Wenn Facebook zur Zeitmaschine wird …

Bilder und Geschichten aus der Facebook-Gruppe «Gay New York 1970s and 80s»

Evan Lobel (Mitte) über die Szene-Bekanntheit Bobby To (zweiter von links)
Evan Lobel (Mitte) über die Szene-Bekanntheit Bobby To (zweiter von links) (Bild: zVg/Evan Lobel)

Für schwule Männer war New York City in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren Zufluchtsort und Paradies zugleich. Bis die HIV- und Aids-Krise kam und ganze Freundeskreise auslöschte. Ein unerwarteter Ort überbrückt jetzt die Lücke.

Wenn heute über das weltweit grösste soziale Netzwerk gesprochen wird, dann geht es oft um Spam, reisserische Links, Fakenews, Trolle und Kommentarschlachten. Es gibt sie jedoch noch, die kleinen Ecken, die Gleichgesinnte zusammenbringen und ihnen Freude bereiten.

Für einige Mitglieder der Facebook-Gruppe «Gay New York 1970s and 80s» kommt diese Freude einem Nachhausekommen gleich. Und trägt dazu bei, mit einer befreienden und zugleich traumatisierenden Zeit abzuschliessen.

Mein bester Freund Barry und ich, zehn Monate bevor er starb. Er ist der gutaussehende Mann rechts. Ich bin der verträumte links. Wir waren jahrelang unzertrennlich, «Zwillingsterroristen.» Sogar das Gespräch über seinen bevorstehenden Tod brachte uns zum Lachen, während wir Pläne schmiedeten. Er sollte mir ein Zeichen schicken. Das tat er nie. Die giftigen Medikamente jener Zeit verursachten bei Barry einen Schlaganfall. Eine Woche später erlag er ihm. Er war 27, als er starb. Ich vermisse ihn jeden Tag.  – Mark Kane
Mein bester Freund Barry und ich, zehn Monate bevor er starb. Er ist der gutaussehende Mann rechts. Ich bin der verträumte links. Wir waren jahrelang unzertrennlich, «Zwillingsterroristen.» Sogar das Gespräch über seinen bevorstehenden Tod brachte uns zum Lachen, während wir Pläne schmiedeten. Er sollte mir ein Zeichen schicken. Das tat er nie. Die giftigen Medikamente jener Zeit verursachten bei Barry einen Schlaganfall. Eine Woche später erlag er ihm. Er war 27, als er starb. Ich vermisse ihn jeden Tag. – Mark Kane (Bild: zVg)
Als Folge der Epidemie gab es in den 80ern eine regelechte Explosion von schwulen und lesbischen Sportgruppen. Sie boten eine Möglichkeit, Leute kennen zu lernen und Spass zu haben. Zehn Jahre lang habe ich bei Gotham Volleyball gespielt. Ein Teil des Erlebnisses war es, in andere Städte zu reisen, um gegen ihre schwulen und lesbischen Teams zu spielen. Es war eine der unterhaltsamsten Zeiten meines Lebens. Diese Gruppen existieren bis heute. Auf dem Foto bin ich derjenige mit dem Trikot Nummer 7. Prost! – James Kleinbaum
Als Folge der Epidemie gab es in den 80ern eine regelechte Explosion von schwulen und lesbischen Sportgruppen. Sie boten eine Möglichkeit, Leute kennen zu lernen und Spass zu haben. Zehn Jahre lang habe ich bei Gotham Volleyball gespielt. Ein Teil des Erlebnisses war es, in andere Städte zu reisen, um gegen ihre schwulen und lesbischen Teams zu spielen. Es war eine der unterhaltsamsten Zeiten meines Lebens. Diese Gruppen existieren bis heute. Auf dem Foto bin ich derjenige mit dem Trikot Nummer 7. Prost! – James Kleinbaum (Bild: zVg)
Seit ich diese Gruppe gefunden habe, bin ich süchtig danach. Die Tatsache, dass viele von uns zur gleichen Zeit die gleichen Orte erlebt haben – von Fire Island über das Flamingo, Studio 54 und darüber hinaus. Auch wenn ich keinen von euch persönlich kenne, freue ich mich einfach, einige dieser Zeiten hier in dieser Gruppe mit euch teilen zu können. Manchmal muss man sich einfach zurücklehnen und in Erinnerungen schwelgen, während man die Musik jener Tage hört.  – Michael La Bue
Seit ich diese Gruppe gefunden habe, bin ich süchtig danach. Die Tatsache, dass viele von uns zur gleichen Zeit die gleichen Orte erlebt haben – von Fire Island über das Flamingo, Studio 54 und darüber hinaus. Auch wenn ich keinen von euch persönlich kenne, freue ich mich einfach, einige dieser Zeiten hier in dieser Gruppe mit euch teilen zu können. Manchmal muss man sich einfach zurücklehnen und in Erinnerungen schwelgen, während man die Musik jener Tage hört. – Michael La Bue (Bild: zVg)
In der Discoszene fühlte man sich als Teil von etwas wirklich Besonderem – einer Gemeinschaft von gleichgesinnten, urteilsfreien Menschen, die ein wunderbares Geheimnis teilten. Hedonistisch? Ja. Extrem? Natürlich. Aber direkt im Anschluss an die Schwulenbefreiung und die Pride gab die Erfahrung der frühen Disco-Jahre tausenden von selbstbewussten, urbanen schwulen Männern ein greifbares Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft. – Lynn Curlee
In der Discoszene fühlte man sich als Teil von etwas wirklich Besonderem – einer Gemeinschaft von gleichgesinnten, urteilsfreien Menschen, die ein wunderbares Geheimnis teilten. Hedonistisch? Ja. Extrem? Natürlich. Aber direkt im Anschluss an die Schwulenbefreiung und die Pride gab die Erfahrung der frühen Disco-Jahre tausenden von selbstbewussten, urbanen schwulen Männern ein greifbares Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft. – Lynn Curlee (Bild: zVg)

