Georgine Kellermann: «Ich bin ich und gehe nicht mehr weg!»

Das grosse MANNSCHAFT-Interview

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Georgine Kellermann

Sie ist eine der prominentesten trans Personen Deutschlands: Georgine Kellermann war Redakteurin beim WDR, Studioleiterin in Bonn, Duisburg und Essen und berichtete als Auslands-Korrespondentin für die ARD aus Washington und Paris.

Wie blickt die heute politisch engagierte Journalistin auf den weltweiten gesellschaftspolitischen Roll-Back hinsichtlich queerer Rechte? Wir durften Georgine Kellermann in ihrem Zuhause besuchen und haben mit ihr über Solidarität und Jens Spahn gesprochen und über Julia Klöckners Entscheidung zur Pride-Flagge.

Frau Kellermann, wie geht es Ihnen? Mit meinem Leben, so wie es gerade ist, bin ich super zufrieden und glücklich. Gerade gestern habe ich mit einem engen Freund telefoniert, der hat mir die gleiche Frage gestellt und ich hatte das Gefühl, ich müsse mich etwas zurücknehmen. Ich möchte anderen Menschen das Leben ja auch nicht schwer machen mit all dem Glück, das gerade aus mir so heraussprudelt. Aber wenn ich so für mich im Sessel sitze und nachdenke, dann denke ich – Ja, es ist gerade ziemlich gut.

Sie waren in der zurückliegenden CSD-Saison sehr viel unterwegs. Waren auf etlichen Veranstaltungen präsent und haben das auch kommuniziert. Was treibt Sie da an?

Der CSD in Oldenburg ist für mich dabei immer der Auftakt in meine persönliche Saison, weil in Oldenburg meine Patenschule beheimatet ist. Aber auch in Pirna und Cottbus war ich zum Beispiel live vor Ort. Mir liegen besonders die CSD’s in kleineren Städten in den ostdeutschen Bundesländern am Herzen. Ich möchte die Bedeutung keiner Veranstaltung in Köln, Berlin, Leipzig oder anderen Metropolen herunterreden. Das sind etablierte, grosse Feiern, deren Besuch für viele Menschen fast schon eine Pflicht darstellt. Ich denke aber oft an die Menschen in den kleinen Städten. Da gehört mehr Mut dazu, an einem CSD teilzunehmen. Ich finde man sollte diese Menschen unterstützen.

Manchmal frage ich mich auch, ob die sehr grossen CSD-Veranstaltungen, diese kleineren CSDs nicht noch etwas mehr unterstützen könnten. Ob man nicht auf den ein oder anderen Aspekt einer grossen Veranstaltung verzichtet und das Geld das eingespart wird an die Veranstalter kleinerer CSDs weiterreichen könnte. Diese Frage treibt mich immer wieder um, auch wenn ich weiss, dass ich mir damit nicht nur Freund*innen mache. Aber gerade diese Veranstalter in den kleineren Städten brauchen unser aller Unterstützung, das ist zumindest das, was ich persönlich als Verpflichtung empfinde. Deswegen gehe ich dahin.

Sie haben über viele Jahre als Journalistin die Innen- und Aussenpolitik begleitet, berichtet und analysiert. Wie würden Sie aktuell die gesellschaftspolitische Entwicklung der Rechte für die LGBTIQ Community beschreiben? Trans und inter Menschen stehen im Moment im Fokus öffentlicher Debatten, die man dem sogenannten Kulturkampf zuordnen kann. Diese Kulturkämpfer, oft eher rechtsgerichtet orientiert, haben sich diese marginalisierten Gruppen ausgewählt, weil sie diese Stigmatisierung des Personenkreises als Werkzeug nutzen können um gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben. Dazu wird oft gezielt die Thematik von trans Personen vollkommen unsinnig mit dem Thema Pädophilie verknüpft. Besonders auffällig ist auch, dass es in den Auseinandersetzungen um trans Personen gar nicht mehr um Trans Personen, sondern zunehmend besonders um trans Frauen geht.

