Pride angefeindet und bedroht: Neidfaktor und Sündenböcke
Der Kölner CSD steht bevor
Anfeindungen, abspringende Sponsoren, Angst vor Gewalt: In Köln steht Deutschlands grösster CSD bevor, doch die Stimmung ist angespannt. Queere Menschen müssen wieder mehr um ihre Sicherheit bangen.
Von Petra Albers, dpa
Die Pride-Saison ist in vollem Gange: Nach Umzügen in verschiedenen Städten startet am Sonntag (6. Juli) der CSD in Köln – eine der grössten Demonstrationen zum Christopher-Street-Day in Europa. Wie in den vergangenen Jahren werden wieder mehr als eine Million Besucher*innen erwartet, die lautstark für ihre Rechte eintreten. Und das sei dieses Mal wichtiger denn je, betonen die Veranstalter*innen.
Denn die gesellschaftliche Stimmung habe sich gewandelt: Queere Menschen sähen sich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt. «Der Umgang und die Wortwahl haben sich geändert», sagt Hugo Winkels, Vorstandsmitglied des Vereins Cologne Pride, der den Kölner CSD organisiert.
Böse Kommentare in sozialen Medien seien ja schon lange an der Tagesordnung. Doch was ihm besondere Sorge bereite: «Solche Äusserungen finden jetzt zunehmend den Weg in die Realität.» Es komme oft vor, dass Schwule, Lesben oder Transgender auf der Strasse beschimpft und beleidigt würden. «Da sieht man teils so einen Hass in den Augen, das ist beängstigend.»
Queerfeindliche Straftaten gehören zum Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Laut Bundeskriminalamt (BKA) wurden im vergangenen Jahr 1'765 Fälle im Bereich sexuelle Orientierung gemeldet - 18 Prozent mehr als 2023. Hinzu kamen 1'152 Taten, die sich gegen trans oder nicht-binäre Personen richteten (plus 35 Prozent). Eine erhebliche Zunahme gab es dabei vor allem bei Taten, die dem rechten Spektrum zugerechnet werden.
Auch CSD-Paraden bekamen in jüngerer Zeit mehrfach Gegenwind zu spüren. Vor wenigen Wochen wurde zum Beispiel der CSD in Gelsenkirchen wegen einer «abstrakten Bedrohungslage» kurzfristig abgesagt (MANNSCHAFT berichtete). In Regensburg entschieden die Veranstalter nach Eingang eines Drohschreibens, die Umzugsstrecke an diesem Samstag (5. Juli) zu verkürzen (MANNSCHAFT berichtete). Laut BKA mobilisieren unter anderem rechte Jugendgruppen für Gegendemos gegen CSD-Paraden.
In Soest beleidigte am letzten Wochenende ein 34-Jähriger mehrere Teilnehmer*innen einer CSD-Veranstaltung und griff sie auch körperlich an. Der Mann, der der Polizei schon zuvor bekannt war, wurde vorläufig festgenommen und äusserte bei seiner Vernehmung seine Ablehnung gegenüber der LGBTIQ-Szene (MANNSCHAFT berichtete).
«Wir brauchen durch die Sicherheitsbehörden umfassende und ausreichende Sicherheitskonzepte für die Prides», fordert André Lehmann vom Bundesvorstand des Verbands Queere Vielfalt LSVD+. «Geltendes Recht muss konsequent durchgesetzt werden.» Ansonsten würden die Sicherheit und Freiheit Millionen queerer Menschen eingeschränkt.
Ist manchen queere Sichtbarkeit zuviel? Wahrscheinlich störe es viele Gegner*innen, dass die LGBTIQ-Community seit einigen Jahren deutlich sichtbarer geworden sei, vermutet der evangelische Pfarrer Tim Lahr von der Queeren Kirche Köln. «Vor allem durch Social Media ist queere Sichtbarkeit viel mehr geworden, aber auch durch Medienberichte oder weil zum Beispiel in Serien viel häufiger queere Charaktere vorkommen als früher.» Dadurch würden auch Menschen aufmerksam, die bisher nichts mit dem Thema zu tun hatten, sagt Lahr. «Und das führt dann zu mehr Gegenreaktionen.»