Die englischsprachige Gruppe «Gay New York 1970s and 80s» lädt ihre Mitglieder dazu ein, persönliche Bilder und Geschichten aus den 1970ern und 1980ern zu teilen. Es sind mehrheitlich schwule Männer, die damals als junge Erwachsene auf der Suche nach Akzeptanz und Gleichgesinnten nach New York kamen und während der HIV- und Aids-Krise Freunde und Liebhaber verloren. Heute sind diese Männer im Pensionsalter und nicht selten einsam. Für sie ist Facebook zu einer Art Zeitmaschine von unbezahlbarem Wert geworden.

In der Facebook-Gruppe schwelgen sie in Erinnerungen, tauschen sich über längst vergangene Partys aus und finden alte Bekannte. Sinniert wird über legendäre Clubs wie The Saint oder Mineshaft, das Badehaus St. Marks, die Cruisingzone bei den Piers und die vielen kleinen Bars, Cafés und Restaurants, in denen man sich mit der gewählten Familie traf. Die Beiträge sind aber mehr als nur ein Sammelsurium persönlicher Geschichten. Sie enthalten Zeitzeugnisse, die zum Erbe der historischen Schwulenkultur New Yorks beitragen. Das macht «Gay New York 1970s and 80s» zu einem einmaligen und wertvollen Archiv.

