Wenn die AfD an der 5-Prozent-Hürde scheitert

Studie: So wählen queere Menschen

07.02.2025, Bayern, Greding: Zwei Männer tragen auf einer Wahlkampfveranstaltung der AfD Kapuzenpullover mit der Aufschrift «AfD Jugend». Im Hippodrom findet eine Wahlkampfveranstaltung der AfD mit Kanzlerkandidatin Weidel statt
Wahlkampfveranstaltung der AfD (Bild: Daniel Vogl/dpa)

Die Justus-Liebig-Universität Gießen hat in ihrer jüngsten LGBTIQ-Wahlstudie das Wahlverhalten sowie die politischen Prioritäten queerer Menschen in Deutschland untersucht. Die Ergebnisse zeigen deutliche Präferenzen für zwei Parteien.

Anders als in der kürzlich veröffentlichten nicht-repräsentativen Umfrage von Planetromeo (MANNSCHAFT berichtete) gehört die AfD nicht zu den Favoriten.

Seit 2015 führt die Universität Gießen regelmässig Wahlstudien durch, um das politische Verhalten und die Anliegen von LGBTIQ-Personen in Deutschland zu analysieren. Ziel dieser Studien ist es, eine Bevölkerungsgruppe sichtbar zu machen, die in traditionellen Wahlstudien oft nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Studie zur Bundestagswahl 2025, die in Kooperation mit dem LSVD-Verband entstanden ist, bietet erneut spannende Einblicke und zeigt, wie die Community gesellschaftspolitisch positioniert ist.

wahlstudie queer
In Berlin wurde die Studie vorgestellt (Bild: Saskia Balser)

An der parteiunabhängigen Studie, die per Online-Fragebogen erhoben wurde, haben 6.320 wahlberechtige queere Personen teilgenommen und offengelegt, wen sie bei der Bundestagswahl am 23. Februar voraussichtlich wählen werden. Die Verantwortlichen Prof. Dr. Dorothée de Nève und Niklas Ferch von der Justus-Liebig-Universität Gießen präsentieren die Ergebnisse an diesem Freitag in Berlin.

Starke Präferenzen für progressive Parteien

Die Ergebnisse der Wahlstudie zeigen, dass LGBTIQ-Wähler*innen klare Präferenzen für Bündnis 90/Die Grünen (43,5%) sowie Die Linke (24,9%) haben. Beide Parteien genießen in der Community ein hohes Vertrauen, insbesondere wegen ihres Einsatzes für Antidiskriminierung, queere Rechte und soziale Gerechtigkeit. Auffallend ist zudem, dass Die Linke als einzige Partei nicht an Rückhalt verloren hat im Vergleich zur letzten Bundestagswahl. Sie ist besonders bei jungen Queers, vor allem bei Erstwähler*innen beliebt.

Deutlich weniger Zuspruch erhielten hingegen Parteien, die konservative oder populistische Positionen vertreten – die CDU/CSU, die AfD, die FDP und BSW haben in der Wahlstudie nicht einmal die 5-Prozent-Hürde überwinden können.

Schwule wählen konservativer, Lesben liberaler

Auffällig ist, dass schwule Männer, die mit 1.926 Personen die größte Teilgruppe der befragten LGBTIQ darstellen, deutlich eher die SPD, CDU/CSU, AfD und FDP wählen als lesbische Frauen. Lesben wählen vor allem die Grünen (52,5%) und Die Linke. Auch trans Personen wählen grösstenteils Die Linke (49,8%).

Die Wahlstudie zeigt zudem, dass für viele queere Menschen Wirtschaftsentwicklung ein Grund dafür ist, konservativere Parteien zu wählen. Die Frage danach, ob man hinter den starken Wahlentscheidungs-Unterschieden zwischen den Geschlechtern den Gender Pay Gap vermuten kann, beantwortet Dorothée de Nève ganz eindeutig: „Davon kann man dringend ausgehen. Bei den Personen, die sich für Die Linke entscheiden, sind einige dabei, die eine prekäre Existenz haben. Beispielsweise ist es für trans Personen wesentlich schwieriger, sich ökonomisch zu stabilisieren, und ich bin sicher, dass das eine Rolle spielt.»

