Wieder Trump: Was queeren Menschen jetzt Hoffnung macht
«Unsere Herzen sind gebrochen, Menschen haben Angst, sind wütend und ersorgen, wie es weitergeht»
In den USA stellen sich Queers auf eine erneute Amtszeit von Donald Trump ein. Die texanische Dragqueen Brigitte Bandit blickt der Zukunft ihrer Heimat mutig entgegen.
Abscheu, Angst, Enttäuschung, Frust und Wut – mit diesem Gefühls-Cocktail ist Brigitte Bandit am Abend des 5. November 2024 in Austin, Texas, ins Bett gegangen.
Ihre Hoffnung auf eine Demokratin und die erste Frau an der Spitze der USA hat sich im Laufe des Wahlabends in Luft aufgelöst. Für Kamala Harris hat es nicht gereicht. Es ist einmal mehr Donald Trump, der im Januar 2025 ins Weisse Haus einziehen wird. Nach seiner ersten Amtszeit zwischen 2017 und 2021 und der verlorenen Kandidatur von 2020 schenkt die Mehrheit der Menschen dem 78-Jährigen erneut das Vertrauen für das höchste Amt des Landes.
«Ich war zum Glück mit Freund*innen vor dem Fernseher, als ich realisierte, dass Trump hier gerade wirklich gewinnt», sagt Brigitte Bandit. Doch mit Trumps Triumph in nahezu allen wichtigen Swing-States legte sich die Realität wie eine schwere, dunkle Decke auf alle, die bis zuletzt auf die Demokratin gehofft hatten. Gleichzeitig ist Trumps Sieg für die Künstlerin keine Überraschung: «Anders als 2016 hatte ich mich schon vorab mit dem Gedanken auseinandergesetzt, dass seine Rhetorik offenbar bei vielen Menschen gut ankommt, so frustrierend und enttäuschend das auch ist.»
Fassungslosigkeit nach Trumps Wiederwahl
Schätzungen zufolge leben in den USA rund 1,6 Millionen trans Menschen, genaue Zahlen gibt es nicht. Die Republikanische Partei hat im Rahmen des Wahlkampfs fast 215 Millionen Dollar allein für Anti-Trans-Werbeclips ausgegeben. Von Steuerzahlenden finanzierte Geschlechtsangleichungen in Gefängnissen, trans Frauen beim Schulsport und in Mädchenumkleiden: Solche aus dem Zusammenhang gerissenen und verkürzten Inhalte liefen unter dem Slogan «Kamala is for they/them. President Trump is for you» zur besten Sendezeit. Sie wurden millionenfach geteilt und regelmässig in Strassenumfragen als Begründung für die eigene Wahlentscheidung und Unterstützung Trumps angebracht.
In den USA wie auch in Europa treibt viele Menschen ein Gedanke um: Wie konnte das passieren? «2016 wussten viele nicht so genau, wem sie da ihre Stimme gaben oder haben es zumindest drauf ankommen lassen», glaubt der Politexperte Matthew Dowd rückblickend. Acht Jahre später sehe dies anders aus.
«Rund 40 Prozent der Wählerschaft, die ihr Kreuz bei den Republikanern gesetzt hat, tat dies ganz bewusst und explizit wegen der Person Donald Trump. Weitere zehn Prozent wählten die Partei aufgrund persönlicher, meist wirtschaftlicher, Gründe – obwohl sie dem Kandidaten nicht trauen und ihn nicht mögen», so Dowd. Diese Wähler*innen setzten ihr Kreuz bei der Republikanischen Partei – trotz eines Donald Trump als potenziellen nächsten Präsidenten – und verhalfen ihm damit zur entscheidenden Mehrheit.
