LGBTIQ-Rechte in Europa unter Beschuss, nicht nur in Ungarn

ILGA-Europe warnt vor systematischem Rückbau queerer Rechte – auch Grossbritannien und Georgien mit dramatischen Einbrüchen

Pride Regenbogenfahne
(Bild: iStockphoto)

Grossbritannien ist in der neuen Ausgabe der Rainbow Map von ILGA-Europe um sechs Plätze zurückgefallen – und liegt nun auf Rang 22. Immerhin, in Deutschland und Österreich ging es aufwärts.

Ähnliche dramatische Rückschritte verzeichnen auch Ungarn und Georgien. Die Daten zeigen: Der Abbau von LGBTIQ-Rechten ist Teil eines breiteren Angriffs auf demokratische Grundwerte in Europa.

Ungarn rutschte um sieben Plätze auf Rang 37 ab – unter anderem wegen des ersten Pride-Verbots innerhalb der EU. Grossbritannien verlor sechs Plätze, nachdem das oberste Gericht im Vereinigten Königreich in einem Urteil das Verständnis von «Frau strikt auf das «biologische Geschlecht» reduzierte (MANNSCHAFT berichtete).

Auch Georgien fiel um sieben Plätze zurück – dort wurde ein umfassendes Gesetzespaket verabschiedet, das sich eng an Putins repressiver Agenda orientiert (MANNSCHAFT berichtete).

Teil eines beunruhigenden Trends Die Verbote von Pride-Veranstaltungen in Ungarn (MANNSCHAFT berichtete), das Urteil des britischen Supreme Court zur Einschränkung der Rechte trans Personen sowie das pauschale Verbot jeglicher LGBTIQ-Darstellung und -Versammlung in Georgien sind keine Einzelfälle.

Es handelt sich um besonders auffällige Beispiele eines breiteren Trends: LGBTIQ-Rechte werden unter dem Vorwand des «Schutzes der öffentlichen Ordnung» systematisch ausgehöhlt. Tatsächlich ebnen diese Massnahmen den Weg für weitreichende Einschränkungen grundlegender Freiheiten wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit.

Während die Pride in Ungarn gezielt unterdrückt wird, bringt die italienische Regierung derzeit das Gesetz 1660 voran, das ebenfalls die Versammlungsfreiheit bedroht. Es sieht drakonische Strafen – bis zu sechs Jahre Haft – für Protestaktionen vor, die Strassen, Bahnhöfe oder Flughäfen blockieren.

Zudem erlaubt es präventive Aufenthaltsverbote gegen Einzelpersonen allein auf Basis früherer Anzeigen – ganz ohne Verurteilung. Auch Bulgarien und die Slowakei haben neue Gesetze verabschiedet, die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit weiter beschneiden.

Neben dem Urteil des britischen Supreme Court haben Georgien und Ungarn alle Verweise auf «Geschlechtsidentität und -ausdruck» aus ihren Gesetzen gestrichen. Der Rückbau von Transrechten geht jedoch noch weiter – etwa durch Beschränkungen beim Zugang zu Gesundheitsversorgung, die schwer zu erfassen, aber ebenso folgenschwer sind.

Zu wenige Fortschritte Während LGBTIQ-Personen zunehmend zur Zielscheibe werden, machen nur wenige Länder Fortschritte bei der Stärkung ihrer Rechte. Deutschland war das einzige Land, das im vergangenen Jahr die rechtliche Anerkennung des Geschlechts auf ein Selbstbestimmungsmodell umstellte (MANNSCHAFT berichtete).

Sven Lehmann, einstiger Queer-Beauftragter der Bundesregierung, erklärte: «Der Aufbruch ist gelungen: Deutschland gehört nun erstmals zu den Top 8 in Europa. Innerhalb der EU liegt Deutschland jetzt sogar auf Platz 7. Kein anderes Land hat im letzten Jahr mehr Fortschritte gemacht – insbesondere mit der Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes, das die staatliche Diskriminierung von transgeschlechtlichen Menschen endlich beendet hat.»

Nur Österreich weitete den Diskriminierungsschutz per Novelle des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes aus. Kein einziges Land erliess ein Verbot sogenannter Konversionstherapien oder verbot unnötige medizinische Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern.

Lediglich Belgien, der Brčko-Distrikt (Bosnien-Herzegowina), Irland, die Niederlande, Schottland (UK) und Schweden haben in diesem Jahr ihre Gesetze und Richtlinien zum Schutz vor Hasskriminalität verbessert.

