Neues Album: Rufus Wainwright macht Kurt Weills Musik queer
Auf «Wainwright Does Weill» interpretiert Rufus Wainwright den deutschen Komponisten provokant lüstern, frivol und queer. Ist das Blasphemie, Koketterie oder interpretatorische Freiheit? Marcel Anders hat den Teilzeitberliner zur Rede gestellt.
Rufus, du hast nie ein Geheimnis aus deiner Begeisterung für Kurt Weill gemacht. Aber: Warum jetzt ein ganzes Album? Das ist purer Zufall. Ich hatte letztes Jahr ein einwöchiges Engagement im Carlisle Hotel in New York – und entschied mich allein wegen der Cabaret-Atmosphäre der Location für ein Repertoire aus Weill-Songs. Das schien gut zu passen und es kam hervorragend an. Anschliessend ist das Pacific Jazz Orchestra unter der Leitung von Christopher Walden an mich herangetreten: «Warum machen wir das nicht auch in Kalifornien?» Und als nächstes hiess es: «Warum nehmen wir das nicht auf – für den Fall, dass es gut klingt?» Das hat es – sehr sogar. Deshalb gibt es jetzt ein Album.
Was fasziniert dich an Weill? Zunächst einmal steht er für den perfekten Mix aus harten und weichen Stücken. In dem Sinne, dass seine Melodien so raffiniert sind, aber man sie trotzdem sofort mitsummen kann. Gleichzeitig, und das ist ein faszinierender Gegensatz, hat Weill etwas Hartes, Kantiges an sich – etwas typisch Deutsches. Das verleiht seiner Arbeit eine Relevanz, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Etwa das Wiederaufkeimen von Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Das hat er schon in den 1920ern und 30ern thematisiert – und es klingt, als würde er sich auf das Hier und Jetzt beziehen.
Wobei seine stilistische Vielfalt fast schizophren anmutet – oder wie denkst du darüber? Oh, absolut. Und das ist eine der Sachen, die ich am meisten an ihm mag: Er ist in der Lage, zwischen unterschiedlichen Genres hin- und herzuspringen, als ob er dazugehören würde. Seine französischen Songs klingen zum Beispiel so, als ob er selbst Franzose wäre. Seine amerikanischen Songs extrem amerikanisch und seine deutschen Stücke sehr deutsch. Er ist ein regelrechtes Chamäleon. Doch als ich anfing seine Songs zu singen, musste ich feststellen, dass scheinbar nur noch wenige Leute damit vertraut sind – und das hat mich wirklich geschockt. Die meisten dachten, ich würde Material von Kurt Vile, diesem Indie-Rock-Typen, singen. Der ist zwar auch nicht schlecht, aber nicht vergleichbar mit Kurt Weill. Von daher ist es mir eine Herzensangelegenheit, ihn zurück ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und der Welt zu zeigen, wie man «Mack The Knife» singt (kichert). Das hat er verdient: Er ist so jung gestorben und seine Songs bewegen sich geradezu schwerelos zwischen Klassik und Pop.
Was deine Songauswahl betrifft: Warum hast du dich für diese 16 Stücke aus dem Weill-Repertoire entschieden – und warum verzichtest du auf Klassiker wie «Alabama Song» oder «Pirate Jenny»? Es sind die Stücke, die mich emotional am meisten berühren – wie «Die Muschel von Margate». Da geht es um Umweltverschmutzung im Urlaubsparadies, was sehr aktuell ist. Was den «Alabama Song» betrifft: Den halte ich eigentlich nicht mehr für einen Weill-Song, sondern eher für ein Stück der Doors. Sie haben sich das so zu eigen gemacht, dass sie es behalten können – ich habe nicht vor, mit Jim Morrison zu konkurrieren. Und «Pirate Jenny» ist eher etwas für den Gesang einer Frau.