Eines der arbeitenden Mädchen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren im Meatpacking District unterwegs waren. Die trans Sexarbeiterinnen dieser Ära verdienen eine Menge Respekt dafür, dass sie ihr Leben riskierten, zusammengeschlagen oder sogar ermordet wurden und am äussersten Rand der Verzweiflung lebten, um irgendwie zu überleben. Wenn man nett zu ihnen war und sie mit etwas Höflichkeit behandelte, waren sie grossartig, sobald sie merkten, dass man sie nicht verspotten oder ausnutzen wollte. Wer jedoch die geringste Respektlosigkeit zeigte oder bedrohlich wirkte, girrrllllll, dann waren diese Mädchen gnadenlos. Wir reden hier von Rasierklingen in ihren Perücken und Messern in ihren Taschen. Sie zogen ihre Highheels aus und jagten dich aus ihrem Revier. Es war ein Überlebenskampf im Grossstadtdschungel, und ich frage mich, wie viele von ihnen es geschafft haben, da rauszukommen.  – Stuard M. Derrick
Eines der arbeitenden Mädchen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren im Meatpacking District unterwegs waren. Die trans Sexarbeiterinnen dieser Ära verdienen eine Menge Respekt dafür, dass sie ihr Leben riskierten, zusammengeschlagen oder sogar ermordet wurden und am äussersten Rand der Verzweiflung lebten, um irgendwie zu überleben. Wenn man nett zu ihnen war und sie mit etwas Höflichkeit behandelte, waren sie grossartig, sobald sie merkten, dass man sie nicht verspotten oder ausnutzen wollte. Wer jedoch die geringste Respektlosigkeit zeigte oder bedrohlich wirkte, girrrllllll, dann waren diese Mädchen gnadenlos. Wir reden hier von Rasierklingen in ihren Perücken und Messern in ihren Taschen. Sie zogen ihre Highheels aus und jagten dich aus ihrem Revier. Es war ein Überlebenskampf im Grossstadtdschungel, und ich frage mich, wie viele von ihnen es geschafft haben, da rauszukommen. – Stuard M. Derrick (Bild: zVg)

Michael Hawke gründete die Facebook-Gruppe im Juni 2023, die Idee dazu hatte er jedoch schon länger. «Während der Pandemie dachte ich, ich würde den Verstand verlieren. Meine beiden älteren Hunde waren gerade gestorben, meine Brüder und ich haben keine enge Beziehung und meine Eltern waren schon lange tot», sagt er zu MANNSCHAFT. Er begann, 65 Jahre an Erinnerungsstücken zu entrümpeln.