«Alice Weidel finde ich eher uninteressant. Aber von Jens Spahn fühle ich mich verraten.»

Georgine Kellermann

Ein Grossteil unserer Gesellschaft hatte ja schlichtweg noch nie persönlichen Kontakt mit trans Personen erlebt. Wenn diese Menschen dann permanent mit Vorurteilen und Verleumdungen gegenüber trans Personen bombardiert werden, dann schenken sie diesen Erzählungen irgendwann auch Glauben. Deshalb finde ich die Sichtbarkeit von trans Personen ist unendlich wichtig. Und dann auch der persönliche Kontakt, dass man mit den Menschen spricht. In den Momenten, in denen ich diese Gespräche führe, erlebe ich sehr häufig unterstützende und respektvolle Reaktionen.

In Grossbritannien haben Teile des politischen und gesellschaftlichen Establishments geradezu eine Obsession entwickelt, wenn es um die Demontage der elementarsten Rechte von trans Personen geht. Sehen Sie da einen Zusammenhang mit den erkennbaren Bestrebungen rechtsgerichteter Kreise aus den USA Einfluss auf die britische Innenpolitik zu gewinnen? Ja. Das Trans-Thema ist doch im Grunde ein sehr simples Thema, das sich hervorragend eignet um Stimmung gegen eine marginalisierte Gruppe zu erzeugen. Ohne dass man in die Verlegenheit kommt, dass man seine Behauptungen in irgendeiner Form belegen müsste, weil der grösste Teil der Bevölkerung nicht betroffen ist und sich weitgehend in Unkenntnis befindet. Die meisten Menschen haben noch nie mit einer Trans Person zu tun gehabt. Die Menschen bekommen einen Sündenbock präsentiert und das läuft super. Und nicht nur in Groß Britannien. Auch bei uns gibt es Gruppen, die aus den USA ideologisch und teilweise auch finanziell unterstützt werden um die Stimmung gegen queere Menschen um es nicht nur auf trans Personen zu begrenzen, anzuheizen. Dazu kommt, dass diese Trennung, die Aufspaltung der Gesellschaft fast schon perfekt funktioniert. Wenn wir an Alice Weidel denken, die sagt sie lebe mit einer Frau zusammen aber sei nicht queer.

Jens Spahn sagte er sei schwul, aber nicht queer. Alice Weidel finde ich da eher uninteressant. Da bin ich mal gespannt wie lange sich diese Form des wandelnden Widerspruchs in dieser Partei halten kann. Aber von Jens Spahn, fühle ich mich verraten. Als Jens Spahn sich geoutet hat, als sich eher konservative Menschen wie Jens Spahn geoutet haben, als es um die Ehe für Alle ging, da hatten sie alle meine volle Unterstützung, meine ganze Solidarität und auch von weiten Teilen der gesamten Community. Wir wollten endlich das Homosexuelle heiraten können. Das sie leben können, wie sie möchten. Das sie lieben können wen sie möchten. Und jetzt kommt Spahn um die Ecke und sagt: Ja, aber mit Trans und Inter, da habe ich nichts zu tun. Und das macht er ja nicht, weil er dieser Überzeugung ist. Das macht er ja in der Hoffnung, wenn ich mich derart äussere, werden einige dieser rechten Wähler*innen ihre Stimme geben. Das ist Verrat!

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Sehen Sie da auch eine gewisse Kurzsichtigkeit bei Spahn? Denn diese vermeintliche Solidarität jener Wählerschichten beinhaltet ja ein gewisses Verfallsdatum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nicht so weit denkt. Aber da herrscht vielleicht der Gedanke vor, das sei ein Problem, das später gelöst werden muss.

Sie sind selber sehr aktiv in den Sozialen Medien. Diese können sehr bereichernd und verbindend wirken. Sie können aber auch sehr destruktiv wirken und eingesetzt werden. Macht die Existenz der Sozialen Medien die aktuelle Situation (nicht nur) für queere Menschen besonders gefährlich? Es heisst ja: Aus Worten werden Taten. Ja, absolut. Das haben wir bei Walter Lübcke gesehen und wir haben das auch bereits bei anderen Fällen gesehen. Das Fatale ist ja, das Diejenigen, die für die Worte verantwortlich sind, es oft sehr leicht gemacht bekommen sich hinterher der Verantwortung für ihre Worte zu entziehen.

