12 Eurovision-Acts im Schnellcheck: Unser ESC-Experte ist zurück

Von glänzend bis enttäuschend – diese 12 ESC-Acts haben Eindruck hinterlassen.
Von glänzend bis enttäuschend – diese 12 ESC-Acts haben Eindruck hinterlassen. (Bild: EBU)

Sieg, Schande oder Klopause? Martin Wyss hört sich mit spitzer Zunge durch die schrillsten, schrägsten und schönsten Songs des diesjährigen Eurovision Song Contests.

Ohne Zweifel wird der diesjährige ESC ein echtes Highlight für mich – schliesslich sind wir Gastgeber! Diese Chance lasse ich mir nicht entgehen und werde die ganze Woche vor Ort in Basel sein.

Wieder einmal stehe ich unter Zugzwang: Sowohl 2024 als auch 2023 lag ich mit meiner Siegesprognose richtig! Mit Nemo und Loreen setzten sich jeweils die Jury-Favorit*innen gegen die Publikumslieblinge Käärijä und Baby Lasagna durch. Auch in diesem Jahr dürfte es ähnlich laufen – allerdings räume ich dem schwedischen Gassenhauer grössere Chancen auf den Sieg ein. Wie immer gilt: Für verlorene Wetten übernehme ich keine Verantwortung!

#1 Wer gewinnen könnte … aber bitte nicht schon wieder 🇸🇪

KAJ – «Bara Bada Bastu» (Schweden) Yksi, kaksi, kolme, sauna! Schweden heizt die Sauna ein. Der Song klingt wie ein alkoholgetränktes Volksfest in einem IKEA-Showroom, mit Proletencharm und Comedy-Vibes à la Ballermann. Der Publikums-Liebling ist der Jury gewiss ein Dorn im Auge. Ob’s dieses Jahr für den Sieg reicht? Beim Melodifestivalen, dem schwedischen Vorentscheid, stach «Bara Bada Bastu» sogar Måns Zelmerlöw aus, was mich persönlich schmerzte, denn ich hätte den ehemaligen ESC-Gewinner gerne in Basel gesehen. Nach Loreen 2023 hätte Måns die Trophäe definitiv wieder nach Schweden geholt. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, denn einen erneuten Sieg würde ich dem ESC-Streberland nicht schon wieder gönnen.

#2 Wer die Jury überzeugt 🇦🇹

JJ «Wasted Love» (Österreich) Die Stimme von JJ ist next level – ich würde sogar behaupten, dass der junge Österreicher einen technisch besseren Operngesang draufhat als Nemo. Aber genau das wird ihm zum Verhängnis. Der Song wirkt wie eine Fortsetzung von «The Code», nur ohne den wilden Genre-Mix. Dramatisch, eindrucksvoll, gesangstechnisch makellos. Aber: Ein ESC-Sieg lässt sich nicht einfach kopieren, das beweisen die Acts, die in vergangenen Jahren erfolglos einen Siegersong zu kopieren versuchten. Live wird JJ zweifellos stark sein, doch der Höhepunkt des Songs fällt etwas flach. Die Jury wird den 24-Jährigen lieben, aber das Publikum?

#3 Wem mein Herz gehört 🇪🇸

Melody – Esa diva (Spanien) ¡Vamos España! Mein persönlicher Favorit dieses Jahr. Schon die ersten Klänge – Kastanetten und Flamenco-Gitarren – machen unmissverständlich klar: Hier kommt Spanien! Ja, der Song ist Mainstream, aber was für ein Auftritt! Die spanische Shakira liefert mit ihrer Energie, Akrobatik-Nummer und ihren Quick-Changes eine Bühnenshow der Extraklasse. Nach einigen farblosen Jahren (Zora war okay, aber zu gesetzt) ist endlich wieder Feuer im Spiel. Die Studioversion gefällt, wie die Prepartys in Amsterdam und Madrid aber bewiesen haben: Live ist Melody eine Wucht. Wird es für den Sieg reichen? Vermutlich nicht. Aber Top 5 ist absolut drin.

#4 Wer polarisiert 🇫🇮

Erika Vikman – «Ich komme» (Finnland) Sie heisst wie und singt was!? Mit Latex und Mikrofonständer zwischen den Beinen über sexuelle Lust singen: Mehr ESC geht nicht. Der finnische Beitrag hat vermutlich mehr deutsche Wörter als alle deutschen Beiträge der letzten zehn Jahre zusammen. Der Song ist vulgär ohne politisch zu sein, wird aber trotzdem die Meinungen spalten. Die einen feiern’s, die anderen wollen’s gar nicht erst sehen. Erika bringt Show, Attitüde und eine klare Message. Hardcore-Fans werden es lieben, ich tu’s auch. Aber für die breite Masse – und die ist ausschlaggebend beim Voting – ist das wohl too much.

#5 Wer sich zurücklehnen kann 🇨🇭

Zoë Më – Voyage (Schweiz) Nach dem Sieg von Nemo hat das Gastgeberland offensichtlich den Ehrgeiz runtergefahren. Zoë Më singt ein zartes französisches Chanson – wunderschön, aber leider völlig unspektakulär. Man merkt, dass das SRF dieses Jahr einfach nicht gewinnen will, weil: Wer soll das ganze nochmal bezahlen?!! Die gebürtige Baslerin hat eine engelsgleiche Stimme, doch der Song plätschert einfach so dahin. Schade, denn jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen, um nach Nemo noch einen drauf zu setzen. Stattdessen flüchtet die Schweiz nach dem Höhenflug zurück ins sichere Mittelmass. Für Sympathiepunkte für den Gastgeber mit der hochtalentierten Zoë wird es reichen, für die Freinacht leider nicht.