Das New York der späten 80er-Jahre ist der Ort, an dem ich wirklich geboren wurde. Die Energie, die Sexualität, die Kameradschaft, das Gefühl der Zugehörigkeit... es war eine unglaubliche Zeit, um ein junger schwuler Mann zu sein. Und sie wurde getrübt durch die Seuche, unter der wir alle lebten und die die Regierung zu ignorieren versuchte. Im Laufe der Jahre musste ich mich von vielen Freunden verabschieden. Diese Seite zu finden, war ein Segen! Die Erinnerungen und Gefühle, die die hier geposteten Geschichten in mir ausgelöst haben, sind kraftvoll, unverfälscht und wunderbar.   – Dennis Noonan (zweiter von links)
Das New York der späten 80er-Jahre ist der Ort, an dem ich wirklich geboren wurde. Die Energie, die Sexualität, die Kameradschaft, das Gefühl der Zugehörigkeit... es war eine unglaubliche Zeit, um ein junger schwuler Mann zu sein. Und sie wurde getrübt durch die Seuche, unter der wir alle lebten und die die Regierung zu ignorieren versuchte. Im Laufe der Jahre musste ich mich von vielen Freunden verabschieden. Diese Seite zu finden, war ein Segen! Die Erinnerungen und Gefühle, die die hier geposteten Geschichten in mir ausgelöst haben, sind kraftvoll, unverfälscht und wunderbar. – Dennis Noonan (zweiter von links) (Bild: zVg)
Mein verstorbener Partner Fred und ich in unserer Wohnung in Brooklyn. Die 1980er waren eine tolle Zeit. Wir alle erinnern uns an die Musik, die Clubs und eine Stadt, die niemals schläft. Aber wir alle erlebten auch diese schreckliche Krankheit namens Aids, die in unsere Wohnungen eindrang und an jeder Ecke lauerte. Mein Fred wog auf diesem Bild nur noch 40 Kilo, aber er liess sich von Aids nicht davon abhalten, sein Leben zu leben. Man kann von hundert Fällen hören, man kann in Büchern und Zeitschriften darüber lesen, aber man muss nur einen sehen. Fred wird immer in meinem Herzen bleiben und ich werde sein Leben immer feiern.  – Rocco Piacente
Mein verstorbener Partner Fred und ich in unserer Wohnung in Brooklyn. Die 1980er waren eine tolle Zeit. Wir alle erinnern uns an die Musik, die Clubs und eine Stadt, die niemals schläft. Aber wir alle erlebten auch diese schreckliche Krankheit namens Aids, die in unsere Wohnungen eindrang und an jeder Ecke lauerte. Mein Fred wog auf diesem Bild nur noch 40 Kilo, aber er liess sich von Aids nicht davon abhalten, sein Leben zu leben. Man kann von hundert Fällen hören, man kann in Büchern und Zeitschriften darüber lesen, aber man muss nur einen sehen. Fred wird immer in meinem Herzen bleiben und ich werde sein Leben immer feiern. – Rocco Piacente (Bild: zVg)
Vincent lebte sein Leben laut und offen. Mein bester Freund war furchtlos, weil er Risiken einging und es ihm egal war, was andere dachten. Er trug Regenbogenketten in der Öffentlichkeit und im Rückfenster seines Autos hatte er eine Regenbogenfahne angebracht. Im Vergleich dazu war ich noch ein Mauerblümchen. Er war definitiv dafür verantwortlich, dass ich aus meiner Schale kam. – Nicholas Cantore
Vincent lebte sein Leben laut und offen. Mein bester Freund war furchtlos, weil er Risiken einging und es ihm egal war, was andere dachten. Er trug Regenbogenketten in der Öffentlichkeit und im Rückfenster seines Autos hatte er eine Regenbogenfahne angebracht. Im Vergleich dazu war ich noch ein Mauerblümchen. Er war definitiv dafür verantwortlich, dass ich aus meiner Schale kam. – Nicholas Cantore (Bild: zVg)
Ich. Bei der Arbeit in der Upper West Side, irgendwann in den Achtzigern. Ich dachte nie, dass ich so gut aussah … dummer Junge! Ich geniesse diese Gruppe sehr. Diese Beiträge von anderen helfen mir zu erkennen, dass ich nicht allein bin. Einige von uns haben sogar überlebt.  – Mark Johnson
Ich. Bei der Arbeit in der Upper West Side, irgendwann in den Achtzigern. Ich dachte nie, dass ich so gut aussah … dummer Junge! Ich geniesse diese Gruppe sehr. Diese Beiträge von anderen helfen mir zu erkennen, dass ich nicht allein bin. Einige von uns haben sogar überlebt. – Mark Johnson (Bild: zVg)
 Meine 1980er waren voller Aufregung, aber auch voll des Verdrängens, dass ich schwul war. Sex machte mir Todesangst. So sehr, dass ich aus Angst vor HIV die schlimmsten Bauchschmerzen bekam, wenn ich jemanden traf. An Sonntagnachmittagen ging ich zu den Piers am Ende der Christopher Street. Was für eine unglaubliche Szene. Ich wünschte immer, ich könnte so frei sein wie die Menschen, die ich dort sah. Ich bedaure, dass ich die Zügel nicht ein bisschen lockerer liess. Mehr Spass hatte. Mehr genoss. Ich versuche, das jetzt zu tun, bevor die Zeit hier vorbei ist. – Bobby Blair
Meine 1980er waren voller Aufregung, aber auch voll des Verdrängens, dass ich schwul war. Sex machte mir Todesangst. So sehr, dass ich aus Angst vor HIV die schlimmsten Bauchschmerzen bekam, wenn ich jemanden traf. An Sonntagnachmittagen ging ich zu den Piers am Ende der Christopher Street. Was für eine unglaubliche Szene. Ich wünschte immer, ich könnte so frei sein wie die Menschen, die ich dort sah. Ich bedaure, dass ich die Zügel nicht ein bisschen lockerer liess. Mehr Spass hatte. Mehr genoss. Ich versuche, das jetzt zu tun, bevor die Zeit hier vorbei ist. – Bobby Blair (Bild: zVg)

Als er seine Einladung zur Eröffnungsnacht des «Studio 54»-Clubs in Manhattan in den Händen hielt, fasste er den Entschluss, seine in New York verbrachten Jahre chronologisch festzuhalten. Die Veröffentlichung des ersten Kapitels auf Facebook brachte ihm plötzlich hunderte neue Freunde und er gründete die Gruppe «Michael’s Story».