Ähnlich sieht es Winkels vom Cologne Pride. «Queere haben in der jüngeren Vergangenheit Neuerungen wie die Ehe für alle erreicht - das passt manchen Leuten nicht.» Er meint, dass auch ein gewisser Neidfaktor eine Rolle spielen könne. «Queere Menschen werden oft verbunden mit ,Double Income, no kids'», sagt Winkels. Vor dem Hintergrund von Inflation und Preissteigerungen zögen sie deshalb wohl den Zorn von Menschen auf sich, denen es wirtschaftlich weniger gut gehe und die dafür einen Sündenbock suchten.
Geschürt wird diese Stimmung nach Überzeugung von LGBTIQ-Vertreter*innen dadurch, dass in Europa inzwischen mehr rechtspopulistischer Parteien in Parlamenten sitzen. Weltweite Wirkung zeige zudem die Politik von US-Präsident Donald Trump, der Diversitätsprogramme zurückfahre und die Rechte queerer Menschen massiv einschränke.
Als eine Folge hätten sich einige amerikanische Unternehmen als Sponsoren des Kölner CSD zurückgezogen, berichtet der Cologne Pride (MANNSCHAFT berichtete). Dieses Phänomen sei auch bei anderen CSD-Veranstaltungen zu beobachten, bestätigt Doreen Hoffmann, Vorstandsmitglied des Dachverbands CSD Deutschland: «Immer mehr Partner*innen, darunter auch internationale Unternehmen, ziehen sich zurück oder reduzieren ihr Engagement – nicht selten mit Verweis auf politische Entwicklungen oder Unternehmens-strategische Veränderungen.»
Das sei auch deshalb besorgniserregend, weil zunehmende Bedrohungen vielerorts zu wachsenden Sicherheitsvorkehrungen und damit auch höheren Kosten führten, sagt Hoffmann. «Gerade in dieser Zeit wäre ein klares, sichtbares Zeichen der Solidarität seitens der Wirtschaft wichtiger denn je.»
Allerdings: Beim Kölner CSD gebe es auch Unternehmen, die gerade aufgrund solcher Meldungen neu als Unterstützer hinzugekommen seien, betont Winkels. Mehrere Firmen sind wie gehabt mit grossen Wagen bei der Parade dabei, um ein Zeichen für Vielfalt zu setzen. Vor einigen Firmengebäuden und entlang vieler Strassen und Plätze in Köln wehen schon seit Tagen Regenbogenfahnen.
Auf dem Reichstag wird Regenbogenflagge nicht mehr gehisst Am Reichstagsgebäude in Berlin dagegen soll die Regenbogenflagge beim dortigen CSD (26. Juli) nicht mehr aufgezogen werden. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hatte entschieden, das Symbol der queeren Community nur noch zum Internationalen Tag gegen Homophobie (17. Mai) auf dem Bundestag hissen zu lassen (MANNSCHAFT berichtete).
Dies sorgte ebenso für Empörung wie die Anweisung der Bundestagsspitze, das queere Regenbogennetzwerk von Parlamentsbeschäftigten nicht am Berliner CSD teilnehmen zu lassen. Begründet wurde das insbesondere mit der gebotenen Neutralitätspflicht.
Kritik kam von LGBTQ-Verbänden, aber auch von Politikern verschiedener Parteien und Gewerkschaftsvertretern. Verdi-Chef Frank Werneke etwa sprach von einem «gesellschaftspolitischen Rückschritt» und einem «Einknicken vor rechten Tendenzen».
Beim CSD in Köln wollen Teilnehmer*innen und Besucher*innen laut, aber friedlich für Gleichberechtigung und gesellschaftliche Akzeptanz demonstrieren. Rund 250 Gruppen mit etwa 60'000 Teilnehmer*innen werden durch die Innenstadt ziehen. Das Motto: «Viele, gemeinsam, stark».
Terrorpläne bei Swift-Konzert: Ein junger mutmasslicher Helfer angeklagt. Er soll u. a. Bombenbauanleitung aus dem Arabischen übersetzt haben (MANNSCHAFT berichtete).
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