«Der Skandal der Schwulen­verfolgung wurde nie intensiv aufgearbeitet»

Corny Littmann im Interview

Corny Littmann
Corny Littmann (Bild: Stephan Bischoff)

Im Rahmen des Hamburger «Queer History Month» wurde Kevin Harry Schwarzsteins Film über die Schwulenbewegung der 70er gezeigt: eine kraftvolle Zeitreise in die Anfänge der schwulen Emanzipation, mit Archivmaterial, das schmerzt, befreit – und alarmierend aktuell wirkt.

Im Rahmen des Hamburger «Queer History Month» lief kürzlich die Dokumentation «Raus aus dem Ghetto – Brühwarmes Theater und die Schwulenbewegung der 70er» von Kevin Harry Schwarzstein (MANNSCHAFT berichtete).

Das Hamburger Internationale Queer Film Festival (HiQFF) als Veranstalter hatte im Anschluss an die Vorführung eine Gesprächsrunde u.a. mit dem Regisseur und Corny Littmann organisiert. Wir konnten im Anschluss mit dem schwulen Theatermacher und Aktivisten dieses Interview führen.

Der Film, «Raus aus dem Ghetto» - Brühwarmes Theater und die Schwulenbewegung der 70er, wurde ja bereits mehrfach als relevanter und wichtiger Film beschrieben. Was macht ihn aus deiner Sicht in der heutigen Zeit so relevant?  Corny Littmann: Zuallererst sehe ich in dem Film ein wichtiges Zeitdokument. Der Film behandelt ein Stück deutscher Geschichte. Jenen Teil der deutschen Geschichte, der sich auf die Verfolgung von Schwulen bezieht, und der einen Aspekt einer leidvollen und skandalösen Geschichte beleuchtet. Es klingt im Film ja mehrfach an, dass Schwule aufgrund des Nazi-Paragraphen 175, bis zum Ende der 60er Jahre, bis zur Revision des Paragrafen, strafrechtlich verfolgt worden sind. Dieser politische Skandal, mit all seinen Folgen für die betroffenen Menschen, wurde nie intensiv aufgearbeitet. Bis hin zu der Tatsache, einer Wiedergutmachungsregelung Anfang der 2020er Jahre, die allenfalls theoretischer Natur war, da die meisten Betroffenen zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr lebten.

Dieser Film macht mit seinen Rückblenden deutlich, dass der Nationalsozialismus, Mitte der 70er Jahre, noch längst nicht aus den Köpfen der Menschen verschwunden war. Vielmehr waren immer noch dieses Denken und die Ressentiments weit in der Gesellschaft verbreitet. Die im Film gezeigten zeitgenössischen Strasseninterviews mit ihren Aussagen, etwa Schwule solle man einsperren, Schwule sollten kastriert werden, verdeutlichen, dass die menschenverachtende Ausgrenzung schwuler Menschen aus der Zeit des sogenannten Dritten Reich, noch lange erhalten und weiter getragen wurde in der Gesellschaft, selbst nachdem der Paragraf revidiert worden war. Darin sehe ich zunächst einmal eine ganz wichtige, zentrale Aussage dieses Films.

Corny Littmann
(Bild: Stephan Bischoff )

Welchen Umgang würdest du dir mit diesem Thema wünschen? «Ich wünschte mir, dieser Aspekt der deutschen Geschichte würde Teil des Geschichtsunterrichts werden. Weil es eben in einer Demokratie ein politisch so ausserordentliches Ereignis darstellt und die deutsche Nachkriegsgeschichte und die Lebensrealität jener Zeit noch einmal ganz anders erfassbar macht. Viel mehr als das reine Auswendiglernen von Daten und Namen, welcher ehemalige Nazifunktionär, in welchem politischen Amt, zu welchem Zeitpunkt rehabilitiert wurde.

Dieser Film macht eben die Diskrepanz sichtbar zwischen dem offiziellen Selbstbild einer jungen, entnazifizierten Bundesrepublik und der Lebens- und Alltagsrealität von über Jahrzehnte tradierten Formen der Diskriminierung, die in den Köpfen überdauerten. Heute - und da wird es natürlich dann politisch noch einmal interessant – heute treten diese Formen der Diskriminierung und der Vorurteile in einem anderen Gewandt, in einer anderen Sprache, aber im Prinzip mit genau demselben Inhalt wieder von rechten Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen wieder aufgewärmt werden und tatsächlich eine grosse Gruppe von Deutschen erreichen und Anknüpfungspunkte bieten.

Dies spiegelt sich natürlich in aktuellen Wahlergebnissen wider, aber eben nicht nur dort, es lässt sich ja aktuell eine Renaissance von Männerbündeleien, schlagenden Verbindungen bis hin zu rechten Kampfgruppen beobachten.»