Keine Zeit zu verlieren
Brigitte Bandits Gefühlschaos hatte sich bereits am Tag nach der Wahl schon wieder geordnet. In ihrem pinken Bühnenoutfit und mit blonder Perücke absolvierte die Aktivistin im texanischen Parlamentsgebäude, dem Kapitol in Austin, ein Fotoshooting für ein Magazin. «Es ist nicht an der Zeit, zu verzweifeln. Vielmehr möchte ich das Wahlergebnis zum Anlass nehmen, unsere Gemeinschaft zu motivieren und mobilisieren», sagt die gebürtige Texanerin.
Die queere Community in Austin gehe sehr unterschiedlich mit dem Gedanken an vier weitere Jahre unter Trump um. Neben Trauer und Angst sei da auch viel Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die es zu verarbeiten gelte. «In diesen Zeiten queer zu sein, ist beängstigend. Ich fühle mich trotzdem bereit für den Kampf», sagt sie. Der Terminkalender der Dragqueen ist voll: Neben Öffentlichkeitsarbeit und regelmässigen Auftritten in queeren Clubs reist die 32-Jährige für Auftritte auch quer durch Texas, besucht politische Veranstaltungen, steht bei Pride-Events auf der Bühne und mag es, mit Leuten ins Gespräch zu kommen.
Tolerante Inseln in einem erzkonservativen Bundesstaat
Texas zählt zu den Südstaaten der USA, ist weitaus grösser als die Schweiz, Deutschland und Österreich zusammen und grenzt auf über 2000 Kilometern an Mexiko. Mit Wüsten, Küsten, Bergen, Canyons und Sümpfen ist der Staat landschaftlich divers – alles andere als eine staubige Einöde. Gesellschaftspolitisch sieht das anders aus. Weite Teile von Texas sind konservativ geprägt, insbesondere ländliche Gebiete stehen voll und ganz hinter der Republikanischen Partei, ihren Werten und den teils extremen Ansichten gegenüber Minderheiten.
So verbietet beispielsweise ein Bundesgesetz seit Mai 2023 geschlechtsangleichende Behandlungen von Minderjährigen. Wenige Monate später klagte eine Gruppe von Aktivist*innen, der auch Brigitte Bandit angehörte, gegen ein geplantes Anti-Drag-Gesetz. Das Verbot von Drag-shows wurde vorerst auf Eis gelegt, der endgültige Ausgang ist aber noch offen. Der Demokrat und ehemalige Präsident Jimmy Carter hat es zum letzten Mal geschafft, das tief rote Texas blau zu färben. 47 Jahre ist das her.
In den Millionenstädten Austin, Houston und Dallas herrscht dagegen ein anderes Klima. Hier gibt es aktive LGBTIQ-Communitys und eine weitaus grössere Akzeptanz gegenüber queeren Menschen als auf dem Land. In Austin und Houston regieren Demokrat*innen und insbesondere die Hauptstadt ist so etwas wie eine regenbogenfarbene Insel inmitten eines sehr konservativen Bundestaats, ein toleranter Zufluchtsort für queere Menschen, Künstler*innen und Musikschaffende. Doch selbst hier habe sich der Umgang miteinander in den vergangenen Jahren verändert.
«Während der Corona-Pandemie sind wir noch bei Leuten im Vorgarten aufgetreten, Dragshows in der Form sind jetzt nicht mehr möglich», sagt Brigitte Bandit und verweist auf immer häufigere Protestaktionen. Selbst bei Spaziergängen in ihrer Nachbarschaft wurde sie bereits beleidigt und abschätzig beäugt.
Einschüchterungen, Drohungen, Stalking
Mit ihrer wachsenden Bekanntheit nahmen auch der Hass und die Drohungen zu. Bei Auftritten denke sie nicht daran, was alles passieren könne. «Als aber im Internet plötzlich meine persönlichen Daten veröffentlicht wurden und sie mich gestalkt haben, da hatte ich wirklich Angst um meine Sicherheit und wollte mich nur noch verstecken. Plötzlich waren sensible Informationen in den Händen von Menschen, die meine Existenz nicht tolerieren», erinnert sich die Aktivistin.
