«Mit uns wird Selbstbestimmungsgesetz nicht rückabgewickelt!»
Nyke Slawik im Interview
Nyke Slawik (31) stammt aus Leverkusen-Opladen und sitzt seit 2021 für die Grünen im Bundestag. Am 23. Februar tritt die trans Politikerin erneut an.
Mit MANNSCHAFT spricht Slawik über schlaflose Nächte als Abgeordnete, den Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes und den Abschied von Tessa Ganserer.
Frau Slawik, wie blicken Sie zurück auf die verkürzte Legislaturperiode? Es war ja Ihre erste.
Also ich bin schon lange politisch aktiv. Ich bin mit 15 bei der Grünen Jugend eingetreten, weil mich Ungerechtigkeiten in der Welt auch emotional sehr mitgenommen haben und ich etwas verändern wollte. Es ist, glaube ich, eine der grössten Ehren als politisch tickender Mensch, wenn man die Möglichkeit erhält, auch ein solches Mandat anzutreten, in ein Parlament zu gehen und da aktiv an Gesetzen mitarbeiten zu können.
Die Wahl 2021 war ein krasser Befreiungsschlag, weil wir mit so vielen queeren Menschen ins Parlament gekommen sind wie nie zuvor. Und ich wusste, das ist ein Job mit sehr viel Verantwortung. Es wurde dann eine wilde Achterbahnfahrt. Mir war ja vorher nicht klar, dass so viele krasse Krisen auf uns einprasseln würden. Etwa der Ukraine-Krieg mit den ganzen Diskussionen um die Sicherheit Europas, aber auch unsere eigene Sicherheitspolitik und die Energiekosten, die stark gestiegen sind.
Unsere Koalition war angetreten, Deutschland zu modernisieren. Da haben wir viel geschafft. Aber natürlich war es auch sehr schwer, mit drei verschiedenen Parteien Kompromisse zu finden. Ich habe mit vielen schlaflosen Nächten kämpfen müssen, auch über viele schwere Entscheidungen, die wir haben treffen müssen.
Andererseits ziehe ich für mich auch ein positives Fazit, dass wir das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht haben - ein historischer Meilenstein.
Das Gesetz möchte Herr Merz als Kanzler wieder zurückdrehen. Obwohl die Reform des TSG ja immer wieder vom Bundesverfassungsgericht angemahnt worden war.
Ja. die Union macht massiv Stimmung gegen das Selbstbestimmungsgesetz, wie die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht. In deren Programmen steht, dass sie das Gesetz rückabwickeln zu wollen.
Das macht mich sehr wütend, weil wir als trans Personen und auch queere Menschen sehr hart in den letzten Jahrzehnten kämpfen mussten, dass wir eben nicht mit diskriminierenden Gesetzen unsere Würde als Menschen abgesprochen bekommen.
Erst 1994, in dem Jahr, in dem ich geboren wurde, wurde der Paragraph 175 abgeschafft. Die Ehe für alle ist 2017 eingeführt worden und das Selbstbestimmungsgesetz im letzten Jahr. Dass jetzt manche Parteien die Axt dran setzen möchten, macht mich wirklich wütend und teilweise auch fassungslos.
Die AfD will ja noch weitergehen und Sexualaufklärung in Zukunft ohne LGBTIQ-Themen gestalten oder die medizinische Transition für Jugendliche verbieten und behandelnde Ärzt*innen unter Strafe stellen.
Da kann ich nur sehr klar an alle demokratischen Kräfte appellieren, sich klar dazu zu bekennen, dass wir als Queers entsprechende Menschenrechte haben und dass wir uns die nicht wegnehmen lassen wollen und uns wieder unsichtbar machen lassen wollen.
Deswegen sage ich auch ganz klar, auch im Schulterschluss mit SPD Abgeordneten, dass es mit uns keine Rückabwicklung des Selbstbestimmungsgesetzes geben wird.
Wurden Sie als trans Abgeordnete angefeindet?
Persönliche Angriffe gegen mich direkt habe ich glücklicherweise von anderen Abgeordneten nicht erleben müssen in den letzten dreieinhalb Jahren. Aber selbstverständlich macht das was mit einem, wenn man die transfeindlichen Debatten mitbekommt, wenn die eigenen Rechte und ja, die eigene Existenz immer wieder in Frage gestellt wird, wenn eben so Sachen wie unsere Selbstbestimmung, aber auch medizinische Transitionsmöglichkeiten in Frage gestellt werden von anderen Politikern.