Hältst du es für möglich, dass es gerade die Verweigerung dieser ehrlichen Auseinandersetzung mit diesem Teil der bundesdeutschen Geschichte, der Verfolgung schwuler Männer nach 1945, den Nährboden geschaffen hat, der es rechten Politiker*innen aktuell so einfach macht mit ihren schwulen- und queerfeindlichen Positionen bei erschreckend weiten Teilen der Gesellschaft so bereitwillig Gehör zu finden? Grundsätzlich finde ich es schwierig, rechte Politikansätze nur vordergründig zu verteufeln, ohne sie inhaltlich zu analysieren. Viele der erfolgreichen, rechten Politiker*innen sind ja keine dummen Menschen, hinter dem Erfolg verbirgt sich in der Regel ja eine durchdachte Strategie der Begriffs- und Diskursverschiebung. Diese Strategien zu erkennen und sich mit ihren Wirkmechanismen auseinanderzusetzen, ist entscheidend. Schaut man sich beispielsweise das Familienideal an, das beispielsweise die AfD aktuell propagiert, da muss man ja schon das Zentimetermass anlegen, um Unterschiede zu finden, die Unterschiede zum Familienbild der Nationalsozialisten darstellen. Da wird ein Bild als Ideal propagiert – Mann, Frau und zwei, aber bitteschön genetisch deutsche Kinder. An genau diesen Übereinstimmungen entlarven sich dann auch die vordergründigen Beteuerungen heutiger, rechter Politiker*innen, sie hätten mit ihren Vorläufern zwischen 1933 und 45 nichts zu tun.

Wie sehr aber diese Beteuerungen von der Gesellschaft an- und aufgenommen werden und sich Diskurse verschieben, lässt sich beispielhaft an Begriffen darstellen. Wie schnell ist ein zunächst gesellschaftlich breit abgelehnter Begriff, wie die berüchtigte Remigration-Vokabel, auf einmal in den Sprachgebrauch von Frau Weidel und ihren Mitstreiter*innen übergegangen. Heute umschreibt der Begriff ganz offiziell die parteipolitischen Forderungen der AfD und ist auch im öffentlichen Diskurs kaum noch ein Aufreger. Die Geschwindigkeit, in der dies passiert, da kann einem schwarz vor Augen werden.

Schaut man sich rechte Ideologien und aktuelle Erzählungen an, spielen Fragen der Reproduktion häufig eine zentrale Rolle. Muss ein derart biologistisch, genetisch, Reproduktion-zentristisches Menschen- und Familienbild nicht beinahe zwangsläufig zu einer breiten Ablehnung von queeren Communitys führen? Damit kommen wir an einen entscheidenden Punkt. Gerade die frühere Verfolgung von Schwulen oder die aktuellen Diskussionen, etwa zum Thema Transgender, mit dem ununterbrochenen Eintröpfeln der Erzählungen der neurechten Kräfte, die öffentlich noch gar nicht so offen anti-schwul argumentieren, damit erreichst du weite Teile der Gesellschaft, die ansonsten in vielen anderen Punkten mit beispielsweise einer AfD gar nicht so viele Berührungspunkte verbindet. Das geht bis in die Mitte der Gesellschaft hinein.

Auf eine Ablehnung marginalisierter Gruppen, wie beispielsweise von trans Personen, darauf können sich eben viele Menschen verständigen, gerade weil sie eben nicht selber betroffen sind. Das liess sich besonders exemplarisch auch bei der vehementen Ablehnung einer geschlechtersensiblen Sprache beobachten.»

Ihr habt euch in den Interviews im Film mehrfach auf die feministische Emanzipationsbewegung der frühen 70er bezogen, habt Eure Vernetzung erwähnt. Wenn wir uns das aktuelle Männerbild, das Neu-Rechte propagieren und das Andocken von Teilen der schwulen Community an dieses Männerbild, wie erfolgreich war dann deiner Meinung nach die Auseinandersetzung mit tradierten, übersteigerten Männerbildern in 40 Jahren schwuler Emanzipation? Da kommst du an einen ganz schwierigen Punkt. Ganz schwierig, weil auch hier der Nationalsozialismus ja bereits die Ambivalenz zwischen einer vehementen Ablehnung schwuler Identität und einer nur unzulänglich maskierten, homoerotischen Faszination für alles Männliche erkennen liess. Ich denke, dass für einige Schwule ein bestimmtes, oft überhöhtes Männerbild, zumindest sexuell betrachtet, durchaus attraktiv erscheint. Da zu differenzieren zwischen einer erotisch aufgeladenen Projektionsfläche und der politischen Ideologie mit all den Konsequenzen, die sie auch und gerade für Schwule entfaltet, fällt augenscheinlich einigen schwulen Männern doch schwer. Aber diese Diskrepanz ist ja in diesem Kontext beileibe nicht der einzige, offen zu Tage tretende, eigentlich unüberbrückbare Widerspruch. Wenn du Dir die AfD anschaust, die von einer in der Schweiz, offen lesbisch, mit ihrer Frau mit migrantischem Background und zwei adoptierten Kindern lebenden Vorsitzenden geführt wird, die gegen alles kämpft, was ihre eigene Existenz ausmacht, da fragst du dich doch: Geht’s eigentlich noch?