Wenn wir an manche Amtsträger und ihre Auftritte in Sozialen Netzwerken denken, mit Leberkäs Semmel, Döner und Bratwurst. Vor 20 Jahren wäre doch die Karriere eines solchen Politikers beendet gewesen? In der Tat, aber die Zeiten ändern sich eben. Und Herr Söder beispielsweise hat ja Erfolg. Die Leberkässemmel als Symbol ist immer noch etwas wonach viele Menschen lechzen.“

Sind es nicht auch zwei Seiten derselben Medaille? Stellen die Leberkässemmel oder die Angriffe auf die Rechte von Trans Personen nicht scheinbar einfache Antworten auf die Probleme in einem immer komplexeren Umfeld mit immer komplexeren Herausforderungen dar? Also zu seiner Ehrenrettung, als Julia Klöckner entschieden hatte am Bundestag zum Berliner CSD nicht die Regenbogenflagge hissen zu lassen. In der Phase hat Markus Söder ein Foto veröffentlicht von sich vor dem Bayerischen Landtag und es wehte die Regenbogenflagge, weil in München CSD war. Da habe ich gedacht, das ist ein tolles Statement von Markus Söder.

Ich halte übrigens die Entscheidung von Julia Klöckner für nachvollziehbar, auch wenn diese Auffassung sicherlich nicht populär ist. Denn es ging um den Berliner CSD. Da hat sie darauf verwiesen, dass die Regenbogenflagge bereits am IDAHOBIT gehisst wurde. Mit welchem Recht, muss zum Berliner CSD am Reichstag, dem Parlament des gesamten Landes, die Regenbogenflagge wehen? Und wenn in Regensburg CSD ist weht sie nicht. Und wenn in Düsseldorf, in Bonn und in Cottbus CSD ist, hängt sie auch nicht am Reichstag. Ich konnte die Entscheidung daher zumindest nachvollziehen.

Sie haben in einem Interview mit der Taz mal gesagt „Ich bin so gerne Woke“. Nun ist Woke ja ein Schlüsselbegriff rechter Kulturkämpfe geworden, wurde sich von rechten, aber auch Konservativen angeeignet. Müssen wir unsere Worte und Begrifflichkeiten auch mehr verteidigen? Diese Begriffe woke oder auch Gutmensch haben sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen als Kampfbegriff angeeignet. Das genau ist ja ein wirksames Mittel des Kulturkampfes.

Warum entwickeln progressive Kräfte in dem Moment, in dem das passiert, oft eine fast panische Angst diese ursprünglich positiv besetzten Zuschreibungen weiter zu verwenden? Das genau ist ja ein grosser Unsinn. Diese Begriffe sofort aufzugeben. Donald Trump hat international den selbsterklärten Kampf gegen alles Woke losgetreten und sofort wollte alle Welt nicht mehr als woke bezeichnet werden. Und dann denke ich, hey! Jetzt erst recht!

Ich war in diesem Jahr, nachdem Trump bereits begonnen hatte die USA zu destabilisieren, zweimal in den Staaten. Ich hatte richtig Sorge, dass ich bei der Einreise abgelehnt werden könnte. Zum einen, da ich nicht bereit bin still zu sein und zum anderen, da ich eine Trans Frau bin. Ich habe mich noch nie so auf eine Einreise in die USA vorbereitet wie in diesem Jahr. Ich habe meine Geburtsurkunde beglaubigt übersetzen lassen. Habe alle meine bisherigen Einreisen minutiös aufgelistet. Dann habe ich eine Freundin gebeten wachsam zu sein. Habe ihr mitgeteilt wann wir landen und einen Zeitrahmen vereinbart in dem ich mich nach der Landung melden würde. Sollte dies nicht geschehen, hätte sie die deutsche Botschaft benachrichtigt. Meine Sorge war ja nicht nur, dass mir die Einreise verwehrt werden könnte, sondern dass ich dort eventuell festgenommen werde.

