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Ungeoutet zuhause? Du bist nicht allein

Zu den derzeitigen Bedingungen zuhause bleiben zu müssen, ist gerade für junge Queers nicht einfach

Ungeoutet
Aaron lebt bei den Eltern und ist teilweise ungeoutet. (Bild: zvg)

Aaron erzählt uns wie es ist, teilweise ungeoutet und während der Corona-Pandemie zuhause zu wohnen. Das Beratungsprogramm Du-bist-du verzeichnet indes einen Anfragerekord.

Aaron lebt mit den Eltern in Deutschland. Für ein freiwilliges Soziales Jahr und das Studium hat Aaron für eine Zeit lang in einer WG gewohnt. Seit Anfang März wieder zuhause und teilweise ungeoutet, ist die Situation für Aaron nicht nur einfach.

Vor sechs Jahren hat sich Aaron als trans geoutet. «Meine Eltern haben es akzeptiert, aber sie mussten sich daran gewöhnen. Es gab keine konkreten Konflikte», erzählt Aaron. Zwar konnte mit einer positiven Reaktion gerechnet werden, «das Coming-out ist mir trotzdem nicht leichtgefallen, weil das Selbstouting noch nicht abgeschlossen war.»

Aaron ist somit im Hinblick auf die Geschlechtsidentität geoutet. Die sexuelle Orientierung hingegen, wurde in der Familie noch nicht diskutiert. «Es gibt momentan auch keinen Anlass, darüber zu sprechen, zurzeit sind andere Themen relevant und ich denke über andere Dinge nach», erklärt Aaron. Angst vor dem Coming-out hat Aaron zwar nicht: «Ich will mich noch nicht outen. Ich habe mein passendes Label noch nicht gefunden und finde alles noch sehr verwirrend. Zuerst möchte ich die passenden Worte für mich selbst finden, bevor ich mit Menschen ausserhalb der Community oder ohne Vorwissen darüber rede.» Aaron möchte zudem am liebsten ohne Pronomen angesprochen werden.


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In der Familie nimmt sich Aaron momentan etwas zurück: «Es hat weniger Platz für Selbstentfaltung, queere Themen sind weniger präsent und die Familie mit anderem beschäftigt.» Schwierige Situationen gab es aber keine.

Vorfreude auf die Vorfreude
Beratungsangebote wie sie beispielsweise von Du-bist-du.ch angeboten werden, nutzt Aaron nicht, sondern stützt sich voll auf die Freund*innen. Aaron hält mit ihnen über Skype, Zoom und Sprachnachrichten Kontakt. «Es ist aber nicht dasselbe wie sich persönlich zu treffen. Ich vermisse es, sie live zu treffen, einen ganzen Tag zusammen zu verbringen.» Bei Gesprächen über Videoanrufe hingegen fällt es leichter, über persönliche Probleme zu sprechen, meint Aaron.

Vor der Corona-Pandemie besuchte Aaron manchmal Freund*innen in Berlin, um mit ihnen an queere Veranstaltungen wie Partys und Vorträge zu gehen. «Am meisten freue ich mich, wieder vorausplanen zu können. Momentan ist es so ungewiss, wann man sich wieder treffen kann. Ich möchte wieder Vorfreude haben können.»


Coming-out
Aaron hält sich unter normalen Umständen eigentlich gerne an der frischen Luft auf. (Bild: zvg)

Rekord von Beratungsanfragen
Die Isolation und die damit fehlenden, physischen Kontakte machen sich auch bei den Beratungsangeboten bemerkbar. «Diesen März hatten wir mehr als eine Anfrage pro Tag, was doppelt so viel ist wie im März vor einem Jahr», sagt Markus Trachsel von Du-bist-du. Im April sei der Ansturm etwas zurückgegangen. Da es viele neue Onlineangebote gebe, habe sich die Nachfrage wahrscheinlich etwas verteilt.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit «Queerona: Mach’s dir schön Daheim»

Warum die Beratung an manchen Monaten stärker genutzt wird, als in anderen könne aber nicht eindeutig erklärt werden. Hinzu komme die unterschiedliche Dauer der Beratungen. «Manche Fragen sind mit einer Email geklärt, andere sind über ein Jahr lang mit uns in Kontakt», erklärt Markus Trachsel

Auch bei den Beratungsthemen macht sich eine Abweichung bemerkbar. Am meisten Anfragen thematisieren zwar nach wie vor das Coming-out, überraschend ist aber das zurzeit zweitbeliebteste Thema. Etwas weniger als die Hälfte der Anfragen wurden von den Berater*innen mit «Familie» getaggt. Was hierbei genau besprochen wurde ist nicht bekannt, da es sich um eine grobe Einteilung handelt.

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(K)ein Coming-out in der Isolation?
Sollen sich junge LGBTIQ jetzt vor der Familie outen? «Es gibt keinen allgemeinen Rat», meint Trachsel. Bei der Beratung werde immer geschaut, was für Ressourcen vorhanden sind. Das können beispielsweise Freund*innen sein, aber auch die Schule, Jugendarbeit und Onlineangebote. «Bei einem Coming-out in der Isolation haben die Jugendlichen keine Ausweichmöglichkeiten, deshalb muss man die Situation gut abschätzen.»

«Manchmal steht dem Coming-out eine persönliche Hürde im Weg. Wenn aber mit einer negativen Reaktion zu rechnen ist, würde ich von einem Coming-out in der Isolation absehen», rät Trachsel den jungen Queers.

Der Austausch als wichtigste Ressource
An wen können sich junge LGBTIQ wenden, wenn sie mit der Situation zuhause nicht mehr klarkommen? «Darüber reden ist immer die beste Möglichkeit», meint Markus. «Das können externe Beratungsstellen wie Du-bist-du sein aber auch Freund*innen und Kolleg*innen, über Textnachrichten, Facetime oder auch Instagram. Hauptsache Austausch.»

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Auch Kathrin Meng, Geschäftsführerin der Milchjugend meint: «Es zeigt sich mehr denn je, dass es eine sichere Community-Plattform im Netz braucht, wo sich queere Jugendliche untereinander vernetzen können.» Mit der App «Milchstrasse» hat die Milchjugend bereits so eine Plattform geschaffen (MANNSCHAFT berichtete).

Falls es sich um einen Notfall handelt, empfiehlt sich in der Schweiz die Notrufnummer 147 von ProJuventute, in Deutschland die Nummer gegen Kummer 116111 und in Österreich die Telefonseelsorge unter der Nummer 142. Diese Kontaktstellen sind zwar nicht explizit für Queers, aber es beraten dort Profis, es ist anonym und kostenlos. Wer lieber sich lieber auf die Community stützen möchte, kann sich natürlich auch bei einem Beratungsprogramm wie Du-bist-du melden. Volunteers aus der Community beraten dort mit Unterstützung von Fachpersonen aus Psychologie und Sozialer Arbeit.

«Wichtig ist, dass der Kontakt zur Community nicht abbricht. Über Probleme sprechen ist wichtig. Es bringt nichts, alles in sich hineinzufressen und sich weiter damit zu belasten», empfiehlt Markus den jungen Queers in der Isolation. Angebote gibt es mittlerweile viele; neben der Community-App «Milchstrasse» beispielsweise den Jugendtreff Anyway Basel, der zu diversen Zoom- und Instagram-Chats einlädt.


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