«Es gibt Stimmen, die sagen: LGB wäre besser dran ohne TIQ»

Der scheidende Queerbeauftragte der Bundesregierung hält eine bewegende Dankesrede bei der Verleihung des Rosa-Courage-Preises

Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen)
Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen) (Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Er ist der erste Queerbeauftragte einer deutschen Bundesregierung. Jetzt bekam Sven Lehmann den Rosa-Courage-Preis beim Kulturfestival «Gay in May» in Osnabrück verliehen.

Der Beauftragte der amtierenden Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, Sven Lehmann, ist mit dem Preis des queeren Festivals «Gay in May» in Osnabrück ausgezeichnet worden. Die frühere WDR-Moderatorin Bettina Böttinger überreichte Lehmann den Rosa-Courage-Preis, wie eine Sprecherin sagte. Böttinger war auch Laudatorin der Verleihung, die im Friedenssaal des historischen Rathauses in Osnabrück stattfand.

Mit dem Preis will der Verein herausragendes Engagement für die queere Gemeinschaft würdigen. Er wird seit 1992 verliehen.

Einsatz für eine gerechtere Gesellschaft

Lehmann werde für sein langjähriges Engagement für die Rechte lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, intersexuellen und queeren Menschen geehrt sowie für seinen Einsatz für eine gerechtere, vielfältigere Gesellschaft, hiess es in der Begründung. 

Als erster Queerbeauftragter der Bundesregierung habe Lehmann zahlreiche Initiativen auf den Weg gebracht - etwa die Reform des Transsexuellengesetzes zum Selbstbestimmungsgesetz (MANNSCHAFT berichtete), Massnahmen zum Bekämpfen von Hasskriminalität und den nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Im Anschluss verschickte Lehmann das Manuskript zu seiner Dankesrede, das wir hier in vollem Umfang wiedergeben:

Es berührt mich sehr, vor allem in einer Reihe zu stehen mit Ikonen der queeren Bewegung wie Carolin Emcke, Maren Kroymann, Claudia Roth, Volker Beck, Rosa von Praunheim, Ralf König und anderen. Menschen, die auch mich persönlich sehr geprägt und beeinflusst haben.

In meiner eigenen Biografie war nicht vorgesehen, einmal hier zu stehen. Es war nicht vorgesehen, überhaupt Politiker zu werden, schon gar nicht Queer- und Menschenrechtspolitiker. In meiner Biografie war vorgesehen, hetero zu sein - natürlich. Verheiratet zu sein mit einer Frau, Kinder zu haben, ein Eigenheim, Angestellter bei einer Bank oder Versicherung - und ein eher unpolitisches Leben zu führen. Nichts davon ist eingetreten. Weil es für mich nicht das richtige Leben war.

Und ich glaube, so geht es sehr vielen, vielleicht fast allen LGBTIQ, allen queeren Menschen.

Es gibt in unseren Leben diese Momente, wo wir merken: Nein, das bin nicht ich. Mein Glück liegt woanders. Und auf der Suche nach diesem Glück liegen leider sehr oft allerlei Hürden und Widerstände. In der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, im Sportverein, in Medien oder auch vor allem: in uns selbst. Als Lesbe, Schwuler, Bisexueller, als trans, inter, nicht-binärer, als asexueller, polyamorer, genderfluider, als queerer Mensch offen zu leben; diese Sichtbarkeit erfordert alltäglich Courage.

Deswegen ist dieser Rosa-Courage-Preis auch so bedeutend.

Denn ich finde, dass wir alle uns viel öfter auf die Schulter klopfen sollten für die Courage, für den Mut, für das was wir in unserer Biografie geleistet haben und jeden Tag leisten!

Als ich 2017 erstmals als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag einzog, hatte Deutschland gerade endlich nach Jahrzehnten des Ringens die Ehe für alle beschlossen. Und ich habe dann immer wieder den Satz gehört: Was wollt ihr denn noch? Ist doch alles erreicht, ist doch alles gut jetzt. Und jetzt sehen wir, wie falsch das ist.

Ich komme später noch drauf zu sprechen, aber in letzter Zeit hören wir auch unserer Community Stimmen, die sagen: LSB wäre besser dran ohne TIQ*.

Das ist töricht. Entweder es gibt Freiheit und Würde für alle oder für niemanden.Und so zu argumentieren ist auch geschichtsvergessen. Denn unsere Freiheit hat Geschichte.

Als im Jahr 1969 in der New Yorker Christopher Street queere Menschen aufbegehrten gegen polizeiliche Willkür und Schikane und damit den Startschuss gaben für die weltweite Pride-Bewegung, da waren es auch transgeschlechtliche PoC, schwarzen Lesben, Drags, die eine weltweite und bis heute erfolgreiche Bewegung in Gang gesetzt haben für Freiheit und gleiche Rechte und Selbstbestimmung.

Und deswegen muss unsere Politik und unsere Bewegung auch immer transinklusiv und anti-rassistisch sein!

«Deswegen muss unsere Bewegung auch immer transinklusiv und anti-rassistisch sein»

Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung

Ich bin stolz auf das, was wir in den letzten dreieinhalb Jahren in der Bundesregierung erreicht haben. Nach über 40 Jahren haben wir endlich das diskriminierende und entwürdigende Transsexuellengesetz abgeschafft und im letzten Jahr das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet.

Ich habe in meinem ganzen politischen Leben noch nie für etwas so hart kämpfen müssen. Denn die gesamte Gesetzgebung war begleitet von harten Angriffen, Fake News, Transfeindlichkeit und Hetze.