Was wir gerade in diesem gesamten Kontext brauchen, ist das ganz klare Rechts Bekenntnis der deutschen aber auch der europäischen Verwaltung. Das unmissverständlich klar gemacht wird, das wenn auch nur einem von uns wegen seiner sexuellen Identität die Einreise verweigert wird, dann ist das eine Einmischung in unsere Rechtsangelegenheiten. Weil unsere Ausweisdokumente den Personenstand ja klar ausweisen und diese Dokumente ignoriert werden. Es braucht die klare Feststellung das Deutschland, das Europa entscheidet, was in unseren Dokumenten verzeichnet steht. Das ist eine klare Hoheitsfrage. Diese unumstößliche Unterstützung sollte eigentlich jede Trans Person aus Deutschland oder Europa erfahren. Leider schreiben mir stattdessen etliche Personen, dass sie sich nicht mehr trauen, in die USA einzureisen.

Wieviel Hoffnung haben Sie, dass die deutschen und europäischen Institutionen diese geforderte, unverbrüchliche Solidarität umsetzen? Also, wenn ich mir den vorauseilenden Gehorsam namhafter Großkonzerne ansehe, die ihre Diversitätsstandards in atemberaubender Geschwindigkeit geschliffen haben und stattdessen, teilweise noch für den goldenen Ballsaal gespendet haben, ist meine Hoffnung nicht groß. Denn queere Menschen, Trans Personen im Besonderen sind ja in der Tat nur eine kleine Gruppe. Und vermutlich wird sich niemand für eine derart kleine Gruppe von Betroffenen mit der Trump Administration anlegen wollen.

Sind denn Einschränkungen wie die für trans Personen nicht auch eine Art Fingerzeig, was auch weiteren Bevölkerungsgruppen blühen könnte? Der Haken ist in der Tat, dass die betroffenen Gruppen am Ende austauschbar sind.

Brauchen wir da gesellschaftlich aber besonders auch innerhalb queerer Communitys mehr Solidarität und Allyship? Natürlich! Es gibt ja einige Protagonist*innen, von denen ich mir wünschen würde, dass nicht so Sätze fielen, wie: Lasst uns mit Eurem Intersex, Trans und Non-Binarität in Ruhe. Ich erlebe Aussagen, man gehe zu keinem CSD mehr, da man sich an der Sichtbarkeit der Inter, Trans und Non-Binären Members störe. Es gibt mittlerweile einige schwule und lesbische Menschen, die ganz klar formulieren: Ihr bringt mit Eurer Vehemenz und Sichtbarkeit, unsere Rechte in Gefahr.

Denkt man etwa an die Schwul-lesbische Emanzipation der 70er und frühen 80er Jahre zurück, da gab es ähnliche Diskussionen. Da wurde den Aktivist*innen auch aus der eigenen Community vorgeworfen sie seien zu laut, zu grell, zu schwul. Im Moment passiert nichts anderes als damals. Nur ist diesmal eine andere Gruppe betroffen.

Können Sie sich das besonders bei einigen schwulen Männern erkennbare Bedürfnis der Abgrenzung von trans Personen oder auch nur dem Begriff queer erklären? Zu Beginn der schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung waren Begriffe wie queer oder trans weder etabliert noch umgangssprachlich geläufig. Geht man aber zu den Ursprüngen der Emanzipationsbewegung zurück, waren es etwa bei den legendären Stonewall Riots gerade auch Trans Personen die massgeblich für die Rechte und Würde der gesamten Community gekämpft haben.

Und dann erleben wir zusätzlich ja auch noch eine starke Ablehnung besonders von Transfrauen aus Gruppen politisch aktiver Cis-Frauen mit durchaus feministischer Selbstzuschreibung. Können Sie das nachvollziehen? Nein. Feministische Cis-Frauen und Trans Frauen müssten eigentlich wie Schwestern im Kampf um ihre Rechte vereint auftreten und vielfach geschieht das ja auch. Denn am Ende steht hinter vielen dieser Kämpfe die Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft. Es sind oft einige wenige, sehr laute Vertreterinnen, die aber dann auf sehr viel Gehör treffen. Diese Erscheinungen sind Ausdruck der vielfältigen Widersprüchlichkeiten, wie wir sie ja auch innerhalb der queeren Community erleben, die ich aber auch nicht auflösen kann.

