Kolumne

20 Drinks, ein Absturz – und der Weg ins Nüchternsein

Neue MANNSCHAFT-Kolumne «Queer & Sober»

Eine Gruppe von Menschen Menschen feiern, eine Person macht Stage-Diving
(Bild: Unsplash, Evgeniy Smersh)

Exzessive Partys, verlorene Nächte und das ständige Suchen nach Halt: Der Performer und Regisseur Vlady Schklover erzählt von seinem Ausstieg aus dem Rausch. Seit knapp drei Jahren lebt er nüchtern – und bringt queere Sobriety auf Berlins Tanzflächen.

«Wo ist mein Handy? Wo ist mein verdammtes Handy?»

Ich habe wieder alles verloren. Noch ein Blackout. Noch eine Nacht, verloren in den Tiefen meines unbewussten Geistes – und doch ein hochfunktionierender Körper, der umherirrte, besser gesagt: torkelte, durch die Strassen Berlins, verzweifelt auf der Suche nach einer Verbindung, nach Akzeptanz oder Liebe. Doch in meinem Fall: Sex, die einzige Form von Intimität, die ich akzeptieren konnte.

Ich werde wegen dieser Nacht immer noch von Schuldgefühlen heimgesucht. Es war die letzte Nacht, in der ich getrunken habe – oder eher: mindestens 20 Drinks. Aber wer zählt das schon. 31 Jahre alt und immer noch unfähig, mit Stress umzugehen, meine Gefühle zu regulieren. Ich wiederhole dieselben Muster wie mit 16.

Queen der Selbstviktimisierung, voller Überzeugung die Welt sei schuld am Trinken. Männer objektifiziert, wie in der Gay-Community gelernt. Auf der Suche nach dem Disney-Prinzen, der mich endlich rettet, lebte ich nach alten Normen: «Künstler*innen cool, IT langweilig. Sexy cool, hässlich langweilig. Party cool, der Rest langweilig.»

Ich? Ganz unten. Aussen: Party, innen: Selbsthass.

Mein Körper, mein Tun – nie gut genug. 

Perfektionismus: der Tod von allem.

Knapp drei Jahre lebe ich nun nüchtern, mit allen Aufs und Abs. Nur noch mit mir selbst, ohne Flucht vor all den Gedanken, Emotionen, Gefühlen, die ich 16 Jahre lang mit Alkohol, Drogen oder Sex zu unterdrücken versuchte.

Was für eine wilde Fahrt. Ich war überzeugt, dass meine Zwanziger, gefüllt mit Party, Drogen, Sex mit jedem verfügbaren Typen, das Coolste waren, was ich je tun konnte. Aber nüchtern zu sein, in einer Stadt, in der die meisten es nicht sind, ist eine ganz andere Nummer.

Fürs Nüchternsein gab’s mehr Gegenwind als für die ständigen Blackouts. Interessant, wie sehr Menschen Muster meiden, die sie an eigene Themen erinnern. Früher war Alkohol einer meiner besten Freunde, bis er dann zum Feind wurde.

Ich habe in den letzten Monaten mehr über mich selbst gelernt als in meiner bisherigen Erwachsenenzeit. Ich musste und muss noch immer lernen loszulassen. Ich kämpfe weiterhin mit Angst und Einsamkeit

Aber selbst dieses Gefühl, oft die einzige nüchterne Person in einer Gruppe zu sein, hat zu etwas Gutem geführt. Ich habe eine Party für nüchterne Queers ins Leben gerufen: «Lemonade Queers». Ein voller Erfolg. Regelmässige Partys, Spass und Gleichgesinnte.

Nüchtern zu sein fühlt sich ziemlich cool an. Ich habe grossartige Menschen kennen gelernt, Beziehungen vertieft, meinen Freundeskreis erweitert, fantastische Konzerte, Performances und Events organisiert.

Jetzt, wo ich all diese Lektionen gelernt habe und weiss, dass noch viele kommen, kann ich stolz sagen: Ich gehe in ein anderes Leben. Und obwohl es mir Angst macht, weil ich nicht weiss, was noch kommt, weiss ich: Ich will nie wieder zurück dahin, wo ich war. Und die Moral von der Geschichte? Disney lügt. Ich bleib Queen.

Vlady Schklover
(Bild: Sascha Düvel)

Queer & Sober

Vlady Schklover: Regie im Kopf, Beats im Blut, Kunst im Herzen. Künstler, Regisseur, Performer, Musiker – und Gründer der einzigen regelmässigen queeren sober Party Deutschlands im Schwuz.

[email protected] Illustration: Sascha Düvel

Weitere Beiträge von Vlady gibt's in der Kolumne «Queer & Sober».

Wie schwer ist es, als queerer Mensch nüchtern zu leben? Darüber haben wir mit Schauspieler Dominic Hartmann und Dragqueen Klamydia von Karma gesprochen: in einer Bar übrigens. Aus ihren Kehlen sprudelte Tiefgang heraus. Über den Wunsch dazuzugehören, über grenzenlose Toleranz, tolerierte Grenzen und schambefreiten Spass. Bis am Ende das Bier kam (MANNSCHAFT-Story).

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