Es folgten tausend weitere Follower. «Die Leute sagten, meine Ehrlichkeit und Offenheit hätten sie inspiriert. Andere sagten, ich würde zur Linderung des seelischen Schmerzes beitragen.»

«Die Leute sagten, meine Ehrlichkeit und Offenheit hätten sie inspiriert. Andere sagten, ich würde zur Linderung des seelischen Schmerzes beitragen.»

Michael Hawke, Gründer der Facebook-Gruppe «Gay New York 1970s and 80s

Im September 2024 zählte die Gruppe, jetzt unter dem Namen «Gay New York 1970s and 80s», über 36 000 Mitglieder. Täglich kommen rund hundert dazu. Als einziger Administrator der Seite bewilligt der 70-Jährige die Posts, löscht Bots und Spam. Er druckt jeden Beitrag aus und kategorisiert ihn.

Die Badlands Bar im Greenwich Village. Menschenmengen an der Ecke jedes Wochenende im Sommer. – Chuck Snyder
Die Badlands Bar im Greenwich Village. Menschenmengen an der Ecke jedes Wochenende im Sommer. – Chuck Snyder (Bild: zVg)
Die Docks mit Joe. Ich liebte ihn so sehr. – Jean Marie Piron
Die Docks mit Joe. Ich liebte ihn so sehr. – Jean Marie Piron (Bild: zVg)
1979, meine «Studio 54»-Tage. Ich hatte Haare und eine Taille! – Herbert Westphalen
1979, meine «Studio 54»-Tage. Ich hatte Haare und eine Taille! – Herbert Westphalen (Bild: zVg)
Die späten 1980er im Greenwich Village. – Michael Blake
Die späten 1980er im Greenwich Village. – Michael Blake (Bild: zVg)
Pride 1982: Ich bin auf Gregs Schultern. Traurigerweise starb Greg an Aids. – Rocco Piacente
Pride 1982: Ich bin auf Gregs Schultern. Traurigerweise starb Greg an Aids. – Rocco Piacente (Bild: zVg)
Gay Pride Day auf der Christopher Street, 1982  – Stanley Stellar
Gay Pride Day auf der Christopher Street, 1982 – Stanley Stellar (Bild: zVg)
Greenwich Village, 1979. Ich hatte eine wundervolle Zeit und wünschte, ich könnte sie nochmals erleben, aber ich fürchte, die Zeiten haben sich geändert. – Jean Marie Piron
Greenwich Village, 1979. Ich hatte eine wundervolle Zeit und wünschte, ich könnte sie nochmals erleben, aber ich fürchte, die Zeiten haben sich geändert. – Jean Marie Piron (Bild: zVg)

Für die jüngere Generation betreibt er eine Schwesterseite auf Instagram, allerdings mit einer deutlich kleineren Reichweite. Obwohl die Facebook-Gruppe sich nicht primär um Aids dreht, zieht sich die Epidemie wie ein roter Faden durch die Erinnerungen der Mitglieder. «Wenn man die Kommentare liest, sieht man immer wieder Leute sagen, dass sie durch die Gruppe weniger isoliert seien.»