Seit 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Und dann kommt da eine strafrechtlich verurteilte Person, setzt sich einen Hut auf und führt den gesamten Rechtsstaat an der Nase herum. Das Problem ist ja real, der mediale Aufschrei gross und rechte und konservative Kreise nutzen die Situation sofort für ihre Zwecke. Wie soll man Ihrer Meinung nach damit umgehen?

Die Justizvollzugsbehörden sind zunächst einmal mit diesem Fall aus meiner Sicht, sehr verantwortungsbewusst umgegangen. Dann hat sich diese verurteilte Person abgesetzt und der Inhaftierung entzogen. Ja, da wird der Rechtsstaat vorgeführt. Jeder Steuerhinterzieher führt den Rechtsstaat ebenfalls vor! Natürlich gibt es dann auch Politiker*innen und Publikationen, die diesen Fall genauso weiterverbreiten, wie sie sich das aus ideologischen Gründen wünschen. Allerdings habe ich auch etliche Kommentare in den Medien gelesen, die klar ausgedrückt haben, dass hier ein Einzelfall beschrieben ist und kein generelles Problem des Selbstbestimmungsgesetzes. Persönlich habe ich mich aus dieser Debatte bisher weitgehend herausgehalten. Wer derartigen Scharlatanen aufsitzt, ist auch ein wenig selber schuld. Vor wenigen Tagen wurden die Zahlen veröffentlicht, die ausweisen, wie viele Menschen bisher die Chancen dieses Gesetzes ergriffen haben, offiziell diejenigen zu werden, die sie schon immer waren. Das waren bisher gut 22'000 Menschen. Und wir reden über einen einzigen Fall.

In Argentinien gibt es die Selbstbestimmung seit 2011. Wann gab es in Argentinien eine Debatte in den vergangenen 14 Jahren, wie etwa jetzt in Deutschland? Auch andere Länder haben die Selbstbestimmung längst umgesetzt. In Deutschland haben wir diesen einen, prominenten Fall über den wir so umfangreich diskutieren. Dabei kann jeder an diesem Fall fühlen, das es genau darum ging. Die öffentliche Meinung gegen dieses Gesetz auf zu bringen.“

Es wird ja auch bewusst und fortgesetzt mit Unwahrheiten und Übertreibungen agiert. Das man sich etwa alle 14 Tage wahlweise ein neues Geschlecht aussuchen könne und ähnliche Behauptungen. Und selbst wenn! Wo wäre der Schaden? Wir müssen uns doch klar vor Augen führen. Auch mit dem Selbstbestimmungsgesetz sind die Hürden für Menschen sich zu ihrer Identität zu bekennen, oft so hoch. Diese Hürden bestehen im Arbeitsleben, die bestehen in der Familie, im Freundeskreis. Bis diese Menschen überhaupt in der Lage sind und die Kraft finden zum Standesamt zu gehen und ihre Identität öffentlich zu machen, da haben die doch einen Weg hinter sich. Ein Weg der meist so steinig ist, wie sich das Menschen die nicht betroffen sind gar nicht vorstellen können. Die Erklärung im Standesamt ist erst der letzte Schritt auf diesem unendlich schweren Weg. Und das nehmen die Betroffenen auf sich. Das machen die doch nicht alle 14 Tage.

Müssten sich marginalisierte und benachteiligte Gruppen aller Art, Queers, Frauenrechtsgruppen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder mit Beeinträchtigung, etc. nicht viel stärker vernetzen und gemeinsam agieren, um dem gesellschaftspolitischen Roll-Back etwas entgegen zu setzen?

