Gemeinsam mit Saskia und Dominique durch die Kinderwunschklinik
Ein lesbisches Paar erzählt von Rückschlägen, Resilienz und Einsichten
Saskia (29) und Dominique (27) leben gemeinsam in einem kleinen Haus in Seewe im Kanton Solothurn. Seit über sieben Jahren sind die beiden ein Paar. Sie wünschen sich ein Kind und haben sich dazu entschieden, diesen Wunsch in der Schweiz zu verwirklichen.
Was für viele Paare mit wenigen Hürden möglich ist, ist für das lesbische Paar eine emotionale und finanzielle Belastungsprobe. Zwischen Samenspende, gesundheitlichen Rückschlägen und einem klaren Ziel vor Augen erzählen sie von ihrem Prozess und Erkenntnissen.
«Natürlich lieben wir uns, aber es ist halt schon auch ein Heiraten, weil das Recht es so verlangt»
Saskia
Saskia und Dominique heiraten im Frühling 2023 unter anderem aus Liebe, aber auch, weil es der rechtliche Weg ist, gemeinsam Mütter zu werden. In der Schweiz gilt seit der Einführung der Ehe für Alle im Jahr 2022 (MANNSCHAFT berichtete) das verheiratete Paar automatisch als gesetzliche Eltern des in die Ehe geborenen Kindes. Wären Saskia und Dominique nicht verheiratet, müssten sie eine langwierige und komplexe Stiefkindadoption durchführen.
«Natürlich lieben wir uns, aber es ist halt schon auch ein Heiraten, weil das Recht es so verlangt», sagt Saskia. Bereits vor ihrer Heirat suchen sie sich eine sogenannte «Kinderwunschklinik» in der Schweiz. Sie fanden bei Fertisuisse eine engagierte Ärztin, die sich auch ausserhalb ihres Berufes für LGBTIQ-Rechte einsetzt. Mit ihr sind sie bereit, den Prozess zu beginnen.
Sie hätten auch ins Ausland gehen können, da aber oftmals die Termine sehr kurzfristig und aufeinanderfolgend sind, haben sie sich dagegen entschieden. Immer wieder längere Reisen auf sich zu nehmen, kann kostensparend, aber emotional belastend und mit viel Aufwand verbunden sein.
Als es um den Samenspender ging, war den beiden etwas Konkretes wichtig: Er soll ungefähr so aussehen wie Dominique. In der Schweiz wird in der Spenderkartei die Haut-, Augen- und Haarfarbe erfasst. Es ist aber nicht möglich, sich ein Wunschbaby zusammenzustellen, wie es in den USA der Fall ist. Gerade soziale Merkmale wie Beruf sind geschützt.
Dominique spricht davon, dass es bereits eine gewisse Angriffsfläche bietet, zwei Mütter zu haben. Das Aussehen soll das nicht noch unterstreichen. Saskia geht es vielmehr um eine emotionale Anerkennung in der Gesellschaft. «Wenn ich durch die Stadt gehe, dass man das Gefühl hat: Ich bin die Mami und sie ist die Mami.»
Das Aussehen widerspiegelt die Zugehörigkeit zum Kind als Paar und als Eltern. Sie sind nicht die Tanten, die das Kind hüten, sondern sollen als eine Einheit, eine Familie in einer Gesellschaft wahrgenommen werden, in der zwei Mütter nicht der Norm entsprechen.
Start mit Hindernissen «Am Anfang haben sie gesagt, durchschnittlich sind es drei Versuche, dann ist man schwanger», sagt Dominique.
Zunächst stehen medizinische Untersuchungen, Bluttests und Hormone als Vorbereitung auf die potenzielle Schwangerschaft an. Doch es folgt eine unangenehme Überraschung: Saskias rechter Eileiter ist verstopft. Das bedeutet, die Insemination ist nur möglich, wenn das reife Ei im linken Eierstock heranwächst. Vor jedem Versuch musste das zuerst durch Ultraschall geprüft werden. War es das Ei rechts, so musste auf den nächsten Zyklus gewartet werden.
Das Paar wagt trotzdem den ersten Versuch, dann den zweiten und den dritten. Drei Versuche mit jedem Mal ein Aufbau von Hoffnung und Zuversicht.
«Beim dritten Mal waren wir uns sicher, alle Zeichen haben darauf hingedeutet.» Leider hatten die beiden nicht ganz Unrecht. Nach zwei negativen Schwangerschaftstests wurde Saskia nach starken Bauchschmerzen bei einem Arbeitsessen am Abend ins Krankenhaus eingeliefert und nochmals getestet. Der Schwangerschaftstest war positiv.
«Dann habe ich gesagt: Entweder ist der Schwangerschaftstest falsch-positiv, oder ich habe eine Eileiterschwangerschaft.»
«In dem Moment dachte ich: Jetzt ist alles vorbei. Ich kann nicht mehr schwanger werden.»
Saskia
Und tatsächlich: Saskias durchlässiger Eileiter war infolge einer Eileiterschwangerschaft geplatzt und sie musste aufgrund von inneren Blutungen notoperiert werden.
Die Ärztin beruhigt sie und meldet sie zur In-vitro-Fertilisation (IVF) an. Dabei werden Eizellen durch einen operativen Eingriff entnommen und ausserhalb des Körpers in einem Labor befruchtet. Die weiterentwickelte Eizelle wird anschliessend direkt in die Gebärmutter eingesetzt, ein Eileiter ist also nicht notwendig, um schwanger zu werden.