Selbst in Ländern mit Fortschritten auf der Rainbow Map wächst der Einfluss rechter Parteien. In Deutschland, Österreich, Belgien und den Niederlanden erzielten rechte und rechtsextreme Gruppen bei Wahlen zuletzt deutliche Gewinne – und gefährden damit mühsam erkämpfte Rechte und Freiheiten von LGBTIQ-Personen.

«Die grossen Schlagzeilen zu Grossbritannien und Ungarn lenken die Aufmerksamkeit auf sich, doch die Demokratie wird still und leise überall in Europa ausgehöhlt»

Katrin Hugendubel, Advocacy Director bei ILGA-Europe

«Demokratie wird still und leise ausgehöhlt» Katrin Hugendubel, Advocacy Director bei ILGA-Europe, warnt: «Die grossen Schlagzeilen zu Grossbritannien und Ungarn lenken die Aufmerksamkeit auf sich, doch die Demokratie wird still und leise überall in Europa ausgehöhlt – wie durch tausend kleine Schnitte. Rechte und rechtsgerichtete Akteure in der EU attackieren gezielt die Finanzierung von NGOs, um Organisationen zu schwächen, die sich für Menschenrechte einsetzen. Gleichzeitig werden auf nationaler Ebene Gesetze verabschiedet, die keine realen gesellschaftlichen Probleme lösen, sondern einzig der Ausgrenzung dienen.»

So habe etwa Ungarn in der Verfassung verankert, dass «die Mutter eine Frau ist und der Vater ein Mann» – sowie dass «Geschlecht bei der Geburt festgelegt» sei.

«Sie geben sich den Anschein des Schutzes von Tradition und öffentlicher Ordnung, dienen aber letztlich nur dazu, Diskriminierung zu festigen und Widerspruch zu unterdrücken.»

Katrin Hugendubel, Advocacy Director bei ILGA-Europe

Hugendubel weiter: «Diese Entwicklungen ähneln nicht nur dem repressiven Vorgehen Russlands, sondern spiegeln auch die Methoden wider, die unter Donald Trumps zweiter Amtszeit in den USA zu beobachten waren – etwa die Einschränkung des Zugangs zu trans-spezifischer Gesundheitsversorgung und die Rücknahme von Diversity-Massnahmen in Behörden. Ähnliche Entwicklungen in Grossbritannien, Ungarn, Georgien und darüber hinaus sind keine isolierten Rückschritte, sondern Teil einer global koordinierten Gegenbewegung. Sie geben sich den Anschein des Schutzes von Tradition und öffentlicher Ordnung, dienen aber letztlich nur dazu, Diskriminierung zu festigen und Widerspruch zu unterdrücken.»

Auch Fortschritte in Osteuropa Es gibt auch positive Signale – vor allem in Ländern, in denen LGBTIQ-Rechte bisher stark eingeschränkt waren. Polen, im Vorjahr noch das EU-Schlusslicht auf der Rainbow Map, kletterte um drei Plätze nach oben: Die letzten sogenannten «LGBT-freien Zonen» wurden abgeschafft (MANNSCHAFT berichtete), staatliche Behinderungen öffentlicher LGBTIQ-Veranstaltungen beendet.

Tschechien stieg um drei Plätze, nachdem das Parlament gleichgeschlechtlichen Paaren neue Rechte im Rahmen eingetragener Partnerschaften einräumte – wenn auch noch ohne gemeinsames Adoptionsrecht.

Lettland machte vier Plätze gut – dort wurde die Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Lettland ist damit der zweite baltische Staat mit einer gesetzlichen Partnerschaft für queere Paare.

Gerichte als Schutzmechanismus Trotz der Angriffe auf LGBTIQ-Rechte zeigen sich Aktivist*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen resilient – und setzen zunehmend auf Gerichte, um Grundrechte zu verteidigen. Der Europäische Gerichtshof urteilte etwa, dass Ungarn das Geschlecht von geflüchteten trans Personen auch ohne chirurgischen Nachweis korrigieren muss. Frankreichs geschlechtsspezifisches Bahnticket-System wurde als datenschutzwidrig eingestuft – es diskriminiere nicht-binäre und trans Personen.

In Tschechien kippte das Verfassungsgericht die Sterilisationspflicht für die rechtliche Anerkennung des Geschlechts – auch wenn die Regierung das Urteil noch nicht umgesetzt hat. In Litauen wurde das sogenannte «Propagandagesetz» durch das Verfassungsgericht für ungültig erklärt.

