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Magere LGBTIQ-Bilanz – Nicht jede Legislatur hat ihr Happy End

Queere Themen standen noch bei keiner deutschen Regierung ganz oben auf der Agenda

Das Reichstagsgebäude mit dem Deutschen Bundestag (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Derzeit herrscht in Deutschland parlamentarische Sommerpause. Die dauert in der Regel zwei Monate, von Juli bis August. In dieser Zeit finden im Deutschen Bundestag keine Sitzungen statt. Das macht aus queerpolitischer Sicht ohnehin keinen Unterschied, kommentiert* Axel Hochrein.

Wo warst du, am 30. Juni 2017? Mein Mann und ich waren an dem Tag gleich zwei Mal im Bundestag. Vormittags, als bei der letzten Sitzung der Legislaturperiode die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wurde, auf der Besucher-Tribüne. Abends auf einer rauschenden Party der Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis90 in der Reichstagskuppel. Als wir spät abends selig beschwingt nach Hause gingen, schien die Welt so regenbogenfarbig. Ein grosser Durchbruch war geschafft, der auch ein Signal des Aufbruchs hätte werden können, für ein modernes und buntes Deutschland.

Vier Jahre und eine Legislatur später ist die Magie dieser Nacht längst verflogen. Als politischer Erfolg wird schon gefeiert, dass die sogenannten «Konversionstherapien» weitgehend verboten sind (MANNSCHAFT berichtete). Und auch die Bundeswehr erkennt nun an, dass ihr früherer Umgang mit schwulen Soldaten und lesbischen Soldatinnen Unrecht war (MANNSCHAFT berichtete). Das viel zu spät kommende Verbot seelischer Kurpfuscherei an lesbischen, schwulen und transgeschlechtlichen Jugendlichen und die mehr als überfällige Beseitigung von Diskriminierung in der Armee sind also die politischen Fortschritte der letzten vier Jahre Bundespolitik. Angesichts der anstehenden Probleme und Forderungen, ein Armutszeugnis für diese kleine Grosse Koalition.

Ohne Frage, es gab in der Unionsfraktion Kräfte, die den «Schock» der Eheöffnung nicht verdaut hatten. Der Coup der SPD bleibt unvergessen. Sie hat im richtigen Moment das Richtige getan (MANNSCHAFT berichtete). In den letzten vier Jahren war davon nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: die wenigen Fortschritte in der queeren Politik, die es gab, fanden durch unions-geführte Ministerien statt. Darüber hinaus hat mit dem Einzug der AfD in den Bundestag die Rechtspopulisten eine bundesweite parlamentarische Stimme bekommen. Und es war schon bemerkenswert zu beobachten, dass die demokratischen Parteien sich gegenüber diesen neuen Kolleg*innen verhielten wie die ängstlichen Kaninchen vor der Schlange. In mehr als einem Gespräch konnte man die erschreckende Unsicherheit etablierter Parlamentarier gegenüber der AfD und ihrem forschen Auftreten erleben.


Aber nicht nur die Stimmung im Parlament hat sich geändert, ein grundsätzlich anderer Ton weht heute durchs Land. Homophobe und transfeindliche Parolen, von denen wir glaubten, sie nie mehr hören zu müssen, sind wieder da. Politisch aufbereitet von Gauland, Weidel und Höcke, der laut Gerichtsurteil aus Thüringen als Faschist bezeichnet werden darf. Und der rechtsextremen Pöbel auf der Strasse dient als Lautsprecher. Mehr oder minder ungestraft darf Attila Hildmann öffentlich Volker Beck – dem Vater der Eheöffnung – die Todesstrafe «durch Eiertreten» androhen (MANNSCHAFT berichtete).

Die steigenden Zahlen homophober und transfeindlicher Hass- und Gewalttaten sprechen eine traurige Sprache. Die Hetze und der Hass auf der Strasse erfährt ihre parlamentarische Würdigung und Unterstützung, als die AfD im Bundestag die Eheöffnung wieder abschaffen will. Dass gerade diese Partei, die gegen den «Genderwahn» hetzt, verzweifelt versucht, einen Sitz im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zu bekommen, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Wenigstens hier sind die Reihen der demokratischen Parteien dankenswerter Weise geschlossen geblieben und das destruktive Agieren im Kuratorium der Stiftung vorerst verhindert worden.