Ich fände das so wünschenswert. Je grösser die Gruppe oder der Zusammenschluss, umso größer ist ja die Schlagkraft und Relevanz. Da ist jede Zersplitterung kontraproduktiv. Wenn ich sehe, dass es den Bundesverband Trans gibt, daneben die deutsche Gesellschaft für Transidentität. Ich kritisiere das. Warum gibt es da nicht einen gemeinsamen Verband? Wenn diese Kräfte gebündelt agieren würden, wäre die Wirksamkeit schon auf dieser Ebene deutlich erhöht.

Ich erlebe aber Solidarität durchaus auch aus anderen gesellschaftlichen Gruppen. Ob das der Juristinnen Bund ist, ob das die Frauenhaus Koordinierung ist, die ganz klar sagt Transfrauen haben jedes Recht der Welt in einem Frauenhaus Schutz zu finden, wenn nötig. In keiner Gewaltstatistik spielen Transfreuen eine bedeutende Rolle als Täter, als Opfer schon. Im Moment werden gerade zivilgesellschaftliche Organisationen der Reihe nach angegriffen, erst die Antonio Amadeu Stiftung, dann das Meldeportal „Hessen gegen Hetze“, da wäre ein stärkerer Zusammenschluss der progressiven, Zivilgesellschaftlichen Kräfte wirklich wünschenswert. Was mir aber noch viel wichtiger wäre, ist Solidarität mit Einzelpersonen zeigen, wenn diese angegriffen werden.

Fehlt das noch, müssen wir da noch klarer agieren? Ja, absolut. Auch wenn wir im Netz erleben, das einzelne Personen gezielt angegangen werden, gilt es Beistand und Widerspruch zu spenden. Auch wenn es lästig und anstrengend ist. Aber wir sind oft immer noch zu faul und liegen auf dem Sofa. Und ich nehme mich da keineswegs aus!

Sie legen erkennbar grossen Wert auch auf den Austausch mit jungen Menschen. Arbeiten im Rahmen einer Patenschaft mit einer berufsbildenden Schule in Oldenburg zusammen. Wie wichtig ist Ihnen die intergenerationelle Arbeit? Mir ist das sehr wichtig, denn durch den direkten Austausch verlieren sich Berührungsängste. In meiner Patenschule sind viele junge Menschen die Soziale Berufe erlernen und eher offen eingestellt sind, man könnte sagen die Woke sind. Die erleben mich als jemanden, die ein Stück Normalität verkörpert. Das ist mir wichtig. Zu zeigen, das Leben ist wunderbar. Und ich nehme aus der gemeinsamen Arbeit noch viel mehr mit, als ich hineingebe. Inzwischen schreiben mich sogar Schüler*innen an und bitten mich um Rat. Und dann treffen wir uns, wenn ich in Oldenburg bin und gehen ins Eiscafé und reden. Oder wir telefonieren oder videochatten. Das geschieht nicht jeden Tag, aber es geschieht. Da freue ich mich dann darüber, dass Menschen meine Lebensexpertise einholen.

Geht es da dann um queere Themen? Die Zusammenarbeit startete mit queeren Themen. Mittlerweile sind die Themen weiter gefasst. Die Schule ist Mitglied im Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Als die Aufnahmebedingungen erfolgreich absolviert wurden, gab es eine Feier und ich wurde eingeladen. Dort haben mich die Schülervertreter*innen dann gefragt, ob ich die Patenschaft in diesem Netzwerk übernehmen möchte. Die habe ich sehr gerne übernommen.