Wobei du Weills Texte mit gewagter Frivolität und unterschwelliger Homoerotik darbietest – gerade Stücke wie «Surabaya Johnny» oder «Matrosen Song». Warum dieser Ansatz? Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich eine sehr verführerische Kreatur bin (lacht). Aber im Ernst: Ich will eigentlich nur singen und mein Publikum unterhalten. Wenn Leute zu meiner Show kommen und gutes Geld bezahlen, verdienen sie dafür echte Leidenschaft. Also, dass ich ihnen wirklich etwas biete – und das versuche ich, so gut ich kann. Wenn ich Weill queer klingen lasse, ist das wahrscheinlich etwas, das ich unterbewusst tue – ohne gross darüber nachzudenken. Es steckt einfach in mir.
Und das stösst niemandem auf – sprich: Gibt es keine Proteste gegen diese Art der Auslegung? Für einige Amerikaner ist es definitiv zu viel – aber das ist mir egal. Ich schätze, im Grunde ist es sogar das, was man von mir erwartet.
Wobei Berlin in den 1920ern – wo der Grossteil der Stücke entstanden ist – auch sehr freizügig in Sachen Sexualität war, oder? Definitiv. Und vielleicht ist es das entscheidende Argument für meinen Ansatz. Ich meine, ich weiss nicht, ob es überhaupt viele schwule Interpretationen von Weill gibt. Aber: Die Stücke an sich haben einen sexuellen Unterton – gerade wenn man an Sachen wie «Zuhälterballade» denkt. Natürlich sind sie eher heterosexuell angesiedelt, doch wenn ich sie vortrage, haben sie etwas ausgeprägt Queeres – und das passt zur damaligen Zeit. Insofern halte ich es für einen legitimen Ansatz.
«Die Stücke an sich haben einen sexuellen Unterton – gerade wenn man an Sachen wie ‹Zuhälterballade› denkt.»
Du singst Weill auf Englisch, Französisch, aber auch Deutsch. Darf man fragen, wie gut du unsere Sprache beherrschst? Nicht sonderlich gut. Und ich empfinde es als ziemlich nervenaufreibend, mich daran zu versuchen. Einfach, weil es eine schwierige Sprache ist – zumindest in meinem Empfinden. Gleichzeitig ist es aber auch toll, wenn man auf Deutsch singen kann. Ich bin halt ein grosser Opern-Fan. Ausserdem ist mein Ehemann deutsch – und sehr kritisch, was meine Betonung betrifft. Von daher versuche ich mich nicht oft daran, weil er all meine Fehler hört und ich etliche begehe (lacht). Es muss schon ein besonderer Anlass sein, für den ich mich dazu durchringe.
Das heisst, für diese Stücke habt ihr zusammen Deutsch geübt? Zumindest ein bisschen – und mit einer Gerte (kichert).
Bringst du deine Version von Weill auch auf deutsche Bühnen? Aber natürlich – zumal ich eh viel Zeit bei euch verbringe. Mein Mann und ich haben immer noch ein Apartment in Berlin. Da macht es Sinn, die Weill-Show irgendwann auch dort aufzuführen. Aber: Es ist ein hartes Geschäft – mehr denn je. Von daher muss ich erst einmal abwarten, wie das Album läuft. Zumal das mit Bigband und Orchester keine billige Produktion ist. Aber ich werde Weill zurück nach Deutschland bringen – keine Sorge.
Hand aufs Herz: Wie lange willst du dir das Leben in den USA noch antun – wann ist es genug? Es ist wirklich heftig, was gerade passiert – und unglaublich deprimierend. Leider ist das aber kein rein amerikanisches Problem, selbst wenn es hier vielleicht noch akuter ist als in anderen Ländern. Aber auch in Europa ist es gerade nicht viel besser. Es ist also mehr ein Phänomen unserer Zeit, doch in den USA ist es extrem verrückt. Wer weiss: Vielleicht muss ich irgendwann doch noch nach Deutschland auswandern. Das wäre – angesichts von Kurt Weill – geradezu ironisch.
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