Maler Norbert Bisky: «Ich wollte kein konventionelles Leben»

Interview und Werkschau

Norbert Bisky
Norbert Bisky (Bild: Olaf Heine)

Im Herbst ’89 sagt ein 18-Jähriger in Uniform: «Ich fahre jetzt nach Hause, das hier ist Quatsch.» Kurz darauf sitzt Norbert Bisky in Haft. Aus dem DDR-Soldaten wurde einer der prägnantesten Künstler seiner Generation.

Norbert, erinnerst du dich an den Moment, in dem du zum ersten Mal gespürt hast, dass du Künstler bist? Den Moment habe ich nie gespürt. Ich habe immer gern gemalt, aber es war eher die Erkenntnis, dass ich mich nicht genug dieser Sache widme, die mir so viel Spass macht.

Irgendwann habe ich meinen Mut zusammengenommen und beschlossen, Kunst zu studieren. Es war weniger ein Erleuchtungserlebnis, sondern eine Entscheidung gegen die gesellschaftliche Erwartung, etwas «Vernünftiges» zu tun.

Deine Bilder wirken fröhlich und farbenfroh, doch beim genaueren Hinsehen entdeckt man auch Chaos und Gewalt. Brauchst du bunte Farben, um das Dunkle zu ertragen? Nein, die Farben sind für mich pure Lebensenergie. Gerade an grauen Tagen sehne ich mich nach leuchtenden Farben, die mir gute Laune machen und mich beim Malen motivieren. Vieles hat auch mit meiner Zeit in Spanien zu tun – dort herrschen ein Licht und eine Farbgewalt, die mich stark beeinflusst haben.

Du lebst teilweise in Spanien. Wie kam es dazu? Ich habe 1995 ein Jahr lang in Madrid studiert. Mir war immer klar, dass ich irgendwann zurückkehren wollte. Es hat Jahre gedauert, bis ich den Schritt gewagt habe.

«Manche Bilder beginne ich in Spanien und beende sie in Berlin – oder umgekehrt. Das Pendeln gibt den Bildern unterschiedliche Ebenen und Tiefe.»

Norbert Bisky

Jetzt pendle ich zwischen Berlin und meinem Atelier in der Nähe von Malaga. Manche Bilder beginne ich in Spanien und beende sie in Berlin – oder umgekehrt. Das Pendeln gibt den Bildern unterschiedliche Ebenen und Tiefe.

Norbert Bisky
Norbert Bisky (Bild: Olaf Heine)

Norbert Bisky

Geboren: 1970 in Leipzig, aufgewachsen in der DDR Lebt und arbeitet in: Berlin und Malaga Werdegang: Obwohl sein Vater eine hochrangige Position in der Staats-   partei SED besetzte, entwickelte Bisky bereits in jungen Jahren eine kritische Sicht auf das autoritäre Regime, verweigerte etwa seinen Wehrdienst, weshalb er verhaftet wurde. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands studierte er Kunst an der Hochschule der Künste Berlin, von 2008 bis 2010 war er Gastprofessor an der Genfer Kunstakademie HEAD. Seine Werke sind international in Museen und Galerien präsent – von New York bis Tokio. Themen und Stil: Die Auseinandersetzung mit unterdrückenden Systemen ist ein wiederkehrendes Motiv in seiner Arbeit, die in ihrer Ästhetik sowohl an sozialistische Propaganda als auch an Pop-Art erinnert. Aktuelle Einzel- und Gruppenausstellungen: u.a. in Berlin (13. Juni–30. Juli), Stuttgart (19. Juli 2024–31. Dezember 2025), Schwäbisch Gmünd (24. Mai–26. Oktober), Nizza (2. Juli–19. Juli), Wien (9. Juli–31. August) norbertbisky.com

Malst du in Malaga anders als in Berlin? Absolut. Das Licht ist viel heller, lebendiger. Und die Ölfarbe trocknet viel schneller, sodass ich zügiger arbeiten kann. In Berlin dauert es Wochen, bis eine Schicht durchgetrocknet ist. Berlin ist rau und widersprüchlich – besonders in Friedrichshain, wo ich wohne.

Da prallen Gegensätze aufeinander: linksautonome Szene neben Mercedes-Benz-Zentrale, Clubs neben teuren Eigentumswohnungen. Diese Spannungen inspirieren mich. Malaga ist dagegen fast paradiesisch. Ich brauche diese Reibung, um kreativ zu bleiben.

«Mein Leben ist auch nicht geradlinig, da treffen oft Dinge aufeinander, die eigentlich nicht zusammenpassen. Diese Spannung finde ich spannend und inspirierend.»

Norbert Bisky

Deine Welt ist die der Gegensätze.  Gegensätze sind wie Farbkontraste – Blau leuchtet intensiver neben Gelb. In der Malerei hat mich der Expressionismus geprägt: krasse Licht-Schatten-Kontraste, leuchtende Farben. Mein Leben ist auch nicht geradlinig, da treffen oft Dinge aufeinander, die eigentlich nicht zusammenpassen. Diese Spannung finde ich spannend und inspirierend.

Du hast in der DDR deinen Militärdienst verweigert. Woher nahmst du diesen Mut? Meine Eltern, beide inzwischen verstorben, glaubten fest daran, dass der Kommunismus eine gute Sache sei – trotz aller Schwierigkeiten. Heute weiss ich, dass sie sich geirrt haben. Für mich war es ein langer Prozess, das zu verstehen. Schon als junger Mensch geriet ich wegen Kleinigkeiten mit der DDR in Konflikt, aber nie ernsthaft – es hätte noch harmlos ausgehen können.