Queere Themen bei der Bundestagswahl 2025

Eine Reform des Artikel 3 des Grundgesetzes, der Ausbau der Familienrechte für Regenbogenfamilien, die Erhaltung des Selbstbestimmungsgesetzes, sowie die Weiterführung des Aktionsplans «Queer leben» (MANNSCHAFT berichtete) – für all das setzen sich die Parteien Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, die SPD, die FDP und Volt ein.

Ihnen gegenüber sitzt ein anderes Lager. Die CDU/CSU, die AfD und das BSW wollen die bestehenden Politiken zum Nachteil queerer Menschen ändern. Dazu gehört beispielsweise die Rücknahme oder Einschränkung des Selbstbestimmungsgesetzes und die Ablehnung gendersensibler Sprache.

Alice Weidel und die LGBTIQ-Community

Mit 2,8 Prozent schneidet die AfD bei den LGBTIQ-Befragten erheblich schlechter ab als bei konventionellen Umfragen. Dennoch stellt sich die Frage, wie eine Partei, die sich explizit gegen queere Positionen einsetzt, überhaupt von queeren Menschen gewählt werden kann. Ist die lesbische Spitzenkandidatin Alice Weidel der Grund dafür? Und wie vereinbart sie selbst ihre Sexualität mit dem Wahlprogramm der eigenen Partei? MANNSCHAFT hat de Nève um ihre Einschätzung gebeten.

«Da stösst unsere Fachdisziplin an ihre Grenzen», sagt sie. «Man müsste mit anderen Expert:innen sprechen, mit Psycholog:innen zum Beispiel. Es wäre interessant zu hören, wie sie es beurteilen, dass eine Frau sagt ‚Ich bin nur mit einer Frau in einer eingetragenen Partnerschaft, die ich seit 20 Jahren kenne, aber ich bin nicht queer.‘ Das ist nichts, was die Politikwissenschaft erklären kann, aber aus meiner Perspektive gehört da eine ordentliche Portion Selbsthass dazu, dass man zu so einer Position kommt.»

«Ich glaube nicht, dass Alice Weidel eine Identifikationsfigur für lesbische Frauen ist.»

Prof. Dr. Dorothée de Nève

De Nève sieht allerdings keine Gefahr für die queere Community darin, dass die populistische AfD eine lesbische Spitzenkandidatin aufgestellt hat. «Und ich glaube auch nicht, dass Weidel eine Identifikationsfigur für lesbische Frauen ist», sagt sie.

Einfluss auf Politik und Gesellschaft

Die Wahlstudien der Uni Gießen haben das Ziel, nicht nur die wissenschaftliche Forschung zu bereichern, sondern auch die politischen Parteien und Institutionen in Deutschland zu sensibilisieren. Sie leisten einen wichtigen Beitrag, um die LGBTIQ-Community in politischen Prozessen stärker zu berücksichtigen.

Die Ergebnisse der Wahlstudie zur Bundestagswahl 2025 können auf der Website der Universität Gießen eingesehen werden. Sie sollen Diskussionsanstösse für die politische Arbeit von Parteien, NGOs und der Community selbst geben. Das Team der Universität freut sich auf den Austausch zu den Ergebnissen: «Die LGBTIQ-Arbeitskreise der Parteien können uns einladen und unsere Einschätzungen einholen – wir sind bereit für ein Gespräch.»

Der Hafen der Ehe wartet mit allerhand Konventionen auf. Lohnt es sich, diese Tradition in der queeren Liebe fortzuführen? Die Hochzeitsplanerin Cora Gäbel weiss Rat (zur MANNSCHAFT-Story).

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