Kylie Minogue: «Ich bin oft die letzte auf der Tanzfläche»
Sie hat gerade den Lauf ihres Lebens. Die letztjährige Single «Padam Padam» katapultierte Kylie Minogue zurück in höchste Chartregionen. Plötzlich ist die australische Popveteranin wieder cool und angesagt. Wir treffen sie in London.
In einem dezenten gelben Pulli zur blauen Jeans ist sie eher unauffällig gestylt. Während des Gesprächs, für das sportliche fünfzehn Minuten angesetzt sind, das dann aber doch ein bisschen länger geht, bekommt die 56-Jährige das Strahlen kaum aus dem Gesicht.
Kylie, im Video zu deinem Song «Lights Camera Action» spielst du eine Schauspielerin, die zu Beginn miese Laune hat. Es wirkt, als wäre es dir schwergefallen, dieses Gefühl glaubhaft zu verkörpern. Kylie Minogue: Gott, ja. Die Anweisung meiner Stammregisseurin Sophie Muller lautete, ich solle so mürrisch gucken wie nur möglich. Ganz ehrlich, das war nicht leicht. Es entspricht nicht meiner Natur, unfreundlich oder kratzbürstig zu sein. Ich bin die meiste Zeit ganz zufrieden. Und ich habe ein Herz für Menschen.
«Ich geniesse es extrem, auf dieser Welle zu reiten»
Kylie Minogue
Umgekehrt haben die Menschen auch ein Herz für dich. Und das ist grösser denn je. Wie fühlt es sich gerade an, Kylie Minogue zu sein? Fantastisch. Ich geniesse es extrem, auf dieser Welle zu reiten, deren Ausmass mich wirklich überrascht hat.
Oh, kannst du etwa surfen? Leider nicht. Ich komme zwar aus Melbourne, aber ich habe das Surfen nie gelernt. Trotzdem habe ich oft genug zugeschaut und verstehe das Prinzip. Du paddelst im Wasser, und wenn die Welle endlich kommt, dann musst du bereit sein. Du willst sie ja nicht verpassen.
Der Erfolg von «Padam Padam» ist deine grösste Welle seit «Can’t Get You Out Of My Head» vor mehr als zwanzig Jahren. Popmusik ist ein flüchtiges Geschäft. Du bist seit 1988 immer dagewesen, hast nie wirklichen Käse veröffentlicht. Wie schafft man das? Ich finde es schön, dass du sagst, ich sei verlässlich (lächelt). Ich selbst habe das nicht immer so empfunden. Auch ich habe es nicht vermocht mit jeder neuen Single oder jedem Album, jede Höhe zu meistern – speziell, wenn die Latte wegen vorheriger Erfolge besonders hoch lag. Doch ich denke, dass auf meiner Reise als Künstlerin auch die Durststrecken wichtig waren. Meine Misserfolge haben mich weitergebracht.
Bist du auch in schwierigen Momenten immer überzeugt gewesen, dass dein nächster Hit höchstens eine Frage der Zeit ist? Nein, ich bin zwar selbstbewusst, aber so sehr von mir selbst überzeugt dann doch nicht. Ich habe einfach weitergemacht, immer weitergemacht. So bin ich meine gesamte Karriere über programmiert gewesen: Wenn ein Projekt abgeschlossen ist, starte ich das nächste. Ich habe nie lange innegehalten und über den Verlauf meiner Karriere nachgedacht. Was ich aber sagen kann: Ich liebe das Musikmachen im Augenblick mehr als je zuvor in meinem Leben. Denn der Job macht selbstverständlich mehr Spass, wenn du Erfolg hast und viele Menschen erreichst.
Neben Glück und Timing spielt aber auch Können eine Rolle, oder? Ich finde auch, dass ich mich entwickelt habe und noch besser geworden bin. Ich weiss heute mehr, kann mehr, achte stärker auf Nuancen in meinen Liedern, gehe tiefer als früher. Ich fühle mich von meiner eigenen Kreativität gerade sehr angezogen. Und da kann und möchte ich nicht widerstehen.
Dass auf «Tension» ein Jahr später die Fortsetzung «Tension II» folgt, war also ausgemachte Sache? Nein, das war einer dieser positiven Unfälle, die ja meistens dann passieren, wenn es sowieso gerade läuft. Ich wollte «Tension» ursprünglich nur mit zwei, drei neuen Stücken anreichern. Doch dann entstanden schnell viele coole Songs, dass wir den Plan kurzerhand über den Haufen geworfen haben.
Wie lief das ab? Ich war in Las Vegas, wo ich im Frühjahr zwanzig Konzerte im «Voltaire»-Club spielte. In den Pausen fuhr ich nach Los Angeles, um mit verschiedenen Autor*innen an ein paar neuen Stücken zu arbeiten. Wir dachten, wir motzen «Tension» ein bisschen auf, mit zwei neuen Nummern, und veröffentlichen es nochmal. Ist ja heutzutage so üblich.
Doch dann stellte ich fest, wie viel Lust ich hatte, neue Musik zu machen, richtig viel neue Musik. Wir schrieben einen Song nach dem anderen. Und so nahm «Tension II» wahnsinnig schnell Gestalt an.