Doch irgendwann habe ich meine Stasiakte angefordert und war erschüttert: Da steht, dass ich im Treppenhaus den Gruss nicht erwidert habe. Ein Lehrer hatte einen Vermerk gemacht. Ich war 18 Jahre alt – was sollte das? Im Oktober 1989 – absurd inmitten des Zerfalls der DDR – wurde ich Soldat.

«Als die Mauer fiel, sagte ich: ‹Ich fahre jetzt nach Hause, das hier ist Quatsch›. Prompt wurde ich verhaftet, zurückgebracht und für ein paar Tage eingesperrt»

Norbert Bisky

Als die Mauer fiel, sagte ich: «Ich fahre jetzt nach Hause, das hier ist Quatsch.» Prompt wurde ich verhaftet, zurückgebracht und für ein paar Tage eingesperrt. Keine Heldengeschichte, aber ein Augenöffner. Diese Willkür, diese Ignoranz gegenüber neuen Gesetzen – das hat mir einen Riesenschreck eingejagt. Es war ein bitterer Eindruck davon, wie viele Menschen leiden mussten, wenn sie aus der Reihe tanzten.

Wie war es für dich als schwuler Junge, in der DDR aufzuwachsen? Ich habe mich damals nicht als schwul gesehen. Ich hatte Freunde, erste sexuelle Erfahrungen und lange eine feste Freundin. Es war alles unklar und ich selbst unsicher. Mein Lebensentwurf war von einem diffusen Nebel überlagert.

«Ich wollte kein konventionelles Leben, nicht bei der Allianz arbeiten, sondern Künstler werden. Und ich wollte mir endlich eingestehen: Ich bin schwul.»

Norbert Bisky

Wann lichtete sich der Nebel? Erst nach dem Mauerfall. Plötzlich stand ich da, nicht mehr Soldat, in Berlin, Frühjahr 1990 – eine Stadt voller Aufregung und Veränderungen. Zum ersten Mal lebte ich allein, hatte eine eigene Wohnung – auch wenn sie nur besetzt war und ich bald rausflog. Ich wollte kein konventionelles Leben, nicht bei der Allianz arbeiten, sondern Künstler werden. Und ich wollte mir endlich eingestehen: Ich bin schwul. Alles passierte innerhalb weniger Monate – eine Befreiung.

Der Mauerfall war der entscheidendste Moment deines Lebens, weil du danach der Mensch sein konntest, der du bist. Die Zukunft lag hell ausgebreitet vor dir. Welche Farbe trägt mittlerweile die Zukunft? Ich weiss es nicht. Zum ersten Mal seit den 90ern habe ich Angst, dass sich die Freiheiten zurückentwickeln. Damals war alles im Aufbruch: Man machte einfach Raves in verlassenen Fabrikhallen – ein wildes, freies Lebensgefühl.

Heute habe ich das Gefühl, dass Freiheiten wieder bedroht sind – vor allem die queeren Rechte. In den USA wird trans Menschen eine Bedrohung angedichtet, in Russland erklärt Putin queere Menschen zum Hauptfeind, und auch in Deutschland gibt es Kräfte, die die «Ehe für alle» zurückdrehen wollen. Das ist eine reale Verschlechterung – und ich werde mich nicht kampflos zurückziehen.

Norbert Bisky
Norbert Bisky (Bild: Olaf Heine)

Wie wehrst du dich? Durch meine Kunst. Meine Bilder zeigen von Anfang an einen queeren Blick auf die Welt. Männer spielen eine zentrale Rolle in vielen meiner Arbeiten. Manche finden das unangemessen. Aber ich werde mich nicht verbiegen. Es gibt viele Künstler*innen, die ihre queere Identität nicht zum Thema ihrer Arbeit machen – das respektiere ich. Für mich ist das anders: Es gehört zu mir und bleibt Teil meiner Kunst.

«Es gibt viele Orte, die hässlich und ekelhaft sind, und ich möchte dem etwas entgegensetzen. Ich möchte die kurzen, schönen Momente, die wir auf dieser Erde haben, feiern.»

Norbert Bisky

Wenn du auf deine Werke schaust, siehst du eine Entwicklung oder ein immer wiederkehrendes Thema, das dich nicht loslässt? Beides. Ich schaue nicht so sehr in die Vergangenheit. Ich bin mit dem beschäftigt, was ich gerade mache. Aber natürlich gibt es eine Konstante in meiner Arbeit – eine Freude an der Schönheit der Welt. Es gibt viele Orte, die hässlich und ekelhaft sind, und ich möchte dem etwas entgegensetzen. Ich möchte die kurzen, schönen Momente, die wir auf dieser Erde haben, feiern. Schönheit ist da, um wahrgenommen und genossen zu werden. 

Du hast in einem Interview gesagt, das Paradies gibt es nur im Jetzt, nicht in der Zukunft. Ja, das hat viel mit meiner Lebensgeschichte und der Geschichte meiner Vorfahren zu tun. Wenn ich an meine Grosseltern denke und daran, was für ein furchtbares Leben sie hatten, war ihr Trost oft die Hoffnung, dass das Leben irgendwann besser wird.

Ich bin mir nicht sicher, ob es besser wird. Aber es hat etwas sehr Lebensverneinendes, immer nur in die Zukunft zu schauen und den Moment zu vergessen. Ich versuche, den Moment, in dem wir leben, zu einem guten Moment zu machen.  

Kevin und Josef, Alessandra und Marianne sind sich einig: Pflegeelternschaft ist eine echte Alternative für queere Paare mit Kinderwunsch. Wie sieht ihr Alltag aus? Wann zweifelten sie? Zudem erklärt ein Experte, warum queere Pflegeeltern gebraucht werden (MANNSCHAFT-Story).

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