)Ehe Ebenfalls von einer gescheiterten Ehe – allerdings in anderem historischem Kontext – erzählt «Zhena Chaikovskogo» über den schwulen russischen Komponisten Piotr Tschaikowsky, der eine Ehe mit einer jungen Musikschülerin eingeht. Über die Gründe kann man spekulieren – die Verbindung dauerte keine drei Monate und führte bei Tschaikowsky zu einem Nervenzusammenbruch. Und zur Komposition des berühmten Violinkonzerts.
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov nimmt die Beziehung Tschaikowsky zu seiner Frau genauer unter die Lupe. Ihre Liebe zum berühmten Komponisten wird zunehmend zu einer Obsession, für die sie bereit ist, alles zu ertragen, nur um bei ihrem Mann bleiben zu können. Der sie allerdings so schnell wie möglich wieder los werden möchte, um sich seinen schwulen Eskapaden zu widmen, von denen wir aus den Briefen an seinen (gleichfalls schwulen) Bruder Modest sehr detailliert informiert sind.
So wissen wir auch, dass Tschaikowsky entgegen anderslautenden Gerüchten mich sich und seiner Sexualität im Reinen war und sie in vollen Zügen genoss, auch wenn die Gesellschaft ihn zumindest vorrübergehend in eine Scheinehe trieb. Ein kürzlich erschienener Sammelband untersucht, warum solche Aspekte und Homosexualitätenforschung insgesamt in der Welt der klassischen Musikwelt trotzdem weitgehend ausgeblendet bleiben (MANNSCHAFT berichtete).
Der selbst offen schwule Serebrennikow schrieb das Drehbuch, während er in Russland unter Hausarrest stand (und nach wie vor steht), wegen des Verdachts auf Veruntreuung von Staatsgeldern. Putins Plan, unliebsame Künstler und Kritiker so zum Schweigen zu bringen, hat im Fall Serebrennikow nicht funktioniert.
Beziehungsdrama unter Teenagern aus Belgien Ebenfalls in Wien läuft der Film «Close» des belgischen Regisseurs Lukas Dhont. Es geht um zwei 13-jährige Schüler, die beste Freunde sind. Bis zu dem Moment, wo eine Klassenkameradin fragt, ob die beiden eigentlich «zusammen» seien. Das führt dazu, dass Leo den Kontakt zu Rémi abbricht, um die Gerüchte zum Verstummen zu bringen. Der Film geht für Belgien ins Rennen um einen Oscar 2023.
«Les amandiers» stammt von der italienisch-französischen Regisseurin Valeria Bruni Tedescchi und erzählt ihre weitgehend autobiografische Geschichte: Bruni Tedeschi wurde ebenfalls in den 1980ern am Théâtre des Amadiers angenommen, einer berühmten Schauspielschule in Frankreich.
Es geht im Film um eine Gruppe von jungen Schauspielstudierenden, für die die Aufnahme in diese Schule zum Wendepunkt in ihrem Leben wird. Ihr Werdegang auf dem Weg zum Ruhm wird nachgezeichnet, plus der Einbruch der Aidsepidemie.
Ebenfalls in der Welt der Kunst spielt der Dokumentarfilm «All the Beauty and the Bloodshed» von Laura Poitras. Er beschäftigt sich mit der bisexuellen Fotografin Nan Goldin, die der Milliardärsfamilie Sackler den Kampf angesagt hat. Denn: Deren süchtig machendes Medikament Oxycontin gilt als Auslöser der Opioidkrise in den USA. Hunderttausende waren in den USA an den Folgen einer Opioid-Überdosis gestorben. Eingebettet wird Goldins Kampf in eine Beschreibung ihres Lebens und Oeuvres.
Wie erinnern uns: Die Fotografin wurde einst mit Bildern über Sex, Drogen, Gewalt und Tod/Aids berühmt.
Queere Jugendliche auf den Azoren «Lobo E Cão» spielt auf den Azoren und erzählt von jungen Einheimischen, denen das Leben im Ferienparadies beengend erscheint. Regisseurin Cláudia Varejão zeigt eine offene LGBTIQ-Community, die im Schatten von strengem Katholizismus lebt. Eine der Hauptfiguren ist Luís, der sich schminkt und Frauenkleider trägt. Und der so schnell wie möglich wegwill, vielleicht sogar weg muss, um frei leben zu können.
«Monica» handelt von einer trans Frau, die zum ersten Mal seit 20 Jahren in ihr altes Zuhause im amerikanischen Mittleren Westen zurückkehrt. Dort will sie sich um ihre kranke Mutter kümmern. Auf der Reise zurück brechen alte Wunden auf und schmerzhafte Erinnerungen an früher werden wachgerüttelt.
Der Film ist der dritte Teil von Andrea Pallaoros Trilogie über Frauenfiguren. Die Hauptdarstellerin Trace Lysette ist u.a. aus der Amazon-Prime-Serie «Transparent» bekannt.
Ferner wird auf der Viennale das brasilianische Roadmovie «Três Tigres Tristes» von Gustavo Vinagre gezeigt (MANNSCHAFT berichtete). Darin geht’s um drei queere Menschen aus Saõ Paulo, die sich mitten in einer Pandemie – nicht Corona! – durch die Stadt treiben lassen, sich an ihre Liebhaber*innen erinnern, Erfahrungen mit HIV teilen oder über ihre Arbeit als Camboy sprechen. Das Ganze gipfelt in einer melancholischen Musicalnummer, genau die Art vom Musicalmoment, mit denen sich das soeben erschienene erste deutschsprachige Buch zu LGBTIQ-Musicalgeschichte beschäftigt (MANNSCHAFT berichtete).
«Três Tigres Tristes» wurde bei der diesjährigen Berlinale als bester queerer Spielfilm mit dem Teddy Award ausgezeichnet.
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