In Slowenien wurde entschieden, dass gleichgeschlechtliche Paare sowie alleinstehende Frauen Zugang zu medizinisch unterstützter Befruchtung erhalten müssen. Spaniens Verfassungsgericht blockierte Versuche der Regionalregierung in Madrid, nationale Schutzgesetze für LGBTIQ-Personen auszuhebeln.

In Kroatien kämpfen Regenbogenfamilien weiterhin gerichtlich für das Recht auf Adoption. In Italien sind tausende Gerichtsverfahren anhängig – zum Schutz der Rechte von Regenbogenfamilien, trans Personen und queeren Geflüchteten. Trotz wachsender Widerstände erringen Aktivist*innen so immer wieder wichtige juristische Erfolge.

«Wenn wir diesen Entwicklungen nicht entgegentreten, droht ein Dominoeffekt, der Jahrzehnte an Fortschritt zunichtemachen könnte.»

Chaber, Exekutivdirektor*in von ILGA-Europe

Fazit Laut Chaber, Exekutivdirektor*in von ILGA-Europe: «Die Rainbow Map 2025 liefert ein klares Bild darüber, wie es um die Rechte von LGBTIQ-Personen in Europa steht – und zeigt, wie dringend wir sie angesichts des demokratischen Rückbaus verteidigen müssen. Wenn wir diesen Entwicklungen nicht entgegentreten, droht ein Dominoeffekt, der Jahrzehnte an Fortschritt zunichtemachen könnte.

Jetzt ist die Zeit, sich zu wehren – bevor die gezielten Angriffe auf LGBTIQ-Rechte zur Norm werden. Es braucht politisches Rückgrat und konkrete Taten. Menschen müssen jetzt laut werden, ihre Stimme erheben und unsere Regierungen zur Rechenschaft ziehen – bevor es zu spät ist.»

Die Rainbow Map 2025
Die Rainbow Map 2025 (Bild: ILGA Europe)

Hintergrund: Die Rainbow Map Die Rainbow Map ist ein jährlich erscheinendes Monitoring-Instrument von ILGA-Europe. Sie bewertet die rechtliche und politische Lage von LGBTIQ-Personen in 49 Ländern Europas anhand von 76 Kriterien in sieben Kategorien: Gleichstellung und Diskriminierungsschutz, Familie, Hassverbrechen und Hassrede, rechtliche Geschlechtsanerkennung, körperliche Integrität intergeschlechtlicher Menschen, Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft sowie Asylrecht. Die Bewertungen reichen von 0 bis 100 Prozent. Alle Daten sind transparent aufbereitet und auf der interaktiven Website einsehbar: https://rainbowmap.ilga-europe.org

Top 5 Länder:

1. Malta 2. Belgien 3. Island 4. Dänemark 5. Spanien

Schlusslichter:

45. Belarus 46. Armenien 47. Türkei 48. Aserbaidschan 49. Russland

Grösste Fortschritte:

  • Österreich: +4 Plätze (Klarstellung im Gleichbehandlungsgesetz – Schutz auch bei Geschlechtsidentität und -ausdruck)
  • Lettland: +4 Plätze (Einführung ziviler Partnerschaften)
  • Deutschland: +3 Plätze (Selbstbestimmungsgesetz seit November 2024)
  • Tschechien: +3 Plätze (erweiterte Rechte für gleichgeschlechtliche Partnerschaften)
  • Polen: +3 Plätze (Abschaffung der «LGBT-freien Zonen», Beendigung staatlicher Behinderungen)

Grösste Rückschritte:

  • Ungarn: –7 Plätze (Pride-Verbot, Kriminalisierung, Streichung von Schutzklauseln)
  • Georgien: –7 Plätze (Gesamtes Gesetzespaket gegen LGBTIQ-Rechte)
  • Grossbritannien: –6 Plätze (Definition von Geschlecht ausschliesslich biologisch, eingeschränkte Geschlechtsanerkennung trotz GRC)

Shirley Manson: «Bleibt und kämpft für euer Amerika!» – Garbage aus Los Angeles schreibt Melodien, die schon nach einmaligem Hören im Kopf bleiben. Das neue Album der Band hat seine Wurzeln im Jahr 2016, als die nicht-binäre Frontperson Shirley Manson am ersten Tag einer Tour von der Bühne stürzte und sich die Hüfte zertrümmerte (MANNSCHAFT-Interview).

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