Aber es hat sich gelohnt: Ich bekomme bis heute sehr berührende Nachrichten von trans und nicht-binären Menschen, die darauf lange gewartet haben. Und die jetzt sagen, dass sie sich endlich vom Staat anerkannt fühlen als die Menschen, die sie sind. Wir haben auch die Diskriminierung bei der Blutspende gesetzlich abgeschafft. Wir haben Hasskriminalität gegen LGBTIQ ausdrücklich ins Strafrecht aufgenommen. Wir haben die Finanzierung der grossen queeren Verbände und Initiativen gesichert. Und vieles mehr.

Und diese Fortschritte lassen sich auch messen: Deutschland ist im europäischen Vergleich endlich und erstmals unter den Top 10 bei der Gleichstellung von LGBTIQ.

Am kommenden Dienstag steht nun aber ein Regierungswechsel an. Deutschland bekommt voraussichtlich einen neuen Bundeskanzler und eine neue Bundesregierung. Was diese neue Bundesregierung queerpolitisch konkret vorhat, dazu findet sich leider quasi nichts im Koalitionsvertrag. Kein Wort über eine Reform des Abstammungsrechts für Regenbogenfamilien, kein Wort zum Diskriminierungsschutz im Grundgesetz, kein Wort zum Aktionsplan «Queer leben». Niemand weiss, ob es das Amt der*des Queer-Beauftragten in zwei, drei Wochen noch geben wird. Wir werden sehen.

«Ich bin dafür, diese neue Regierung an ihren Taten zu messen. Denn wenn ich einige der neuen Minister*innen an ihren Worten messen würde, dann müsste uns ehrlich gesagt angst und bange werden»

Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung

Ich bin dafür, diese neue Regierung an ihren Taten zu messen. Denn wenn ich einige der neuen Minister*innen an ihren Worten messen würde, dann müsste uns ehrlich gesagt angst und bange werden. Beispiel Wolfram Weimer, der neue Kultur-Staatsminister. In seinem Buch «Das konservative Manifest» beklagt er, dass Menschen heutzutage ihre Homosexualität nicht mehr wie früher versteckten. Coming-Outs bezeichnet er als «diskursive Proletarisierung» und als «Trend». Da will uns offenbar einer in die Unsichtbarkeit zurückdrängen.

Und hier kommt die schlechte Nachricht für ihn: Wir lassen uns nicht wieder unsichtbar machen!

Oder Katherina Reiche, die neue Wirtschaftsministerin, die in der Vergangenheit queere Paare als «nicht normal» bezeichnet hat und die auch gesagt hat, gleichgeschlechtliche Ehen würden «unendliches Leid» verursachen. Dazu kann ich nur sagen: Ich habe vor einem Jahr den Mann, den ich seit 20 Jahren liebe, geheiratet - und ich bin glücklich wie nie (MANNSCHAFT berichtete).

Es gibt also nicht nur in der extremen Rechten, sondern leider auch bis in die CDU/CSU hinein weiterhin politische Kräfte, die uns unsere Rechte und unser Glück nicht gönnen. Und wieder eine schlechte Nachricht für diese Leute: Wir haben so lange dafür gekämpft, wir werden uns das nie wieder wegnehmen lassen!

Was wir also leider immer wieder erfahren, ist: Unsere Rechte und unsere Freiheit sind kein Selbstläufer. Unsere Courage wird es weiterhin brauchen, aber nicht nur, um weiter voran zu kommen, sondern auch um die Errungenschaften der letzten Jahre und Jahrzehnte überhaupt zu verteidigen. Denn überall auf der Welt werden gerade queere Menschen angegriffen.Und ich frage mich immer: Warum? Warum hassen uns bestimmte politische Kräfte so sehr?

Und meine Antwort ist: Weil wir für Freiheit stehen. Für die Freiheit, selbst zu bestimmen über unser Leben, über unsere Körper, über unsere Sexualität, über unsere Identität. Und diese Freiheit ist autoritären Kräften ein Dorn im Auge. Und in diesem Hass auf Freiheit sitzen Leute wie Putin, Trump, Erdogan, Orban und viele andere miteinander in einem Boot.

Aber wir brauchen nicht ins Ausland zu schauen. Auch hier in Deutschland ist die Stimmung besorgniserregend. Wir hatten im letzten Jahr so viele CSDs wie nie. Mit so vielen Teilnehmenden wie nie. Und gleichzeitig so viele Angriffe wie nie. Und was alle Demokrat*innen verstehen müssen ist: Diese Angriffe gelten nicht nur queere Menschen, sondern tatsächlich der Demokratie insgesamt.

Unsere Demokratie wird auch auf den CSDs verteidigt!

Lehmann (li.) beim CSD mit Claudia Roth
Lehmann (li.) beim CSD mit Claudia Roth (Foto: privat) (Bild: Privat)

Unsere liberale Demokratie gibt das Versprechen ab, dass Menschen verschieden sein können - aber gleich an Rechten und Würde. Deshalb ist Queerpolitik fundamental für die Verteidigung unserer Demokratie gegen die autoritären Angriffe der Rechtsextremen und der Fundamentalisten. Wir müssen wieder laut und entschlossen für unsere Demokratie kämpfen, für eine Gesellschaft in der wir alle frei, sicher und selbstbestimmt leben können. Und das werden wir. Und das ist es auch, was mich optimistisch und kämpferisch bleiben lässt.

Unsere Community hat immer wieder bewiesen, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Sie zeichnet sich aus durch Kraft, durch Resilienz und durch Courage. Diese Courage wird gewinnen! Freiheit und Demokratie werden gewinnen!

Vielen, vielen Dank für diesen Preis!

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