1983 verliess ich New York und eröffnete meine Praxis in Atlanta. Die Epidemie kam zur gleichen Zeit an. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich HIV-positiv war. Ich war der einzige offen schwule Arzt in Atlanta. Ein Krankenhaus ignorierte mich, da der leitende Chirurg mit der Kündigung drohte, sollte man meine Patienten dort aufnehmen. Er nannte mich «Schwuchtel». Ich gab Interviews im Fernsehen und erhielt Pakete mit Fäkalien und blutigen Tampons. Ich trat der nationalen Vereinigung schwuler und lesbischer Ärzt*innen bei, die damals als AAPHR bekannt war. Ich organisierte einen Boykott von Delta Airlines, die HIV-positive Menschen ein Flugverbot erteilen wollten. Damit wollten sie auch positiv getestete Flugbegleiter am Fliegen hindern. Es half, Verbindungen zur Gesundheitsbehörde CDC zu haben. Ich nahm dort an einer Studie mit AZT-Monotherapie teil. Es ist ein Wunder, dass ich noch am Leben bin. – Dr. Stosh Ostrow, hier 1977 in New York
1983 verliess ich New York und eröffnete meine Praxis in Atlanta. Die Epidemie kam zur gleichen Zeit an. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich HIV-positiv war. Ich war der einzige offen schwule Arzt in Atlanta. Ein Krankenhaus ignorierte mich, da der leitende Chirurg mit der Kündigung drohte, sollte man meine Patienten dort aufnehmen. Er nannte mich «Schwuchtel». Ich gab Interviews im Fernsehen und erhielt Pakete mit Fäkalien und blutigen Tampons. Ich trat der nationalen Vereinigung schwuler und lesbischer Ärzt*innen bei, die damals als AAPHR bekannt war. Ich organisierte einen Boykott von Delta Airlines, die HIV-positive Menschen ein Flugverbot erteilen wollten. Damit wollten sie auch positiv getestete Flugbegleiter am Fliegen hindern. Es half, Verbindungen zur Gesundheitsbehörde CDC zu haben. Ich nahm dort an einer Studie mit AZT-Monotherapie teil. Es ist ein Wunder, dass ich noch am Leben bin. – Dr. Stosh Ostrow, hier 1977 in New York (Bild: zVg)

Ältere Menschen fühlen sich wieder gesehen», sagt Michael, der als Immobilien­investor, Schauspieler und Schriftsteller tätig ist. «So viele von uns haben Aids überlebt, aber es gab nie einen Ort, an dem wir uns mit anderen aus der ganzen Welt verbinden konnten. Viele sagen, es sei die wichtigste Seite in den sozialen Medien.»

«So viele von uns haben Aids überlebt, aber es gab nie einen Ort, an dem wir uns mit anderen aus der ganzen Welt verbinden konnten.»

Michael Hawke

Die Facebook-Gruppe sei so erfolgreich, weil es noch nie etwas Vergleichbares gegeben habe. Mitglieder suchten Informationen über geliebte Menschen, von denen einige tatsächlich noch lebten. «Ich persönlich habe andere wiedergefunden, die ich aus den Augen verloren hatte», sagt Michael. «Viele schreiben über die goldenen Jahre des Schwulseins in NYC, bevor in den frühen 1980ern alles den Bach runterging. Manche Geschichten sind unglaublich bewegend. Andere sind belanglos, über Discos, schwul-lesbische Treffpunkte und dergleichen, aber alle sind gleich wichtig.»

Ich zog 1987 nach New York City, 23-jährig und sehr naiv. Ich hatte den Namen Bobby To schon oft gehört, wusste aber wenig über ihn – etwa, dass er ein wunderschönes Apartment am Central Park besass und ein paar Auserwählte (vielleicht 100) vor grossen Partys in seine Wohnung einlud, wo gut aussehende Barkeeper mit nacktem Oberkörper Drinks servierten. Ein Freund nahm mich 1988 zu einer solchen Pre-Party vor der White Party mit. Als ich reinkam, war die Wohnung voller schöner Männer. Ich war sehr eingeschüchtert. Ich redete nicht viel und folgte einfach meinem Freund. Er stellte mich Bobby vor, der nicht hätte netter sein können. Er war älter und konnte mich wie ein offenes Buch lesen. Ein paar Tage später rief er mich an und fragte, ob ich mit ihm zur Premiere von Phantom der Oper gehen wolle. Er bestand mit seiner heiseren Stimme darauf, dass ich ihn Mutter nannte, was ich absolut liebte. Wir wurden enge Freunde, und er nahm mich unter seine Fittiche und war ein Mentor für mich. – Evan Lobel (Mitte) über die Szene-Bekanntheit Bobby To (zweiter von links)
Ich zog 1987 nach New York City, 23-jährig und sehr naiv. Ich hatte den Namen Bobby To schon oft gehört, wusste aber wenig über ihn – etwa, dass er ein wunderschönes Apartment am Central Park besass und ein paar Auserwählte (vielleicht 100) vor grossen Partys in seine Wohnung einlud, wo gut aussehende Barkeeper mit nacktem Oberkörper Drinks servierten. Ein Freund nahm mich 1988 zu einer solchen Pre-Party vor der White Party mit. Als ich reinkam, war die Wohnung voller schöner Männer. Ich war sehr eingeschüchtert. Ich redete nicht viel und folgte einfach meinem Freund. Er stellte mich Bobby vor, der nicht hätte netter sein können. Er war älter und konnte mich wie ein offenes Buch lesen. Ein paar Tage später rief er mich an und fragte, ob ich mit ihm zur Premiere von Phantom der Oper gehen wolle. Er bestand mit seiner heiseren Stimme darauf, dass ich ihn Mutter nannte, was ich absolut liebte. Wir wurden enge Freunde, und er nahm mich unter seine Fittiche und war ein Mentor für mich. – Evan Lobel (Mitte) über die Szene-Bekanntheit Bobby To (zweiter von links) (Bild: zVg)

