«Technofaschismus»: Proteste und Appelle wegen Pride-Verbot in Budapest

Tausende Menschen gingen in der ungarischen Hauptstadt auf die Strasse

Viktor Orbán ist auf dem T-Shirt einer Teilnehmerin des Pride-Marsches zu sehen
Viktor Orbán ist auf dem T-Shirt einer Teilnehmerin des Pride-Marsches zu sehen (Bild: Marton Monus / picture alliance / dpa)

In Budapest haben am Dienstagabend mehrere Tausend Menschen gegen das neue Gesetz protestiert, das Veranstaltungen wie die jährliche Pride-Parade verbieten will.

Laut Medienberichten blockierten die Demonstrierenden zentrale Verkehrsadern der Stadt, darunter die Kossuth-Lajos-Strasse und drei Donaubrücken. Ausserdem zündeten sie farbige Rauchbomben und riefen Parolen wie «Demokratie» und «Versammlung ist ein Grundrecht».

Die Protestaktion war bereits die zweite grosse Kundgebung innerhalb von nur wenigen Tagen. Auslöser ist ein umstrittenes Gesetz, das das ungarische Parlament mit der Zweidrittelmehrheit der regierenden Fidesz-Partei unter Ministerpräsident Viktor Orbán im Eilverfahren beschlossen hatte (MANNSCHAFT berichtete). Es erlaubt der Polizei unter anderem den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie zur Identifikation von Teilnehmenden an verbotenen Versammlungen und sieht Geldstrafen von bis zu 200‘000 Forint (zirka 500 Euro) vor.

«Die Demokratie ist am Abgleiten»

Zu den Organisator*innen des Protests zählt der parteilose Abgeordnete Ákos Hadházy. Er rief die Bevölkerung auf, weiter auf die Strasse zu gehen, bis das Gesetz zurückgenommen werde. «Das ist der Beginn eines Technofaschismus», sagte er mit Blick auf die zunehmende Überwachung und Einschränkung des Versammlungsrechts.

In Medienberichten meldeten sich auch LGBTIQ-Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu Wort, etwa der 27-jährige Benedek Lakos. Er sagte zur Nachrichtenagentur AP: «Die Demokratie ist am Abgleiten. Wenn wir jetzt nicht reagieren, schaufeln wir uns unser eigenes Grab.»

Die 26-jährige Paula Antalfy ergänzte: «Dass wir uns nicht mehr versammeln dürfen, in unseren eigenen Strassen, in unserer eigenen Stadt – das kann ich nicht akzeptieren.»

«Kinderschutzgesetz»

Zur Erinnerung: Die ungarische Regierung begründet das neue Anti-Pride-Gesetz mit dem international kritisierten «Kinderschutzgesetz» von 2021. Dieses verbietet es, Inhalte über Homosexualität oder Geschlechtsidentität Minderjährigen zugänglich zu machen – egal ob in Filmen, Werbung, Museen oder über öffentliche Veranstaltungen wie Pride-Paraden (MANNSCHAFT berichtete).

Kritiker*innen sehen in der nun beschlossenen Verschärfung des Veranstaltungsgesetzes eine gezielte Diskriminierung der LGBTIQ-Community. Menschenrechtsorganisationen und Vertreter der UN äusserten bereits scharfe Kritik.

Einer von ihnen ist Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Er spricht von «willkürlichen und diskriminierenden Einschränkungen» der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Zugleich warnt er, dass nun Überwachungstechnologien wie Gesichtserkennung gezielt gegen marginalisierte Gruppen eingesetzt würden.

Die LGBTIQ-Gruppe Forbidden Colours fordert derweil in einer Pressemitteilung sofortige Massnahmen der EU gegen Ungarn. Die EU-Kommissar*innen Hadja Lahbib und Michael McGrath erklärten auf X: «Unsere Union basiert auf Freiheit und Gleichberechtigung. Jeder sollte das recht haben, der zu sein, der er oder sie sein will, jeder sollte frei leben und lieben können. Das Recht, sich friedlich zu versammeln, in ein Grundrecht, das in der gesamten Europäischen Union hochgehalten werden sollte. Wir stehen an der Seite der LGBTIQ-Community – in Ungarn und allen anderen Mitgliedsstaaten.»

EU-Präsidentin Ursula von der Leyen hat bislang noch keinen eigenen Tweet zum Thema abgesetzt, allerdings das Statement von Lahbib und McGrath auf X retweetet. Forbidden Colours meint, das sei «nicht genug»: «Tweet alleine reichen nicht», heisst es in der Pressemitteilung.

Appell der Peter Tatchell Foundation

Derweil wurden verschiedene Stars aus der Musikszene dringend aufgefordert von der Peter Tatchell Foundation, ihre anstehenden Konzerte in Ungarn zu canceln, aus Solidarität mit den Protestierenden. Die von der Tatchell-Stiftung angeschrieben Künster*innen sind Chappell Roan, Emeli Sandé und Alanis Morisette. Im Schreiben heißt es: «Wer dort auftritt ohne das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Einschränkung des Demonstrationsrecht zu kritisieren, würde ein tyrannisches und homophobes Regime unterstützen.»

Tatchell spricht in dem Zusammenhang von Pinkwashing, das betrieben werden würde. Die drei Musiker*innen seinen «enorm einflussreich», ihre Stimmen würden gehört und könnten die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit darauf lenken, was in Ungarn gerade passiere, so Tatchell.

30 Jahre Pride in Budapest

Trotz des neuen Gesetzes und der Ankündigung der Orbán-Regierung, Pride-Veranstaltungen in ihrer bisherigen Form nicht mehr zu tolerieren, wollen die Organisator*innen der Budapest Pride an ihren ursprünglichen Plänen für 2025 festhalten. Auch Bürgermeister Gergely Karácsony stellte sich hinter die Veranstaltung und betonte, die Parade solle wie geplant am 28. Juni stattfinden.

Der diesjährige Pride markiert bzw. würde das 30-jährige Bestehen solcher LGBTIQ-Demonstration in der ungarischen Hauptstadt markieren.

«Jede Erektion hat im Kontext des Films ihren Sinn» – Der Fernsehjournalist Tim Lienhard war viel für Arte unterwegs und lieferte Features über LGBTIQ-Ikonen wie u.a. Quentin Crisp. 2013 kam sein erster Kinofilm raus. Jetzt ist er mit einem neuen Werk am Start (MANNSCHAFT berichtete).

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