Das Ziel, geschlechtliche Vielfalt zu respektieren und Diskriminierung von LGBTI entgegenzuwirken, hat die Grosse Koalition damit meilenweit verfehlt.

Dieser aggressiven und queer-feindlichen Hetze hätten klare Worte und Taten der demokratischen Parteien entgegengesetzt werden müssen. Doch statt sich deutlich zu positionieren, indem die notwendigen und überfälligen gesetzlichen Regelungen und Reformen verabschiedet werden, verheddert sich die Regierungskoalition so lange in verzögernde Diskussionen, bis sie in der letzten Sitzungswoche den queerpolitischen Offenbarungseid leisten muss. Ihr im Koalitionsvertrag verkündetes Ziel, geschlechtliche Vielfalt zu respektieren und Diskriminierung von LGBTI entgegenzuwirken, hat die Grosse Koalition damit meilenweit verfehlt.


Die progressiven Kräfte in der Unionsfraktion waren zu schwach, um die blockierende Grundhaltung der CDU/CSU gegenüber den Anliegen der LGBTI Community aufzuweichen. Die Union bleibt weiterhin der entscheidende Bremsklotz bei der rechtlichen Gleichstellung von LGBTI. Der SPD fehlt es an Kraft, Willen oder Mut, sich gegen den Koalitionspartner durchzusetzen. Warum diese Kraft gerade immer bei LGBTI Themen fehlte, bleibt ein Geheimnis der Sozialdemokrat*innen. Vielleicht hätten sie sich doch an die Empfehlung ihres letzten Kanzlerkandidaten, Martin Schulz, erinnern sollen: «Auf einen groben Klotz, gehört manchmal auch ein grober Keil.»

So endete die letzte Sitzungswoche im Bundestag aus queer-politischer Sicht mit dem sich vorher schon abzeichnenden Desaster. Die unbedingt notwendige Reform des Transsexuellengesetz ist ebenso gescheitert, wie ein modernes Abstammungsrecht, das lesbischen Paaren endlich gemeinsame Kinder ohne Adoption ermöglicht. Als Botschaft an die Parteien, Ministerien und Abgeordneten, die das blockiert haben: die verhinderte Verabschiedung der Gesetze bedeutet direktes und persönliches Leid für die Betroffenen. Die Verschiebung in die neue Legislatur bedeutet weitere Wartens- und Leidenszeit.

Und die Liste der Ablehnung und Blockierung ist mit diesen zwei wichtigen Anliegen nicht beendet. In den Parlamentsausschüssen verhinderten die Regierungsfraktionen auch die Abstimmung zur Ergänzung des Grundgesetzes Art. 3 (3) um einen verfassungsrechtlichen Schutz der sexuellen Identität, sowie Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Hasskriminalität. Auch die Anträge der Opposition zur Aufhebung des Blutspendeverbots für homo- und bisexuelle Männer und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung von LGBTI, sowie zur Solidarität mit der LGBTI-Community in Polen, fanden keine Mehrheit.

Macht es die Sache besser oder einfach nur absurder, dass die SPD in ihrem Wahlprogramm für die nächste Legislatur alle abgelehnten Verbesserungen oder Änderungen ausdrücklich fordert und unterstützen will? Oder ist es nur ehrlicher, es wie CDU/CSU zu machen? Auf 149 Seiten Wahlprogramm nicht ein (!) Wort über die Anliegen von LGBTI zu verlieren. Das ist schon ein reaktionäres «Kunststück» heutzutage, in einem Wahlprogramm nicht einmal die Worte schwul, lesbisch, trans, inter oder queer zu erwähnen. So sieht kein guter Plan für ein modernes Deutschland aus, den das Programm angeblich beschreibt.

Wie gerne würde ich annehmen, dass das fehlende politische Happy End nur ein «Cliffhanger» ist, der schnell nach der Bundestagswahl aufgelöst wird. Aber nicht nur, weil LGBTI-Themen noch bei keiner Regierung ganz oben auf der Agenda standen, sondern auch, weil es klar ist, dass Covid und die Folgen zumindest 2022 das politische Hauptthema vor anderen Themen sein werden, gilt auch in Zukunft, was bisher galt: Die LGBTI-Community muss für ihr (politisches) Happy End weiterkämpfen.

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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