#6 Wer den Vorentscheid überdenken sollte 🇩🇪

Abor & Tynna «Baller» (Deutschland) Der Song ist gut. Wirklich. Aber live funktioniert das Ganze einfach nicht. Tynna trifft die Töne nicht – das zeigte sich schon beim Vorentscheid. Da ist es auch keine Hilfe, das Cello zu zerschmettern. Grosse Erwartungen (Stichwort: Stefan Raab), aber null Gesangsleistung. «Es tut mir ein bisschen weh» das zu sagen, aber: Deutschland hätte das Publikum beim Vorentscheid besser ignoriert. Im Studio super – auf der Bühne eine Katastrophe. Meine Prognose: Kein letzter Platz, aber unteres Drittel, ganz klar.

#7 Wer alles hat – und trotzdem zittern muss 🇮🇱

Yuval Raphael - «New Day Will Rise» (Israel) Ein dreisprachiger Song (Englisch, Französisch, Hebräisch), eine starke Stimme und eine bewegende Message: Die Sängerin Yuval Raphael hat den Terrorangriff auf das Nova-Musikfestival vom 7. Oktober 2023 überlebt und singt über Heilung. «New Day Will Rise» ist eigentlich ein sicherer Finalkandidat, vielleicht sogar Top 10 – wenn es nur um Musik ginge. Leider wird auch 2025 Israel politisch boykottiert, was schade ist, denn der Song hätte eine faire Chance verdient. Ob es fürs Finale reicht, ist ungewiss. Ich wünsche mir, dass wir es dieses Jahr schaffen, die Musik in den Mittelpunkt zu stellen.

Mehr zum Thema: Spanien und Finnland fordern Ausschluss von Israel (MANNSCHAFT berichtete)

#8 Wer für Fragezeichen sorgt 🇪🇪

Tommy Cash - «Espresso Macchiato» (Estland) Der Ulksong nimmt Italien mit seiner Leidenschaft für Kaffee auf die Schippe (und sorgte dort für ziemlichen Frust). Doch an stilistisch ähnliche Nummern von Joost Klein oder Windows95man kommt Tommy Cash leider nicht ran. Dafür ist «Espresso Macchiato» nicht clever oder musikalisch genug, der schwache Livegesang tut dem Song keinen gefallen. Inhaltlich mau, stimmlich dürftig – und der Humor zündet nicht. Der Hype kommt bei mir nicht an.

#9 Wer die Klopause einläutet 🇱🇻

Tautumeitas - Bur Man Laimi (Lettland) Sekte? Krippenspiel? Regentanz? Lettland liefert ein mystisch-sakrales Spektakel mit trällernden Musen und Weihrauch-Vibes. Das ist genau wie Litauen vor zwei Jahren: Man muss es wollen, damit es wirkt. Wer’s mag, liebt es. Alle anderen nutzen diesen Song für die Klopause.

#10 Wer die (schwulen) Fanherzen gewinnt 🇦🇺

Go Jo – «Milkshake Man» (Australien) Gutaussehend, durchtrainiert … Pornobalken inklusive. Mit Hüftschwung und viel Selbstironie liefert Go Jo eine queere Hymne, die ganz viel Spass macht. In meinen Augen der sympathischste Kandidat dieses Jahr, aber ich scheine ja auch ganz die Zielgruppe dieses Songs zu sein. «When I say sweet, you say yum yum …» Kein Anwärter für die Top 5, doch mit dem Finale klappt es für Australien dieses Jahr bestimmt!

#11 Wer nicht zu unterschätzen ist 🇲🇹

Miriana Conte – «Serving» (Malta) Nach «Ich Komme» von Erika Vikman liefert Miriana Conte den nächsten empowernden Song. Während «Kant» auf Maltesisch so viel wie «Gesang» bedeutet, ist in diesem Fall ziemlich klar, dass sie auf queeren Slang anspielt. Zu viel für die EBU: Conte musste das Wort streichen, da es im Englischen auch ein Schimpfwort und eine vulgäre Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsteil ist. Der Coup ist ihr trotzdem gelungen – ich kann es kaum erwarten, dass das Publikum in der Halle lautstark «Kant» reinschreien wird. Live sass bei den Preshows nicht jeder Ton, aber das macht Conte mit Persönlichkeit, Bühnenpräsenz und jeder Menge Bällehüpfen wett. «She's an icon, she's a legend and she is the MOMENTT!!!» – und seit Langem der beste maltesische Beitrag. Top 10? Absolut verdient.

#12 Wer alles mitbringt – und auch liefern wird 🇷🇸🇷🇸

Princ – Mila (Serbien) Jesus lebt – und singt! Der serbische Kandidat war Hauptdarsteller im Musical «Jesus Christ Superstar» und hat die Stimme, das Charisma und die Haare gleich mitgebracht. Eine dramatische Musicalballade mit Sexappeal und Bühnenpräsenz. Er kann live singen – das hat er mehrfach bewiesen. Hot, hot, hot. Princ hat das Zeugs zum Überraschungshit, doch es ist ein schmaler Grat. Die Show kann schnell aufgesetzt und einstudiert rüberkommen. Es bleibt spannend!

Mehr: Ein queeres Gipfeltreffen in Basel: ESC-Eröffnungsfeier mit sieben Schweizer Prides (MANNSCHAFT berichtete)

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