Das erfüllt mich mit grosser Angst. Es war auch sehr schlimm, das mit anzusehen, dass meine Kollegin Tessa Ganserer wiederholt persönlich angegriffen worden ist von der AfD.
Tessa Ganserer hat nicht kandidiert und wird nicht mehr im neuen Bundestag sitzen (MANNSCHAFT berichtete). So wie andere queere Köpfe, etwa Kevin Kühnert und Michael Roth. Sie aber machen weiter.
Es ist für uns alle in der Politik die Frage, wir müssen immer wieder schwere Entscheidungen treffen. Es ist ein Job mit viel Verantwortung, ganz unabhängig von der eigenen Identität.
Und wenn man dann betroffen ist von Diskriminierung, weil man eben trans ist, dann kommt das noch mal als Stressfaktor obendrauf und ich kann jede Person verstehen, vor allem in der Entwicklung der letzten Jahre, wo die AfD ja in mittlerweile alle Parlamente eingezogen ist, wo auch menschenfeindliche Positionen in der Öffentlichkeit wieder lautstärker verbreitet werden, dass Menschen dann auch für sich entscheiden, dass sie sich diesem Hass nicht mehr aussetzen wollen.
Das ist eine legitime persönliche Entscheidung. Natürlich sollte es nicht so sein. Wir sollten diesen Hass nicht abbekommen. Darum macht es mich wirklich auch traurig und wütend, dass Tessa für sich an den Punkt kommen musste, zu sagen, dass sie sich dem Ganzen nicht mehr aussetzen will. Gleichzeitig hat sie ja auch gesagt, dass das kein Weglaufen ist vor dem Verspotten, Beleidigen und Bedrohen. Und so wie ich Tessa kenne, wird sie auch an anderer Stelle sich weiter engagieren und weiterkämpfen für queere Rechte. Wir sehen, dass viele Menschen dies außerhalb des Parlamentes tun und dass es auch sehr viele positive Entwicklungen gibt, dass es in mehr und mehr Städten CSDs gibt. In meiner Heimatstadt, in Leverkusen, fand letztes Jahr der allererste CSD statt. Und das sind so Dinge, die mir auch Hoffnung machen.
Hoffnung ist ein gutes Stichwort. Bitte mehr davon!
Es wäre eine einseitige Darstellung, dass wir als queere Abgeordnete nur einzig und allein Hass ausgesetzt wären. Auf der Gegenseite gibt es natürlich auch viele Leute, gerade aus der queeren Community, für die das wahnsinnig wichtig ist und empowernd, dass sie wissen, dass da queere Menschen in der Politik sind, die sie repräsentieren und die für ihre Rechte einstehen.
Ich kriege immer wieder sehr mutmachende Zuschriften, etwa von Leuten, die davon berichten, dass sie beim Standesamt gewesen sind und das Selbstbestimmungsgesetz endlich anwenden konnten und dass das ihr Leben sehr stark verbessert.
Da merke ich: Okay, da konnten wir tatsächlich einen Unterschied machen und etwas sehr Positives bewirkten. Diese persönlichen Geschichten geben mir Mut und Kraft weiterzumachen.
Nun gab es gerade den Fall des Neonazi Sven Liebig, der auf dem Standesamt die Änderung seines Geschlechtseintrages vorgenommen hat. Ich sage seines, weil wir davon ausgehen können, dass er das Selbstbestimmungsgesetz missbraucht und vorführen will. Rechnen Sie damit, dass es solche Fälle noch häufiger gibt?
In der Tat ist es sehr ärgerlich, dass es Menschen gibt, die derart feindselig gegenüber dem Selbstbestimmungsgesetz eingestellt sind, dass sie das Ganze ausnutzen wollen. Gleichzeitig muss man auch feststellen, dass es kein Gesetz gibt, was nicht in irgendeiner Form missbraucht werden könnte. Das Selbstbestimmungsgesetz, so wie es bei uns jetzt geregelt ist, gibt es auch in über 10 anderen Ländern in Europa und auch außerhalb. Und es kam in den letzten Jahren nur in Einzelfällen vor, dass Menschen dieses Gesetz missbrauchen.