Ob es das alles wert sei, habe sie sich damals gefragt. Doch die anfängliche Schockstarre schlug in Mut um. Sie teilte den Hass und die Lügen, die auf Social Media über sie verbreitet wurden. Die queere Community wiederum teilte die Posts der Dragqueen und forderte Facebook und Instagram auf zu handeln. Der offensive Umgang zahlte sich aus, die Plattformen sperrten die Profile derer, die die Drohungen verbreitet hatten. «In dem Moment wurde mir klar: Diese Leute wollen, dass wir uns verstecken und nachgeben». Aus Sicherheitsgründen verwendet sie bis heute stets nur einen Namen: Brigitte Bandit.
Drag ist für alle da
Ihre Mutter arbeitete einst als Stripperin in Nachtclubs, ihr Bühnenname lautete «The Bandit», häufig stand sie auch als Cher auf der Bühne. Beides sollte später auch Teil der Bühnenidentität ihres Kindes werden. Brigitte Bandit kam vor sechs Jahren durch einen Zufall zum Drag. Im Internet stiess sie auf ein Video britischer Dragqueens, die als cis Frauen bei einer Dragshow teilnahmen. «Ich habe angefangen zu weinen und gleichzeitig realisiert, dass Drag auch für mich eine Option ist», erzählt sie.
«Ich habe angefangen zu weinen und gleichzeitig realisiert, dass Drag auch für mich eine Option ist»
Brigit Bandit
Brigitte Bandit ist nicht-binär, verwendet die Pronomen she/her und they/them, wurde bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und inszeniert sich bei ihren Auftritten ebenfalls als weibliche Figur. Brigitte kann auf der Bühne sie selbst sein, frei von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen. Sie habe stets unter dem Radar laufen müssen, um sich möglichst leise in die Gesellschaft einzufügen.
«Auf der Bühne kann ich überdimensionale Gummi-Brüste tragen, albern sein und Spass haben», sagt die Freiberuflerin und lacht. Die Dragszene ihrer Heimatstadt sei sehr alternativ, alles sei erlaubt, auch, wenn es nicht gerade besonders hübsch sei. «In Dallas und Houston stehen Dragqueens mit gigantischen Frisuren, edlem Schmuck und tollen Kleidern auf der Bühne. In Austin darf es auch mal gruselig oder ausgefallener sein», erklärt die 32-Jährige.
Dolly Parton ist «leicht zu verdauen»
In die ländlichen Gebiete von Texas fährt sie auch ausserhalb von Wahlkampfzeiten. Mit Menschen ins Gespräch kommen und ihnen die Furcht vor Drag zu nehmen, macht ihr Spass. «Menschen auf dem Land haben oft kaum die Chance, je eine Dragshow live zu erleben», vermutet Brigitte Bandit. Zudem ist sie überzeugt: «Queere Menschen gibt es überall, auch in den entlegensten Winkeln der Erde.» Bei Auftritten im ländlichen Raum verwandelt sie sich meistens in die Bühnenfigur Dolly Parton. Die US-Sängerin ist gerade bei älteren Generationen eine Ikone und «leicht zu verdauen».
Queere Menschen rücken zusammen
Zusammenstehen, aktiv und sichtbar bleiben, sich gegenseitig stärken und beschützen ist nach Trumps Wahlsieg das Gebot der Stunde für queere Menschen und zahlreiche LGBTIQ-Organisationen. Kelley Robinson steht an der Spitze von Human Rights Campaign, der grössten LGBTIQ- und Bürgerrechtsorganisation der USA. Nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses richtet sie klare Worte an die queere Gemeinschaft.