Die Überfülle an Material beflügelt die Kreativität der Mitglieder. Ein Buch und ein Theaterstück sind in Arbeit, ebenso ein Podcast. Die Gruppe entwickle sich praktisch zu einer Bewegung, freut sich Michael. 

Am meisten berührte ihn die Geschichte einer Frau, die in der Gruppe nach Informationen über ihren Vater suchte. Sie hatte ihn nie getroffen, ihre Mutter hatte ihr nie von ihm erzählt, weil er schwul war. Er verstarb 1984. «Während sie niemanden fand, der ihn kannte, wurde ihr überwältigende Liebe entgegengebracht.»

Die Pflege der Facebook-Gruppe nimmt viel Zeit in Anspruch, rund 30 Stunden pro Woche. «Es ist eine Arbeit der Liebe», sagt Michael. «Seit ich 1988 clean geworden bin und alkohol-abstinent lebe, ist dies bei weitem das Bedeutendste, was ich je getan habe.»  

Meine erste Wohnung im Jahr 1978 war an der Ecke W 10th Street und Hudson Street. Sie war winzig mit einem schiefen Boden. Ich musste mir das Badezimmer mit Gina auf der anderen Seite des Flurs teilen, einer italienischen Stripperin mit einer Boa Constrictor als Haustier – wir wurden gute Freunde. Ich fand heraus, dass ich in einem Zimmer wohnte, in das Prostituierte vor Jahrzehnten ihre Freier brachten. Ich konnte bis zwei Uhr morgens nicht schlafen wegen der Jukebox in der Bar darunter, aber ich war 19 und selten vor dieser Zeit zu Hause. Und natürlich fand ich wundervolle Freunde, mit denen ich wie eine Art Gruppen-Ehe führte. Die meisten von ihnen wurden natürlich durch Aids hinweggerafft, und ich, der damals der Promiskuitivste von allen war, bin all die Jahre später der letzte Überlebende. – Mark Olmsted
Meine erste Wohnung im Jahr 1978 war an der Ecke W 10th Street und Hudson Street. Sie war winzig mit einem schiefen Boden. Ich musste mir das Badezimmer mit Gina auf der anderen Seite des Flurs teilen, einer italienischen Stripperin mit einer Boa Constrictor als Haustier – wir wurden gute Freunde. Ich fand heraus, dass ich in einem Zimmer wohnte, in das Prostituierte vor Jahrzehnten ihre Freier brachten. Ich konnte bis zwei Uhr morgens nicht schlafen wegen der Jukebox in der Bar darunter, aber ich war 19 und selten vor dieser Zeit zu Hause. Und natürlich fand ich wundervolle Freunde, mit denen ich wie eine Art Gruppen-Ehe führte. Die meisten von ihnen wurden natürlich durch Aids hinweggerafft, und ich, der damals der Promiskuitivste von allen war, bin all die Jahre später der letzte Überlebende. – Mark Olmsted (Bild: zVg)

Sie hat gerade den Lauf ihres Lebens. Die letztjährige Single «Padam Padam» katapultierte Kylie Minogue zurück in höchste Chartregionen. Plötzlich ist die australische Popveteranin wieder cool und angesagt. Wir treffen sie in London (zum Interview).

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