Wenn Facebook zur Zeitmaschine wird …
Bilder und Geschichten aus der Facebook-Gruppe «Gay New York 1970s and 80s»
Für schwule Männer war New York City in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren Zufluchtsort und Paradies zugleich. Bis die HIV- und Aids-Krise kam und ganze Freundeskreise auslöschte. Ein unerwarteter Ort überbrückt jetzt die Lücke.
Wenn heute über das weltweit grösste soziale Netzwerk gesprochen wird, dann geht es oft um Spam, reisserische Links, Fakenews, Trolle und Kommentarschlachten. Es gibt sie jedoch noch, die kleinen Ecken, die Gleichgesinnte zusammenbringen und ihnen Freude bereiten.
Für einige Mitglieder der Facebook-Gruppe «Gay New York 1970s and 80s» kommt diese Freude einem Nachhausekommen gleich. Und trägt dazu bei, mit einer befreienden und zugleich traumatisierenden Zeit abzuschliessen.
Die englischsprachige Gruppe «Gay New York 1970s and 80s» lädt ihre Mitglieder dazu ein, persönliche Bilder und Geschichten aus den 1970ern und 1980ern zu teilen. Es sind mehrheitlich schwule Männer, die damals als junge Erwachsene auf der Suche nach Akzeptanz und Gleichgesinnten nach New York kamen und während der HIV- und Aids-Krise Freunde und Liebhaber verloren. Heute sind diese Männer im Pensionsalter und nicht selten einsam. Für sie ist Facebook zu einer Art Zeitmaschine von unbezahlbarem Wert geworden.
In der Facebook-Gruppe schwelgen sie in Erinnerungen, tauschen sich über längst vergangene Partys aus und finden alte Bekannte. Sinniert wird über legendäre Clubs wie The Saint oder Mineshaft, das Badehaus St. Marks, die Cruisingzone bei den Piers und die vielen kleinen Bars, Cafés und Restaurants, in denen man sich mit der gewählten Familie traf. Die Beiträge sind aber mehr als nur ein Sammelsurium persönlicher Geschichten. Sie enthalten Zeitzeugnisse, die zum Erbe der historischen Schwulenkultur New Yorks beitragen. Das macht «Gay New York 1970s and 80s» zu einem einmaligen und wertvollen Archiv.
Michael Hawke gründete die Facebook-Gruppe im Juni 2023, die Idee dazu hatte er jedoch schon länger. «Während der Pandemie dachte ich, ich würde den Verstand verlieren. Meine beiden älteren Hunde waren gerade gestorben, meine Brüder und ich haben keine enge Beziehung und meine Eltern waren schon lange tot», sagt er zu MANNSCHAFT. Er begann, 65 Jahre an Erinnerungsstücken zu entrümpeln.
Als er seine Einladung zur Eröffnungsnacht des «Studio 54»-Clubs in Manhattan in den Händen hielt, fasste er den Entschluss, seine in New York verbrachten Jahre chronologisch festzuhalten. Die Veröffentlichung des ersten Kapitels auf Facebook brachte ihm plötzlich hunderte neue Freunde und er gründete die Gruppe «Michael’s Story».
Es folgten tausend weitere Follower. «Die Leute sagten, meine Ehrlichkeit und Offenheit hätten sie inspiriert. Andere sagten, ich würde zur Linderung des seelischen Schmerzes beitragen.»
«Die Leute sagten, meine Ehrlichkeit und Offenheit hätten sie inspiriert. Andere sagten, ich würde zur Linderung des seelischen Schmerzes beitragen.»
Michael Hawke, Gründer der Facebook-Gruppe «Gay New York 1970s and 80s
Im September 2024 zählte die Gruppe, jetzt unter dem Namen «Gay New York 1970s and 80s», über 36 000 Mitglieder. Täglich kommen rund hundert dazu. Als einziger Administrator der Seite bewilligt der 70-Jährige die Posts, löscht Bots und Spam. Er druckt jeden Beitrag aus und kategorisiert ihn.
Für die jüngere Generation betreibt er eine Schwesterseite auf Instagram, allerdings mit einer deutlich kleineren Reichweite. Obwohl die Facebook-Gruppe sich nicht primär um Aids dreht, zieht sich die Epidemie wie ein roter Faden durch die Erinnerungen der Mitglieder. «Wenn man die Kommentare liest, sieht man immer wieder Leute sagen, dass sie durch die Gruppe weniger isoliert seien.»
Ältere Menschen fühlen sich wieder gesehen», sagt Michael, der als Immobilieninvestor, Schauspieler und Schriftsteller tätig ist. «So viele von uns haben Aids überlebt, aber es gab nie einen Ort, an dem wir uns mit anderen aus der ganzen Welt verbinden konnten. Viele sagen, es sei die wichtigste Seite in den sozialen Medien.»
«So viele von uns haben Aids überlebt, aber es gab nie einen Ort, an dem wir uns mit anderen aus der ganzen Welt verbinden konnten.»
Michael Hawke
Die Facebook-Gruppe sei so erfolgreich, weil es noch nie etwas Vergleichbares gegeben habe. Mitglieder suchten Informationen über geliebte Menschen, von denen einige tatsächlich noch lebten. «Ich persönlich habe andere wiedergefunden, die ich aus den Augen verloren hatte», sagt Michael. «Viele schreiben über die goldenen Jahre des Schwulseins in NYC, bevor in den frühen 1980ern alles den Bach runterging. Manche Geschichten sind unglaublich bewegend. Andere sind belanglos, über Discos, schwul-lesbische Treffpunkte und dergleichen, aber alle sind gleich wichtig.»
Die Überfülle an Material beflügelt die Kreativität der Mitglieder. Ein Buch und ein Theaterstück sind in Arbeit, ebenso ein Podcast. Die Gruppe entwickle sich praktisch zu einer Bewegung, freut sich Michael.
Am meisten berührte ihn die Geschichte einer Frau, die in der Gruppe nach Informationen über ihren Vater suchte. Sie hatte ihn nie getroffen, ihre Mutter hatte ihr nie von ihm erzählt, weil er schwul war. Er verstarb 1984. «Während sie niemanden fand, der ihn kannte, wurde ihr überwältigende Liebe entgegengebracht.»
Die Pflege der Facebook-Gruppe nimmt viel Zeit in Anspruch, rund 30 Stunden pro Woche. «Es ist eine Arbeit der Liebe», sagt Michael. «Seit ich 1988 clean geworden bin und alkohol-abstinent lebe, ist dies bei weitem das Bedeutendste, was ich je getan habe.»
Sie hat gerade den Lauf ihres Lebens. Die letztjährige Single «Padam Padam» katapultierte Kylie Minogue zurück in höchste Chartregionen. Plötzlich ist die australische Popveteranin wieder cool und angesagt. Wir treffen sie in London (zum Interview).
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