Kylie
Ende der achtziger Jahre wurde Kylie Minogue als Schauspielerin in der Seifenoper «Neighbours» bekannt, mit «Loco-Motion» landete sie 1987 ihren ersten Hit. Nach ihrem letztjährigen Erfolgsalbum «Tension» und der Single «Padam Padam» hat sie diesen Oktober überraschend schnell den Nachfolger «Tension II» veröffentlicht, ihr siebzehntes Album: mit dreizehn hochenergetischen Disco-Pop-Electro-Krachern, darunter der Dance-Hit «Edge of Saturday Night» mit The Blessed Madonna, Kollaborationen mit Orville Peck, Bebe Rexha, Tove Lo und Sia, und die Single «Lights Camera Action». Willst du reinschauen?
Ihre «Tension Tour» führt Kylie auch in unsere Nähe:
- Berlin – 16. Juni
- Zürich – 6. Juli
- Düsseldorf – 7. Juli
Ruhst du dich auch mal aus? Die Mussezeit kommt momentan zu kurz, keine Frage. Aber ich glaube daran, dass man das Eisen schmieden sollte, so lange es heiss ist. Ich hänge mich jedenfalls voll rein. Was mich besonders motiviert und glücklich macht, sind die vielen jungen Leute, die jetzt in meine Konzerte kommen. So viele Kinder sind da, so viele Teenager. Im Sommer trat ich im Hyde Park in London auf, und es waren wirklich alle Altersgruppen vertreten. Ganz viele waren vorher noch nie bei einem Kylie-Konzert.
Woran liegt das? Dank «Padam Padam» sind die Kids auf mich gestossen. Viele kannten erst den Song, vor allem durch Social Media, bevor sie überhaupt herausfanden, wer ich bin. Und dank der Streamingdienste ist es ja superleicht, weiter zu graben, meine Musik zurückzuverfolgen und nach dreissig, vierzig Jahren für sich zu entdecken. Ich habe Teens belauscht, die meinten, «Padam» und «Tension» seien super, aber diese ganz neue Nummer, «The Loco-Motion», die sei so richtig krass. Ha! «The Loco-Motion» war mein erster Hit, 1987 in Australien.
Kaum einen Popstar hat die queere Community so ins Herz geschlossen wie dich. Was empfindest du angesichts so viel Liebe? Tiefe Dankbarkeit. Meine LGBTIQ-Fans standen immer treu und solidarisch an meiner Seite. Auch, wenn es mal nicht so lief bei mir, konnte ich auf sie zählen. Und umgekehrt tue ich alles, um die queere Gemeinde nicht nur zu unterstützen, sondern sie auch gut zu unterhalten. Ich glaube fest daran, dass eine Gemeinschaft immer stärker ist als Einzelne.
Die Idee der Inklusion, des Wir-schliessen-niemanden-aus, der Gedanke des Freiseins, all das hast du in einem Nachtclub, wo Menschen mit unterschiedlichsten Geschichten und Identitäten zusammenkommen. Ich liebe es, wenn wir Menschen uns alle zusammen genussvoll fallen und treiben lassen. Denn, um sich zu finden, ist es wichtig, sich auch mal zu verlieren.
«Um sich zu finden, ist es wichtig, sich auch mal zu verlieren.»
Kylie Minogue
Wie sehr fieberst du deiner Tournee nächstes Jahr entgegen? Meine Aufregung und Vorfreude sind gigantisch. Zum ersten Mal seit neun Jahren werde ich wieder in diesen grossen Arenen spielen. Und ich bin superglücklich über den bunten Mix an Menschen, jung, nicht mehr jung, Männer, Frauen, alles. Die Fans sind kolossal vielfältig, und wir werden alle zusammen feiern, Spass haben und tanzen.
Im Grunde geht es auf deinem ganzen Album genau darum – ums gemeinsame Feiern, ums Flirten, um Nächte im Club, um Sex. Wie intensiv lebst du das aus, was du singst? Ich muss dich enttäuschen. So voller Abenteuer wie meine Songs verläuft mein Leben leider nicht. Ansonsten hätte ich keine Chance, mein Arbeitspensum zu bewältigen. Wenn ich allerdings Lust habe zu tanzen, dann richtig. Ich bin oft die letzte auf der Tanzfläche.
Im vergangenen Jahr bist du auf deiner Album-Party in Berlin so richtig aus dir rausgegangen. Und das zu deinen eigenen Songs. Ich erinnere mich. Ein Superabend.
Im Text zu «Taboo», einem deiner neuen Songs, kommst du einer anderen Person auf der Tanzfläche gefährlich nah. Ist das eine Szene aus deinem Leben? Nun ja, wer hätte solch einen Augenblick denn noch nie erlebt? Ich mag dieses Lied besonders gern. Es ist echt hypnotisch, hat aber auch ein paar kleine, dunkle Widerhäkchen. Ich singe gerne solche spassigen Flirtsongs, die zwar erwachsen sind, aber auch ein wenig neckisch.
Wo wir schon dabei sind. In «Someone For Me» begleitest du eine Freundin und ihren heissen Lover in den Club. Und du sagst: Hey, kannst du mir nicht auch so einen besorgen? (Lacht.) Den Song habe ich selbst nicht geschrieben, ich bin aber sofort auf das Szenario angesprungen. Weil es so putzig ist, und doch so real. Ich meine, ich gönne meinen Freundinnen alles Glück und allen Spass der Welt. Aber hin und wieder denke ich auch: Ja, und was ist jetzt mit mir?
Pop ist eine kleine Flucht aus dem Alltag. Für dich auch? Natürlich. Pop ist Poesie. Hier kannst du für ein paar Minuten oder ein paar Stunden jemand anders sein. Ich denke, Eskapismus ist wichtig und gesund. Und ich bin sehr dankbar, dass ich mit meiner Arbeit die Fantasie so vieler Menschen anregen kann.
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