2024 haben Sie in einem Interview die Hoffnung geäussert, dass der gesellschaftliche Roll-Back eventuell nicht ganz so stark ausfallen könnte wie allgemein angenommen. Würden Sie diese Einschätzung heute noch teilen oder sind Sie heute pessimistischer? Meine Einschätzung fällt aktuell sogar eine Nuance optimistischer aus. Das beruht auf den Erfahrungen der vielen CSD’s in Deutschland in diesem Jahr. Wie viele Menschen dort teilgenommen haben. Gerade auch die CSD’s in den östlichen Bundesländern. Ja, es gibt Viele, die Queere Menschen und deren Rechte hassen. Aber ich sehe auch Viele, die unterstützend agieren. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass die neue Bundesregierung eine neue Queer - Beauftragte berufen hat. Damit war nicht zwingend gerechnet worden. Ich erlebe die aktuelle Bundesregierung nicht als eine Regierung, die alles Queere im gesellschaftspolitischen Bereich mit der Sense niedermäht. Als beispielsweise gesagt wurde, wir wollen das Selbstbestimmungsgesetz im kommenden Jahr evaluieren, da habe ich mir gedacht, ja, das würde ich auch wollen. Das man sich das Gesetz in seiner Wirkung anschaut, wie viele Menschen es genutzt haben, wie viele es eventuell missbraucht haben. Wo müssen wir bei diesem Gesetz noch einmal Stellschrauben drehen. Da bin ich einmal gespannt, was dabei herauskommt. Ich hoffe nicht, dass es dann Dinge sind, gegen die ich auf die Strasse gehen muss.

Aber dass man ein Gesetz, das so viele Diskussionen ausgelöst hat, nach einer gewissen Zeit noch einmal evaluiert, finde ich überhaupt nicht schlimm. Es ist ein Prozess, was haben wir gelernt, was müssen wir noch lernen. Was können wir besser machen. Das ist doch völlig normal und ein sehr verantwortungsbewusster Umgang. Vielleicht mache ich mir jetzt auch Feinde. Manche wollen diese Evaluation nicht. Ich finde sie eigentlich grundsätzlich ganz in Ordnung. Es kommt halt darauf an wie man sie gestaltet und wie man sie umsetzt.“

Ihre grundsätzlich optimistische Einschätzung erstaunt schon etwas. Ach, da spielt natürlich auch die Hoffnung eine Rolle. Wenn ich nur meine Erfahrungen auf Facebook und X betrachte, dann habe ich keine Hoffnung. Aber X ist auch nicht die gesamte Welt. Und wenn ich aus dem digitalen Raum heraustrete und direkt mit den Menschen rede, auf Lesungen, bei öffentlichen Diskussionen, auch mit Menschen, die sich zum Beispiel als Trump Anhänger bezeichnen. Wenn da der Ein oder andere sagt, Du hast mich zum Nachdenken gebracht. Darum geht es doch. Das wir uns gegenseitig mit uns selbst auseinandersetzen.

Es braucht sicher eine Menge Energie und auch Mut, sich öffentlich sichtbar zu engagieren. Haben Sie da manchmal auch Angst? (lange Gedankenpause und Seufzen) In Cottbus hiess es, bitte geht in Gruppen vom Bahnhof zur CSD-Veranstaltung. Und ich mache das nie. Nicht weil ich irgendetwas provozieren will. Ich mache das, weil ich mir selber etwas beweisen muss. Das ich immer zu mir selber stehe – jederzeit. Darum bin ich in Bautzen alleine durch die Stadt gegangen und ich bin auch in Cottbus alleine durch die Stadt gegangen. Und ich bin niemandem begegnet, bei dem ich das Gefühl hatte, ich müsste mich vor ihm fürchten.“

Was ist Ihre ganz persönliche Kraft- oder Inspirationsquelle? Es ist diese Freiheit, die ich spüre und dieses Glück. Wissen Sie, ich fahre mittlerweile wahnsinnig gerne alleine in den Urlaub. Zum einen, weil ich da jedes Mal ganz tolle Menschen kennen lerne. Früher, als Georg noch die falsche Hülle war für Georgine, da musste ich immer eine Person als Alibi-Geber mitnehmen, wenn ich als Georgine das Haus verlassen habe. Es ist dieses Glück, heute ich selbst zu sein. Nicht mehr darauf angewiesen zu sein, dass mir Personen an meiner Seite ein Alibi für meine Existenz verschaffen. Das ist meine Inspiration. Ich bin ich und ich geh nicht mehr weg!

«Mit uns wird Selbstbestimmungsgesetz nicht rückabgewickelt!» Nyke Slawik (Die Grünen) im Interview im MANNSCHAFT

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