Doch die IVF ist teuer, fast 6000.- Franken. Das Paar findet kreative Wege, um sich helfen zu lassen und starten ein GoFundMe für finanzielle Unterstützung. Die Summe hilft, aber sie fassen den Beschluss: Das probieren sie nur zweimal. Wenn es nicht klappt, würde Dominique übernehmen.
Nach der Notoperation legen sie eine längere Pause ein. Auf Empfehlung der Ärztin, damit Saskias Körper sich erholen kann, aber auch, um die Geschehnisse mental zu verarbeiten.
«Ja, irgendwie hat man dieses Ziel so klar vor Augen», sagt Dominique, «aber am Ende bringt es nicht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.» Sie sprechen davon, dass es wichtig ist, sich auch wieder auf sich zu konzentrieren, um die emotionalen Verluste verarbeiten zu können.
Dominique sagt weiter: «Diese fünf Tage alten Embryonen… das war ja schon etwas. Es hat gelebt. Natürlich war’s kein Baby. Aber trotzdem etwas, das ich verarbeiten musste.»
Rollenwechsel Als auch die Versuche der IVF scheiterte, übernimmt Dominique die Rolle der austragenden Person und Saskia wird zur Unterstützung. Zum Zeitpunkt des Interviews ist es der Abend vor ihrer ersten Insemination. Dominique hatte anfangs nicht geplant, schwanger zu werden, einerseits, weil Saskia sich als die austragende Person anbot, andererseits, weil sie zuerst den Prozess als Begleiterin beobachten wollte, um sich ein Bild davon zu machen. Der Rollenwechsel war zwar nicht geplant, aber ist für beide eine gute Lösung.
«Ich war traurig, weil ich mir gewünscht hatte, dass es bei mir klappt. Aber ich bin auch glücklich, dass wir jetzt mit Dominique weitermachen.»
Saskia
Im Prozess des Kinderwunschs wurde ihre Kommunikation als Paar offener und verletzlicher. «Ich war traurig, weil ich mir gewünscht hatte, dass es bei mir klappt. Aber ich bin auch glücklich, dass wir jetzt mit Dominique weitermachen.»
Dominique beschreibt, wie Saskia früher erst vieles geteilt hat, wenn sie die Emotionen schon für sich verarbeitet hatte. Jetzt kann sie im Moment verletzlich sein und das macht sie als Paar im Prozess stärker.
Sie sind ein gutes Team. An 95% der Termine gehen sie zusammen, was sehr untypisch ist, denn ihrem Eindruck nach nimmt die Mehrheit der Frauen die Termine alleine wahr. Für sie ist es wichtig, dass beide am Prozess gleich beteiligt und anwesend sind. Das muss aber nicht für alle so sein.
Wer in seinem Partner oder seiner Partnerin keine Ansprechperson findet, kann einer Whatsapp-Chatgruppe der Klinik beitreten und sich mit anderen austauschen.
Hinter den Kulissen Die beiden sprechen offen über all das, was Paare, die diesen Prozess beginnen, bedenken sollten. Auf die Frage, was sie anderen raten würden, sagen sie: «Sparen, vertrauen und auf keinen Fall Stress.»
«Stress ist der grösste Feind beim Schwangerwerden. Das ist einfacher gesagt als getan. Aber es stimmt», sagt Saskia.
In mehrfacher Hinsicht haben dabei Saskia und Dominique einen Vorteil. Sie sind beide noch jung - ganze zehn Jahre jünger als die anderen Patientinnen im Durchschnitt. Das verschafft ihnen die Möglichkeit, Pausen einzulegen, um zu sparen und der Zeitdruck ist für sie viel geringer. Ein Umstand, der bei anderen oft zum grössten Stressfaktor wird.
Hilfreich dafür ist aber die positive Art des Paares. Sie gehen entspannt an Termine heran. Auch mit der bevorstehenden Insemination am nächsten Tag wirken sie gelassen, aufgestellt und freudig. Sie lachen viel.
«Es ist wichtig, deinem Körper und den Ärztinnen zu vertrauen,» meint Dominique. Weitere Unterstützung holt sich das Paar durch Freunde und Familie, mit denen sie offen über nicht erfolgreiche Versuche und deren Verlauf sprechen. Auch von ihrer Chefin erhält Dominique Rückhalt. Oftmals sind die am Zyklus orientierten Termine spontan und verlangen eine gewisse Flexibilität. Auch die weitere Aussicht auf Schwangerschaft kann für Arbeitgeber ein inoffizieller Kündigungsgrund sein.
Dominique hat bereits beim Bewerbungsgespräch ihre Situation offen geteilt, was dem Paar den Prozess erheblich erleichtert.
Ein neuer Anlauf Am Ende ist jede Geschichte individuell. Der Kinderwunsch, wenn er besteht, ist zentraler Teil der Identität. Bei Saskia und Dominique ist es ihre Positivität, die sie ausmacht. Sie nehmen jeden Schritt, wie er kommt, aber immer gemeinsam. Die Erfüllung ihres Kinderwunsches ist Teil ihres Alltags geworden, ob durch Gespräche, Arzttermine oder Hormontherapien. Als Paar und durch Unterstützung aus ihrem Umfeld manövrieren sich die beiden durch den emotionalen Slalom dieses Prozesses.
Morgen findet die erste Insemination von Dominique statt. Was danach kommt, wissen sie nicht, doch sie gehen den Weg gemeinsam.
Jan ist bisexuell, polyamourös und sowohl mit Lara-Jean als auch mit Max zusammen. Im Sommer 2021 statteten wir ihnen in Düsseldorf einen ersten Besuch ab. Seitdem ist viel passiert! Und vor ein paar Monaten kam dann auch noch ein neuer Mensch hinzu: Baby Keno (MANNSCHAFT-Story).
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