Ein geänderter Geschlechtseintrag und ein geänderter Vorname bedeuten nicht, dass das Strafrecht für diese Personen nicht mehr gilt. Das ist keine Form der Immunität. Es ist klar, dass die Identität einer Person nie alleine darüber entscheidet, ob sie bestimmte Schutzräume betreten darf oder eine Gefahr für andere Personen darstellt. Unabhängig von diesem Einzelfall ist die übrige Debatte eine einzige Täter-Opfer-Umkehr. Die Realität ist doch, dass trans, inter und nicht-binäre Personen steigender Gewalt ausgesetzt sind und nicht, dass sie selbst gefährlich sind.
Dazu muss man sagen, dass der Geschlechtsstand oder der rechtliche Status, den eine Person hat, nur ein Faktor von vielen ist. Beispielsweise beim Thema Strafvollzug wird immer noch nach Ermessen entschieden. Es wird auch auf körperliche und auf individuelle Gegebenheiten bei den Menschen Rücksicht genommen.
Das heisst, bei Personen, bei denen es viele Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie Geschlechtsantrag und Vornamen nur missbräuchlich geändert haben, gibt es Möglichkeiten, damit umzugehen.
In der nächsten Legislatur dürfte es mit einer starken Union deutlich schwerer werden, queerpolitisch voranzukommen.
In der Tat wird es schwierig. Gleichzeitig ist es sehr wichtig für uns zu betonen, dass wir mit dem Selbstbestimmungsgesetz nicht alles erreicht haben, was wichtig ist für die Verbesserung der Lebensumstände von transgeschlechtlichen Menschen.
Das drängendste Problem ist die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung. Im letzten Jahr gab es ein Urteil vom Bundessozialgericht, was bei nicht-binären Personen in Frage gestellt hat, ob ein rechtlicher Anspruch auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen besteht für geschlechtsangleichende Massnahmen.
Deswegen müssen wir da sehr schnell endlich Klarheit schaffen, dass transgeschlechtliche Menschen auch Zugang erhalten und die Krankenkassen auch geschlechtsangleichende Maßnahmen übernehmen, weil das in der Praxis für viele trans Personen mitunter den grössten Leidensdruck bedeutet.
Im Alltag ist es ein grosses Thema, wenn Ausweisdokumente nicht mit der äusseren Erscheinungsform übereinstimmen. Das kann immer wieder zu Zwangsoutings führen und zu vielen unangenehmen Situationen. Wenn ein Mensch eine starke Geschlechtsdysphorie empfindet und die behandlungswürdig ist, braucht es diesen Zugang zu Hormonbehandlungen und geschlechtsangleichenden Maßnahmen, weil es die beste Form der Minderung für den Leidensdruck ist. Deswegen braucht es unbedingt eine rechtliche Klarstellung, dass das für alle transgeschlechtlichen, auch für nicht binäre Menschen gegeben ist.
Bedauerlicherweise ist das der noch amtierenden Bundesregierung nicht gelungen. Es wurde immer wieder diskutiert, es da tatsächlich Vorschläge, aber am Ende sind die nicht mehr einigungsfähig gewesen in der Koalition. Wir werden aber eine Lösung brauchen, weil die Situation der Betroffenen sich sonst nur verschlechtert.
Und das Thema Entschädigung?
Das ist das andere grosse Thema, was wir ja im Koalitionsvertrag mit drin hatten, was leider auch nicht mehr zum Abschluss gekommen ist. Für diejenigen, die von Zwangsscheidungen und auch dem Sterilisationszwang nach dem Transsexuellengesetz betroffen waren, soll eine Entschädigungsform aufgelegt werden.
Für Paragraph 175 und diejenigen, die danach verurteilt worden sind, gab es ja auch einen Entschädigungsfonds. Ich finde es nur richtig und konsequent, da das TSG eben in mehreren Punkten verfassungswidrig war, dass es dafür auch endlich eine staatliche Entschuldigung braucht und auch eine Form der staatlichen Entschädigung.
Tatsächlich habe ich darüber auch mal mit einer CDU-Kollegin gesprochen, und ich habe dafür schon bei der CDU zumindest in Teilen eine Offenheit erlebt. Das würden wir selbstverständlich in mögliche Koalitionsgesprächen mit der Union einbringen.
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