Carolin Emcke ausgezeichnet: «Viele von uns haben wieder Angst»
Die Kompassnadel wurde im Rahmen des Kölner CSD-Empfangs feierlich überreicht
In Köln wurde die lesbische Journalistin und Publizistin Carolin Emcke mit der Kompassnadel 2024 ausgezeichnet. Damit wird ihr langjähriges gesellschaftliches Engagement für die Akzeptanz von queeren Menschen geehrt, ihre «stetige Sichtbarkeit, ihr grosser Mut und ihre klare Haltung».
Zum 24. Mal luden das Queere Netzwerk NRW und die Aidshilfe NRW am Samstag zum traditionellen CSD-Empfang nach Köln ein. Über 1.000 Gäste – so viel wie nie zuvor – fanden dabei am vorletzten Tag der Cologne Pride ihren Weg ins Maritim Hotel. Unter den Gästen befanden sich auch zahlreiche Vertreter*innen queerer Nichtregierungsorganisationen und Communites in NRW sowie Verbündete aus Zivilgesellschaft und Politik, darunter Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien.
In ihrer gemeinsamen Eröffnungsrede stellten Laura Becker (Vorstandssprecherin des Queeren Netzwerks NRW) und Arne Kayser (Landesvorsitzender der Aidshilfe NRW) die jüngsten Erfolge der queeren Community genauso wie die zukünftigen Herausforderungen in einer polarisierten Gesellschaft heraus. Der Begriff des Rechtsrucks fiel hier bereits mehrere Male.
Im Folgenden wurden die neue Präventionskampagne der Deutschen Aidshilfe, IWWIT («Ich weiss was ich tu») sowie die CSD-Kampagnen von Herzenslust NRW («Fake Busters – Zusammen gegen gespenstische Vorurteile») und Posithiv handeln («Helferzellen gegen Rechts») vorgestellt. Ausserdem präsentierte die Queere Jugend NRW anlässlich ihres 10-jährigen Bestehens ihre Arbeit und zeigten Queere Jugendtreffs und Empowermenträume im gesamten Bundesland.
Nach kleineren Kabarett- und Musikeinlagen von Moderator Oliver Schubert stand dann die Dragqueen und Sängerin Marcella Rockefeller mit zwei eigenen Songs im Mittelpunkt. Für Rockefeller, die regelmässig beim CSD in Berlin präsent ist, war es indes die erste Cologne Pride überhaupt.
Höhepunkt der Veranstaltung war die Verleihung der Kompassnadel des Queeren Netzwerks NRW, mit der herausragendes queeres Engagement sichtbar gemacht und anerkannt werden soll. In diesem Jahr ging die Auszeichnung an die lesbische Journalistin und Publizistin Carolin Emcke. Sie erhielt den Preis für ihr langjähriges gesellschaftliches Engagement für die Akzeptanz von queeren Menschen, für ihre stetige Sichtbarkeit, ihren grossen Mut und ihre klare Haltung.
In ihren Büchern, Essays, Kolumnen, aber auch in ihren künstlerischen Interventionen geht sie den Themen Gewalt und Trauma, Demokratiefeindlichkeit und Rassismus sowie Sexualität und Begehren auf den Grund. In ihren Werken, wie dem Buch «Wie wir begehren» oder ihrer jüngst an der LMU München gehaltenen Erika Mann Lecture, verknüpft sie dabei gerne persönliche Erfahrungen mit gesellschaftlichen Phänomenen. Als lesbische Frau gilt sie seit längerem als starke queere Stimme im öffentlichen Diskursraum.
Mit dem Preis würdigt das Queere Netzwerk NRW Emckes herausragendes Engagement für die Sichtbarkeit und Rechte von queeren Menschen. Ihre journalistischen Arbeiten und öffentlichen Auftritte tragen massgeblich dazu bei, Diskriminierung zu bekämpfen, Vielfalt zu fördern und für eine offenere, tolerantere Gesellschaft einzustehen.
Die Laudatio auf die Preisträgerin hielt Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, der mit seinem Ehemann Arndt Klocke (Mitglied des Landtags NRW) der Veranstaltung beiwohnte. Lehmann sieht Emcke dabei als «die vielleicht bedeutendste intellektuelle Stimme im deutschsprachigen Raum – nicht nur für unsere queere Community, sondern für den Schutz und die Verteidigung der Menschenwürde überhaupt». Damit würden ihre Worte allen LGBTIQ-Menschen einen Platz schaffen und ihn für sie einfordern. Ihre scharfsinnigen Analysen und ihre Worte in schwierigen Zeiten für queere Menschen, wie nach den Angriffen auf queere Orte wie in Orlando und Ljubljana, seien trostspendend.
Unter tosendem Applaus und stehenden Ovationen des gesamten Saals nahm Emcke den Preis schliesslich von der Vorjahres-Preisträger*innengruppe SOFRA Queer Migrants entgegen. Ihre Rede leitete sie mit ihrer Verbundenheit zu Köln und NRW als gebürtige Mülheimerin ein: «Hier herrscht Menschlichkeit wie in keiner anderen Gegend sonst». Queersein bedeute für sie im Kern, «niemals zu den Bullies zu gehören». Das Leben, das sie heute führe, sei in ihrer Jugend unvorstellbar gewesen: «Homosexualität war in meiner Jugend wie eine Wüstenfeldmaus im Naturkundebuch: Man konnte davon lesen, aber in der freien Wildbahn traf man kein solches Exemplar». Viele Menschen seien noch von der Verfolgung homosexueller Menschen geprägt gewesen und weilten in der Unsichtbarkeit – «Und auch heute haben viele von uns wieder Angst. Und es ist klar, wovor sie Angst haben».
Nichtsdestotrotz sei sie stets glücklich mit ihrer sexuellen Identität gewesen: «Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre es wieder diese. Nicht weil sie besser ist, sondern weil‘s mich glücklich gemacht hat». Mit der Aussage, stolz auf seine Sexualität zu sein, fremdle sie indes aber. Worauf sie aber stolz sei: «Das Erbe des Widerstands. Den eigenen Körper hinzustellen für die Körper der Anderen».
Sie selbst habe nie eine Zeit erlebt, die so furchteinflössend sei wie diese. Dabei müsse sie ehrlich zugeben, dass ihr mittlerweile die Kraft ausgehe. In einem kurzen Abriss einer Gesellschaftsanalyse kommt sie dabei zu dem Schluss, dass das Hauptproblem nicht am rechten Rand, sondern in der gutbürgerlichen Mitte der Gesellschaft liege. Es ginge um nicht weniger als Respekt – «und der ist zumutbar, und zwar immer!» Was sie sich dabei für die queere Community wünsche? Vor allem eines: lustvoll zubleiben.
«Fragile as Glass» – Ein Fotobuch über queeres Leben in Zeiten des Ukrainekrieges (MANNSCHAFT berichtete)
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