Im Film wurde auch das Thema internalisierte Homophobie aufgegriffen. Ihr habt eindrucksvoll beschrieben, wie Ihr als Reaktion auf Eure Aktionen aus bürgerlich - angepasst auftretenden schwulen Milieus aufgefordert wurdet, bitte nicht zu provokativ, nicht zu bunt, bloss nicht tuntig aufzutreten. Siehst du hier Ähnlichkeiten zu heute zu beobachtbaren Tendenzen in einigen schwulen Communitys, sich bewusst abzugrenzen von einer queeren Bewegung? Diese aktuellen Tendenzen heute, sind für mich eigentlich die zweite Seite der gleichen Medaille, wie sie auch in der Resonanz auf Brühwarm zu beobachten war und wie sie sogar sehr viel heftiger noch, nach dem Film von Rosa von Praunheim («Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Umstände in denen er lebt.» Anm. d. Autors) auftrat. Rosa wurde ja vorgeworfen, er würde mit seinem Film die Schwulen diskreditieren. Die bürgerlichen Schwulen zeigten sich ja samt und sonders empört über diesen Film. Wenn du aber die kulturellen Hintergründe zu diesem Film kennst, hat es ja auch in den 50er und 60er Jahren ein schwules Leben gegeben. Aber eben im Verborgenen.»

Verlief diese Trennlinie in der schwulen Community damals nicht vor allem auch entlang sozio-ökonomischer Parameter, also wer es sich leisten konnte, konnte seine Wünsche auch ausleben? Ja, wer es sich leisten konnte, der hat seine Wünsche ausgelebt, aber er hat sie immer im Verborgenen gelebt. Es hat ja erstaunlicherweise gerade in Hamburg, nicht etwa in Berlin, eine Vielzahl von Freundschaftslokalen, wo sich oft gut situierte, bürgerliche Schwule getroffen haben und wo selbstverständlich auch Stricher verkehrt haben. Bei jeder Razzia der Polizei wurden die Stricher dann durch die Hintertür schnell auf die Strasse geschickt. Es gab hier diese Szene. Und sowohl der Film von Rosa als auch die Aktionen, die wir mit Brühwarm gemacht haben, das war ja wie eine Demaskierung dieser Szene. In dieser Szene galt es, als Tabubruch, die Wahrheit über schwules Leben in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Ich erinnere mich beispielsweise noch selber sehr gut an Situationen in einem damaligen, ganz bekannten Club mit Sauna in Hamburg-Uhlenhorst. Da gab es auch einen Darkroom mit Dampfbereich, darauf bezieht sich übrigens auch der Song von Brühwarm: ,Ich freu mich schon auf Dienstag'. Da hast du dann hoch angesehene, bürgerlich-schwule Männer erlebt, die, kaum waren sie in diesen Dampfbereich in dem Darkroom eingetaucht, zu sexbesessenen, geilen Kerlen mutierten, die alles anpackten, dessen sie habhaft wurden. Kaum hatten sie die Sauna wieder verlassen, wandelten die sich zu angepassten Typen, als wäre nie etwas passiert.»

Können wir uns innerhalb der schwulen Community diese Form der Selbstverleugnung vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen, heute noch leisten? Zunächst ist diese Selbstdistanz auch heute noch, wenn auch in anderer Form als Anfang der 70er, eben eine schwule Realität. Ehrlicherweise habe ich derzeit keine grosse Hoffnung, dass es aus relevanten, grossen Teilen der schwulen Community heraus, Impulse zu einer politischen Bewegung geben wird. Ja, man nimmt es zur Kenntnis, dass etwa im Osten Deutschlands CSD’s von rechten Kampftruppen körperlich attackiert werden. Auch der trotz EU-Mitgliedschaft erfolgte, ungarische Parlamentsbeschluss, der den CSD kriminalisiert (MANNSCHAFT berichtete), wird wahrgenommen und sicher auch bedauert und kritisiert.

Aber diese Vorgänge lösen keine unmittelbaren Folgen oder Aktionen in weiten Teilen der schwulen Community aus. Meine persönliche Wahrnehmung hingegen geht dahin, dass die sogenannte Schwulenbewegung in erschreckend grossem Masse mittlerweile a-politisch erscheint, was ich als ausserordentlich fatal empfinde.»

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