«Unsere Herzen sind gebrochen, Menschen haben Angst, sind wütend und machen sich Sorgen, wie was für sie und ihre Familien weitergeht»
Kelley Robinson, Human Rights Campaign
«Unsere Herzen sind gebrochen, Menschen haben Angst, sind wütend und machen sich Sorgen, wie was für sie und ihre Familien weitergeht», so Robinson. Die Zukunft werde eine Herausforderung, dennoch sei man vorbereitet für den Schutz der queeren Community und weiteren Fortschritt. Parents, Families and Friends of Lesbians and Gays, kurz PFLAG, ist seit 1973 und mit über 40 Ortsgruppen im Land aktiv. In einem gemeinsamen Statement sieht die Organisation einer ungewissen Zukunft entgegen.
«Die Wahlergebnisse auf nationaler, bundesstaatlicher und lokaler Ebene werden sich auf unsere Gesundheit, unsere Sicherheit und unsere Rechte als LGBTIQ-Menschen und -Familien auswirken.» Dennoch stehe man fest zusammen und werde weiterarbeiten. Die queere Gemeinschaft sei in der Vergangenheit in Momenten, die ihre Rechte, Menschlichkeit und Freiheit in Frage gestellt hätten, immer wieder aufgestanden. Gleiches gelte für dieses Wahlergebnis. «We’ve got this. We’ve got us», so der Appell. Wir schaffen das. Wir sind für uns da.
Queere Politiker*innen schreiben Geschichte
Trotz unzähliger Wahlkampf-Attacken auf queere Menschen sind auch politische Erfolge mit Blick auf Diversität und Vielfalt zu verbuchen. Die Demokratin Sarah McBride repräsentiert als erste trans Person der Geschichte ihren Bundesstaat Delaware im künftigen Kongress (MANNSCHAFT berichtete). Julie Johnson aus Texas zieht als erste LGBTIQ-Politikerin aus den Südstaaten der USA in den Kongress ein und Emily Randall ist dort als erste offen lesbische Latina vertreten. Zudem hat sich die Mehrheit der Wählerschaft in Kalifornien, Colorado und Hawaii für den verfassungsrechtlichen Schutz der gleichgeschlechtlichen Ehe ausgesprochen.
Die nationale Organisation Equality Federation, die sich für Gerechtigkeit am Arbeitsplatz, die Anerkennung von queeren Familien und gegen Anti-Transgender-Gesetze einsetzt, betont gleichzeitig die Tragweite von Trumps Sieg. «Ich bin äusserst besorgt darüber, dass eine Person, die unsere Gemeinschaft entmenschlichen will, erneut das höchste Amt unseres Landes bekleidet», sagt Geschäftsführerin Fran Hutchins. Insbesondere die Bundesstaaten, die von extremistischen Gesetzgeber*innen regiert und trans Personen weiterhin ins Visier nehmen würden, seien eine Herausforderung, so Hutchins.
Selbst aus dem demokratischen Lager waren trans Menschen nach der Wahl die Zielscheibe von Schuldzuweisungen. In Texas trat Gilberto Hinojosa, der Vorsitzende der Texas Democrats, von seinem Posten zurück, nachdem er die klare Wahlniederlage seiner Partei gegen den amtierenden Senator Ted Cruz, ausgerechnet an der Unterstützung von trans Personen im Wahlkampf festmachte und dafür Kritik von allen Seiten erntete. Auch Brigitte Bandit war von seiner Aussage enttäuscht und schockiert.
«Die Demokratische Partei wird die Kontrolle nicht zurückgewinnen, indem sie versucht, an die Menschen zu appellieren, die gegen sie gestimmt haben, sondern indem sie diejenigen, die sie gewählt haben, angemessen verteidigen und schützen. Sie müssen mehr für uns tun. Das muss das ganze Land», sagt die Dragqueen. Auch wenn sich der Ton und die Politik gegenüber queeren Menschen im Land und Bundesstaat Texas unter Trump und Cruz wohl weiter verschärfen wird, Austin zu verlassen ist für Brigitte Bandit keine Option. «Das hier ist meine Heimat, mein zuhause und es ist wichtig, dass wir bleiben.»
Text: Angela Weiß
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