Brühwarmes Theater und die Schwulenbewegung als sehenswerte Doku
Der Film «Raus aus dem Ghetto» arbeitet die verdrängte Verfolgung schwuler Männer in der BRD auf
Im Rahmen des Hamburger «Queer History Month» wurde Kevin Harry Schwarzsteins Film gezeigt: eine kraftvolle Zeitreise in die Anfänge der schwulen Emanzipation, mit Archivmaterial, das schmerzt, befreit – und alarmierend aktuell wirkt.
Mit seinem lebendigen, umfassenden und relevanten Veranstaltungsangebot ist der Hamburger Queer History Month, nach dem jüngst verkündeten Aus für das Berliner Pendant, die vermutlich letzte verbliebene Plattform dieses Umfangs, in einer deutschen Grossstadt.
Im Rahmen des Veranstaltungsprogramms lief im Metropolis Kino in Hamburg die Dokumentation: «Raus aus dem Ghetto – Brühwarmes Theater und die Schwulenbewegung der 70er», von Regisseur Kevin Harry Schwarzstein.
In seiner Dokumentation nimmt der Regisseur seine Zuschauer*innen mit auf eine Zeitreise in die Jahre der schwulen Emanzipation in den frühen 1970er Jahren. Die Entwicklung des legendären Brühwarm-Theaterkollektivs in seiner ganzen anarchischen Sprengkraft wird sichtbar. Das Aufeinandertreffen mit Rio Reiser und Ton Steine Scherben und die sich daraus entwickelnde, fruchtbare und kreative Kollaboration werden beleuchtet.
Aber auch die Wechselwirkungen mit der Umgebungsgesellschaft, der tiefsitzende Stachel einer gesellschaftlich weitverbreiteten Homophobie, die unreflektiert aus den Jahren des Faschismus in die junge Bundesrepublik weitergetragen wurde und Jahrzehnte wirksam blieb, mit teilweise dramatischen Folgen für die Betroffenen, werden deutlich.
Auch Parallelen und Bezüge zu aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen werden mit einer beklemmenden Aktualität sichtbar gemacht. Mit bisher unveröffentlichtem Archivmaterial und persönlichen Interviews beleuchtet Regisseur Schwarzstein mit seiner Dokumentation eine entscheidende Epoche, queerer Kulturgeschichte.
Darüber hinaus ist ein Dokument entstanden, das eine über Jahrzehnte existente, menschenverachtende Ausgrenzung von Schwulen belegt, die bisher in der Auseinandersetzung mit der jüngeren, deutschen Geschichte, von weiten Teilen der Gesellschaft nach wie vor, ausgeblendet wird.
Nicht nur im Film geben die Protagonisten des Brühwarm Theaters, Götz Barner, Corny Littmann, Claus Plänkers, Danny Lewis, Detlef Stoffel und Nikel Pallat von Ton Steine Scherben in ihren Interviews Einblicke in ihre Motivation und ziehen Verbindungen ins Heute.
Das Hamburger Internationale Queer Film Festival (HiQFF) als Veranstalter hatte im Anschluss an die Vorführung eine Gesprächsrunde mit dem Regisseur, Kevin Harry Schwarzstein, mit Götz Barner und Corny Littmann organisiert. Auch Claus Plänkers war extra aus Berlin angereist, um an diesem Abend gemeinsam mit seinen ehemaligen Mitstreitern von seinen Erfahrungen aus den bewegten Jahren des Brühwarm Theaters zu berichten und sich mit dem Publikum in einen Austausch zu begeben.
Im Zuge der Diskussion nach der Vorführung wurde sowohl aus dem Publikum, als auch von den Podiumsgästen die Auffassung vertreten, dies sei eine Dokumentation, die über das Fernsehen auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden sollte. Zumal die Dokumentation offenbar der Dokumentarabteilung des NDR vorliegt.
Daraufhin haben wir beim NDR einmal nachgefragt, wie der Sender zu der Dokumentation steht und ob man uns bereits einen Sendetermin für diese Produktion nennen kann.
Wir haben auf unsere Anfrage die folgende Antwort erhalten: «Neben inhaltlichen Kriterien spielen für uns bei der Auswahl von Stoffen und Filmen auch gleichermassen formatspezifische Kriterien - wie die thematische Ausrichtung der bespielten Sendeplätze, Filmlängen und Zielgruppen - eine Rolle. Welcher Stoff passt in welchem Format wohin? Die Dokumentation ‹Raus aus dem Ghetto – Brühwarmes Theater und die Schwulenbewegung der 70er› von Kevin Harry Schwarzstein ist sehenswert und relevant. Sowohl im Inhalt als auch in der Machart ist die Doku sehr speziell. Eine Ausstrahlung im NDR-Fernsehen ist derzeit nicht vorgesehen. Wir prüfen aber aktuell, zum Jubiläum von ‹Brühwarm› ein Magazinstück im NDR-Kulturjournal zu platzieren, das sich mit der Geschichte befasst und auch auf den Inhalt aus der Dokumentation zurückgreift.»
Bleibt vermutlich also auch weiterhin nur der Weg, diesen sehenswerten Film im Rahmen von Festivals wie dem Hamburg International Queer Film Festival und Einzel-Aufführungen zu erleben. Das HiQFF ist das grösste deutsche Queer Film Festival und konnte im vergangenen Jahr bereits zum 35. Mal mit einem vielschichtigen und spannenden Festival-Angebot queere Kultur in die Stadtgesellschaft tragen.
Wir konnten im Anschluss mit Corny Littmann ein Interview führen, in dem er seine Wertschätzung für diese Dokumentation noch einmal verdeutlichte.
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